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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
Leute treu ergeben war. Arnim wurde für diese Stelle ausgewählt, weil
er mehrere der angesehensten Edelleute der Provinz von der Universität
her kannte und als Regierungspräsident in Aachen mit den aufgeregten
Katholiken gut ausgekommen war; zu der liebenswürdigen Gräfin sagte
der König, sie solle ihm die Herzen der Polen gewinnen. Der neue
Oberpräsident zeigte sich als trefflicher Geschäftsmann und hielt ein großes
Haus; seine gemessene Ruhe behagte Vielen mehr als das ungestüme
Wesen Flottwell's, der, wie er selbst gestand, gern mit jungen Pferden
fuhr, seine raschen Entschlüsse am liebsten durch feurige junge Männer
ausführen ließ.*) Das dem Monarchen überreichte Programm der neuen
Verwaltung sagte behutsam: das Großherzogthum dürfe nur als Provinz
behandelt, das Ziel der Germanisirung nie aus den Augen verloren
werden, obwohl man die Polen schonen und allein edle Mittel anwenden
wolle; denn das für Preußen wesentliche Deutschthum sei auch in Posen,
wie Fürst Sulkowski selbst zugestehe, der Träger aller Cultur. Darum
solle, unter Vermeidung jedes Zwanges, das Deutsche doch Staatssprache
bleiben und in allen Schulen nach Bedarf als Haupt- oder Nebensprache
gelehrt werden; der Kirche müsse man, unbekümmert um die öffentliche
Meinung, nach dem Befehle des Königs ihr volles Recht gewähren, aber
auch nicht mehr.**)

Selbst diese sanften Worte klangen dem Monarchen noch zu deutsch;
er antwortete mit der Mahnung: "jeden Anschein einer versuchten Ver-
drängung oder Beeinträchtigung des polnischen Elements durch das deutsche
zu vermeiden."***) Mangelhaft unterrichtet, empfahl er seinem Oberprä-
sidenten das löbliche Beispiel der Franzosen im Elsaß, während in Wahr-
heit die Wälschen gegen das Deutschthum weit schärfer vorgingen als die
Deutschen gegen das Slawenthum: längst waren in den elsasser Volks-
schulen durchweg französische Lehrbücher eingeführt; jetzt verlangte die
Pariser Regierung auch französische Sprache für den Religionsunterricht,
so daß außer den Protestanten, die allezeit tapfer für ihre lutherische
Bibel stritten, auch der schmiegsame Bischof Räß von Straßburg erbittert
wurde und der Krone erwiderte, sein Gewissen verbiete ihm die Religions-
stunden anders als in der Muttersprache der Kinder ertheilen zu lassen.
Graf Arnim aber lernte bald durch schmerzliche Enttäuschungen, daß er
das launische, nach Weiberart bald trotzende bald schmeichelnde Polenthum
minder richtig beurtheilt hatte als sein in dieser Grenzerwelt aufgewachsener
Vorgänger. Die polnischen Jugendfreunde, von denen er so viel Hilfe
erwartet hatte, zeigten ihm wie allen königlichen Beamten nur glatte Höf-
lichkeit, doch weder Vertrauen noch guten Willen. Der kluge und edle

*) Oberlandesgerichts-Präsident v. Franckenberg-Ludwigsdorf an Thile, 27. Aug. 1841.
**) Graf Arnim, Denkschrift über die Verwaltung Posens, 30. Juni 1841 dem
Könige überreicht.
***) Cabinetsordre an Arnim, 21. Juli 1841.

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
Leute treu ergeben war. Arnim wurde für dieſe Stelle ausgewählt, weil
er mehrere der angeſehenſten Edelleute der Provinz von der Univerſität
her kannte und als Regierungspräſident in Aachen mit den aufgeregten
Katholiken gut ausgekommen war; zu der liebenswürdigen Gräfin ſagte
der König, ſie ſolle ihm die Herzen der Polen gewinnen. Der neue
Oberpräſident zeigte ſich als trefflicher Geſchäftsmann und hielt ein großes
Haus; ſeine gemeſſene Ruhe behagte Vielen mehr als das ungeſtüme
Weſen Flottwell’s, der, wie er ſelbſt geſtand, gern mit jungen Pferden
fuhr, ſeine raſchen Entſchlüſſe am liebſten durch feurige junge Männer
ausführen ließ.*) Das dem Monarchen überreichte Programm der neuen
Verwaltung ſagte behutſam: das Großherzogthum dürfe nur als Provinz
behandelt, das Ziel der Germaniſirung nie aus den Augen verloren
werden, obwohl man die Polen ſchonen und allein edle Mittel anwenden
wolle; denn das für Preußen weſentliche Deutſchthum ſei auch in Poſen,
wie Fürſt Sulkowski ſelbſt zugeſtehe, der Träger aller Cultur. Darum
ſolle, unter Vermeidung jedes Zwanges, das Deutſche doch Staatsſprache
bleiben und in allen Schulen nach Bedarf als Haupt- oder Nebenſprache
gelehrt werden; der Kirche müſſe man, unbekümmert um die öffentliche
Meinung, nach dem Befehle des Königs ihr volles Recht gewähren, aber
auch nicht mehr.**)

