doch ihr Wesen aufgehoben wird, und gerieth daher in mystische Phantasie- spiele, die um so räthselhafter klangen, weil der Philosoph den Gedanken- bau seines Systems ersichtlich noch nicht abgeschlossen hatte. Der gute Steffens, der bis zum Tode die Gabe behielt Alles zu begreifen was er begreifen wollte, bemühte sich umsonst den jüngeren Genossen die Worte des Meisters zu erklären. Das neue Gelehrtengeschlecht besaß schon den schönen Muth der Unwissenheit, dessen die voraussetzungslose Wissenschaft bedarf; der junge Historiker W. Wattenbach erwiderte dem schwärmenden Naturphilosophen ehrlich: ich habe gar nichts verstanden.
Unterdessen rüstete sich Schelling's nächster Landsmann, sein Tod- feind Paulus in Heidelberg zu einem vernichtenden Schlage. Er ließ die Vorlesungen insgeheim nachschreiben und gab sie plötzlich in einem dicken Bande heraus als "die endlich offenbar gewordene positive Philosophie der Offenbarung" (1843); in einem Schwall polemischer Zusätze entfaltete der greise Rationalist die ganze Fülle seines Hohnes, seiner geschwätzigen Plattheit. Es war ein Bubenstreich, ohne Beispiel selbst in der wenig zarten Geschichte deutscher Gelehrtenkämpfe. Mit welcher heiligen Ent- rüstung war vor Kurzem Hävernick's Berufung von den Liberalen gebrand- markt worden, weil dieser einst als junger Student einige Sätze aus den Collegien der Hallenser Rationalisten an die Kirchenzeitung verrathen hatte. Jetzt stahl ein welterfahrener, zweiundachtzigjähriger Professor einem Collegen ein ganzes Heft, in der denkbar gehässigsten Absicht, um den Gegner sittlich zu vernichten; und fast die gesammte liberale Presse nahm Partei für den Dieb; Varnhagen jubelte und Heine feierte im Liede den edlen Räuber Kirchenrath Prometheus. Zu solcher Roheit war der Parteihaß schon angeschwollen. Schelling klagte wegen Nachdrucks; er meinte, der verstockte alte Sünder könne nur noch durch eine Geldstrafe empfindlich getroffen worden. Der aber erwiderte keck, sein Buch sei kein Nachdruck, son- dern ein Vordruck; und das Berliner Gericht sprach ihn frei, denn der Wort- laut des Gesetzes war nicht ganz unzweideutig, auch ließ sich eine gewinn- süchtige Absicht dem Angeklagten nicht zutrauen. Sicherlich wirkte aber auch eine unbewußte Parteilichkeit bei dem seltsamen Urtheile mit; die vordem der öffentlichen Meinung so unzugänglichen preußischen Gerichte wurden jetzt schon leise in das liberale Fahrwasser hinübergetrieben, in den politischen Processen mehrten sich die Fälle unerwarteter, ja räthsel- hafter Freisprechungen. Auf's Aeußerste überrascht erklärte Schelling nun- mehr, wenn die Regierung ihn nicht schütze, so könne er nicht mehr lehren, und zog sich vom Katheder zurück. Also blieb auch diese Berufung, woran der König sein Herz gehängt hatte, ohne jede Frucht.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
doch ihr Weſen aufgehoben wird, und gerieth daher in myſtiſche Phantaſie- ſpiele, die um ſo räthſelhafter klangen, weil der Philoſoph den Gedanken- bau ſeines Syſtems erſichtlich noch nicht abgeſchloſſen hatte. Der gute Steffens, der bis zum Tode die Gabe behielt Alles zu begreifen was er begreifen wollte, bemühte ſich umſonſt den jüngeren Genoſſen die Worte des Meiſters zu erklären. Das neue Gelehrtengeſchlecht beſaß ſchon den ſchönen Muth der Unwiſſenheit, deſſen die vorausſetzungsloſe Wiſſenſchaft bedarf; der junge Hiſtoriker W. Wattenbach erwiderte dem ſchwärmenden Naturphiloſophen ehrlich: ich habe gar nichts verſtanden.
