der Männer, welche bisher die Regierungen bekämpft hätten.*) Der Russe sah schärfer als der Oesterreicher. Es war in der That der Geist von 1813, der aus allen diesen Gedichten, Reden und Zeitungsartikeln sprach; es war der Stolz einer endlich erwachenden starken Nation, der zum vollen Selbstbewußtsein gereift der Fremdherrschaft Oesterreichs ebenso verderblich werden mußte wie den hohlen Formen der Bundesverfassung. Die Kugel stand auf scharfer Kante; ein leichter Stoß genügte sie ins Rollen zu bringen. Der Krieg war erklärt, sobald Preußen eine ernste Anfrage wegen der französischen Rüstungen nach Paris ergehen ließ und sie veröffentlichte.
Ein König von fridericianischer Kühnheit hätte dieser Versuchung schwerlich widerstanden. Alle die tapferen Männer des preußischen Heeres, welche seit Jahren schon den dritten punischen Krieg für unvermeidlich hielten, vereinigten sich in der Meinung, jetzt sei die rechte Zeit zum Schlagen. Der Prinz von Preußen lebte und webte in dem Gedanken des rheinischen Feldzugs. In ernster Rede mahnte er die Offiziere der Garde, den vaterländischen Sinn wach zu halten in dem Heere, "der Schöpfung des seligen Königs," die sich mehr denn je das Vertrauen des befreundeten Auslands erworben habe.**) Er schrieb sich das Rhein- lied eigenhändig ab, und unter die Schlußworte:
Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein Bis -- seine Fluth begraben des letzten Manns Gebein
setzte er jenen kühnen Federzug, der späterhin aus der Namesunterschrift des Sedansiegers der weiten Welt bekannt werden sollte. Auch Radowitz rieth seinem geliebten Könige, sich jetzt durch einen verwegenen Entschluß eine Stellung ohne gleichen zu gewinnen. Die Lage schien für Preußen wunderbar günstig. Thiers hoffte zwar den Krieg in Italien zu beginnen, um dadurch Deutschland neutral zu halten; er war aber ganz außer Stande, die gallische Kriegsbegier, sobald sie einmal entfesselt wurde, von ihrem eigentlichen Ziele, dem Rheinlande abzulenken, und mit vollem Rechte ließ daher die preußische Regierung in Paris erklären, sie müsse jeden Angriff auf Italien als einen Kriegsfall betrachten. Wenn Frankreich also gezwungen wurde seine Streitkräfte zu theilen, so konnte nach mensch- lichem Ermessen den preußischen Waffen der Sieg nicht entgehen, trotz der voraussichtlich elenden Beihilfe der kleinen deutschen Bundesgenossen. Aber so wahrscheinlich der kriegerische Erfolg, ebenso gewiß war schließlich die diplomatische Niederlage; denn auch dieser Krieg hätte wie der Feld- zug von Belle Alliance unter dem Neide und der Halbheit aller Coali- tionskriege verkümmern müssen; er konnte nach aller Wahrscheinlichkeit nur damit enden, daß Preußen mit ungeheueren Opfern die persönliche
*) Liebermann's Bericht, 23. Febr. 1841.
**) Berger's Bericht, 6. Jan. 1841.
Niedergang des fremdbrüderlichen Liberalismus.
der Männer, welche bisher die Regierungen bekämpft hätten.*) Der Ruſſe ſah ſchärfer als der Oeſterreicher. Es war in der That der Geiſt von 1813, der aus allen dieſen Gedichten, Reden und Zeitungsartikeln ſprach; es war der Stolz einer endlich erwachenden ſtarken Nation, der zum vollen Selbſtbewußtſein gereift der Fremdherrſchaft Oeſterreichs ebenſo verderblich werden mußte wie den hohlen Formen der Bundesverfaſſung. Die Kugel ſtand auf ſcharfer Kante; ein leichter Stoß genügte ſie ins Rollen zu bringen. Der Krieg war erklärt, ſobald Preußen eine ernſte Anfrage wegen der franzöſiſchen Rüſtungen nach Paris ergehen ließ und ſie veröffentlichte.
