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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 2. Die Kriegsgefahr.
Da die evangelische Kirche sich auf dem Worte aufbaut, so gewährt sie
der Persönlichkeit, mithin auch der volksthümlichen Eigenart der Prediger
einen großen, oft allzu großen Spielraum; die Deutschen vermißten in
den trockenen, schablonenhaften Ansprachen der Anglikaner gänzlich die
durchgebildete homiletische Kunst ihrer heimischen Predigten. Die vorherr-
schende Meinung der Landeskirche bekundeten zwei streng gläubige Theo-
logen, Schneckenburger und Hundeshagen in einer geharnischten Schrift
"das anglo-preußische Bisthum zu St. Jakob"; sie nannten es unwürdig,
daß Deutschlands Protestantismus hinter seiner jüngeren Schwester zurück-
stehen solle: sei seine schlichte Wahrhaftigkeit etwa weniger christlich als
die werkheilige Selbstbespiegelung jener Staatskirche, welche Milton schon
mit der Diana von Ephesus verglichen hatte?

Der König ließ sich durch alle solche Einwürfe nicht beirren, und er er-
lebte nach einigen Jahren die Freude, daß seine fromme Stiftung gedieh, weit
bescheidener freilich als Bunsen geträumt hatte. Die Judenmission fand im
Vaterlande Israels begreiflicherweise einen sehr undankbaren Boden; indessen
mehrte sich die Zahl der Protestanten nach und nach durch Einwanderung
und vereinzelte Bekehrungen. Neben der Jakobskapelle auf Zion entstanden
bald ein Hospital, ein Waisenhaus, eine treffliche Schule. Drei Gemein-
den, eine deutsche, eine englische, eine arabische, erkannten den Bischof als
geistliches Oberhaupt an ohne doch ihre Selbständigkeit aufzugeben; die
deutsche hielt ihren Gottesdienst nach der Liturgie, welche Bunsen einst
auf dem Capitol eingeführt hatte. Als Alexander's Nachfolger Bischof
Gobat Alles auf anglikanischen Fuß zu setzen versuchte, mußte er rasch
wieder einlenken und sah sich genöthigt, zuweilen selbst deutschen Gottes-
dienst zu halten.*) Also erblühte auf Zion ein gesundes evangelisches
Kirchenleben, vielgestaltig und doch einträchtig, wie es der Idee des Pro-
testantismus entspricht; und die Macht des jungen Bisthums reichte bald
weit genug um den Protestanten überall in Vorderasien eine Stütze zu
bieten. Auf die Dauer aber konnten die Deutschen unmöglich ertragen,
daß ihren Geistlichen die Gleichberechtigung verweigert wurde; und da der
britische Hochmuth schlechterdings nicht nachgab, so sah sich die Krone
Preußen nach einem halben Jahrhundert (1887) genöthigt, das phan-
tastische Unionsbisthum aufzugeben, ihre Gemeinde auf Zion ganz selb-
ständig auszugestalten.

Als politischer Vertrag war das von Bunsen geschlossene Abkommen
eine Ungeheuerlichkeit, weil England allein ohne jede Gegenleistung die
Vortheile daraus zog, und erfahrene Diplomaten meinten schon: jetzt
werde dem theologischen Eindringling doch endlich das Handwerk gelegt
werden. Friedrich Wilhelm dachte anders. Politische Pläne hatte er bei

*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 5. Oct. 1847. Heinrich v. Thile d. J.,
Bericht an den König, Jerusalem 3. Apr. 1848.

V. 2. Die Kriegsgefahr.
Da die evangeliſche Kirche ſich auf dem Worte aufbaut, ſo gewährt ſie
der Perſönlichkeit, mithin auch der volksthümlichen Eigenart der Prediger
einen großen, oft allzu großen Spielraum; die Deutſchen vermißten in
den trockenen, ſchablonenhaften Anſprachen der Anglikaner gänzlich die
durchgebildete homiletiſche Kunſt ihrer heimiſchen Predigten. Die vorherr-
ſchende Meinung der Landeskirche bekundeten zwei ſtreng gläubige Theo-
logen, Schneckenburger und Hundeshagen in einer geharniſchten Schrift
„das anglo-preußiſche Bisthum zu St. Jakob“; ſie nannten es unwürdig,
daß Deutſchlands Proteſtantismus hinter ſeiner jüngeren Schweſter zurück-
ſtehen ſolle: ſei ſeine ſchlichte Wahrhaftigkeit etwa weniger chriſtlich als
die werkheilige Selbſtbeſpiegelung jener Staatskirche, welche Milton ſchon
mit der Diana von Epheſus verglichen hatte?

