Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite
V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.

Schön ließ sich über die Schärfe des vorhandenen Gegensatzes nicht
täuschen; er blieb dabei, A und Non A könnten nicht zusammengehen.
Zweimal erbat er seinen Abschied, offenbar weil er noch immer hoffte,
den Gegner zu stürzen. Er wußte längst, daß der König mehrmals daran
gedacht hatte, ihm das Handelsministerium zu übertragen--allerdings ein
sonderbarer Einfall, da Schön zwar reiche technische Kenntnisse besaß, aber
als unbelehrbarer Feind des Zollvereins in der Handelspolitik sicherlich
Unheil angestiftet hätte--und er war nicht nur bereit diesem Rufe zu folgen,
er traute sich's auch zu, den gesammten Ministerrath zu leiten. Immer
wieder kam er in Briefen und Gesprächen auf den allein rettenden Ge-
danken zurück: wir brauchen "ein regulirtes Ministerium", an dessen
Spitze "ein wissenschaftlich gebildeter Staatsmann mit voller Erfahrung"
stehen muß; und von solchen Staatsmännern besaß die Monarchie nach
seiner Meinung nur einen einzigen!

Mit leidenschaftlicher Erregung verfolgte die Provinz diese Kämpfe;
denn von allen deutschen Stämmen halten die Ostpreußen, neben den
Holsten, den Schwaben und den Schlesiern, am festesten unter einander
zusammen; und Schön liebte, alle Vorwürfe, die ihm aus Berlin zu-
kamen, als Verdächtigungen der Treue seines Heimathlandes aufzufassen,
um sie dann mit hoher patriotischer Entrüstung zurückzuweisen*). So
erschien Rochow bald jedem stolzen Ostpreußen fast wie ein persönlicher
Feind. Mittlerweile verbreitete sich in der Provinz plötzlich das Gerücht
von zahlreichen Brieferbrechungen; Schön sprach darüber als ob ein
Zweifel gar nicht möglich wäre. Der König aber, der schon nach seiner
Thronbesteigung, zum Kummer des alten Nagler, alle solche schlechte
Künste streng untersagt hatte, sendete sofort den Obersten Below mit außer-
ordentlichen Vollmachten in seine Heimath, um eine scharfe Untersuchung
vorzunehmen. Sie brachte schlechterdings nichts Bedenkliches an den Tag;**)
indessen ließen sich die Altpreußen ihren Verdacht nicht nehmen.

Nun begann auch die schwache conservative Partei der Provinz sich
zu regen. Unter dem Vorsitze des übelberufenen Landraths v. Hake
versammelten sich im Februar einige Grundbesitzer zu Preußisch-Holland,
um zu erklären, daß sie die Adresse der Freunde Jacoby's mißbilligten
und dem absoluten Könige unbedingt vertrauten. Hocherfreut erwiderte
Rochow einem der Theilnehmer, der Monarch habe die loyalen Grund-
sätze der Versammlung mit Wohlgefallen aufgenommen.***) Da liefen
von verschiedenen Seiten Anzeigen gegen Hake ein; man beschuldigte ihn
eines Cassendefekts, und Schön beeilte sich in einem grimmigen Berichte die
Nichtswürdigkeit dieses politischen Gegners mit grellen Farben zu schildern.

*) Cabinetsordre an Thile, 30. März; Thile's Bericht an den König, 31. März
1841.
**) Cabinetsordre an Below, 10. März; Below's Bericht an Thile, 24. März 1841.
***) Rochow an Regierungsrath v. Bessel, 1. März 1841.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.

Schön ließ ſich über die Schärfe des vorhandenen Gegenſatzes nicht
täuſchen; er blieb dabei, A und Non A könnten nicht zuſammengehen.
Zweimal erbat er ſeinen Abſchied, offenbar weil er noch immer hoffte,
den Gegner zu ſtürzen. Er wußte längſt, daß der König mehrmals daran
gedacht hatte, ihm das Handelsminiſterium zu übertragen—allerdings ein
ſonderbarer Einfall, da Schön zwar reiche techniſche Kenntniſſe beſaß, aber
als unbelehrbarer Feind des Zollvereins in der Handelspolitik ſicherlich
Unheil angeſtiftet hätte—und er war nicht nur bereit dieſem Rufe zu folgen,
er traute ſich’s auch zu, den geſammten Miniſterrath zu leiten. Immer
wieder kam er in Briefen und Geſprächen auf den allein rettenden Ge-
danken zurück: wir brauchen „ein regulirtes Miniſterium“, an deſſen
Spitze „ein wiſſenſchaftlich gebildeter Staatsmann mit voller Erfahrung“
ſtehen muß; und von ſolchen Staatsmännern beſaß die Monarchie nach
ſeiner Meinung nur einen einzigen!

