Staatsschuldengesetz mit ständischer Zustimmung rechtzeitig abgeändert und dann die Tilgung eingestellt werden.*) Selbst dieser Mann der alten Hardenbergischen Schule hatte also gelernt von der verwandelten Zeit. Die Meinung, daß Staatsschulden schlechthin vom Uebel seien, war einst in den knappen Jahren nach den Kriegen aufgekommen und durch Ne- benius' classisches Buch über den öffentlichen Credit im deutschen Beamten- thum zur Herrschaft gelangt; jetzt da der Unternehmungsgeist erwachte begannen schon viele Deutsche bewundernd auf England zu schauen, das bei seiner riesigen Staatsschuld doch immer reicher wurde. Freilich blieb Rother noch weit entfernt von der Einsicht, daß jetzt der rechte Augen- blick gekommen war die preußische Staatsschuld durch produktive Anleihen für den Eisenbahnbau zu vergrößern.
Die wohlgemeinten Gutachten der Minister konnten den König nur verwirren; denn sie wurden schriftlich eingereicht, nach und nach, ohne gemeinsame Vorberathung, manche erst nach Jahresfrist, und wichen im Einzelnen weit von einander ab. Es fehlte ein beherrschender staatsmän- nischer Kopf, der die Blicke der Amtsgenossen auf das Wesentliche ge- richtet und im Namen des Ministerrathes den Monarchen gebeten hätte: er möge, statt zu künsteln, fest auf dem Boden der alten Gesetze bleiben, an denen er ja selbst als Kronprinz mitgebaut, und aus den Provinzial- ständen einen Reichstag wählen lassen, dessen Zahl und Zusammensetzung noch ganz in der Hand der Krone lagen. Ein solcher gemeinsamer Schritt der Minister war allerdings sehr schwer, bei der subalternen Stellung, welche Friedrich Wilhelm seinen Räthen zuwies; sie beschieden sich alle, nur unmaßgebliche Rathschläge zu ertheilen und überließen die Verant- wortung dem Monarchen allein. Verstimmt über die Bedenklichkeit der Minister legte der König nach seiner Weise die ärgerliche Sache vorläufig zur Seite und nahm sich im Stillen vor, zu gelegener Stunde wieder auf seinen unwandelbaren Plan zurückzukommen. Bei der zwecklosen Berufung der Vereinigten Ausschüsse hatte er soeben Alles überhastet; jetzt verlor er wieder eine köstliche Zeit, die Thatenscheu hielt dem Ge- fühle seiner königlichen Unfehlbarkeit die Wage. Im Ministerrathe war fortan ein volles Jahr lang von der großen Zukunftsfrage der Monarchie gar nicht mehr die Rede. --
Unter allen den Geschenken, welche Friedrich Wilhelm aus dem Füll- horn königlicher Gnade seinen Preußen zu spenden dachte, war ihm die Entfesselung der Presse besonders theuer. Er liebte die Freiheit nach seiner patriarchalischen Weise, er hoffte durch die Freiheit die Presse zu
*) Vota der Minister auf die drei Fragen Sr. Majestät, vom 9. Nov. 1842 bis zum 15. Nov. 1843.
Berathungen über die künftige Verfaſſung.
Staatsſchuldengeſetz mit ſtändiſcher Zuſtimmung rechtzeitig abgeändert und dann die Tilgung eingeſtellt werden.*) Selbſt dieſer Mann der alten Hardenbergiſchen Schule hatte alſo gelernt von der verwandelten Zeit. Die Meinung, daß Staatsſchulden ſchlechthin vom Uebel ſeien, war einſt in den knappen Jahren nach den Kriegen aufgekommen und durch Ne- benius’ claſſiſches Buch über den öffentlichen Credit im deutſchen Beamten- thum zur Herrſchaft gelangt; jetzt da der Unternehmungsgeiſt erwachte begannen ſchon viele Deutſche bewundernd auf England zu ſchauen, das bei ſeiner rieſigen Staatsſchuld doch immer reicher wurde. Freilich blieb Rother noch weit entfernt von der Einſicht, daß jetzt der rechte Augen- blick gekommen war die preußiſche Staatsſchuld durch produktive Anleihen für den Eiſenbahnbau zu vergrößern.
