zieren ging. Auf die Dauer ward ihm doch nicht wohl. Wie Mendels- sohn's keuscher Künstlersinn sich nach der friedlichen Stille einer deutschen Mittelstadt zurücksehnte, so strebte dieser Virtuos des rauschenden Erfolges hinaus nach der großen Bühne der internationalen Kunst, die für ihn die natürliche Heimath war. Nach einigen Jahren schied auch er, um fortan wieder in Paris zu leben und die Vaterstadt nur alljährlich auf kurze Zeit zu besuchen.
Seltsames Mißgeschick! Von dem glänzenden Viergespann, das Bunsen vor den Wagen des königlichen Kunstfreundes zu spannen hoffte, konnte nur Einer im neuen Berlin seine ganze Stärke zeigen: Christian Rauch. Ihm blieb bis in's hohe Alter der stätig anhaltende Athemzug künstlerischer Kraft und nicht minder die treue Hingebung an das könig- liche Haus. Er arbeitete alle diese Jahre hindurch an dem Riesenwerke des Friedrichsdenkmals. Doch ein solches Unternehmen bedurfte langer Zeit; die Berliner bekamen von dem Altmeister lange nichts Neues mehr zu sehen außer dem schönen Grabmale des alten Königs, das neben dem Sarkophage der Königin Luise im Charlottenburger Mausoleum errichtet wurde. Was hatte man nicht Alles erwartet von diesem hochsinnigen Fürsten, der, selbst ein Künstler, mit dem berühmtesten Kunstkenner der Zeit, dem Freiherrn v. Rumohr nahe befreundet war. Nun ließ sich doch nicht mehr verkennen, daß in diesen acht Jahren von bleibenden Kunstwerken weniger zu Stande kam als weiland unter dem nüchternen alten Herrn. Die krankhaft aufgeregte Tadelsucht spottete, diese Regierung sei auch darum echt modern, weil ihren großen Intentionen die verkümmerte Ausführung niemals entspräche.
Wie die beiden ersten Musiker so wünschte Friedrich Wilhelm auch den namhaftesten Dichter unter den lebenden Berlinern in die Vaterstadt zurückzurufen. Ludwig Tieck kam, und der König zeigte sich sehr herzlich, eingedenk der Wonnen, die ihm einst in seiner Jugend die Märchenpracht des Phantasus bereitet hatte. Der Dichter erhielt seine verkaufte Biblio- thek durch des Königs Freigebigkeit zurückgeschenkt und im Parke von Sanssouci ein Haus angewiesen, damit er immer zur Hand wäre, wenn sein Gönner an einem stimmungsvollen Abend eine dramatische Vorlesung zu hören wünschte. Aber seine schöpferische Kraft war schon versiegt; die neue Zeit mit ihrem Lärm widerte den Romantiker so tief an, daß er nicht einmal die Eisenbahn nach Potsdam benutzen mochte, sondern in seinem Wagen daneben herfuhr. Vom Alter gebeugt verbrachte er den größten Theil dieser Berliner Jahre in hoffnungslosem Siechthum. Die Vor- lesungen bei Hofe wurden seltener und seltener, da der König nicht lange bei der Stange bleiben konnte. Selbst eine stille Gemeinde, wie sie in Dresden das Lesepult des Altmeisters umstanden hatte, ließ sich in dem unruhigen, zerstreuenden Treiben der Hauptstadt nicht zusammenbringen; blos vereinzelte Besucher, treue Hausfreunde oder dann und wann ein
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
zieren ging. Auf die Dauer ward ihm doch nicht wohl. Wie Mendels- ſohn’s keuſcher Künſtlerſinn ſich nach der friedlichen Stille einer deutſchen Mittelſtadt zurückſehnte, ſo ſtrebte dieſer Virtuos des rauſchenden Erfolges hinaus nach der großen Bühne der internationalen Kunſt, die für ihn die natürliche Heimath war. Nach einigen Jahren ſchied auch er, um fortan wieder in Paris zu leben und die Vaterſtadt nur alljährlich auf kurze Zeit zu beſuchen.
Seltſames Mißgeſchick! Von dem glänzenden Viergeſpann, das Bunſen vor den Wagen des königlichen Kunſtfreundes zu ſpannen hoffte, konnte nur Einer im neuen Berlin ſeine ganze Stärke zeigen: Chriſtian Rauch. Ihm blieb bis in’s hohe Alter der ſtätig anhaltende Athemzug künſtleriſcher Kraft und nicht minder die treue Hingebung an das könig- liche Haus. Er arbeitete alle dieſe Jahre hindurch an dem Rieſenwerke des Friedrichsdenkmals. Doch ein ſolches Unternehmen bedurfte langer Zeit; die Berliner bekamen von dem Altmeiſter lange nichts Neues mehr zu ſehen außer dem ſchönen Grabmale des alten Königs, das neben dem Sarkophage der Königin Luiſe im Charlottenburger Mauſoleum errichtet wurde. Was hatte man nicht Alles erwartet von dieſem hochſinnigen Fürſten, der, ſelbſt ein Künſtler, mit dem berühmteſten Kunſtkenner der Zeit, dem Freiherrn v. Rumohr nahe befreundet war. Nun ließ ſich doch nicht mehr verkennen, daß in dieſen acht Jahren von bleibenden Kunſtwerken weniger zu Stande kam als weiland unter dem nüchternen alten Herrn. Die krankhaft aufgeregte Tadelſucht ſpottete, dieſe Regierung ſei auch darum echt modern, weil ihren großen Intentionen die verkümmerte Ausführung niemals entſpräche.
