Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

V. 2. Die Kriegsgefahr.
sie gänzlich aufzulösen schien den Wiener Staatsmännern zu gefährlich.
Er ließ dabei die Hoffnung aussprechen, die Heimkehr der Mitglieder der
Centralbehörde werde "als ein neues sicheres Zeichen einer günstigeren
Gestaltung der Dinge und des Vertrauens der Regierungen" in ganz
Deutschland freudig begrüßt werden. Doch seine eigenen Beamten ver-
mochten diese Hoffnungen nicht zu theilen. Nach dem Tode des trefflichen
bairischen Gesandten v. Mieg gestand Geh. Rath v. Sydow traurig: jetzt
könne der Bundestag selbst sehr mäßigen Ansprüchen nicht mehr genügen,
und nur noch durch einen durchgreifenden Personenwechsel neues Leben
gewinnen.*) Geistreiche junge Männer, wie Adolf von Schack, der Sohn
des mecklenburgischen Bundesgesandten, wurden durch die abschreckende
Nichtigkeit des Frankfurter Diplomatenlebens in das Lager des Liberalis-
mus hinübergescheucht. In der Hofburg betrachtete man diesen Jammer
mit unverwüstlichem Gleichmuth; ja Metternich kam, zur Verzweiflung
König Friedrich Wilhelm's, mehrmals zurück auf seinen alten Vorschlag:
ob man nicht den ständigen Bundestag durch eine von Zeit zu Zeit wieder-
kehrende Gesandtenconferenz ersetzen solle?

Wie weit die Deutschen noch von einem lebendigen, instinktiven Na-
tionalgefühle entfernt waren, das lehrte mitten in diesen Tagen vater-
ländischer Begeisterung ein aberwitziger Streit, der sich auf den viel-
besungenen grünen Wogen des freien deutschen Rheines abspielte. In
seiner inneren Politik conservativ bis zum Starrsinn, blieb Minister du
Thil doch der beste Deutsche unter den süddeutschen Staatsmännern. Er
hatte bei der Begründung des Zollvereins bewiesen, wie hoch er über
allem partikularistischen Kleinsinne stand, und verhehlte keineswegs, daß
er die Militärhoheit der kleinen Fürsten für einen gemeinschädlichen Miß-
brauch hielt; aber -- das war der Fluch dieser Bundesverfassung -- so
lange die Souveränität der kleinen Staaten bestand wollte er der Würde
seines Großherzogs nicht das Mindeste vergeben.**) Dies gewaltige hessen-
darmstädtische Selbstgefühl veranlaßte manche ergötzliche Zwistigkeiten.
Darmstadt unterstand sich einen Orden Philipp's des Großmüthigen zu
stiften. In Kassel hingegen wurde der gemeinsame Stammvater der hessischen
Häuser als ein kurhessischer Nationalheld betrachtet und die Selbstüber-
hebung der jüngeren Linie allgemein verurtheilt; es währte mehrere Jahre
bis der Zorn sich legte und kurhessische Beamte die Erlaubniß erhielten
den Orden zu tragen. Noch kräftiger regte sich der darmstädtische Stolz,
als die neue Taunusbahn von Frankfurt über Castel nach Biebrich er-
öffnet wurde. Die Bahn war, da sie durch ein Stück hessischen Gebietes
führte, unter Mitwirkung du Thil's zu Stande gekommen. Es zeigte sich
jedoch bald, daß sie den Mainzer Handel schädigte. Während die vordem

*) Sydow's Berichte, 7. Mai, 11. Juni 1842.
**) Nach du Thil's Aufzeichnungen.

V. 2. Die Kriegsgefahr.
ſie gänzlich aufzulöſen ſchien den Wiener Staatsmännern zu gefährlich.
