als Richter in den westlichen Provinzen das rheinische Recht und das öffentliche Verfahren schätzen gelernt hatte. Er ließ es sich nicht verdrießen, zweimal wöchentlich mit der Post von Frankfurt zu den Sitzungen hin- überzufahren; und es war ein Zeichen der Zeit, wie er und Gerlach sich mit einander maßen, Beide gleich würdige Vertreter des altpreußischen Richterstandes, gelehrt, freimüthig, beredt, Beide, der Liberale wie der Romantiker, fest davon überzeugt, daß sie für die wahre Freiheit kämpften, und doch so grundverschieden in ihrer ganzen Weltanschauung. Scheller verlangte zum mindesten, daß die Zahl der Scheidungsgründe nicht all- zusehr beschränkt würde, damit der Richter der Mannichfaltigkeit der Lebensverhältnisse, die sich grade in häuslichen Händeln überall aufdrängt, einigermaßen gerecht werden könne. Er wagte sogar zu behaupten, Ein- heit des Eherechts sei erst möglich wenn man die bürgerliche Eheschließung einführe. Der beste Beweis für diese Ansicht, die in den alten Provinzen noch als ketzerisch galt, lag in dem neuen Gesetze selber: der Entwurf sollte bürgerliches Recht enthalten und gab doch Ausnahmevorschriften für die geschiedenen Katholiken, deren Trauung den Geistlichen aller Be- kenntnisse untersagt wurde.
Mittlerweile fuhren die liberalen Zeitungen in ihren Zornreden fort, und Gerlach hielt für nöthig, daß auch seine orthodoxen Gesinnungsge- nossen ihre Stimme erhöben. Unter der Hand ließ er seine Freunde wissen, der König würde sich freuen, wenn die Gläubigen für das christ- liche Eherecht einträten; und nicht lange, so wurden, vornehmlich von pom- merschen Geistlichen, zahlreiche Bittschriften eingesendet, welche die Annahme des Entwurfs empfahlen. Als aber der Prinz von Preußen erfuhr, wie man den Namen des Monarchen mißbraucht hatte, da wallte sein fürstliches Selbstgefühl hoch auf, und in einer Sitzung des Staatsraths stellte er den pommerschen Bischof Ritschl, der selbst allerdings an diesen Umtrieben nicht theilgenommen hatte, zornig zur Rede; er verlangte strenge Unter- suchung und schrieb dem Bruder: "ich hoffe, daß Du Ernst zeigen wirst.*)" Nun kam Gerlach's Mitschuld bald zu Tage; der Heißsporn der Romantik konnte sich im Ministerium nicht mehr halten und wurde, nachdem man noch eine Weile gezaudert, im April 1844 unter allen Zeichen königlicher Gnade als Präsident des Oberlandesgerichts nach Magdeburg versetzt.
Zur selben Zeit lag auch der Gesetzentwurf endlich fertig vor; er war im Staatsrathe wesentlich gemildert und gleichwohl von der Mehrheit nur ungern angenommen worden, von Einzelnen wohl nur aus Ehrfurcht vor dem Könige. Kühne, einer der heftigsten Gegner des Gesetzes, sagte grimmig: ein dicker, stickender Nebel der Heuchelei und der Beängstigung lag über den Verhandlungen. Jetzt erst erhob sich die peinlichste Frage.
*) Eichhorn an Oberpräsident v. Bonin in Stettin, 29. März; Prinz von Preußen an den König, 2. April 1843.
Das Eheſcheidungsgeſetz.
als Richter in den weſtlichen Provinzen das rheiniſche Recht und das öffentliche Verfahren ſchätzen gelernt hatte. Er ließ es ſich nicht verdrießen, zweimal wöchentlich mit der Poſt von Frankfurt zu den Sitzungen hin- überzufahren; und es war ein Zeichen der Zeit, wie er und Gerlach ſich mit einander maßen, Beide gleich würdige Vertreter des altpreußiſchen Richterſtandes, gelehrt, freimüthig, beredt, Beide, der Liberale wie der Romantiker, feſt davon überzeugt, daß ſie für die wahre Freiheit kämpften, und doch ſo grundverſchieden in ihrer ganzen Weltanſchauung. Scheller verlangte zum mindeſten, daß die Zahl der Scheidungsgründe nicht all- zuſehr beſchränkt würde, damit der Richter der Mannichfaltigkeit der Lebensverhältniſſe, die ſich grade in häuslichen Händeln überall aufdrängt, einigermaßen gerecht werden könne. Er wagte ſogar zu behaupten, Ein- heit des Eherechts ſei erſt möglich wenn man die bürgerliche Eheſchließung einführe. Der beſte Beweis für dieſe Anſicht, die in den alten Provinzen noch als ketzeriſch galt, lag in dem neuen Geſetze ſelber: der Entwurf ſollte bürgerliches Recht enthalten und gab doch Ausnahmevorſchriften für die geſchiedenen Katholiken, deren Trauung den Geiſtlichen aller Be- kenntniſſe unterſagt wurde.