Ein König von fridericianiſcher Kühnheit hätte dieſer Verſuchung ſchwerlich widerſtanden. Alle die tapferen Männer des preußiſchen Heeres, welche ſeit Jahren ſchon den dritten puniſchen Krieg für unvermeidlich hielten, vereinigten ſich in der Meinung, jetzt ſei die rechte Zeit zum Schlagen. Der Prinz von Preußen lebte und webte in dem Gedanken des rheiniſchen Feldzugs. In ernſter Rede mahnte er die Offiziere der Garde, den vaterländiſchen Sinn wach zu halten in dem Heere, „der Schöpfung des ſeligen Königs,“ die ſich mehr denn je das Vertrauen des befreundeten Auslands erworben habe.**) Er ſchrieb ſich das Rhein- lied eigenhändig ab, und unter die Schlußworte:
Sie ſollen ihn nicht haben, den freien deutſchen Rhein Bis — ſeine Fluth begraben des letzten Manns Gebein
ſetzte er jenen kühnen Federzug, der ſpäterhin aus der Namesunterſchrift des Sedanſiegers der weiten Welt bekannt werden ſollte. Auch Radowitz rieth ſeinem geliebten Könige, ſich jetzt durch einen verwegenen Entſchluß eine Stellung ohne gleichen zu gewinnen. Die Lage ſchien für Preußen wunderbar günſtig. Thiers hoffte zwar den Krieg in Italien zu beginnen, um dadurch Deutſchland neutral zu halten; er war aber ganz außer Stande, die galliſche Kriegsbegier, ſobald ſie einmal entfeſſelt wurde, von ihrem eigentlichen Ziele, dem Rheinlande abzulenken, und mit vollem Rechte ließ daher die preußiſche Regierung in Paris erklären, ſie müſſe jeden Angriff auf Italien als einen Kriegsfall betrachten. Wenn Frankreich alſo gezwungen wurde ſeine Streitkräfte zu theilen, ſo konnte nach menſch- lichem Ermeſſen den preußiſchen Waffen der Sieg nicht entgehen, trotz der vorausſichtlich elenden Beihilfe der kleinen deutſchen Bundesgenoſſen. Aber ſo wahrſcheinlich der kriegeriſche Erfolg, ebenſo gewiß war ſchließlich die diplomatiſche Niederlage; denn auch dieſer Krieg hätte wie der Feld- zug von Belle Alliance unter dem Neide und der Halbheit aller Coali- tionskriege verkümmern müſſen; er konnte nach aller Wahrſcheinlichkeit nur damit enden, daß Preußen mit ungeheueren Opfern die perſönliche
*) Liebermann’s Bericht, 23. Febr. 1841.
**) Berger’s Bericht, 6. Jan. 1841.
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Niedergang des fremdbrüderlichen Liberalismus.
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Ruſſe ſah ſchärfer als der Oeſterreicher. Es war in der That der Geiſt
von 1813, der aus allen dieſen Gedichten, Reden und Zeitungsartikeln
ſprach; es war der Stolz einer endlich erwachenden ſtarken Nation, der
zum vollen Selbſtbewußtſein gereift der Fremdherrſchaft Oeſterreichs ebenſo
verderblich werden mußte wie den hohlen Formen der Bundesverfaſſung.
Die Kugel ſtand auf ſcharfer Kante; ein leichter Stoß genügte ſie ins
Rollen zu bringen. Der Krieg war erklärt, ſobald Preußen eine ernſte
Anfrage wegen der franzöſiſchen Rüſtungen nach Paris ergehen ließ und
ſie veröffentlichte.
Ein König von fridericianiſcher Kühnheit hätte dieſer Verſuchung
ſchwerlich widerſtanden. Alle die tapferen Männer des preußiſchen Heeres,
welche ſeit Jahren ſchon den dritten puniſchen Krieg für unvermeidlich
hielten, vereinigten ſich in der Meinung, jetzt ſei die rechte Zeit zum
Schlagen. Der Prinz von Preußen lebte und webte in dem Gedanken
des rheiniſchen Feldzugs. In ernſter Rede mahnte er die Offiziere der
Garde, den vaterländiſchen Sinn wach zu halten in dem Heere, „der
Schöpfung des ſeligen Königs,“ die ſich mehr denn je das Vertrauen
des befreundeten Auslands erworben habe. **) Er ſchrieb ſich das Rhein-
lied eigenhändig ab, und unter die Schlußworte:
Sie ſollen ihn nicht haben, den freien deutſchen Rhein
Bis — ſeine Fluth begraben des letzten Manns Gebein
ſetzte er jenen kühnen Federzug, der ſpäterhin aus der Namesunterſchrift
des Sedanſiegers der weiten Welt bekannt werden ſollte. Auch Radowitz
rieth ſeinem geliebten Könige, ſich jetzt durch einen verwegenen Entſchluß
eine Stellung ohne gleichen zu gewinnen. Die Lage ſchien für Preußen
wunderbar günſtig. Thiers hoffte zwar den Krieg in Italien zu beginnen,
um dadurch Deutſchland neutral zu halten; er war aber ganz außer
Stande, die galliſche Kriegsbegier, ſobald ſie einmal entfeſſelt wurde, von
ihrem eigentlichen Ziele, dem Rheinlande abzulenken, und mit vollem Rechte
ließ daher die preußiſche Regierung in Paris erklären, ſie müſſe jeden
Angriff auf Italien als einen Kriegsfall betrachten. Wenn Frankreich
alſo gezwungen wurde ſeine Streitkräfte zu theilen, ſo konnte nach menſch-
lichem Ermeſſen den preußiſchen Waffen der Sieg nicht entgehen, trotz
der vorausſichtlich elenden Beihilfe der kleinen deutſchen Bundesgenoſſen.
Aber ſo wahrſcheinlich der kriegeriſche Erfolg, ebenſo gewiß war ſchließlich
die diplomatiſche Niederlage; denn auch dieſer Krieg hätte wie der Feld-
zug von Belle Alliance unter dem Neide und der Halbheit aller Coali-
tionskriege verkümmern müſſen; er konnte nach aller Wahrſcheinlichkeit
nur damit enden, daß Preußen mit ungeheueren Opfern die perſönliche
*) Liebermann’s Bericht, 23. Febr. 1841.
**) Berger’s Bericht, 6. Jan. 1841.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/103>, abgerufen am 23.11.2024.
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