Mit leidenſchaftlicher Erregung verfolgte die Provinz dieſe Kämpfe;
denn von allen deutſchen Stämmen halten die Oſtpreußen, neben den
Holſten, den Schwaben und den Schleſiern, am feſteſten unter einander
zuſammen; und Schön liebte, alle Vorwürfe, die ihm aus Berlin zu-
kamen, als Verdächtigungen der Treue ſeines Heimathlandes aufzufaſſen,
um ſie dann mit hoher patriotiſcher Entrüſtung zurückzuweiſen*). So
erſchien Rochow bald jedem ſtolzen Oſtpreußen faſt wie ein perſönlicher
Feind. Mittlerweile verbreitete ſich in der Provinz plötzlich das Gerücht
von zahlreichen Brieferbrechungen; Schön ſprach darüber als ob ein
Zweifel gar nicht möglich wäre. Der König aber, der ſchon nach ſeiner
Thronbeſteigung, zum Kummer des alten Nagler, alle ſolche ſchlechte
Künſte ſtreng unterſagt hatte, ſendete ſofort den Oberſten Below mit außer-
ordentlichen Vollmachten in ſeine Heimath, um eine ſcharfe Unterſuchung
vorzunehmen. Sie brachte ſchlechterdings nichts Bedenkliches an den Tag;**)
indeſſen ließen ſich die Altpreußen ihren Verdacht nicht nehmen.

Nun begann auch die ſchwache conſervative Partei der Provinz ſich
zu regen. Unter dem Vorſitze des übelberufenen Landraths v. Hake
verſammelten ſich im Februar einige Grundbeſitzer zu Preußiſch-Holland,
um zu erklären, daß ſie die Adreſſe der Freunde Jacoby’s mißbilligten
und dem abſoluten Könige unbedingt vertrauten. Hocherfreut erwiderte
Rochow einem der Theilnehmer, der Monarch habe die loyalen Grund-
ſätze der Verſammlung mit Wohlgefallen aufgenommen.***) Da liefen
von verſchiedenen Seiten Anzeigen gegen Hake ein; man beſchuldigte ihn
eines Caſſendefekts, und Schön beeilte ſich in einem grimmigen Berichte die
Nichtswürdigkeit dieſes politiſchen Gegners mit grellen Farben zu ſchildern.