Wie die beiden erſten Muſiker ſo wünſchte Friedrich Wilhelm auch den namhafteſten Dichter unter den lebenden Berlinern in die Vaterſtadt zurückzurufen. Ludwig Tieck kam, und der König zeigte ſich ſehr herzlich, eingedenk der Wonnen, die ihm einſt in ſeiner Jugend die Märchenpracht des Phantaſus bereitet hatte. Der Dichter erhielt ſeine verkaufte Biblio- thek durch des Königs Freigebigkeit zurückgeſchenkt und im Parke von Sansſouci ein Haus angewieſen, damit er immer zur Hand wäre, wenn ſein Gönner an einem ſtimmungsvollen Abend eine dramatiſche Vorleſung zu hören wünſchte. Aber ſeine ſchöpferiſche Kraft war ſchon verſiegt; die neue Zeit mit ihrem Lärm widerte den Romantiker ſo tief an, daß er nicht einmal die Eiſenbahn nach Potsdam benutzen mochte, ſondern in ſeinem Wagen daneben herfuhr. Vom Alter gebeugt verbrachte er den größten Theil dieſer Berliner Jahre in hoffnungsloſem Siechthum. Die Vor- leſungen bei Hofe wurden ſeltener und ſeltener, da der König nicht lange bei der Stange bleiben konnte. Selbſt eine ſtille Gemeinde, wie ſie in Dresden das Leſepult des Altmeiſters umſtanden hatte, ließ ſich in dem unruhigen, zerſtreuenden Treiben der Hauptſtadt nicht zuſammenbringen; blos vereinzelte Beſucher, treue Hausfreunde oder dann und wann ein
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zieren ging. Auf die Dauer ward ihm doch nicht wohl. Wie Mendels-
ſohn’s keuſcher Künſtlerſinn ſich nach der friedlichen Stille einer deutſchen
Mittelſtadt zurückſehnte, ſo ſtrebte dieſer Virtuos des rauſchenden Erfolges
hinaus nach der großen Bühne der internationalen Kunſt, die für ihn die
natürliche Heimath war. Nach einigen Jahren ſchied auch er, um fortan
wieder in Paris zu leben und die Vaterſtadt nur alljährlich auf kurze
Zeit zu beſuchen.
Seltſames Mißgeſchick! Von dem glänzenden Viergeſpann, das
Bunſen vor den Wagen des königlichen Kunſtfreundes zu ſpannen hoffte,
konnte nur Einer im neuen Berlin ſeine ganze Stärke zeigen: Chriſtian
Rauch. Ihm blieb bis in’s hohe Alter der ſtätig anhaltende Athemzug
künſtleriſcher Kraft und nicht minder die treue Hingebung an das könig-
liche Haus. Er arbeitete alle dieſe Jahre hindurch an dem Rieſenwerke
des Friedrichsdenkmals. Doch ein ſolches Unternehmen bedurfte langer
Zeit; die Berliner bekamen von dem Altmeiſter lange nichts Neues mehr
zu ſehen außer dem ſchönen Grabmale des alten Königs, das neben dem
Sarkophage der Königin Luiſe im Charlottenburger Mauſoleum errichtet
wurde. Was hatte man nicht Alles erwartet von dieſem hochſinnigen
Fürſten, der, ſelbſt ein Künſtler, mit dem berühmteſten Kunſtkenner der
Zeit, dem Freiherrn v. Rumohr nahe befreundet war. Nun ließ ſich
doch nicht mehr verkennen, daß in dieſen acht Jahren von bleibenden
Kunſtwerken weniger zu Stande kam als weiland unter dem nüchternen
alten Herrn. Die krankhaft aufgeregte Tadelſucht ſpottete, dieſe Regierung
ſei auch darum echt modern, weil ihren großen Intentionen die verkümmerte
Ausführung niemals entſpräche.
Wie die beiden erſten Muſiker ſo wünſchte Friedrich Wilhelm auch
den namhafteſten Dichter unter den lebenden Berlinern in die Vaterſtadt
zurückzurufen. Ludwig Tieck kam, und der König zeigte ſich ſehr herzlich,
eingedenk der Wonnen, die ihm einſt in ſeiner Jugend die Märchenpracht
des Phantaſus bereitet hatte. Der Dichter erhielt ſeine verkaufte Biblio-
thek durch des Königs Freigebigkeit zurückgeſchenkt und im Parke von
Sansſouci ein Haus angewieſen, damit er immer zur Hand wäre, wenn
ſein Gönner an einem ſtimmungsvollen Abend eine dramatiſche Vorleſung
zu hören wünſchte. Aber ſeine ſchöpferiſche Kraft war ſchon verſiegt; die
neue Zeit mit ihrem Lärm widerte den Romantiker ſo tief an, daß er nicht
einmal die Eiſenbahn nach Potsdam benutzen mochte, ſondern in ſeinem
Wagen daneben herfuhr. Vom Alter gebeugt verbrachte er den größten
Theil dieſer Berliner Jahre in hoffnungsloſem Siechthum. Die Vor-
leſungen bei Hofe wurden ſeltener und ſeltener, da der König nicht lange
bei der Stange bleiben konnte. Selbſt eine ſtille Gemeinde, wie ſie in
Dresden das Leſepult des Altmeiſters umſtanden hatte, ließ ſich in dem
unruhigen, zerſtreuenden Treiben der Hauptſtadt nicht zuſammenbringen;
blos vereinzelte Beſucher, treue Hausfreunde oder dann und wann ein
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/234>, abgerufen am 21.11.2024.
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