ihn der König sich zuweilen erträumte, konnte unter solchen Umständen nicht entstehen. An Talent und Bildung war kein Mangel. Auf der Cantian- straße nahe den Museen, in dem berühmten braunen Saale des General- direktors v. Olfers versammelte sich allwöchentlich ein dichter Kreis von Künstlern, Gelehrten, Kennern, liebenswürdigen Frauen; die Hausfrau, Stägemann's Tochter Hedwig, brachte Jedem ein freies menschliches Ver- ständniß entgegen und erweckte in der Gesellschaft eine Stimmung fröhlichen Behagens; sie wußte, wie ihre Töchter und der gelehrte Schwiegersohn Geh. Rath Abeken, alle die Feindschaft, die unter so vielen bedeutenden Männern nicht fehlen konnte, durch leichte Anmuth niederzuhalten. In den unscheinbaren Salons des greisen Fräuleins Solmar fanden sich noch die letzten Vertreter einer älteren, bereits versinkenden literarischen Epoche zusammen. Und so gab es noch überall in der Hauptstadt einfache gast- liche Häuser, wo bei Butterbrod und Thee eine geistreiche, oft allzu geist- reiche Geselligkeit blühte; die jungen Rheinländer erfreuten sich meist der besonderen Gunst der Berliner Damen, weil sie als frische Naturburschen von den klugen Norddeutschen wohlthätig abstachen. Aber all dies reiche Leben bewegte sich ganz selbständig, ohne jede Fühlung mit dem Hofe.
Keiner der berühmten Neuberufenen trat dem Monarchen wirklich nahe; er sprach mit ihnen gelegentlich, immer gütig und geistvoll, doch sein zerstreuter, unruhiger Sinn mochte nicht lange bei den Einzelnen ver- weilen. Bequemer als diese Größen war ihm eigentlich der vielbelesene Salon-Historiker Alfred v. Reumont, ein ultramontaner Diplomat, der, trotz seiner spaßhaften Häßlichkeit immer elegant und zierlich, allerhand literarische Leckerbissen nicht ohne Gewandtheit aufzutragen wußte. Auch wurde die Zeit doch zu ernst für eine poetisch-philosophische Tafelrunde: Friedrich war im Innern seines Staates der unangefochtene Herr gewesen, den Nachfolger bedrohten schwere politische und kirchliche Kämpfe, die ihm die unbefangene Freude an der Welt der Ideale störten.
Schon längst empfand er es als einen Widerspruch im deutschen Leben, daß die Künstler und Gelehrten in keiner anderen Nation eine so bescheidene sociale Stellung einnahmen wie in dem Volke der Dichter und der Denker. Er wußte wohl, wie wenig alle äußeren Auszeichnungen das ideale Schaffen selbst fördern; doch er hielt sie, wie sein Humboldt, für unentbehrlich um das banausische Publikum auf die Würde der geistigen Arbeit hinzuweisen--zumal in diesem eiteln Jahrhundert, das, trotz seiner Freiheitsreden, nach Rang und Titeln so begehrlich trachtet wie kein anderes Zeitalter seit dem Untergange des Byzantinerreichs. Selbst die Radicalen fühlten sich beschämt, und Hoffmann von Fallersleben sang ein bissiges Lied auf "Deutschlands Schmach und Schande", als der bejahrte Jakob Grimm in diesen Tagen seinen ersten Orden erhielt -- und dieser Orden war das Kreuz der Ehrenlegion, das Guizot dem von allen deutschen Fürsten Vergessenen übersandte um im Namen des
Berliner Geſellſchaft.
ihn der König ſich zuweilen erträumte, konnte unter ſolchen Umſtänden nicht entſtehen. An Talent und Bildung war kein Mangel. Auf der Cantian- ſtraße nahe den Muſeen, in dem berühmten braunen Saale des General- direktors v. Olfers verſammelte ſich allwöchentlich ein dichter Kreis von Künſtlern, Gelehrten, Kennern, liebenswürdigen Frauen; die Hausfrau, Stägemann’s Tochter Hedwig, brachte Jedem ein freies menſchliches Ver- ſtändniß entgegen und erweckte in der Geſellſchaft eine Stimmung fröhlichen Behagens; ſie wußte, wie ihre Töchter und der gelehrte Schwiegerſohn Geh. Rath Abeken, alle die Feindſchaft, die unter ſo vielen bedeutenden Männern nicht fehlen konnte, durch leichte Anmuth niederzuhalten. In den unſcheinbaren Salons des greiſen Fräuleins Solmar fanden ſich noch die letzten Vertreter einer älteren, bereits verſinkenden literariſchen Epoche zuſammen. Und ſo gab es noch überall in der Hauptſtadt einfache gaſt- liche Häuſer, wo bei Butterbrod und Thee eine geiſtreiche, oft allzu geiſt- reiche Geſelligkeit blühte; die jungen Rheinländer erfreuten ſich meiſt der beſonderen Gunſt der Berliner Damen, weil ſie als friſche Naturburſchen von den klugen Norddeutſchen wohlthätig abſtachen. Aber all dies reiche Leben bewegte ſich ganz ſelbſtändig, ohne jede Fühlung mit dem Hofe.
Keiner der berühmten Neuberufenen trat dem Monarchen wirklich nahe; er ſprach mit ihnen gelegentlich, immer gütig und geiſtvoll, doch ſein zerſtreuter, unruhiger Sinn mochte nicht lange bei den Einzelnen ver- weilen. Bequemer als dieſe Größen war ihm eigentlich der vielbeleſene Salon-Hiſtoriker Alfred v. Reumont, ein ultramontaner Diplomat, der, trotz ſeiner ſpaßhaften Häßlichkeit immer elegant und zierlich, allerhand literariſche Leckerbiſſen nicht ohne Gewandtheit aufzutragen wußte. Auch wurde die Zeit doch zu ernſt für eine poetiſch-philoſophiſche Tafelrunde: Friedrich war im Innern ſeines Staates der unangefochtene Herr geweſen, den Nachfolger bedrohten ſchwere politiſche und kirchliche Kämpfe, die ihm die unbefangene Freude an der Welt der Ideale ſtörten.