Selbſt dieſe ſanften Worte klangen dem Monarchen noch zu deutſch;
er antwortete mit der Mahnung: „jeden Anſchein einer verſuchten Ver-
drängung oder Beeinträchtigung des polniſchen Elements durch das deutſche
zu vermeiden.“***) Mangelhaft unterrichtet, empfahl er ſeinem Oberprä-
ſidenten das löbliche Beiſpiel der Franzoſen im Elſaß, während in Wahr-
heit die Wälſchen gegen das Deutſchthum weit ſchärfer vorgingen als die
Deutſchen gegen das Slawenthum: längſt waren in den elſaſſer Volks-
ſchulen durchweg franzöſiſche Lehrbücher eingeführt; jetzt verlangte die
Pariſer Regierung auch franzöſiſche Sprache für den Religionsunterricht,
ſo daß außer den Proteſtanten, die allezeit tapfer für ihre lutheriſche
Bibel ſtritten, auch der ſchmiegſame Biſchof Räß von Straßburg erbittert
wurde und der Krone erwiderte, ſein Gewiſſen verbiete ihm die Religions-
ſtunden anders als in der Mutterſprache der Kinder ertheilen zu laſſen.
Graf Arnim aber lernte bald durch ſchmerzliche Enttäuſchungen, daß er
das launiſche, nach Weiberart bald trotzende bald ſchmeichelnde Polenthum
minder richtig beurtheilt hatte als ſein in dieſer Grenzerwelt aufgewachſener
Vorgänger. Die polniſchen Jugendfreunde, von denen er ſo viel Hilfe
erwartet hatte, zeigten ihm wie allen königlichen Beamten nur glatte Höf-
lichkeit, doch weder Vertrauen noch guten Willen. Der kluge und edle

*) Oberlandesgerichts-Präſident v. Franckenberg-Ludwigsdorf an Thile, 27. Aug. 1841.
**) Graf Arnim, Denkſchrift über die Verwaltung Poſens, 30. Juni 1841 dem
Könige überreicht.
***) Cabinetsordre an Arnim, 21. Juli 1841.
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[150/0164] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. Leute treu ergeben war. Arnim wurde für dieſe Stelle ausgewählt, weil er mehrere der angeſehenſten Edelleute der Provinz von der Univerſität her kannte und als Regierungspräſident in Aachen mit den aufgeregten Katholiken gut ausgekommen war; zu der liebenswürdigen Gräfin ſagte der König, ſie ſolle ihm die Herzen der Polen gewinnen. Der neue Oberpräſident zeigte ſich als trefflicher Geſchäftsmann und hielt ein großes Haus; ſeine gemeſſene Ruhe behagte Vielen mehr als das ungeſtüme Weſen Flottwell’s, der, wie er ſelbſt geſtand, gern mit jungen Pferden fuhr, ſeine raſchen Entſchlüſſe am liebſten durch feurige junge Männer ausführen ließ. *) Das dem Monarchen überreichte Programm der neuen Verwaltung ſagte behutſam: das Großherzogthum dürfe nur als Provinz behandelt, das Ziel der Germaniſirung nie aus den Augen verloren werden, obwohl man die Polen ſchonen und allein edle Mittel anwenden wolle; denn das für Preußen weſentliche Deutſchthum ſei auch in Poſen, wie Fürſt Sulkowski ſelbſt zugeſtehe, der Träger aller Cultur. Darum ſolle, unter Vermeidung jedes Zwanges, das Deutſche doch Staatsſprache bleiben und in allen Schulen nach Bedarf als Haupt- oder Nebenſprache gelehrt werden; der Kirche müſſe man, unbekümmert um die öffentliche Meinung, nach dem Befehle des Königs ihr volles Recht gewähren, aber auch nicht mehr. **) Selbſt dieſe ſanften Worte klangen dem Monarchen noch zu deutſch; er antwortete mit der Mahnung: „jeden Anſchein einer verſuchten Ver- drängung oder Beeinträchtigung des polniſchen Elements durch das deutſche zu vermeiden.“ ***) Mangelhaft unterrichtet, empfahl er ſeinem Oberprä- ſidenten das löbliche Beiſpiel der Franzoſen im Elſaß, während in Wahr- heit die Wälſchen gegen das Deutſchthum weit ſchärfer vorgingen als die Deutſchen gegen das Slawenthum: längſt waren in den elſaſſer Volks- ſchulen durchweg franzöſiſche Lehrbücher eingeführt; jetzt verlangte die Pariſer Regierung auch franzöſiſche Sprache für den Religionsunterricht, ſo daß außer den Proteſtanten, die allezeit tapfer für ihre lutheriſche Bibel ſtritten, auch der ſchmiegſame Biſchof Räß von Straßburg erbittert wurde und der Krone erwiderte, ſein Gewiſſen verbiete ihm die Religions- ſtunden anders als in der Mutterſprache der Kinder ertheilen zu laſſen. Graf Arnim aber lernte bald durch ſchmerzliche Enttäuſchungen, daß er das launiſche, nach Weiberart bald trotzende bald ſchmeichelnde Polenthum minder richtig beurtheilt hatte als ſein in dieſer Grenzerwelt aufgewachſener Vorgänger. Die polniſchen Jugendfreunde, von denen er ſo viel Hilfe erwartet hatte, zeigten ihm wie allen königlichen Beamten nur glatte Höf- lichkeit, doch weder Vertrauen noch guten Willen. Der kluge und edle *) Oberlandesgerichts-Präſident v. Franckenberg-Ludwigsdorf an Thile, 27. Aug. 1841. **) Graf Arnim, Denkſchrift über die Verwaltung Poſens, 30. Juni 1841 dem Könige überreicht. ***) Cabinetsordre an Arnim, 21. Juli 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/164>, abgerufen am 23.11.2024.