Er ließ dabei die Hoffnung ausſprechen, die Heimkehr der Mitglieder der
Centralbehörde werde „als ein neues ſicheres Zeichen einer günſtigeren
Geſtaltung der Dinge und des Vertrauens der Regierungen“ in ganz
Deutſchland freudig begrüßt werden. Doch ſeine eigenen Beamten ver-
mochten dieſe Hoffnungen nicht zu theilen. Nach dem Tode des trefflichen
bairiſchen Geſandten v. Mieg geſtand Geh. Rath v. Sydow traurig: jetzt
könne der Bundestag ſelbſt ſehr mäßigen Anſprüchen nicht mehr genügen,
und nur noch durch einen durchgreifenden Perſonenwechſel neues Leben
gewinnen.*) Geiſtreiche junge Männer, wie Adolf von Schack, der Sohn
des mecklenburgiſchen Bundesgeſandten, wurden durch die abſchreckende
Nichtigkeit des Frankfurter Diplomatenlebens in das Lager des Liberalis-
mus hinübergeſcheucht. In der Hofburg betrachtete man dieſen Jammer
mit unverwüſtlichem Gleichmuth; ja Metternich kam, zur Verzweiflung
König Friedrich Wilhelm’s, mehrmals zurück auf ſeinen alten Vorſchlag:
ob man nicht den ſtändigen Bundestag durch eine von Zeit zu Zeit wieder-
kehrende Geſandtenconferenz erſetzen ſolle?

Wie weit die Deutſchen noch von einem lebendigen, inſtinktiven Na-
tionalgefühle entfernt waren, das lehrte mitten in dieſen Tagen vater-
ländiſcher Begeiſterung ein aberwitziger Streit, der ſich auf den viel-
beſungenen grünen Wogen des freien deutſchen Rheines abſpielte. In
ſeiner inneren Politik conſervativ bis zum Starrſinn, blieb Miniſter du
Thil doch der beſte Deutſche unter den ſüddeutſchen Staatsmännern. Er
hatte bei der Begründung des Zollvereins bewieſen, wie hoch er über
allem partikulariſtiſchen Kleinſinne ſtand, und verhehlte keineswegs, daß
er die Militärhoheit der kleinen Fürſten für einen gemeinſchädlichen Miß-
brauch hielt; aber — das war der Fluch dieſer Bundesverfaſſung — ſo
lange die Souveränität der kleinen Staaten beſtand wollte er der Würde
ſeines Großherzogs nicht das Mindeſte vergeben.**) Dies gewaltige heſſen-
darmſtädtiſche Selbſtgefühl veranlaßte manche ergötzliche Zwiſtigkeiten.
Darmſtadt unterſtand ſich einen Orden Philipp’s des Großmüthigen zu
ſtiften. In Kaſſel hingegen wurde der gemeinſame Stammvater der heſſiſchen
Häuſer als ein kurheſſiſcher Nationalheld betrachtet und die Selbſtüber-
hebung der jüngeren Linie allgemein verurtheilt; es währte mehrere Jahre
bis der Zorn ſich legte und kurheſſiſche Beamte die Erlaubniß erhielten
den Orden zu tragen. Noch kräftiger regte ſich der darmſtädtiſche Stolz,
als die neue Taunusbahn von Frankfurt über Caſtel nach Biebrich er-
öffnet wurde. Die Bahn war, da ſie durch ein Stück heſſiſchen Gebietes
führte, unter Mitwirkung du Thil’s zu Stande gekommen. Es zeigte ſich
jedoch bald, daß ſie den Mainzer Handel ſchädigte. Während die vordem

*) Sydow’s Berichte, 7. Mai, 11. Juni 1842.