Der König ließ ſich durch alle ſolche Einwürfe nicht beirren, und er er-
lebte nach einigen Jahren die Freude, daß ſeine fromme Stiftung gedieh, weit
beſcheidener freilich als Bunſen geträumt hatte. Die Judenmiſſion fand im
Vaterlande Israels begreiflicherweiſe einen ſehr undankbaren Boden; indeſſen
mehrte ſich die Zahl der Proteſtanten nach und nach durch Einwanderung
und vereinzelte Bekehrungen. Neben der Jakobskapelle auf Zion entſtanden
bald ein Hospital, ein Waiſenhaus, eine treffliche Schule. Drei Gemein-
den, eine deutſche, eine engliſche, eine arabiſche, erkannten den Biſchof als
geiſtliches Oberhaupt an ohne doch ihre Selbſtändigkeit aufzugeben; die
deutſche hielt ihren Gottesdienſt nach der Liturgie, welche Bunſen einſt
auf dem Capitol eingeführt hatte. Als Alexander’s Nachfolger Biſchof
Gobat Alles auf anglikaniſchen Fuß zu ſetzen verſuchte, mußte er raſch
wieder einlenken und ſah ſich genöthigt, zuweilen ſelbſt deutſchen Gottes-
dienſt zu halten.*) Alſo erblühte auf Zion ein geſundes evangeliſches
Kirchenleben, vielgeſtaltig und doch einträchtig, wie es der Idee des Pro-
teſtantismus entſpricht; und die Macht des jungen Bisthums reichte bald
weit genug um den Proteſtanten überall in Vorderaſien eine Stütze zu
bieten. Auf die Dauer aber konnten die Deutſchen unmöglich ertragen,
daß ihren Geiſtlichen die Gleichberechtigung verweigert wurde; und da der
britiſche Hochmuth ſchlechterdings nicht nachgab, ſo ſah ſich die Krone
Preußen nach einem halben Jahrhundert (1887) genöthigt, das phan-
taſtiſche Unionsbisthum aufzugeben, ihre Gemeinde auf Zion ganz ſelb-
ſtändig auszugeſtalten.

Als politiſcher Vertrag war das von Bunſen geſchloſſene Abkommen
eine Ungeheuerlichkeit, weil England allein ohne jede Gegenleiſtung die
Vortheile daraus zog, und erfahrene Diplomaten meinten ſchon: jetzt
werde dem theologiſchen Eindringling doch endlich das Handwerk gelegt
werden. Friedrich Wilhelm dachte anders. Politiſche Pläne hatte er bei

*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 5. Oct. 1847. Heinrich v. Thile d. J.,
Bericht an den König, Jeruſalem 3. Apr. 1848.
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[124/0138] V. 2. Die Kriegsgefahr. Da die evangeliſche Kirche ſich auf dem Worte aufbaut, ſo gewährt ſie der Perſönlichkeit, mithin auch der volksthümlichen Eigenart der Prediger einen großen, oft allzu großen Spielraum; die Deutſchen vermißten in den trockenen, ſchablonenhaften Anſprachen der Anglikaner gänzlich die durchgebildete homiletiſche Kunſt ihrer heimiſchen Predigten. Die vorherr- ſchende Meinung der Landeskirche bekundeten zwei ſtreng gläubige Theo- logen, Schneckenburger und Hundeshagen in einer geharniſchten Schrift „das anglo-preußiſche Bisthum zu St. Jakob“; ſie nannten es unwürdig, daß Deutſchlands Proteſtantismus hinter ſeiner jüngeren Schweſter zurück- ſtehen ſolle: ſei ſeine ſchlichte Wahrhaftigkeit etwa weniger chriſtlich als die werkheilige Selbſtbeſpiegelung jener Staatskirche, welche Milton ſchon mit der Diana von Epheſus verglichen hatte? Der König ließ ſich durch alle ſolche Einwürfe nicht beirren, und er er- lebte nach einigen Jahren die Freude, daß ſeine fromme Stiftung gedieh, weit beſcheidener freilich als Bunſen geträumt hatte. Die Judenmiſſion fand im Vaterlande Israels begreiflicherweiſe einen ſehr undankbaren Boden; indeſſen mehrte ſich die Zahl der Proteſtanten nach und nach durch Einwanderung und vereinzelte Bekehrungen. Neben der Jakobskapelle auf Zion entſtanden bald ein Hospital, ein Waiſenhaus, eine treffliche Schule. Drei Gemein- den, eine deutſche, eine engliſche, eine arabiſche, erkannten den Biſchof als geiſtliches Oberhaupt an ohne doch ihre Selbſtändigkeit aufzugeben; die deutſche hielt ihren Gottesdienſt nach der Liturgie, welche Bunſen einſt auf dem Capitol eingeführt hatte. Als Alexander’s Nachfolger Biſchof Gobat Alles auf anglikaniſchen Fuß zu ſetzen verſuchte, mußte er raſch wieder einlenken und ſah ſich genöthigt, zuweilen ſelbſt deutſchen Gottes- dienſt zu halten. *) Alſo erblühte auf Zion ein geſundes evangeliſches Kirchenleben, vielgeſtaltig und doch einträchtig, wie es der Idee des Pro- teſtantismus entſpricht; und die Macht des jungen Bisthums reichte bald weit genug um den Proteſtanten überall in Vorderaſien eine Stütze zu bieten. Auf die Dauer aber konnten die Deutſchen unmöglich ertragen, daß ihren Geiſtlichen die Gleichberechtigung verweigert wurde; und da der britiſche Hochmuth ſchlechterdings nicht nachgab, ſo ſah ſich die Krone Preußen nach einem halben Jahrhundert (1887) genöthigt, das phan- taſtiſche Unionsbisthum aufzugeben, ihre Gemeinde auf Zion ganz ſelb- ſtändig auszugeſtalten. Als politiſcher Vertrag war das von Bunſen geſchloſſene Abkommen eine Ungeheuerlichkeit, weil England allein ohne jede Gegenleiſtung die Vortheile daraus zog, und erfahrene Diplomaten meinten ſchon: jetzt werde dem theologiſchen Eindringling doch endlich das Handwerk gelegt werden. Friedrich Wilhelm dachte anders. Politiſche Pläne hatte er bei *) König Friedrich Wilhelm an Thile, 5. Oct. 1847. Heinrich v. Thile d. J., Bericht an den König, Jeruſalem 3. Apr. 1848.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/138>, abgerufen am 27.11.2024.