Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. ihren Abscheu gegen alles Censurwesen täglich lauter bekundete, verbißsich diese Behörde in einen Kampf wider das freie Wort; ihre Urtheile, die anfangs glimpflich gelautet hatten, wurden allmählich, zumal seit Bornemann wieder ausgeschieden war, immer härter, ja sie klangen zuweilen so unsinnig, daß sie den Vergleich mit den Thaten des Badeners Uria wohl aushalten konnten. Bei dem liberalen Königsberger Buch- händler Voigt erschienen schon seit längerer Zeit heftweise, von der Censur ungehindert, die "Materialien zur Regierungsgeschichte Friedrich Wil- helm's IV.", eine dem Historiker noch heute willkommene Tageschronik, welche die Ereignisse der preußischen Zeitgeschichte ohne jede Zwischenrede aufzählte; nur an der Auswahl des Stoffs sowie an einzelnen ironischen Redewendungen konnte man errathen, daß der Sammler wohl dem Kreise Schön's und Jacoby's angehören mochte. Gegen dies Buch beantragte der Staatsanwalt beim Ober-Censurgerichte ein Debitsverbot (1845) und bot damit dem Vertheidiger Anwalt Crelinger die heiß ersehnte Gelegen- heit, eine Regierung, die sich also vor der Erzählung ihrer eigenen Thaten fürchtete, mit siegreichem Hohne zu bekämpfen. Trotzdem wurde das Ver- bot ausgesprochen, einfach wegen der "entschieden hervortretenden feind- seligen Tendenz" der Schrift, und der Staat mußte dem Verleger, da das Heft mit inländischer Censur gedruckt war, eine Entschädigung zahlen. Crelinger aber wurde zur Strafe in einen kleinen Ort versetzt und nahm seinen Abschied. Und wie fruchtlos blieb alle diese Härte und Willkür. Zwar die V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. ihren Abſcheu gegen alles Cenſurweſen täglich lauter bekundete, verbißſich dieſe Behörde in einen Kampf wider das freie Wort; ihre Urtheile, die anfangs glimpflich gelautet hatten, wurden allmählich, zumal ſeit Bornemann wieder ausgeſchieden war, immer härter, ja ſie klangen zuweilen ſo unſinnig, daß ſie den Vergleich mit den Thaten des Badeners Uria wohl aushalten konnten. Bei dem liberalen Königsberger Buch- händler Voigt erſchienen ſchon ſeit längerer Zeit heftweiſe, von der Cenſur ungehindert, die „Materialien zur Regierungsgeſchichte Friedrich Wil- helm’s IV.“, eine dem Hiſtoriker noch heute willkommene Tageschronik, welche die Ereigniſſe der preußiſchen Zeitgeſchichte ohne jede Zwiſchenrede aufzählte; nur an der Auswahl des Stoffs ſowie an einzelnen ironiſchen Redewendungen konnte man errathen, daß der Sammler wohl dem Kreiſe Schön’s und Jacoby’s angehören mochte. Gegen dies Buch beantragte der Staatsanwalt beim Ober-Cenſurgerichte ein Debitsverbot (1845) und bot damit dem Vertheidiger Anwalt Crelinger die heiß erſehnte Gelegen- heit, eine Regierung, die ſich alſo vor der Erzählung ihrer eigenen Thaten fürchtete, mit ſiegreichem Hohne zu bekämpfen. Trotzdem wurde das Ver- bot ausgeſprochen, einfach wegen der „entſchieden hervortretenden feind- ſeligen Tendenz“ der Schrift, und der Staat mußte dem Verleger, da das Heft mit inländiſcher Cenſur gedruckt war, eine Entſchädigung zahlen. Crelinger aber wurde zur Strafe in einen kleinen Ort verſetzt und nahm ſeinen Abſchied. Und wie fruchtlos blieb alle dieſe Härte und Willkür. Zwar die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0224" n="210"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäuſchung und Verwirrung.</fw><lb/> ihren Abſcheu gegen alles Cenſurweſen täglich lauter bekundete, verbiß<lb/> ſich dieſe Behörde in einen Kampf wider das freie Wort; ihre Urtheile,<lb/> die anfangs glimpflich gelautet hatten, wurden allmählich, zumal ſeit<lb/> Bornemann wieder ausgeſchieden war, immer härter, ja ſie klangen<lb/> zuweilen ſo unſinnig, daß ſie den Vergleich mit den Thaten des Badeners<lb/> Uria wohl aushalten konnten. 