Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Ehescheidungsgesetz.
als Richter in den westlichen Provinzen das rheinische Recht und das
öffentliche Verfahren schätzen gelernt hatte. Er ließ es sich nicht verdrießen,
zweimal wöchentlich mit der Post von Frankfurt zu den Sitzungen hin-
überzufahren; und es war ein Zeichen der Zeit, wie er und Gerlach sich
mit einander maßen, Beide gleich würdige Vertreter des altpreußischen
Richterstandes, gelehrt, freimüthig, beredt, Beide, der Liberale wie der
Romantiker, fest davon überzeugt, daß sie für die wahre Freiheit kämpften,
und doch so grundverschieden in ihrer ganzen Weltanschauung. Scheller
verlangte zum mindesten, daß die Zahl der Scheidungsgründe nicht all-
zusehr beschränkt würde, damit der Richter der Mannichfaltigkeit der
Lebensverhältnisse, die sich grade in häuslichen Händeln überall aufdrängt,
einigermaßen gerecht werden könne. Er wagte sogar zu behaupten, Ein-
heit des Eherechts sei erst möglich wenn man die bürgerliche Eheschließung
einführe. Der beste Beweis für diese Ansicht, die in den alten Provinzen
noch als ketzerisch galt, lag in dem neuen Gesetze selber: der Entwurf
sollte bürgerliches Recht enthalten und gab doch Ausnahmevorschriften
für die geschiedenen Katholiken, deren Trauung den Geistlichen aller Be-
kenntnisse untersagt wurde.

Mittlerweile fuhren die liberalen Zeitungen in ihren Zornreden fort,
und Gerlach hielt für nöthig, daß auch seine orthodoxen Gesinnungsge-
nossen ihre Stimme erhöben. Unter der Hand ließ er seine Freunde
wissen, der König würde sich freuen, wenn die Gläubigen für das christ-
liche Eherecht einträten; und nicht lange, so wurden, vornehmlich von pom-
merschen Geistlichen, zahlreiche Bittschriften eingesendet, welche die Annahme
des Entwurfs empfahlen. Als aber der Prinz von Preußen erfuhr, wie man
den Namen des Monarchen mißbraucht hatte, da wallte sein fürstliches
Selbstgefühl hoch auf, und in einer Sitzung des Staatsraths stellte er
den pommerschen Bischof Ritschl, der selbst allerdings an diesen Umtrieben
nicht theilgenommen hatte, zornig zur Rede; er verlangte strenge Unter-
suchung und schrieb dem Bruder: "ich hoffe, daß Du Ernst zeigen wirst.*)"
Nun kam Gerlach's Mitschuld bald zu Tage; der Heißsporn der Romantik
konnte sich im Ministerium nicht mehr halten und wurde, nachdem man
noch eine Weile gezaudert, im April 1844 unter allen Zeichen königlicher
Gnade als Präsident des Oberlandesgerichts nach Magdeburg versetzt.

Zur selben Zeit lag auch der Gesetzentwurf endlich fertig vor; er
war im Staatsrathe wesentlich gemildert und gleichwohl von der Mehrheit
nur ungern angenommen worden, von Einzelnen wohl nur aus Ehrfurcht
vor dem Könige. Kühne, einer der heftigsten Gegner des Gesetzes, sagte
grimmig: ein dicker, stickender Nebel der Heuchelei und der Beängstigung
lag über den Verhandlungen. Jetzt erst erhob sich die peinlichste Frage.

*) Eichhorn an Oberpräsident v. Bonin in Stettin, 29. März; Prinz von Preußen
an den König, 2. April 1843.

