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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 2. Die Kriegsgefahr.
Rachsucht des Czaren befriedigt, Englands mediterranische Herrschaft be-
festigt und für sich selbst nichts davon getragen hätte als einige werthlose
Grenzplätze in Elsaß-Lothringen.

König Friedrich Wilhelm ließ solche Erwägungen gar nicht an sich
herankommen; für ihn hatte der Gedanke eines dritten Pariser Einzugs
keinen Reiz. Er wollte den Frieden, nichts als den Frieden. Erst als
die französischen Drohungen unsere Westgrenze gefährdeten, rüstete er sich
zur Abwehr, und für diesen bescheidenen Zweck der Vertheidigung Deutsch-
lands arbeitete die preußische Politik, die sich in den internationalen Lon-
doner Verhandlungen so schwächlich, so widerspruchsvoll gezeigt hatte, mit
ehrenwerther Umsicht und Beharrlichkeit. Der König dachte die Gelegen-
heit zu benutzen und mit dem Bundesheerwesen zugleich die gesammte
deutsche Bundespolitik, die seinem Herzen so theuer blieb, neu zu beleben.
"Zu Frankfurt", so gestand er einem Vertrauten, "brau' ich mein Eigenstes;
zu keiner Gesandtschaft steh' ich in so unmittelbarem Verhältniß als zu
dieser."*) Er wußte, wie eifrig sein Vater sich während der letzten Jahre
bemüht hatte, in Frankfurt durch Radowitz eine Verbesserung der elenden
Bundeskriegsverfassung zu bewirken, und wie kläglich alle diese Bemüh-
ungen an der Gleichgiltigkeit Oesterreichs gescheitert waren. Gerade in
den Tagen des Thronwechsels berichtete Radowitz hoffnungslos über die
Haltung der Hofburg: "Bei völliger Kenntniß und Einsicht in die vor-
handenen Gebrechen ist dennoch das Interesse an deren Heilung nicht
groß genug oder die Berücksichtigung anderweiter Motive zu vorwiegend."**)
Durch den Zauber seiner Beredsamkeit hoffte der neue König diesen Wider-
stand zu überwinden; schon auf der Pillnitzer Zusammenkunft sagte er
zu Metternich tiefbewegt, fortan müsse eine neue Zeit auch für die Bundes-
politik kommen. Der Oesterreicher wich aber aus und vermied auch ferner-
hin ängstlich jedes Gespräch über den Deutschen Bund.

Metternich verbrachte den August und September in Königswart,
wohin er die Gesandten aller Großmächte nebst dem päpstlichen Nuntius
eingeladen hatte. Mit Spannung beobachtete die diplomatische Welt diesen
geheimnißvollen Congreß. Fleißiger denn je arbeitete Metternich's Feder;
ungezählte Depeschen flogen aus seinem böhmischen Schlosse in alle Welt
und sie klangen alle in hohem Tone. "Die Frage ist ganz einfach die
des die Pforte zu seinem Vortheil fressen wollenden Paschas von Aegypten,"
so schrieb er nach Frankfurt. Die orientalische Verwicklung war und
blieb ihm nur ein Kampf zwischen der Revolution und dem legitimen
Sultan; den Bürgerkönig suchte er zu erschrecken durch den Bericht eines
k. k. Agenten, der seit Jahren allen Pariser revolutionären Clubs ange-
hörte und bestimmt versicherte, die Radikalen planten einen neuen Streich

*) König Friedrich Wilhelm an Rochow, 9. April 1842.
**) Radowitz, Bericht an Werther, 2. Juni. Eichhorn an den Kriegsminister v. Rauch,
9. Juli 1840.

V. 2. Die Kriegsgefahr.
Rachſucht des Czaren befriedigt, Englands mediterraniſche Herrſchaft be-
feſtigt und für ſich ſelbſt nichts davon getragen hätte als einige werthloſe
Grenzplätze in Elſaß-Lothringen.

König Friedrich Wilhelm ließ ſolche Erwägungen gar nicht an ſich
herankommen; für ihn hatte der Gedanke eines dritten Pariſer Einzugs
keinen Reiz. Er wollte den Frieden, nichts als den Frieden. Erſt als
die franzöſiſchen Drohungen unſere Weſtgrenze gefährdeten, rüſtete er ſich
zur Abwehr, und für dieſen beſcheidenen Zweck der Vertheidigung Deutſch-
lands arbeitete die preußiſche Politik, die ſich in den internationalen Lon-
doner Verhandlungen ſo ſchwächlich, ſo widerſpruchsvoll gezeigt hatte, mit
ehrenwerther Umſicht und Beharrlichkeit. Der König dachte die Gelegen-
heit zu benutzen und mit dem Bundesheerweſen zugleich die geſammte
deutſche Bundespolitik, die ſeinem Herzen ſo theuer blieb, neu zu beleben.
„Zu Frankfurt“, ſo geſtand er einem Vertrauten, „brau’ ich mein Eigenſtes;
zu keiner Geſandtſchaft ſteh’ ich in ſo unmittelbarem Verhältniß als zu
dieſer.“*) Er wußte, wie eifrig ſein Vater ſich während der letzten Jahre
bemüht hatte, in Frankfurt durch Radowitz eine Verbeſſerung der elenden
Bundeskriegsverfaſſung zu bewirken, und wie kläglich alle dieſe Bemüh-
ungen an der Gleichgiltigkeit Oeſterreichs geſcheitert waren. Gerade in
den Tagen des Thronwechſels berichtete Radowitz hoffnungslos über die
Haltung der Hofburg: „Bei völliger Kenntniß und Einſicht in die vor-
handenen Gebrechen iſt dennoch das Intereſſe an deren Heilung nicht
groß genug oder die Berückſichtigung anderweiter Motive zu vorwiegend.“**)
Durch den Zauber ſeiner Beredſamkeit hoffte der neue König dieſen Wider-
ſtand zu überwinden; ſchon auf der Pillnitzer Zuſammenkunft ſagte er
zu Metternich tiefbewegt, fortan müſſe eine neue Zeit auch für die Bundes-
politik kommen. Der Oeſterreicher wich aber aus und vermied auch ferner-
hin ängſtlich jedes Geſpräch über den Deutſchen Bund.