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Er ging nach Frankreich und vermaß ſich, „ein an-<lb/> deres Volk zu machen“, eine das Jahrhundert beherrſchende, eine welt-<lb/> gewinnende Literatur der Aufklärung zu erzeugen; auf die Männer der<lb/> ſtrengen Wiſſenſchaft, auf „die Bildung der Herren Tweſten, Trendelen-<lb/> burg und Ranke“ ſah er aus Himmelshöhen ebenſo verächtlich hernieder<lb/> wie auf den „reaktionären Idealismus“ Arndt’s und Jahn’s. Im Herzen<lb/> blieb der grundehrliche Polterer noch immer der Jüngling von Rügen,<lb/> wie ſeine Jugendfreunde ihn nannten; er war nicht eigentlich verbittert,<lb/> das erlaubte ſeine Gutmüthigkeit nicht, nur der Rauſch der abſoluten Kritik<lb/> trieb ihn zur dialektiſchen Vernichtung Alles deſſen was deutſchen Herzen<lb/> heilig iſt. Vor nicht gar langer Zeit war Börne in den alten Jahrbüchern<lb/> der ſchamloſe Therſites des deutſchen Volkes genannt worden; und jetzt<lb/> gründete Ruge in Paris die „Deutſch-franzöſiſchen Jahrbücher“, deren<lb/> Schmähreden jenen älteren Therſites faſt noch überboten. Da hieß es:<lb/> „Der deutſche Geiſt, ſoweit er zum Vorſchein kommt, iſt niederträchtig,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [210/0224]
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
ihren Abſcheu gegen alles Cenſurweſen täglich lauter bekundete, verbiß
ſich dieſe Behörde in einen Kampf wider das freie Wort; ihre Urtheile,
die anfangs glimpflich gelautet hatten, wurden allmählich, zumal ſeit
Bornemann wieder ausgeſchieden war, immer härter, ja ſie klangen
zuweilen ſo unſinnig, daß ſie den Vergleich mit den Thaten des Badeners
Uria wohl aushalten konnten. Bei dem liberalen Königsberger Buch-
händler Voigt erſchienen ſchon ſeit längerer Zeit heftweiſe, von der Cenſur
ungehindert, die „Materialien zur Regierungsgeſchichte Friedrich Wil-
helm’s IV.“, eine dem Hiſtoriker noch heute willkommene Tageschronik,
welche die Ereigniſſe der preußiſchen Zeitgeſchichte ohne jede Zwiſchenrede
aufzählte; nur an der Auswahl des Stoffs ſowie an einzelnen ironiſchen
Redewendungen konnte man errathen, daß der Sammler wohl dem Kreiſe
Schön’s und Jacoby’s angehören mochte. Gegen dies Buch beantragte
der Staatsanwalt beim Ober-Cenſurgerichte ein Debitsverbot (1845) und
bot damit dem Vertheidiger Anwalt Crelinger die heiß erſehnte Gelegen-
heit, eine Regierung, die ſich alſo vor der Erzählung ihrer eigenen Thaten
fürchtete, mit ſiegreichem Hohne zu bekämpfen. Trotzdem wurde das Ver-
bot ausgeſprochen, einfach wegen der „entſchieden hervortretenden feind-
ſeligen Tendenz“ der Schrift, und der Staat mußte dem Verleger, da
das Heft mit inländiſcher Cenſur gedruckt war, eine Entſchädigung zahlen.
Crelinger aber wurde zur Strafe in einen kleinen Ort verſetzt und nahm
ſeinen Abſchied.
Und wie fruchtlos blieb alle dieſe Härte und Willkür. Zwar die
Leipziger Allgemeine war gebändigt; ſie lebte nach einigen Monaten unter
dem Namen der Deutſchen Allgemeinen Zeitung wieder auf, und ihr neuer
Herausgeber, der als Cenſor wohlbekannte Profeſſor Bülau vermied ängſt-
lich jedes kecke Wort. Auch Arnold Ruge gewann das Anſehen, das er
durch ſeine Jahrbücher erlangt hatte, niemals wieder — weſentlich durch
ſeine eigene Schuld. Er ging nach Frankreich und vermaß ſich, „ein an-
deres Volk zu machen“, eine das Jahrhundert beherrſchende, eine welt-
gewinnende Literatur der Aufklärung zu erzeugen; auf die Männer der
ſtrengen Wiſſenſchaft, auf „die Bildung der Herren Tweſten, Trendelen-
burg und Ranke“ ſah er aus Himmelshöhen ebenſo verächtlich hernieder
wie auf den „reaktionären Idealismus“ Arndt’s und Jahn’s. Im Herzen
blieb der grundehrliche Polterer noch immer der Jüngling von Rügen,
wie ſeine Jugendfreunde ihn nannten; er war nicht eigentlich verbittert,
das erlaubte ſeine Gutmüthigkeit nicht, nur der Rauſch der abſoluten Kritik
trieb ihn zur dialektiſchen Vernichtung Alles deſſen was deutſchen Herzen
heilig iſt. Vor nicht gar langer Zeit war Börne in den alten Jahrbüchern
der ſchamloſe Therſites des deutſchen Volkes genannt worden; und jetzt
gründete Ruge in Paris die „Deutſch-franzöſiſchen Jahrbücher“, deren
Schmähreden jenen älteren Therſites faſt noch überboten. Da hieß es:
„Der deutſche Geiſt, ſoweit er zum Vorſchein kommt, iſt niederträchtig,
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