Die wohlgemeinten Gutachten der Miniſter konnten den König nur verwirren; denn ſie wurden ſchriftlich eingereicht, nach und nach, ohne gemeinſame Vorberathung, manche erſt nach Jahresfriſt, und wichen im Einzelnen weit von einander ab. Es fehlte ein beherrſchender ſtaatsmän- niſcher Kopf, der die Blicke der Amtsgenoſſen auf das Weſentliche ge- richtet und im Namen des Miniſterrathes den Monarchen gebeten hätte: er möge, ſtatt zu künſteln, feſt auf dem Boden der alten Geſetze bleiben, an denen er ja ſelbſt als Kronprinz mitgebaut, und aus den Provinzial- ſtänden einen Reichstag wählen laſſen, deſſen Zahl und Zuſammenſetzung noch ganz in der Hand der Krone lagen. Ein ſolcher gemeinſamer Schritt der Miniſter war allerdings ſehr ſchwer, bei der ſubalternen Stellung, welche Friedrich Wilhelm ſeinen Räthen zuwies; ſie beſchieden ſich alle, nur unmaßgebliche Rathſchläge zu ertheilen und überließen die Verant- wortung dem Monarchen allein. Verſtimmt über die Bedenklichkeit der Miniſter legte der König nach ſeiner Weiſe die ärgerliche Sache vorläufig zur Seite und nahm ſich im Stillen vor, zu gelegener Stunde wieder auf ſeinen unwandelbaren Plan zurückzukommen. Bei der zweckloſen Berufung der Vereinigten Ausſchüſſe hatte er ſoeben Alles überhaſtet; jetzt verlor er wieder eine köſtliche Zeit, die Thatenſcheu hielt dem Ge- fühle ſeiner königlichen Unfehlbarkeit die Wage. Im Miniſterrathe war fortan ein volles Jahr lang von der großen Zukunftsfrage der Monarchie gar nicht mehr die Rede. —
Unter allen den Geſchenken, welche Friedrich Wilhelm aus dem Füll- horn königlicher Gnade ſeinen Preußen zu ſpenden dachte, war ihm die Entfeſſelung der Preſſe beſonders theuer. Er liebte die Freiheit nach ſeiner patriarchaliſchen Weiſe, er hoffte durch die Freiheit die Preſſe zu
*) Vota der Miniſter auf die drei Fragen Sr. Majeſtät, vom 9. Nov. 1842 bis zum 15. Nov. 1843.
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Berathungen über die künftige Verfaſſung.
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dann die Tilgung eingeſtellt werden. *) Selbſt dieſer Mann der alten
Hardenbergiſchen Schule hatte alſo gelernt von der verwandelten Zeit.
Die Meinung, daß Staatsſchulden ſchlechthin vom Uebel ſeien, war einſt
in den knappen Jahren nach den Kriegen aufgekommen und durch Ne-
benius’ claſſiſches Buch über den öffentlichen Credit im deutſchen Beamten-
thum zur Herrſchaft gelangt; jetzt da der Unternehmungsgeiſt erwachte
begannen ſchon viele Deutſche bewundernd auf England zu ſchauen, das
bei ſeiner rieſigen Staatsſchuld doch immer reicher wurde. Freilich blieb
Rother noch weit entfernt von der Einſicht, daß jetzt der rechte Augen-
blick gekommen war die preußiſche Staatsſchuld durch produktive Anleihen
für den Eiſenbahnbau zu vergrößern.
Die wohlgemeinten Gutachten der Miniſter konnten den König nur
verwirren; denn ſie wurden ſchriftlich eingereicht, nach und nach, ohne
gemeinſame Vorberathung, manche erſt nach Jahresfriſt, und wichen im
Einzelnen weit von einander ab. Es fehlte ein beherrſchender ſtaatsmän-
niſcher Kopf, der die Blicke der Amtsgenoſſen auf das Weſentliche ge-
richtet und im Namen des Miniſterrathes den Monarchen gebeten hätte:
er möge, ſtatt zu künſteln, feſt auf dem Boden der alten Geſetze bleiben,
an denen er ja ſelbſt als Kronprinz mitgebaut, und aus den Provinzial-
ſtänden einen Reichstag wählen laſſen, deſſen Zahl und Zuſammenſetzung
noch ganz in der Hand der Krone lagen. Ein ſolcher gemeinſamer Schritt
der Miniſter war allerdings ſehr ſchwer, bei der ſubalternen Stellung,
welche Friedrich Wilhelm ſeinen Räthen zuwies; ſie beſchieden ſich alle,
nur unmaßgebliche Rathſchläge zu ertheilen und überließen die Verant-
wortung dem Monarchen allein. Verſtimmt über die Bedenklichkeit der
Miniſter legte der König nach ſeiner Weiſe die ärgerliche Sache vorläufig
zur Seite und nahm ſich im Stillen vor, zu gelegener Stunde wieder
auf ſeinen unwandelbaren Plan zurückzukommen. Bei der zweckloſen
Berufung der Vereinigten Ausſchüſſe hatte er ſoeben Alles überhaſtet;
jetzt verlor er wieder eine köſtliche Zeit, die Thatenſcheu hielt dem Ge-
fühle ſeiner königlichen Unfehlbarkeit die Wage. Im Miniſterrathe war
fortan ein volles Jahr lang von der großen Zukunftsfrage der Monarchie
gar nicht mehr die Rede. —
Unter allen den Geſchenken, welche Friedrich Wilhelm aus dem Füll-
horn königlicher Gnade ſeinen Preußen zu ſpenden dachte, war ihm die
Entfeſſelung der Preſſe beſonders theuer. Er liebte die Freiheit nach
ſeiner patriarchaliſchen Weiſe, er hoffte durch die Freiheit die Preſſe zu
*) Vota der Miniſter auf die drei Fragen Sr. Majeſtät, vom 9. Nov. 1842 bis
zum 15. Nov. 1843.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/203>, abgerufen am 21.11.2024.
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