Das Eheſcheidungsgeſetz.
als Richter in den weſtlichen Provinzen das rheiniſche Recht und das
öffentliche Verfahren ſchätzen gelernt hatte. Er ließ es ſich nicht verdrießen,
zweimal wöchentlich mit der Poſt von Frankfurt zu den Sitzungen hin-
überzufahren; und es war ein Zeichen der Zeit, wie er und Gerlach ſich
mit einander maßen, Beide gleich würdige Vertreter des altpreußiſchen
Richterſtandes, gelehrt, freimüthig, beredt, Beide, der Liberale wie der
Romantiker, feſt davon überzeugt, daß ſie für die wahre Freiheit kämpften,
und doch ſo grundverſchieden in ihrer ganzen Weltanſchauung. Scheller
verlangte zum mindeſten, daß die Zahl der Scheidungsgründe nicht all-
zuſehr beſchränkt würde, damit der Richter der Mannichfaltigkeit der
Lebensverhältniſſe, die ſich grade in häuslichen Händeln überall aufdrängt,
einigermaßen gerecht werden könne. Er wagte ſogar zu behaupten, Ein-
heit des Eherechts ſei erſt möglich wenn man die bürgerliche Eheſchließung
einführe. Der beſte Beweis für dieſe Anſicht, die in den alten Provinzen
noch als ketzeriſch galt, lag in dem neuen Geſetze ſelber: der Entwurf
ſollte bürgerliches Recht enthalten und gab doch Ausnahmevorſchriften
für die geſchiedenen Katholiken, deren Trauung den Geiſtlichen aller Be-
kenntniſſe unterſagt wurde.

Mittlerweile fuhren die liberalen Zeitungen in ihren Zornreden fort,
und Gerlach hielt für nöthig, daß auch ſeine orthodoxen Geſinnungsge-
noſſen ihre Stimme erhöben. Unter der Hand ließ er ſeine Freunde
wiſſen, der König würde ſich freuen, wenn die Gläubigen für das chriſt-
liche Eherecht einträten; und nicht lange, ſo wurden, vornehmlich von pom-
merſchen Geiſtlichen, zahlreiche Bittſchriften eingeſendet, welche die Annahme
des Entwurfs empfahlen. Als aber der Prinz von Preußen erfuhr, wie man
den Namen des Monarchen mißbraucht hatte, da wallte ſein fürſtliches
Selbſtgefühl hoch auf, und in einer Sitzung des Staatsraths ſtellte er
den pommerſchen Biſchof Ritſchl, der ſelbſt allerdings an dieſen Umtrieben
nicht theilgenommen hatte, zornig zur Rede; er verlangte ſtrenge Unter-
ſuchung und ſchrieb dem Bruder: „ich hoffe, daß Du Ernſt zeigen wirſt.*)
Nun kam Gerlach’s Mitſchuld bald zu Tage; der Heißſporn der Romantik
konnte ſich im Miniſterium nicht mehr halten und wurde, nachdem man
noch eine Weile gezaudert, im April 1844 unter allen Zeichen königlicher
Gnade als Präſident des Oberlandesgerichts nach Magdeburg verſetzt.

Zur ſelben Zeit lag auch der Geſetzentwurf endlich fertig vor; er
war im Staatsrathe weſentlich gemildert und gleichwohl von der Mehrheit
nur ungern angenommen worden, von Einzelnen wohl nur aus Ehrfurcht
vor dem Könige. Kühne, einer der heftigſten Gegner des Geſetzes, ſagte
grimmig: ein dicker, ſtickender Nebel der Heuchelei und der Beängſtigung
lag über den Verhandlungen. Jetzt erſt erhob ſich die peinlichſte Frage.

