Fast noch tiefer lag die norddeutsche Presse darnieder. Die Leipziger Allgemeine Zeitung der Firma Brockhaus bemühte sich, nach dem Vor- bilde der Augsburger Allgemeinen, den Gebildeten aller Parteien des Nordens einen Sprechsaal zu eröffnen; indeß klang in ihren Spalten der protestantisch-liberale Grundton noch weit vernehmlicher durch als der österreichische in dem süddeutschen Blatte. Sie brachte zahlreiche Bei- träge von Mundt, Buhl, Rutenberg und den anderen jungen liberalen Li- teraten, die sich in der berühmten rothen Stube der Stehely'schen Conditorei zu Berlin versammelten. Diese Berliner Berichte lauteten immer boshafter, höhnischer, grimmiger je mehr die Stimmung in Preußen sich verbitterte; auch viele preußische Beamte schütteten hier, gedeckt durch die Anonymität, ihren Unmuth aus, nicht selten unter Verletzung des Amtsgeheimnisses. Also wurde die Zeitung allmählich zu einer Ablagerungsstätte für allen preußischen Skandal; und da ihr in Preußen der Postdebit zugesichert war, so geschah es wohl, daß unzufriedene Schlesier ihre Klagen nur deßhalb nach Leipzig schickten, um die Artikel des erlaubten sächsischen Blattes nachher ungestraft in der Breslauer Zeitung nachzudrucken.*) Den Berliner Behörden war es eine ganz neue Erfahrung, daß preußische Zustände von einem nichtpreußischen Blatte so eifrig besprochen wurden; sie fürchteten sich vor diesen persönlichen Angriffen, und mancher Geheime Rath fragte wenn er Morgens sein Bureau betrat, angstvoll: was die Leip- ziger Allgemeine wieder gesagt hätte? Die stille Zeit war dahin, da die reiche Meßstadt ihre politische Bildung aus dem vielverspotteten "sächsischen Kin- derfreunde", der unsäglich geistlosen amtlichen Leipziger Zeitung geschöpft hatte. Der Literatenkreis an der Pleiße vermehrte sich beständig durch mißvergnügte Zuzügler aus den Nachbarlanden; aus Oesterreich kamen Schlesinger, Herloßsohn, Hartmann, Meißner. Wer unter diesen Halb- flüchtlingen etwas gelten wollte, mußte mindestens eine liberale Brand- schrift oder ein Sonett gegen Metternich geschmiedet haben.
Auch Arnold Ruge siedelte nach Sachsen über, von den liberalen Hallensern zum Abschied noch mit begeisterten Huldigungen begrüßt, und ließ seine Hallischen Jahrbücher auch fernerhin bei dem getreuen O. Wi- gand erscheinen, aber unter dem neuen Namen der Deutschen Jahrbücher, damit die preußischen Behörden nichts mehr dreinzureden hätten. Einige dieser burschikosen Leipziger Literaten fanden ein Unterkommen bei Heinrich Laube's "Zeitung für die elegante Welt" oder bei Robert Heller's "Rosen"; die meisten trieben Politik, keiner eifriger als der unstäte kleine Böhme Ignaz Kuranda. Der hatte in Brüssel eine literarisch-politische Rundschau, die Grenzboten gegründet um seine österreichischen Landsleute aus dem Schlummer zu rütteln, und verlegte diese Wochenschrift jetzt nach Leipzig, wo sie dem Wiener Hofe bald lästig wurde und mit der Zeit auch die
*) General von Röder an Thile, 17. Aug. 1842.
13*
Der Muſter-Cenſor. Norddeutſche Preſſe.
Faſt noch tiefer lag die norddeutſche Preſſe darnieder. Die Leipziger Allgemeine Zeitung der Firma Brockhaus bemühte ſich, nach dem Vor- bilde der Augsburger Allgemeinen, den Gebildeten aller Parteien des Nordens einen Sprechſaal zu eröffnen; indeß klang in ihren Spalten der proteſtantiſch-liberale Grundton noch weit vernehmlicher durch als der öſterreichiſche in dem ſüddeutſchen Blatte. Sie brachte zahlreiche Bei- träge von Mundt, Buhl, Rutenberg und den anderen jungen liberalen Li- teraten, die ſich in der berühmten rothen Stube der Stehely’ſchen Conditorei zu Berlin verſammelten. Dieſe Berliner Berichte lauteten immer boshafter, höhniſcher, grimmiger je mehr die Stimmung in Preußen ſich verbitterte; auch viele preußiſche Beamte ſchütteten hier, gedeckt durch die Anonymität, ihren Unmuth aus, nicht ſelten unter Verletzung des Amtsgeheimniſſes. Alſo wurde die Zeitung allmählich zu einer Ablagerungsſtätte für allen preußiſchen Skandal; und da ihr in Preußen der Poſtdebit zugeſichert war, ſo geſchah es wohl, daß unzufriedene Schleſier ihre Klagen nur deßhalb nach Leipzig ſchickten, um die Artikel des erlaubten ſächſiſchen Blattes nachher ungeſtraft in der Breslauer Zeitung nachzudrucken.*) Den Berliner Behörden war es eine ganz neue Erfahrung, daß preußiſche Zuſtände von einem nichtpreußiſchen Blatte ſo eifrig beſprochen wurden; ſie fürchteten ſich vor dieſen perſönlichen Angriffen, und mancher Geheime Rath fragte wenn er Morgens ſein Bureau betrat, angſtvoll: was die Leip- ziger Allgemeine wieder geſagt hätte? Die ſtille Zeit war dahin, da die reiche Meßſtadt ihre politiſche Bildung aus dem vielverſpotteten „ſächſiſchen Kin- derfreunde“, der unſäglich geiſtloſen amtlichen Leipziger Zeitung geſchöpft hatte. Der Literatenkreis an der Pleiße vermehrte ſich beſtändig durch mißvergnügte Zuzügler aus den Nachbarlanden; aus Oeſterreich kamen Schleſinger, Herloßſohn, Hartmann, Meißner. Wer unter dieſen Halb- flüchtlingen etwas gelten wollte, mußte mindeſtens eine liberale Brand- ſchrift oder ein Sonett gegen Metternich geſchmiedet haben.