**) Nach du Thil’s Aufzeichnungen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0120" n="106"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 2. Die Kriegsgefahr.</fw><lb/>
&#x017F;ie gänzlich aufzulö&#x017F;en &#x017F;chien den Wiener Staatsmännern zu gefährlich.<lb/>
Er ließ dabei die Hoffnung aus&#x017F;prechen, die Heimkehr der Mitglieder der<lb/>
Centralbehörde werde &#x201E;als ein neues &#x017F;icheres Zeichen einer gün&#x017F;tigeren<lb/>
Ge&#x017F;taltung der Dinge und des Vertrauens der Regierungen&#x201C; in ganz<lb/>
Deut&#x017F;chland freudig begrüßt werden. Doch &#x017F;eine eigenen Beamten ver-<lb/>
mochten die&#x017F;e Hoffnungen nicht zu theilen. Nach dem Tode des trefflichen<lb/>
bairi&#x017F;chen Ge&#x017F;andten v. Mieg ge&#x017F;tand Geh. Rath v. Sydow traurig: jetzt<lb/>
könne der Bundestag &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ehr mäßigen An&#x017F;prüchen nicht mehr genügen,<lb/>
und nur noch durch einen durchgreifenden Per&#x017F;onenwech&#x017F;el neues Leben<lb/>
gewinnen.<note place="foot" n="*)">Sydow&#x2019;s Berichte, 7. Mai, 11. Juni 1842.</note> Gei&#x017F;treiche junge Männer, wie Adolf von Schack, der Sohn<lb/>
des mecklenburgi&#x017F;chen Bundesge&#x017F;andten, wurden durch die ab&#x017F;chreckende<lb/>
Nichtigkeit des Frankfurter Diplomatenlebens in das Lager des Liberalis-<lb/>
mus hinüberge&#x017F;cheucht. In der Hofburg betrachtete man die&#x017F;en Jammer<lb/>
mit unverwü&#x017F;tlichem Gleichmuth; ja Metternich kam, zur Verzweiflung<lb/>
König Friedrich Wilhelm&#x2019;s, mehrmals zurück auf &#x017F;einen alten Vor&#x017F;chlag:<lb/>
ob man nicht den &#x017F;tändigen Bundestag durch eine von Zeit zu Zeit wieder-<lb/>
kehrende Ge&#x017F;andtenconferenz er&#x017F;etzen &#x017F;olle?</p><lb/>
          <p>Wie weit die Deut&#x017F;chen noch von einem lebendigen, in&#x017F;tinktiven Na-<lb/>
tionalgefühle entfernt waren, das lehrte mitten in die&#x017F;en Tagen vater-<lb/>
ländi&#x017F;cher Begei&#x017F;terung ein aberwitziger Streit, der &#x017F;ich auf den viel-<lb/>
be&#x017F;ungenen grünen Wogen des freien deut&#x017F;chen Rheines ab&#x017F;pielte. In<lb/>
&#x017F;einer inneren Politik con&#x017F;ervativ bis zum Starr&#x017F;inn, blieb Mini&#x017F;ter du<lb/>
Thil doch der be&#x017F;te Deut&#x017F;che unter den &#x017F;üddeut&#x017F;chen Staatsmännern. Er<lb/>
hatte bei der Begründung des Zollvereins bewie&#x017F;en, wie hoch er über<lb/>
allem partikulari&#x017F;ti&#x017F;chen Klein&#x017F;inne &#x017F;tand, und verhehlte keineswegs, daß<lb/>
er die Militärhoheit der kleinen Für&#x017F;ten für einen gemein&#x017F;chädlichen Miß-<lb/>
brauch hielt; aber &#x2014; das war der Fluch die&#x017F;er Bundesverfa&#x017F;&#x017F;ung &#x2014; &#x017F;o<lb/>
lange die Souveränität der kleinen Staaten be&#x017F;tand wollte er der Würde<lb/>
&#x017F;eines Großherzogs nicht das Minde&#x017F;te vergeben.<note place="foot" n="**)">Nach du Thil&#x2019;s Aufzeichnungen.</note> Dies gewaltige he&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
darm&#x017F;tädti&#x017F;che Selb&#x017F;tgefühl veranlaßte manche ergötzliche Zwi&#x017F;tigkeiten.<lb/>
Darm&#x017F;tadt unter&#x017F;tand &#x017F;ich einen Orden Philipp&#x2019;s des Großmüthigen zu<lb/>
&#x017F;tiften. In Ka&#x017F;&#x017F;el hingegen wurde der gemein&#x017F;ame Stammvater der he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Häu&#x017F;er als ein kurhe&#x017F;&#x017F;i&#x017F;cher Nationalheld betrachtet und die Selb&#x017F;tüber-<lb/>
hebung der jüngeren Linie allgemein verurtheilt; es währte mehrere Jahre<lb/>
