Minister, der ihn sehr weit übersah, keinen wirklichen Einfluß gewinnen; und also ganz vereinsamt mußte Eichhorn, je heftiger die Tagesmeinung wider ihn anbrauste, nur um so tiefer in die einmal eingeschlagene Rich- tung hineingerathen.
Die Berufungen neuer Lehrkräfte waren allesammt unter des Mi- nisters eifriger Mitwirkung, zum Theil auf seine Anregung zu Stande gekommen; doch man dankte ihm für dies große Verdienst nur wenig, weil er von vornherein, allem akademischen Brauche zuwider, in die kleinen und kleinsten Angelegenheiten der Universitäten herrisch eingriff. Noch in den ersten hoffnungsvollen Monaten der neuen Regierung thaten sich etwa 150 Hallenser Studenten, unter der Führung des wackeren jungen Theologen Rudolf Haym, zusammen um den König, ihren Rector, in einer kindlich ehrerbietigen Adresse zu bitten, daß er D. F. Strauß nach Halle berufen möge. Das Unternehmen mußte Jedem, der die Meinungen des Monarchen kannte, wunderbar naiv erscheinen und war ebendeßhalb unzweifelhaft harmlos; die jungen Leute gaben einfach ihrer Begeisterung für den Verfasser des Lebens Jesu einen etwas vorlauten Ausdruck. Auf- gestachelt waren sie nicht; der alte Rationalist Gesenius hatte sogar väter- lich abgemahnt.*) Dem Minister aber erschien die Bittschrift wie eine atheistische Frevelthat, und er ruhte nicht, bis der akademische Senat die bereits gegen die Urheber verhängten Strafen noch verschärfte, worauf sich dann unausbleiblich ein gehässiger Zeitungskampf entspann. Ebenso hart beurtheilte er die Königsberger Studenten, die den armen Hävernick ausgescharrt hatten, und der Senat der Albertina beschwerte sich bei dem Könige, natürlich umsonst, über den Minister.
Seitdem stand die Meinung fest, "das Eichhörnchen" begünstige überall den Pietismus, und bei der gereizten Stimmung der Zeit konnte es nicht ausbleiben, daß die Gegenpartei sich zu manchen Ungerechtigkeiten hinreißen ließ. Der Berliner akademische Senat verbot den Studenten aus Hengsten- berg's Schule, einen Verein zum Historischen Christus zu bilden; er be- gründete das Verbot mit der offenbar höhnischen Erklärung, sonst müßte man auch antichristliche Vereine gestatten, und der Minister sah sich ge- nöthigt, diesmal zum Schutze der akademischen Freiheit einzuschreiten. Strafen und Entlassungen, die unter Altenstein nur selten vorkamen, wiederholten sich häufig und sie wurden allesammt als Zeichen der neuen Gewissenstyrannei angesehen. Man schalt sogar, als dem Bonner Privatdocenten Bruno Bauer die Erlaubniß zum Lesen entzogen wurde. Der hatte in seiner Kritik der synoptischen Evangelien den Boden des positiven Christenthums so gänzlich verlassen, daß die Theologie, die doch keine reine Wissenschaft ist, ihn unmöglich noch in ihren Reihen dulden konnte. Der Minister ließ sich, bevor er einschritt, gewissenhaft von allen
*) Ich benutze hier eine freundliche Mittheilung von R. Haym.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
Miniſter, der ihn ſehr weit überſah, keinen wirklichen Einfluß gewinnen; und alſo ganz vereinſamt mußte Eichhorn, je heftiger die Tagesmeinung wider ihn anbrauſte, nur um ſo tiefer in die einmal eingeſchlagene Rich- tung hineingerathen.
Die Berufungen neuer Lehrkräfte waren alleſammt unter des Mi- niſters eifriger Mitwirkung, zum Theil auf ſeine Anregung zu Stande gekommen; doch man dankte ihm für dies große Verdienſt nur wenig, weil er von vornherein, allem akademiſchen Brauche zuwider, in die kleinen und kleinſten Angelegenheiten der Univerſitäten herriſch eingriff. Noch in den erſten hoffnungsvollen Monaten der neuen Regierung thaten ſich etwa 150 Hallenſer Studenten, unter der Führung des wackeren jungen Theologen Rudolf Haym, zuſammen um den König, ihren Rector, in einer kindlich ehrerbietigen Adreſſe zu bitten, daß er D. F. Strauß nach Halle berufen möge. Das Unternehmen mußte Jedem, der die Meinungen des Monarchen kannte, wunderbar naiv erſcheinen und war ebendeßhalb unzweifelhaft harmlos; die jungen Leute gaben einfach ihrer Begeiſterung für den Verfaſſer des Lebens Jeſu einen etwas vorlauten Ausdruck. Auf- geſtachelt waren ſie nicht; der alte Rationaliſt Geſenius hatte ſogar väter- lich abgemahnt.*) Dem Miniſter aber erſchien die Bittſchrift wie eine atheiſtiſche Frevelthat, und er ruhte nicht, bis der akademiſche Senat die bereits gegen die Urheber verhängten Strafen noch verſchärfte, worauf ſich dann unausbleiblich ein gehäſſiger Zeitungskampf entſpann. Ebenſo hart beurtheilte er die Königsberger Studenten, die den armen Hävernick ausgeſcharrt hatten, und der Senat der Albertina beſchwerte ſich bei dem Könige, natürlich umſonſt, über den Miniſter.