*) Eichhorn an Oberpräſident v. Bonin in Stettin, 29. März; Prinz von Preußen
an den König, 2. April 1843.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0267" n="253"/><fw place="top" type="header">Das Ehe&#x017F;cheidungsge&#x017F;etz.</fw><lb/>
als Richter in den we&#x017F;tlichen Provinzen das rheini&#x017F;che Recht und das<lb/>
öffentliche Verfahren &#x017F;chätzen gelernt hatte. Er ließ es &#x017F;ich nicht verdrießen,<lb/>
zweimal wöchentlich mit der Po&#x017F;t von Frankfurt zu den Sitzungen hin-<lb/>
überzufahren; und es war ein Zeichen der Zeit, wie er und Gerlach &#x017F;ich<lb/>
mit einander maßen, Beide gleich würdige Vertreter des altpreußi&#x017F;chen<lb/>
Richter&#x017F;tandes, gelehrt, freimüthig, beredt, Beide, der Liberale wie der<lb/>
Romantiker, fe&#x017F;t davon überzeugt, daß &#x017F;ie für die wahre Freiheit kämpften,<lb/>
und doch &#x017F;o grundver&#x017F;chieden in ihrer ganzen Weltan&#x017F;chauung. Scheller<lb/>
verlangte zum minde&#x017F;ten, daß die Zahl der Scheidungsgründe nicht all-<lb/>
zu&#x017F;ehr be&#x017F;chränkt würde, damit der Richter der Mannichfaltigkeit der<lb/>
Lebensverhältni&#x017F;&#x017F;e, die &#x017F;ich grade in häuslichen Händeln überall aufdrängt,<lb/>
einigermaßen gerecht werden könne. Er wagte &#x017F;ogar zu behaupten, Ein-<lb/>
heit des Eherechts &#x017F;ei er&#x017F;t möglich wenn man die bürgerliche Ehe&#x017F;chließung<lb/>
einführe. Der be&#x017F;te Beweis für die&#x017F;e An&#x017F;icht, die in den alten Provinzen<lb/>
noch als ketzeri&#x017F;ch galt, lag in dem neuen Ge&#x017F;etze &#x017F;elber: der Entwurf<lb/>
&#x017F;ollte bürgerliches Recht enthalten und gab doch Ausnahmevor&#x017F;chriften<lb/>
für die ge&#x017F;chiedenen Katholiken, deren Trauung den Gei&#x017F;tlichen aller Be-<lb/>
kenntni&#x017F;&#x017F;e unter&#x017F;agt wurde.</p><lb/>
          <p>Mittlerweile fuhren die liberalen Zeitungen in ihren Zornreden fort,<lb/>
und Gerlach hielt für nöthig, daß auch &#x017F;eine orthodoxen Ge&#x017F;innungsge-<lb/>
no&#x017F;&#x017F;en ihre Stimme erhöben. Unter der Hand ließ er &#x017F;eine Freunde<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, der König würde &#x017F;ich freuen, wenn die Gläubigen für das chri&#x017F;t-<lb/>
liche Eherecht einträten; und nicht lange, &#x017F;o wurden, vornehmlich von pom-<lb/>
mer&#x017F;chen Gei&#x017F;tlichen, zahlreiche Bitt&#x017F;chriften einge&#x017F;endet, welche die Annahme<lb/>
des Entwurfs empfahlen. Als aber der Prinz von Preußen erfuhr, wie man<lb/>
den Namen des Monarchen mißbraucht hatte, da wallte &#x017F;ein für&#x017F;tliches<lb/>
Selb&#x017F;tgefühl hoch auf, und in einer Sitzung des Staatsraths &#x017F;tellte er<lb/>
den pommer&#x017F;chen Bi&#x017F;chof Rit&#x017F;chl, der &#x017F;elb&#x017F;t allerdings an die&#x017F;en Umtrieben<lb/>
nicht theilgenommen hatte, zornig zur Rede; er verlangte &#x017F;trenge Unter-<lb/>
&#x017F;uchung und &#x017F;chrieb dem Bruder: &#x201E;ich hoffe, daß Du Ern&#x017F;t zeigen wir&#x017F;t.<note place="foot" n="*)">Eichhorn an Oberprä&#x017F;ident v. Bonin in Stettin, 29. März; Prinz von Preußen<lb/>
an den König, 2. April 1843.</note>&#x201C;<lb/>
Nun kam Gerlach&#x2019;s Mit&#x017F;chuld bald zu Tage; der Heiß&#x017F;porn der Romantik<lb/>
konnte &#x017F;ich im Mini&#x017F;terium nicht mehr halten und wurde, nachdem man<lb/>
noch eine Weile gezaudert, im April 1844 unter allen Zeichen königlicher<lb/>
Gnade als Prä&#x017F;ident des Oberlandesgerichts nach Magdeburg ver&#x017F;etzt.</p><lb/>
          <p>Zur &#x017F;elben Zeit lag auch der Ge&#x017F;etzentwurf endlich fertig vor; er<lb/>