Unterdeſſen rüſtete ſich Schelling’s nächſter Landsmann, ſein Tod- feind Paulus in Heidelberg zu einem vernichtenden Schlage. Er ließ die Vorleſungen insgeheim nachſchreiben und gab ſie plötzlich in einem dicken Bande heraus als „die endlich offenbar gewordene poſitive Philoſophie der Offenbarung“ (1843); in einem Schwall polemiſcher Zuſätze entfaltete der greiſe Rationaliſt die ganze Fülle ſeines Hohnes, ſeiner geſchwätzigen Plattheit. Es war ein Bubenſtreich, ohne Beiſpiel ſelbſt in der wenig zarten Geſchichte deutſcher Gelehrtenkämpfe. Mit welcher heiligen Ent- rüſtung war vor Kurzem Hävernick’s Berufung von den Liberalen gebrand- markt worden, weil dieſer einſt als junger Student einige Sätze aus den Collegien der Hallenſer Rationaliſten an die Kirchenzeitung verrathen hatte. Jetzt ſtahl ein welterfahrener, zweiundachtzigjähriger Profeſſor einem Collegen ein ganzes Heft, in der denkbar gehäſſigſten Abſicht, um den Gegner ſittlich zu vernichten; und faſt die geſammte liberale Preſſe nahm Partei für den Dieb; Varnhagen jubelte und Heine feierte im Liede den edlen Räuber Kirchenrath Prometheus. Zu ſolcher Roheit war der Parteihaß ſchon angeſchwollen. Schelling klagte wegen Nachdrucks; er meinte, der verſtockte alte Sünder könne nur noch durch eine Geldſtrafe empfindlich getroffen worden. Der aber erwiderte keck, ſein Buch ſei kein Nachdruck, ſon- dern ein Vordruck; und das Berliner Gericht ſprach ihn frei, denn der Wort- laut des Geſetzes war nicht ganz unzweideutig, auch ließ ſich eine gewinn- ſüchtige Abſicht dem Angeklagten nicht zutrauen. Sicherlich wirkte aber auch eine unbewußte Parteilichkeit bei dem ſeltſamen Urtheile mit; die vordem der öffentlichen Meinung ſo unzugänglichen preußiſchen Gerichte wurden jetzt ſchon leiſe in das liberale Fahrwaſſer hinübergetrieben, in den politiſchen Proceſſen mehrten ſich die Fälle unerwarteter, ja räthſel- hafter Freiſprechungen. Auf’s Aeußerſte überraſcht erklärte Schelling nun- mehr, wenn die Regierung ihn nicht ſchütze, ſo könne er nicht mehr lehren, und zog ſich vom Katheder zurück. Alſo blieb auch dieſe Berufung, woran der König ſein Herz gehängt hatte, ohne jede Frucht.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0242"n="228"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäuſchung und Verwirrung.</fw><lb/>
doch ihr Weſen aufgehoben wird, und gerieth daher in myſtiſche Phantaſie-<lb/>ſpiele, die um ſo räthſelhafter klangen, weil der Philoſoph den Gedanken-<lb/>
bau ſeines Syſtems erſichtlich noch nicht abgeſchloſſen hatte. Der gute<lb/>
Steffens, der bis zum Tode die Gabe behielt Alles zu begreifen was er<lb/>
begreifen wollte, bemühte ſich umſonſt den jüngeren Genoſſen die Worte<lb/>
des Meiſters zu erklären. Das neue Gelehrtengeſchlecht beſaß ſchon den<lb/>ſchönen Muth der Unwiſſenheit, deſſen die vorausſetzungsloſe Wiſſenſchaft<lb/>
bedarf; der junge Hiſtoriker W. Wattenbach erwiderte dem ſchwärmenden<lb/>
Naturphiloſophen ehrlich: ich habe gar nichts verſtanden.</p><lb/><p>Unterdeſſen rüſtete ſich Schelling’s nächſter Landsmann, ſein Tod-<lb/>
feind Paulus in Heidelberg zu einem vernichtenden Schlage. Er ließ die<lb/>
Vorleſungen insgeheim nachſchreiben und gab ſie plötzlich in einem dicken<lb/>
Bande heraus als „die endlich offenbar gewordene poſitive Philoſophie<lb/>
der Offenbarung“ (1843); in einem Schwall polemiſcher Zuſätze entfaltete<lb/>
der greiſe Rationaliſt die ganze Fülle ſeines Hohnes, ſeiner geſchwätzigen<lb/>
Plattheit. Es war ein Bubenſtreich, ohne Beiſpiel ſelbſt in der wenig<lb/>
zarten Geſchichte deutſcher Gelehrtenkämpfe. Mit welcher heiligen Ent-<lb/>
rüſtung war vor Kurzem Hävernick’s Berufung von den Liberalen gebrand-<lb/>
markt worden, weil dieſer einſt als junger Student einige Sätze aus<lb/>
den Collegien der Hallenſer Rationaliſten an die Kirchenzeitung verrathen<lb/>
hatte. Jetzt ſtahl ein welterfahrener, zweiundachtzigjähriger Profeſſor einem<lb/>
Collegen ein ganzes Heft, in der denkbar gehäſſigſten Abſicht, um den<lb/>
Gegner ſittlich zu vernichten; und faſt die geſammte liberale Preſſe nahm<lb/>
Partei für den Dieb; Varnhagen jubelte und Heine feierte im Liede den edlen<lb/>