Metternich verbrachte den Auguſt und September in Königswart,
wohin er die Geſandten aller Großmächte nebſt dem päpſtlichen Nuntius
eingeladen hatte. Mit Spannung beobachtete die diplomatiſche Welt dieſen
geheimnißvollen Congreß. Fleißiger denn je arbeitete Metternich’s Feder;
ungezählte Depeſchen flogen aus ſeinem böhmiſchen Schloſſe in alle Welt
und ſie klangen alle in hohem Tone. „Die Frage iſt ganz einfach die
des die Pforte zu ſeinem Vortheil freſſen wollenden Paſchas von Aegypten,“
ſo ſchrieb er nach Frankfurt. Die orientaliſche Verwicklung war und
blieb ihm nur ein Kampf zwiſchen der Revolution und dem legitimen
Sultan; den Bürgerkönig ſuchte er zu erſchrecken durch den Bericht eines
k. k. Agenten, der ſeit Jahren allen Pariſer revolutionären Clubs ange-
hörte und beſtimmt verſicherte, die Radikalen planten einen neuen Streich

*) König Friedrich Wilhelm an Rochow, 9. April 1842.
**) Radowitz, Bericht an Werther, 2. Juni. Eichhorn an den Kriegsminiſter v. Rauch,
9. Juli 1840.
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[90/0104] V. 2. Die Kriegsgefahr. Rachſucht des Czaren befriedigt, Englands mediterraniſche Herrſchaft be- feſtigt und für ſich ſelbſt nichts davon getragen hätte als einige werthloſe Grenzplätze in Elſaß-Lothringen. König Friedrich Wilhelm ließ ſolche Erwägungen gar nicht an ſich herankommen; für ihn hatte der Gedanke eines dritten Pariſer Einzugs keinen Reiz. Er wollte den Frieden, nichts als den Frieden. Erſt als die franzöſiſchen Drohungen unſere Weſtgrenze gefährdeten, rüſtete er ſich zur Abwehr, und für dieſen beſcheidenen Zweck der Vertheidigung Deutſch- lands arbeitete die preußiſche Politik, die ſich in den internationalen Lon- doner Verhandlungen ſo ſchwächlich, ſo widerſpruchsvoll gezeigt hatte, mit ehrenwerther Umſicht und Beharrlichkeit. Der König dachte die Gelegen- heit zu benutzen und mit dem Bundesheerweſen zugleich die geſammte deutſche Bundespolitik, die ſeinem Herzen ſo theuer blieb, neu zu beleben. „Zu Frankfurt“, ſo geſtand er einem Vertrauten, „brau’ ich mein Eigenſtes; zu keiner Geſandtſchaft ſteh’ ich in ſo unmittelbarem Verhältniß als zu dieſer.“ *) Er wußte, wie eifrig ſein Vater ſich während der letzten Jahre bemüht hatte, in Frankfurt durch Radowitz eine Verbeſſerung der elenden Bundeskriegsverfaſſung zu bewirken, und wie kläglich alle dieſe Bemüh- ungen an der Gleichgiltigkeit Oeſterreichs geſcheitert waren. Gerade in den Tagen des Thronwechſels berichtete Radowitz hoffnungslos über die Haltung der Hofburg: „Bei völliger Kenntniß und Einſicht in die vor- handenen Gebrechen iſt dennoch das Intereſſe an deren Heilung nicht groß genug oder die Berückſichtigung anderweiter Motive zu vorwiegend.“ **) Durch den Zauber ſeiner Beredſamkeit hoffte der neue König dieſen Wider- ſtand zu überwinden; ſchon auf der Pillnitzer Zuſammenkunft ſagte er zu Metternich tiefbewegt, fortan müſſe eine neue Zeit auch für die Bundes- politik kommen. Der Oeſterreicher wich aber aus und vermied auch ferner- hin ängſtlich jedes Geſpräch über den Deutſchen Bund. Metternich verbrachte den Auguſt und September in Königswart, wohin er die Geſandten aller Großmächte nebſt dem päpſtlichen Nuntius eingeladen hatte. Mit Spannung beobachtete die diplomatiſche Welt dieſen geheimnißvollen Congreß. Fleißiger denn je arbeitete Metternich’s Feder; ungezählte Depeſchen flogen aus ſeinem böhmiſchen Schloſſe in alle Welt und ſie klangen alle in hohem Tone. „Die Frage iſt ganz einfach die des die Pforte zu ſeinem Vortheil freſſen wollenden Paſchas von Aegypten,“ ſo ſchrieb er nach Frankfurt. Die orientaliſche Verwicklung war und blieb ihm nur ein Kampf zwiſchen der Revolution und dem legitimen Sultan; den Bürgerkönig ſuchte er zu erſchrecken durch den Bericht eines k. k. Agenten, der ſeit Jahren allen Pariſer revolutionären Clubs ange- hörte und beſtimmt verſicherte, die Radikalen planten einen neuen Streich *) König Friedrich Wilhelm an Rochow, 9. April 1842. **) Radowitz, Bericht an Werther, 2. Juni. Eichhorn an den Kriegsminiſter v. Rauch, 9. Juli 1840.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/104>, abgerufen am 23.11.2024.