Mittlerweile fuhren die liberalen Zeitungen in ihren Zornreden fort, und Gerlach hielt für nöthig, daß auch ſeine orthodoxen Geſinnungsge- noſſen ihre Stimme erhöben. Unter der Hand ließ er ſeine Freunde wiſſen, der König würde ſich freuen, wenn die Gläubigen für das chriſt- liche Eherecht einträten; und nicht lange, ſo wurden, vornehmlich von pom- merſchen Geiſtlichen, zahlreiche Bittſchriften eingeſendet, welche die Annahme des Entwurfs empfahlen. Als aber der Prinz von Preußen erfuhr, wie man den Namen des Monarchen mißbraucht hatte, da wallte ſein fürſtliches Selbſtgefühl hoch auf, und in einer Sitzung des Staatsraths ſtellte er den pommerſchen Biſchof Ritſchl, der ſelbſt allerdings an dieſen Umtrieben nicht theilgenommen hatte, zornig zur Rede; er verlangte ſtrenge Unter- ſuchung und ſchrieb dem Bruder: „ich hoffe, daß Du Ernſt zeigen wirſt.*)“ Nun kam Gerlach’s Mitſchuld bald zu Tage; der Heißſporn der Romantik konnte ſich im Miniſterium nicht mehr halten und wurde, nachdem man noch eine Weile gezaudert, im April 1844 unter allen Zeichen königlicher Gnade als Präſident des Oberlandesgerichts nach Magdeburg verſetzt.
Zur ſelben Zeit lag auch der Geſetzentwurf endlich fertig vor; er war im Staatsrathe weſentlich gemildert und gleichwohl von der Mehrheit nur ungern angenommen worden, von Einzelnen wohl nur aus Ehrfurcht vor dem Könige. Kühne, einer der heftigſten Gegner des Geſetzes, ſagte grimmig: ein dicker, ſtickender Nebel der Heuchelei und der Beängſtigung lag über den Verhandlungen. Jetzt erſt erhob ſich die peinlichſte Frage.
*) Eichhorn an Oberpräſident v. Bonin in Stettin, 29. März; Prinz von Preußen an den König, 2. April 1843.
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Das Eheſcheidungsgeſetz.
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zweimal wöchentlich mit der Poſt von Frankfurt zu den Sitzungen hin-
überzufahren; und es war ein Zeichen der Zeit, wie er und Gerlach ſich
mit einander maßen, Beide gleich würdige Vertreter des altpreußiſchen
Richterſtandes, gelehrt, freimüthig, beredt, Beide, der Liberale wie der
Romantiker, feſt davon überzeugt, daß ſie für die wahre Freiheit kämpften,
und doch ſo grundverſchieden in ihrer ganzen Weltanſchauung. Scheller
verlangte zum mindeſten, daß die Zahl der Scheidungsgründe nicht all-
zuſehr beſchränkt würde, damit der Richter der Mannichfaltigkeit der
Lebensverhältniſſe, die ſich grade in häuslichen Händeln überall aufdrängt,
einigermaßen gerecht werden könne. Er wagte ſogar zu behaupten, Ein-
heit des Eherechts ſei erſt möglich wenn man die bürgerliche Eheſchließung
einführe. Der beſte Beweis für dieſe Anſicht, die in den alten Provinzen
noch als ketzeriſch galt, lag in dem neuen Geſetze ſelber: der Entwurf
ſollte bürgerliches Recht enthalten und gab doch Ausnahmevorſchriften
für die geſchiedenen Katholiken, deren Trauung den Geiſtlichen aller Be-
kenntniſſe unterſagt wurde.
Mittlerweile fuhren die liberalen Zeitungen in ihren Zornreden fort,
und Gerlach hielt für nöthig, daß auch ſeine orthodoxen Geſinnungsge-
noſſen ihre Stimme erhöben. Unter der Hand ließ er ſeine Freunde
wiſſen, der König würde ſich freuen, wenn die Gläubigen für das chriſt-
liche Eherecht einträten; und nicht lange, ſo wurden, vornehmlich von pom-
merſchen Geiſtlichen, zahlreiche Bittſchriften eingeſendet, welche die Annahme
des Entwurfs empfahlen. Als aber der Prinz von Preußen erfuhr, wie man
den Namen des Monarchen mißbraucht hatte, da wallte ſein fürſtliches
Selbſtgefühl hoch auf, und in einer Sitzung des Staatsraths ſtellte er
den pommerſchen Biſchof Ritſchl, der ſelbſt allerdings an dieſen Umtrieben
nicht theilgenommen hatte, zornig zur Rede; er verlangte ſtrenge Unter-
ſuchung und ſchrieb dem Bruder: „ich hoffe, daß Du Ernſt zeigen wirſt. *)“
Nun kam Gerlach’s Mitſchuld bald zu Tage; der Heißſporn der Romantik
konnte ſich im Miniſterium nicht mehr halten und wurde, nachdem man
noch eine Weile gezaudert, im April 1844 unter allen Zeichen königlicher
Gnade als Präſident des Oberlandesgerichts nach Magdeburg verſetzt.
Zur ſelben Zeit lag auch der Geſetzentwurf endlich fertig vor; er
war im Staatsrathe weſentlich gemildert und gleichwohl von der Mehrheit
nur ungern angenommen worden, von Einzelnen wohl nur aus Ehrfurcht
vor dem Könige. Kühne, einer der heftigſten Gegner des Geſetzes, ſagte
grimmig: ein dicker, ſtickender Nebel der Heuchelei und der Beängſtigung
lag über den Verhandlungen. Jetzt erſt erhob ſich die peinlichſte Frage.
*) Eichhorn an Oberpräſident v. Bonin in Stettin, 29. März; Prinz von Preußen
an den König, 2. April 1843.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/267>, abgerufen am 23.07.2024.
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