Räuber Kirchenrath Prometheus. Zu ſolcher Roheit war der Parteihaß<lb/>ſchon angeſchwollen. Schelling klagte wegen Nachdrucks; er meinte, der<lb/>
verſtockte alte Sünder könne nur noch durch eine Geldſtrafe empfindlich<lb/>
getroffen worden. Der aber erwiderte keck, ſein Buch ſei kein Nachdruck, ſon-<lb/>
dern ein Vordruck; und das Berliner Gericht ſprach ihn frei, denn der Wort-<lb/>
laut des Geſetzes war nicht ganz unzweideutig, auch ließ ſich eine gewinn-<lb/>ſüchtige Abſicht dem Angeklagten nicht zutrauen. Sicherlich wirkte aber<lb/>
auch eine unbewußte Parteilichkeit bei dem ſeltſamen Urtheile mit; die<lb/>
vordem der öffentlichen Meinung ſo unzugänglichen preußiſchen Gerichte<lb/>
wurden jetzt ſchon leiſe in das liberale Fahrwaſſer hinübergetrieben, in<lb/>
den politiſchen Proceſſen mehrten ſich die Fälle unerwarteter, ja räthſel-<lb/>
hafter Freiſprechungen. Auf’s Aeußerſte überraſcht erklärte Schelling nun-<lb/>
mehr, wenn die Regierung ihn nicht ſchütze, ſo könne er nicht mehr lehren,<lb/>
und zog ſich vom Katheder zurück. Alſo blieb auch dieſe Berufung, woran<lb/>
der König ſein Herz gehängt hatte, ohne jede Frucht.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></body></text></TEI>
[228/0242]
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
doch ihr Weſen aufgehoben wird, und gerieth daher in myſtiſche Phantaſie-
ſpiele, die um ſo räthſelhafter klangen, weil der Philoſoph den Gedanken-
bau ſeines Syſtems erſichtlich noch nicht abgeſchloſſen hatte. Der gute
Steffens, der bis zum Tode die Gabe behielt Alles zu begreifen was er
begreifen wollte, bemühte ſich umſonſt den jüngeren Genoſſen die Worte
des Meiſters zu erklären. Das neue Gelehrtengeſchlecht beſaß ſchon den
ſchönen Muth der Unwiſſenheit, deſſen die vorausſetzungsloſe Wiſſenſchaft
bedarf; der junge Hiſtoriker W. Wattenbach erwiderte dem ſchwärmenden
Naturphiloſophen ehrlich: ich habe gar nichts verſtanden.
Unterdeſſen rüſtete ſich Schelling’s nächſter Landsmann, ſein Tod-
feind Paulus in Heidelberg zu einem vernichtenden Schlage. Er ließ die
Vorleſungen insgeheim nachſchreiben und gab ſie plötzlich in einem dicken
Bande heraus als „die endlich offenbar gewordene poſitive Philoſophie
der Offenbarung“ (1843); in einem Schwall polemiſcher Zuſätze entfaltete
der greiſe Rationaliſt die ganze Fülle ſeines Hohnes, ſeiner geſchwätzigen
Plattheit. Es war ein Bubenſtreich, ohne Beiſpiel ſelbſt in der wenig
zarten Geſchichte deutſcher Gelehrtenkämpfe. Mit welcher heiligen Ent-
rüſtung war vor Kurzem Hävernick’s Berufung von den Liberalen gebrand-
markt worden, weil dieſer einſt als junger Student einige Sätze aus
den Collegien der Hallenſer Rationaliſten an die Kirchenzeitung verrathen
hatte. Jetzt ſtahl ein welterfahrener, zweiundachtzigjähriger Profeſſor einem
Collegen ein ganzes Heft, in der denkbar gehäſſigſten Abſicht, um den
Gegner ſittlich zu vernichten; und faſt die geſammte liberale Preſſe nahm
Partei für den Dieb; Varnhagen jubelte und Heine feierte im Liede den edlen
Räuber Kirchenrath Prometheus. Zu ſolcher Roheit war der Parteihaß
ſchon angeſchwollen. Schelling klagte wegen Nachdrucks; er meinte, der
verſtockte alte Sünder könne nur noch durch eine Geldſtrafe empfindlich
getroffen worden. Der aber erwiderte keck, ſein Buch ſei kein Nachdruck, ſon-
dern ein Vordruck; und das Berliner Gericht ſprach ihn frei, denn der Wort-
laut des Geſetzes war nicht ganz unzweideutig, auch ließ ſich eine gewinn-
ſüchtige Abſicht dem Angeklagten nicht zutrauen. Sicherlich wirkte aber
auch eine unbewußte Parteilichkeit bei dem ſeltſamen Urtheile mit; die
vordem der öffentlichen Meinung ſo unzugänglichen preußiſchen Gerichte
wurden jetzt ſchon leiſe in das liberale Fahrwaſſer hinübergetrieben, in
den politiſchen Proceſſen mehrten ſich die Fälle unerwarteter, ja räthſel-
hafter Freiſprechungen. Auf’s Aeußerſte überraſcht erklärte Schelling nun-
mehr, wenn die Regierung ihn nicht ſchütze, ſo könne er nicht mehr lehren,
und zog ſich vom Katheder zurück. Alſo blieb auch dieſe Berufung, woran
der König ſein Herz gehängt hatte, ohne jede Frucht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/242>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.