*) Cabinetsordre an Thile, 30. März; Thile’s Bericht an den König, 31. März
1841.
**) Cabinetsordre an Below, 10. März; Below’s Bericht an Thile, 24. März 1841.
***) Rochow an Regierungsrath v. Beſſel, 1. März 1841.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0174" n="160"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäu&#x017F;chung und Verwirrung.</fw><lb/>
          <p>Schön ließ &#x017F;ich über die Schärfe des vorhandenen Gegen&#x017F;atzes nicht<lb/>
täu&#x017F;chen; er blieb dabei, <hi rendition="#aq">A</hi> und <hi rendition="#aq">Non A</hi> könnten nicht zu&#x017F;ammengehen.<lb/>
Zweimal erbat er &#x017F;einen Ab&#x017F;chied, offenbar weil er noch immer hoffte,<lb/>
den Gegner zu &#x017F;türzen. Er wußte läng&#x017F;t, daß der König mehrmals daran<lb/>
gedacht hatte, ihm das Handelsmini&#x017F;terium zu übertragen&#x2014;allerdings ein<lb/>
&#x017F;onderbarer Einfall, da Schön zwar reiche techni&#x017F;che Kenntni&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;aß, aber<lb/>
als unbelehrbarer Feind des Zollvereins in der Handelspolitik &#x017F;icherlich<lb/>
Unheil ange&#x017F;tiftet hätte&#x2014;und er war nicht nur bereit die&#x017F;em Rufe zu folgen,<lb/>
er traute &#x017F;ich&#x2019;s auch zu, den ge&#x017F;ammten Mini&#x017F;terrath zu leiten. Immer<lb/>
wieder kam er in Briefen und Ge&#x017F;prächen auf den allein rettenden Ge-<lb/>
danken zurück: wir brauchen &#x201E;ein regulirtes Mini&#x017F;terium&#x201C;, an de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Spitze &#x201E;ein wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich gebildeter Staatsmann mit voller Erfahrung&#x201C;<lb/>
&#x017F;tehen muß; und von &#x017F;olchen Staatsmännern be&#x017F;aß die Monarchie nach<lb/>
&#x017F;einer Meinung nur einen einzigen!</p><lb/>
          <p>Mit leiden&#x017F;chaftlicher Erregung verfolgte die Provinz die&#x017F;e Kämpfe;<lb/>
denn von allen deut&#x017F;chen Stämmen halten die O&#x017F;tpreußen, neben den<lb/>
Hol&#x017F;ten, den Schwaben und den Schle&#x017F;iern, am fe&#x017F;te&#x017F;ten unter einander<lb/>
zu&#x017F;ammen; und Schön liebte, alle Vorwürfe, die ihm aus Berlin zu-<lb/>
kamen, als Verdächtigungen der Treue &#x017F;eines Heimathlandes aufzufa&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
um &#x017F;ie dann mit hoher patrioti&#x017F;cher Entrü&#x017F;tung zurückzuwei&#x017F;en<note place="foot" n="*)">Cabinetsordre an Thile, 30. März; Thile&#x2019;s Bericht an den König, 31. März<lb/>
1841.</note>. So<lb/>
er&#x017F;chien Rochow bald jedem &#x017F;tolzen O&#x017F;tpreußen fa&#x017F;t wie ein per&#x017F;önlicher<lb/>
Feind. Mittlerweile verbreitete &#x017F;ich in der Provinz plötzlich das Gerücht<lb/>
von zahlreichen Brieferbrechungen; Schön &#x017F;prach darüber als ob ein<lb/>
Zweifel gar nicht möglich wäre. Der König aber, der &#x017F;chon nach &#x017F;einer<lb/>
Thronbe&#x017F;teigung, zum Kummer des alten Nagler, alle &#x017F;olche &#x017F;chlechte<lb/>
Kün&#x017F;te &#x017F;treng unter&#x017F;agt hatte, &#x017F;endete &#x017F;ofort den Ober&#x017F;ten Below mit außer-<lb/>
ordentlichen Vollmachten in &#x017F;eine Heimath, um eine &#x017F;charfe Unter&#x017F;uchung<lb/>
vorzunehmen. Sie brachte &#x017F;chlechterdings nichts Bedenkliches an den Tag;<note place="foot" n="**)">Cabinetsordre an Below, 10. März; Below&#x2019;s Bericht an Thile, 24. März 1841.</note><lb/>
inde&#x017F;&#x017F;en ließen &#x017F;ich die Altpreußen ihren Verdacht nicht nehmen.</p><lb/>
          <p>Nun begann auch die &#x017F;chwache con&#x017F;ervative Partei der Provinz &#x017F;ich<lb/>
zu regen. Unter dem Vor&#x017F;itze des übelberufenen Landraths v. Hake<lb/>
ver&#x017F;ammelten &#x017F;ich im Februar einige Grundbe&#x017F;itzer zu Preußi&#x017F;ch-Holland,<lb/>
um zu erklären, daß &#x017F;ie die Adre&#x017F;&#x017F;e der Freunde Jacoby&#x2019;s mißbilligten<lb/>