war im Staatsrathe we&#x017F;entlich gemildert und gleichwohl von der Mehrheit<lb/>
nur ungern angenommen worden, von Einzelnen wohl nur aus Ehrfurcht<lb/>
vor dem Könige. Kühne, einer der heftig&#x017F;ten Gegner des Ge&#x017F;etzes, &#x017F;agte<lb/>
grimmig: ein dicker, &#x017F;tickender Nebel der Heuchelei und der Beäng&#x017F;tigung<lb/>
lag über den Verhandlungen. Jetzt er&#x017F;t erhob &#x017F;ich die peinlich&#x017F;te Frage.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0267] Das Eheſcheidungsgeſetz. als Richter in den weſtlichen Provinzen das rheiniſche Recht und das öffentliche Verfahren ſchätzen gelernt hatte. Er ließ es ſich nicht verdrießen, zweimal wöchentlich mit der Poſt von Frankfurt zu den Sitzungen hin- überzufahren; und es war ein Zeichen der Zeit, wie er und Gerlach ſich mit einander maßen, Beide gleich würdige Vertreter des altpreußiſchen Richterſtandes, gelehrt, freimüthig, beredt, Beide, der Liberale wie der Romantiker, feſt davon überzeugt, daß ſie für die wahre Freiheit kämpften, und doch ſo grundverſchieden in ihrer ganzen Weltanſchauung. Scheller verlangte zum mindeſten, daß die Zahl der Scheidungsgründe nicht all- zuſehr beſchränkt würde, damit der Richter der Mannichfaltigkeit der Lebensverhältniſſe, die ſich grade in häuslichen Händeln überall aufdrängt, einigermaßen gerecht werden könne. Er wagte ſogar zu behaupten, Ein- heit des Eherechts ſei erſt möglich wenn man die bürgerliche Eheſchließung einführe. Der beſte Beweis für dieſe Anſicht, die in den alten Provinzen noch als ketzeriſch galt, lag in dem neuen Geſetze ſelber: der Entwurf ſollte bürgerliches Recht enthalten und gab doch Ausnahmevorſchriften für die geſchiedenen Katholiken, deren Trauung den Geiſtlichen aller Be- kenntniſſe unterſagt wurde. Mittlerweile fuhren die liberalen Zeitungen in ihren Zornreden fort, und Gerlach hielt für nöthig, daß auch ſeine orthodoxen Geſinnungsge- noſſen ihre Stimme erhöben. Unter der Hand ließ er ſeine Freunde wiſſen, der König würde ſich freuen, wenn die Gläubigen für das chriſt- liche Eherecht einträten; und nicht lange, ſo wurden, vornehmlich von pom- merſchen Geiſtlichen, zahlreiche Bittſchriften eingeſendet, welche die Annahme des Entwurfs empfahlen. Als aber der Prinz von Preußen erfuhr, wie man den Namen des Monarchen mißbraucht hatte, da wallte ſein fürſtliches Selbſtgefühl hoch auf, und in einer Sitzung des Staatsraths ſtellte er den pommerſchen Biſchof Ritſchl, der ſelbſt allerdings an dieſen Umtrieben nicht theilgenommen hatte, zornig zur Rede; er verlangte ſtrenge Unter- ſuchung und ſchrieb dem Bruder: „ich hoffe, daß Du Ernſt zeigen wirſt. *)“ Nun kam Gerlach’s Mitſchuld bald zu Tage; der Heißſporn der Romantik konnte ſich im Miniſterium nicht mehr halten und wurde, nachdem man noch eine Weile gezaudert, im April 1844 unter allen Zeichen königlicher Gnade als Präſident des Oberlandesgerichts nach Magdeburg verſetzt. Zur ſelben Zeit lag auch der Geſetzentwurf endlich fertig vor; er war im Staatsrathe weſentlich gemildert und gleichwohl von der Mehrheit nur ungern angenommen worden, von Einzelnen wohl nur aus Ehrfurcht vor dem Könige. Kühne, einer der heftigſten Gegner des Geſetzes, ſagte grimmig: ein dicker, ſtickender Nebel der Heuchelei und der Beängſtigung lag über den Verhandlungen. Jetzt erſt erhob ſich die peinlichſte Frage. *) Eichhorn an Oberpräſident v. Bonin in Stettin, 29. März; Prinz von Preußen an den König, 2. April 1843.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/267
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/267>, abgerufen am 22.11.2024.