bis der Zorn &#x017F;ich legte und kurhe&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Beamte die Erlaubniß erhielten<lb/>
den Orden zu tragen. Noch kräftiger regte &#x017F;ich der darm&#x017F;tädti&#x017F;che Stolz,<lb/>
als die neue Taunusbahn von Frankfurt über Ca&#x017F;tel nach Biebrich er-<lb/>
öffnet wurde. Die Bahn war, da &#x017F;ie durch ein Stück he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Gebietes<lb/>
führte, unter Mitwirkung du Thil&#x2019;s zu Stande gekommen. Es zeigte &#x017F;ich<lb/>
jedoch bald, daß &#x017F;ie den Mainzer Handel &#x017F;chädigte. Während die vordem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0120] V. 2. Die Kriegsgefahr. ſie gänzlich aufzulöſen ſchien den Wiener Staatsmännern zu gefährlich. Er ließ dabei die Hoffnung ausſprechen, die Heimkehr der Mitglieder der Centralbehörde werde „als ein neues ſicheres Zeichen einer günſtigeren Geſtaltung der Dinge und des Vertrauens der Regierungen“ in ganz Deutſchland freudig begrüßt werden. Doch ſeine eigenen Beamten ver- mochten dieſe Hoffnungen nicht zu theilen. Nach dem Tode des trefflichen bairiſchen Geſandten v. Mieg geſtand Geh. Rath v. Sydow traurig: jetzt könne der Bundestag ſelbſt ſehr mäßigen Anſprüchen nicht mehr genügen, und nur noch durch einen durchgreifenden Perſonenwechſel neues Leben gewinnen. *) Geiſtreiche junge Männer, wie Adolf von Schack, der Sohn des mecklenburgiſchen Bundesgeſandten, wurden durch die abſchreckende Nichtigkeit des Frankfurter Diplomatenlebens in das Lager des Liberalis- mus hinübergeſcheucht. In der Hofburg betrachtete man dieſen Jammer mit unverwüſtlichem Gleichmuth; ja Metternich kam, zur Verzweiflung König Friedrich Wilhelm’s, mehrmals zurück auf ſeinen alten Vorſchlag: ob man nicht den ſtändigen Bundestag durch eine von Zeit zu Zeit wieder- kehrende Geſandtenconferenz erſetzen ſolle? Wie weit die Deutſchen noch von einem lebendigen, inſtinktiven Na- tionalgefühle entfernt waren, das lehrte mitten in dieſen Tagen vater- ländiſcher Begeiſterung ein aberwitziger Streit, der ſich auf den viel- beſungenen grünen Wogen des freien deutſchen Rheines abſpielte. In ſeiner inneren Politik conſervativ bis zum Starrſinn, blieb Miniſter du Thil doch der beſte Deutſche unter den ſüddeutſchen Staatsmännern. Er hatte bei der Begründung des Zollvereins bewieſen, wie hoch er über allem partikulariſtiſchen Kleinſinne ſtand, und verhehlte keineswegs, daß er die Militärhoheit der kleinen Fürſten für einen gemeinſchädlichen Miß- brauch hielt; aber — das war der Fluch dieſer Bundesverfaſſung — ſo lange die Souveränität der kleinen Staaten beſtand wollte er der Würde ſeines Großherzogs nicht das Mindeſte vergeben. **) Dies gewaltige heſſen- darmſtädtiſche Selbſtgefühl veranlaßte manche ergötzliche Zwiſtigkeiten. Darmſtadt unterſtand ſich einen Orden Philipp’s des Großmüthigen zu ſtiften. In Kaſſel hingegen wurde der gemeinſame Stammvater der heſſiſchen Häuſer als ein kurheſſiſcher Nationalheld betrachtet und die Selbſtüber- hebung der jüngeren Linie allgemein verurtheilt; es währte mehrere Jahre bis der Zorn ſich legte und kurheſſiſche Beamte die Erlaubniß erhielten den Orden zu tragen. Noch kräftiger regte ſich der darmſtädtiſche Stolz, als die neue Taunusbahn von Frankfurt über Caſtel nach Biebrich er- öffnet wurde. Die Bahn war, da ſie durch ein Stück heſſiſchen Gebietes führte, unter Mitwirkung du Thil’s zu Stande gekommen. Es zeigte ſich jedoch bald, daß ſie den Mainzer Handel ſchädigte. Während die vordem *) Sydow’s Berichte, 7. Mai, 11. Juni 1842. **) Nach du Thil’s Aufzeichnungen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/120
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/120>, abgerufen am 23.11.2024.