und dem ab&#x017F;oluten Könige unbedingt vertrauten. Hocherfreut erwiderte<lb/>
Rochow einem der Theilnehmer, der Monarch habe die loyalen Grund-<lb/>
&#x017F;ätze der Ver&#x017F;ammlung mit Wohlgefallen aufgenommen.<note place="foot" n="***)">Rochow an Regierungsrath v. Be&#x017F;&#x017F;el, 1. März 1841.</note> Da liefen<lb/>
von ver&#x017F;chiedenen Seiten Anzeigen gegen Hake ein; man be&#x017F;chuldigte ihn<lb/>
eines Ca&#x017F;&#x017F;endefekts, und Schön beeilte &#x017F;ich in einem grimmigen Berichte die<lb/>
Nichtswürdigkeit die&#x017F;es politi&#x017F;chen Gegners mit grellen Farben zu &#x017F;childern.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0174] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. Schön ließ ſich über die Schärfe des vorhandenen Gegenſatzes nicht täuſchen; er blieb dabei, A und Non A könnten nicht zuſammengehen. Zweimal erbat er ſeinen Abſchied, offenbar weil er noch immer hoffte, den Gegner zu ſtürzen. Er wußte längſt, daß der König mehrmals daran gedacht hatte, ihm das Handelsminiſterium zu übertragen—allerdings ein ſonderbarer Einfall, da Schön zwar reiche techniſche Kenntniſſe beſaß, aber als unbelehrbarer Feind des Zollvereins in der Handelspolitik ſicherlich Unheil angeſtiftet hätte—und er war nicht nur bereit dieſem Rufe zu folgen, er traute ſich’s auch zu, den geſammten Miniſterrath zu leiten. Immer wieder kam er in Briefen und Geſprächen auf den allein rettenden Ge- danken zurück: wir brauchen „ein regulirtes Miniſterium“, an deſſen Spitze „ein wiſſenſchaftlich gebildeter Staatsmann mit voller Erfahrung“ ſtehen muß; und von ſolchen Staatsmännern beſaß die Monarchie nach ſeiner Meinung nur einen einzigen! Mit leidenſchaftlicher Erregung verfolgte die Provinz dieſe Kämpfe; denn von allen deutſchen Stämmen halten die Oſtpreußen, neben den Holſten, den Schwaben und den Schleſiern, am feſteſten unter einander zuſammen; und Schön liebte, alle Vorwürfe, die ihm aus Berlin zu- kamen, als Verdächtigungen der Treue ſeines Heimathlandes aufzufaſſen, um ſie dann mit hoher patriotiſcher Entrüſtung zurückzuweiſen *). So erſchien Rochow bald jedem ſtolzen Oſtpreußen faſt wie ein perſönlicher Feind. Mittlerweile verbreitete ſich in der Provinz plötzlich das Gerücht von zahlreichen Brieferbrechungen; Schön ſprach darüber als ob ein Zweifel gar nicht möglich wäre. Der König aber, der ſchon nach ſeiner Thronbeſteigung, zum Kummer des alten Nagler, alle ſolche ſchlechte Künſte ſtreng unterſagt hatte, ſendete ſofort den Oberſten Below mit außer- ordentlichen Vollmachten in ſeine Heimath, um eine ſcharfe Unterſuchung vorzunehmen. Sie brachte ſchlechterdings nichts Bedenkliches an den Tag; **) indeſſen ließen ſich die Altpreußen ihren Verdacht nicht nehmen. Nun begann auch die ſchwache conſervative Partei der Provinz ſich zu regen. Unter dem Vorſitze des übelberufenen Landraths v. Hake verſammelten ſich im Februar einige Grundbeſitzer zu Preußiſch-Holland, um zu erklären, daß ſie die Adreſſe der Freunde Jacoby’s mißbilligten und dem abſoluten Könige unbedingt vertrauten. Hocherfreut erwiderte Rochow einem der Theilnehmer, der Monarch habe die loyalen Grund- ſätze der Verſammlung mit Wohlgefallen aufgenommen. ***) Da liefen von verſchiedenen Seiten Anzeigen gegen Hake ein; man beſchuldigte ihn eines Caſſendefekts, und Schön beeilte ſich in einem grimmigen Berichte die Nichtswürdigkeit dieſes politiſchen Gegners mit grellen Farben zu ſchildern. *) Cabinetsordre an Thile, 30. März; Thile’s Bericht an den König, 31. März 1841. **) Cabinetsordre an Below, 10. März; Below’s Bericht an Thile, 24. März 1841. ***) Rochow an Regierungsrath v. Beſſel, 1. März 1841.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/174
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/174>, abgerufen am 23.11.2024.