Auch Arnold Ruge ſiedelte nach Sachſen über, von den liberalen Hallenſern zum Abſchied noch mit begeiſterten Huldigungen begrüßt, und ließ ſeine Halliſchen Jahrbücher auch fernerhin bei dem getreuen O. Wi- gand erſcheinen, aber unter dem neuen Namen der Deutſchen Jahrbücher, damit die preußiſchen Behörden nichts mehr dreinzureden hätten. Einige dieſer burſchikoſen Leipziger Literaten fanden ein Unterkommen bei Heinrich Laube’s „Zeitung für die elegante Welt“ oder bei Robert Heller’s „Roſen“; die meiſten trieben Politik, keiner eifriger als der unſtäte kleine Böhme Ignaz Kuranda. Der hatte in Brüſſel eine literariſch-politiſche Rundſchau, die Grenzboten gegründet um ſeine öſterreichiſchen Landsleute aus dem Schlummer zu rütteln, und verlegte dieſe Wochenſchrift jetzt nach Leipzig, wo ſie dem Wiener Hofe bald läſtig wurde und mit der Zeit auch die
*) General von Röder an Thile, 17. Aug. 1842.
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Der Muſter-Cenſor. Norddeutſche Preſſe.
Faſt noch tiefer lag die norddeutſche Preſſe darnieder. Die Leipziger
Allgemeine Zeitung der Firma Brockhaus bemühte ſich, nach dem Vor-
bilde der Augsburger Allgemeinen, den Gebildeten aller Parteien des
Nordens einen Sprechſaal zu eröffnen; indeß klang in ihren Spalten der
proteſtantiſch-liberale Grundton noch weit vernehmlicher durch als der
öſterreichiſche in dem ſüddeutſchen Blatte. Sie brachte zahlreiche Bei-
träge von Mundt, Buhl, Rutenberg und den anderen jungen liberalen Li-
teraten, die ſich in der berühmten rothen Stube der Stehely’ſchen Conditorei
zu Berlin verſammelten. Dieſe Berliner Berichte lauteten immer boshafter,
höhniſcher, grimmiger je mehr die Stimmung in Preußen ſich verbitterte;
auch viele preußiſche Beamte ſchütteten hier, gedeckt durch die Anonymität,
ihren Unmuth aus, nicht ſelten unter Verletzung des Amtsgeheimniſſes.
Alſo wurde die Zeitung allmählich zu einer Ablagerungsſtätte für allen
preußiſchen Skandal; und da ihr in Preußen der Poſtdebit zugeſichert
war, ſo geſchah es wohl, daß unzufriedene Schleſier ihre Klagen nur
deßhalb nach Leipzig ſchickten, um die Artikel des erlaubten ſächſiſchen
Blattes nachher ungeſtraft in der Breslauer Zeitung nachzudrucken. *)
Den Berliner Behörden war es eine ganz neue Erfahrung, daß preußiſche
Zuſtände von einem nichtpreußiſchen Blatte ſo eifrig beſprochen wurden;
ſie fürchteten ſich vor dieſen perſönlichen Angriffen, und mancher Geheime
Rath fragte wenn er Morgens ſein Bureau betrat, angſtvoll: was die Leip-
ziger Allgemeine wieder geſagt hätte? Die ſtille Zeit war dahin, da die reiche
Meßſtadt ihre politiſche Bildung aus dem vielverſpotteten „ſächſiſchen Kin-
derfreunde“, der unſäglich geiſtloſen amtlichen Leipziger Zeitung geſchöpft
hatte. Der Literatenkreis an der Pleiße vermehrte ſich beſtändig durch
mißvergnügte Zuzügler aus den Nachbarlanden; aus Oeſterreich kamen
Schleſinger, Herloßſohn, Hartmann, Meißner. Wer unter dieſen Halb-
flüchtlingen etwas gelten wollte, mußte mindeſtens eine liberale Brand-
ſchrift oder ein Sonett gegen Metternich geſchmiedet haben.
Auch Arnold Ruge ſiedelte nach Sachſen über, von den liberalen
Hallenſern zum Abſchied noch mit begeiſterten Huldigungen begrüßt, und
ließ ſeine Halliſchen Jahrbücher auch fernerhin bei dem getreuen O. Wi-
gand erſcheinen, aber unter dem neuen Namen der Deutſchen Jahrbücher,
damit die preußiſchen Behörden nichts mehr dreinzureden hätten. Einige
dieſer burſchikoſen Leipziger Literaten fanden ein Unterkommen bei Heinrich
Laube’s „Zeitung für die elegante Welt“ oder bei Robert Heller’s „Roſen“;
die meiſten trieben Politik, keiner eifriger als der unſtäte kleine Böhme
Ignaz Kuranda. Der hatte in Brüſſel eine literariſch-politiſche Rundſchau,
die Grenzboten gegründet um ſeine öſterreichiſchen Landsleute aus dem
Schlummer zu rütteln, und verlegte dieſe Wochenſchrift jetzt nach Leipzig,
wo ſie dem Wiener Hofe bald läſtig wurde und mit der Zeit auch die
*) General von Röder an Thile, 17. Aug. 1842.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/209>, abgerufen am 21.11.2024.
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