Seitdem ſtand die Meinung feſt, „das Eichhörnchen“ begünſtige überall den Pietismus, und bei der gereizten Stimmung der Zeit konnte es nicht ausbleiben, daß die Gegenpartei ſich zu manchen Ungerechtigkeiten hinreißen ließ. Der Berliner akademiſche Senat verbot den Studenten aus Hengſten- berg’s Schule, einen Verein zum Hiſtoriſchen Chriſtus zu bilden; er be- gründete das Verbot mit der offenbar höhniſchen Erklärung, ſonſt müßte man auch antichriſtliche Vereine geſtatten, und der Miniſter ſah ſich ge- nöthigt, diesmal zum Schutze der akademiſchen Freiheit einzuſchreiten. Strafen und Entlaſſungen, die unter Altenſtein nur ſelten vorkamen, wiederholten ſich häufig und ſie wurden alleſammt als Zeichen der neuen Gewiſſenstyrannei angeſehen. Man ſchalt ſogar, als dem Bonner Privatdocenten Bruno Bauer die Erlaubniß zum Leſen entzogen wurde. Der hatte in ſeiner Kritik der ſynoptiſchen Evangelien den Boden des poſitiven Chriſtenthums ſo gänzlich verlaſſen, daß die Theologie, die doch keine reine Wiſſenſchaft iſt, ihn unmöglich noch in ihren Reihen dulden konnte. Der Miniſter ließ ſich, bevor er einſchritt, gewiſſenhaft von allen
*) Ich benutze hier eine freundliche Mittheilung von R. Haym.
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V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
Miniſter, der ihn ſehr weit überſah, keinen wirklichen Einfluß gewinnen;
und alſo ganz vereinſamt mußte Eichhorn, je heftiger die Tagesmeinung
wider ihn anbrauſte, nur um ſo tiefer in die einmal eingeſchlagene Rich-
tung hineingerathen.
Die Berufungen neuer Lehrkräfte waren alleſammt unter des Mi-
niſters eifriger Mitwirkung, zum Theil auf ſeine Anregung zu Stande
gekommen; doch man dankte ihm für dies große Verdienſt nur wenig,
weil er von vornherein, allem akademiſchen Brauche zuwider, in die kleinen
und kleinſten Angelegenheiten der Univerſitäten herriſch eingriff. Noch
in den erſten hoffnungsvollen Monaten der neuen Regierung thaten ſich
etwa 150 Hallenſer Studenten, unter der Führung des wackeren jungen
Theologen Rudolf Haym, zuſammen um den König, ihren Rector, in
einer kindlich ehrerbietigen Adreſſe zu bitten, daß er D. F. Strauß nach
Halle berufen möge. Das Unternehmen mußte Jedem, der die Meinungen
des Monarchen kannte, wunderbar naiv erſcheinen und war ebendeßhalb
unzweifelhaft harmlos; die jungen Leute gaben einfach ihrer Begeiſterung
für den Verfaſſer des Lebens Jeſu einen etwas vorlauten Ausdruck. Auf-
geſtachelt waren ſie nicht; der alte Rationaliſt Geſenius hatte ſogar väter-
lich abgemahnt. *) Dem Miniſter aber erſchien die Bittſchrift wie eine
atheiſtiſche Frevelthat, und er ruhte nicht, bis der akademiſche Senat
die bereits gegen die Urheber verhängten Strafen noch verſchärfte, worauf
ſich dann unausbleiblich ein gehäſſiger Zeitungskampf entſpann. Ebenſo
hart beurtheilte er die Königsberger Studenten, die den armen Hävernick
ausgeſcharrt hatten, und der Senat der Albertina beſchwerte ſich bei dem
Könige, natürlich umſonſt, über den Miniſter.
Seitdem ſtand die Meinung feſt, „das Eichhörnchen“ begünſtige überall
den Pietismus, und bei der gereizten Stimmung der Zeit konnte es nicht
ausbleiben, daß die Gegenpartei ſich zu manchen Ungerechtigkeiten hinreißen
ließ. Der Berliner akademiſche Senat verbot den Studenten aus Hengſten-
berg’s Schule, einen Verein zum Hiſtoriſchen Chriſtus zu bilden; er be-
gründete das Verbot mit der offenbar höhniſchen Erklärung, ſonſt müßte
man auch antichriſtliche Vereine geſtatten, und der Miniſter ſah ſich ge-
nöthigt, diesmal zum Schutze der akademiſchen Freiheit einzuſchreiten.
Strafen und Entlaſſungen, die unter Altenſtein nur ſelten vorkamen,
wiederholten ſich häufig und ſie wurden alleſammt als Zeichen der neuen
Gewiſſenstyrannei angeſehen. Man ſchalt ſogar, als dem Bonner
Privatdocenten Bruno Bauer die Erlaubniß zum Leſen entzogen wurde.
Der hatte in ſeiner Kritik der ſynoptiſchen Evangelien den Boden des
poſitiven Chriſtenthums ſo gänzlich verlaſſen, daß die Theologie, die doch
keine reine Wiſſenſchaft iſt, ihn unmöglich noch in ihren Reihen dulden
konnte. Der Miniſter ließ ſich, bevor er einſchritt, gewiſſenhaft von allen
*) Ich benutze hier eine freundliche Mittheilung von R. Haym.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/246>, abgerufen am 22.11.2024.
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