Schon längſt empfand er es als einen Widerſpruch im deutſchen Leben, daß die Künſtler und Gelehrten in keiner anderen Nation eine ſo beſcheidene ſociale Stellung einnahmen wie in dem Volke der Dichter und der Denker. Er wußte wohl, wie wenig alle äußeren Auszeichnungen das ideale Schaffen ſelbſt fördern; doch er hielt ſie, wie ſein Humboldt, für unentbehrlich um das banauſiſche Publikum auf die Würde der geiſtigen Arbeit hinzuweiſen—zumal in dieſem eiteln Jahrhundert, das, trotz ſeiner Freiheitsreden, nach Rang und Titeln ſo begehrlich trachtet wie kein anderes Zeitalter ſeit dem Untergange des Byzantinerreichs. Selbſt die Radicalen fühlten ſich beſchämt, und Hoffmann von Fallersleben ſang ein biſſiges Lied auf „Deutſchlands Schmach und Schande“, als der bejahrte Jakob Grimm in dieſen Tagen ſeinen erſten Orden erhielt — und dieſer Orden war das Kreuz der Ehrenlegion, das Guizot dem von allen deutſchen Fürſten Vergeſſenen überſandte um im Namen des
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[223/0237]
Berliner Geſellſchaft.
ihn der König ſich zuweilen erträumte, konnte unter ſolchen Umſtänden nicht
entſtehen. An Talent und Bildung war kein Mangel. Auf der Cantian-
ſtraße nahe den Muſeen, in dem berühmten braunen Saale des General-
direktors v. Olfers verſammelte ſich allwöchentlich ein dichter Kreis von
Künſtlern, Gelehrten, Kennern, liebenswürdigen Frauen; die Hausfrau,
Stägemann’s Tochter Hedwig, brachte Jedem ein freies menſchliches Ver-
ſtändniß entgegen und erweckte in der Geſellſchaft eine Stimmung fröhlichen
Behagens; ſie wußte, wie ihre Töchter und der gelehrte Schwiegerſohn
Geh. Rath Abeken, alle die Feindſchaft, die unter ſo vielen bedeutenden
Männern nicht fehlen konnte, durch leichte Anmuth niederzuhalten. In
den unſcheinbaren Salons des greiſen Fräuleins Solmar fanden ſich noch
die letzten Vertreter einer älteren, bereits verſinkenden literariſchen Epoche
zuſammen. Und ſo gab es noch überall in der Hauptſtadt einfache gaſt-
liche Häuſer, wo bei Butterbrod und Thee eine geiſtreiche, oft allzu geiſt-
reiche Geſelligkeit blühte; die jungen Rheinländer erfreuten ſich meiſt der
beſonderen Gunſt der Berliner Damen, weil ſie als friſche Naturburſchen
von den klugen Norddeutſchen wohlthätig abſtachen. Aber all dies reiche
Leben bewegte ſich ganz ſelbſtändig, ohne jede Fühlung mit dem Hofe.
Keiner der berühmten Neuberufenen trat dem Monarchen wirklich
nahe; er ſprach mit ihnen gelegentlich, immer gütig und geiſtvoll, doch
ſein zerſtreuter, unruhiger Sinn mochte nicht lange bei den Einzelnen ver-
weilen. Bequemer als dieſe Größen war ihm eigentlich der vielbeleſene
Salon-Hiſtoriker Alfred v. Reumont, ein ultramontaner Diplomat, der,
trotz ſeiner ſpaßhaften Häßlichkeit immer elegant und zierlich, allerhand
literariſche Leckerbiſſen nicht ohne Gewandtheit aufzutragen wußte. Auch
wurde die Zeit doch zu ernſt für eine poetiſch-philoſophiſche Tafelrunde:
Friedrich war im Innern ſeines Staates der unangefochtene Herr geweſen,
den Nachfolger bedrohten ſchwere politiſche und kirchliche Kämpfe, die ihm
die unbefangene Freude an der Welt der Ideale ſtörten.
Schon längſt empfand er es als einen Widerſpruch im deutſchen
Leben, daß die Künſtler und Gelehrten in keiner anderen Nation eine
ſo beſcheidene ſociale Stellung einnahmen wie in dem Volke der Dichter
und der Denker. Er wußte wohl, wie wenig alle äußeren Auszeichnungen
das ideale Schaffen ſelbſt fördern; doch er hielt ſie, wie ſein Humboldt,
für unentbehrlich um das banauſiſche Publikum auf die Würde der geiſtigen
Arbeit hinzuweiſen—zumal in dieſem eiteln Jahrhundert, das, trotz ſeiner
Freiheitsreden, nach Rang und Titeln ſo begehrlich trachtet wie kein
anderes Zeitalter ſeit dem Untergange des Byzantinerreichs. Selbſt die
Radicalen fühlten ſich beſchämt, und Hoffmann von Fallersleben ſang
ein biſſiges Lied auf „Deutſchlands Schmach und Schande“, als der
bejahrte Jakob Grimm in dieſen Tagen ſeinen erſten Orden erhielt —
und dieſer Orden war das Kreuz der Ehrenlegion, das Guizot dem von
allen deutſchen Fürſten Vergeſſenen überſandte um im Namen des
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/237>, abgerufen am 23.07.2024.
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