Die Gesinnung der Nation sprach sich so unwiderstehlich aus, daß selbst Jakob Venedey, der Häuptling der Pariser "Geächteten", der abgesagte Feind Preußens nicht umhin konnte in seinem phrasenreichen Buche "der Rhein" ehrlich einzugestehen, die Rheinfrage dürfe für deutsche Männer keine Frage sein. Sogar in Oesterreich regte sich zuweilen das deutsche Blut. Auf den Straßen Wiens wurde das Rheinlied gesungen, und für den Oesterreichischen Beobachter, der vor Kurzem noch die höchst- gefährliche Idee der deutschen Einheit so ingrimmig verfolgt hatte, schrieb jetzt der junge Liberale Franz Schuselka die "deutschen Worte eines Oester- reichers". Von den Gegnern wagten sich nur einzelne mit der Sprache heraus; so W. Cornelius, der Demagog aus den Hambacher Zeiten, der ließ in einem bissigen Gedichte den Vater Rhein seinen Sängern antworten: "nennt mich weder deutsch noch frei." Heinrich Heine fühlte sich wie be- täubt, als der kunstvolle Prachtbau der wälschen Phrasen des letzten Jahr- zehntes so jählings zusammenbrach und die verhaßten Teutonen sich so ungebärdig wider sein geliebtes Frankreich erhoben; indessen zog er vor, für jetzt noch klüglich zu schweigen.
Der fremdbrüderliche Liberalismus der dreißiger Jahre war mit einem Schlage vernichtet. Niemand empfand dies schwerer als Rotteck, den die tragische Gerechtigkeit des Schicksals eben jetzt, im November 1840, inmitten der Lärmrufe der teutonischen Kriegsbegeisterung aus dem Leben abberief. Auf seine Weise hatte der ehrliche Doktrinär sein Vater- land immer geliebt; aber die Möglichkeit eines Krieges gegen das liberale Frankreich war ihm während der letzten Jahre ganz unfaßbar geworden. In der verwandelten Zeit fand er sich nicht mehr zurecht, und noch auf seinem Sterbebette fragte er traurig: in welche Hände wird nun das Ver- nunftrecht kommen? Er ahnte nicht, daß diese Hände sich niemals finden sollten. Die schöpferische Wissenschaft war über die Träume des Ver- nunftrechts längst hinweggeschritten, die verständigen Liberalen begannen schon, nach Dahlmann's Vorgang, ihre Ideale den gegebenen Zuständen anzupassen; die jungen Schwarmgeister aber, die noch an das Wahnbild eines unwandelbaren, in den Sternen geschriebenen Rechtes glaubten, gingen weit über Rotteck hinaus, sie hofften auf ein Reich der unbedingten Freiheit und Gleichheit. So starb der Führer des badischen Liberalismus zur rechten Zeit für seinen Ruhm, in einem Augenblicke, da er den Deut- schen nichts mehr sein konnte.
Zum ersten male seit unvordenklichen Zeiten war die deutsche Nation mit ihren Fürsten ganz einig, und Metternich, der jetzt im Alter die Dinge bequem zu nehmen liebte, meinte zufrieden, diese nationale Be- wegung sei ganz unberührt von den revolutionären Gedanken der Be- freiungskriege. Czar Nikolaus dagegen sagte besorgt zu dem preußischen Gesandten, es scheine rathsam die stürmische nationale Gesinnung der Deutschen zu überwachen, denn sie äußere sich am lautesten in den Kreisen
V. 2. Die Kriegsgefahr.
Die Geſinnung der Nation ſprach ſich ſo unwiderſtehlich aus, daß ſelbſt Jakob Venedey, der Häuptling der Pariſer „Geächteten“, der abgeſagte Feind Preußens nicht umhin konnte in ſeinem phraſenreichen Buche „der Rhein“ ehrlich einzugeſtehen, die Rheinfrage dürfe für deutſche Männer keine Frage ſein. Sogar in Oeſterreich regte ſich zuweilen das deutſche Blut. Auf den Straßen Wiens wurde das Rheinlied geſungen, und für den Oeſterreichiſchen Beobachter, der vor Kurzem noch die höchſt- gefährliche Idee der deutſchen Einheit ſo ingrimmig verfolgt hatte, ſchrieb jetzt der junge Liberale Franz Schuſelka die „deutſchen Worte eines Oeſter- reichers“. Von den Gegnern wagten ſich nur einzelne mit der Sprache heraus; ſo W. Cornelius, der Demagog aus den Hambacher Zeiten, der ließ in einem biſſigen Gedichte den Vater Rhein ſeinen Sängern antworten: „nennt mich weder deutſch noch frei.“ Heinrich Heine fühlte ſich wie be- täubt, als der kunſtvolle Prachtbau der wälſchen Phraſen des letzten Jahr- zehntes ſo jählings zuſammenbrach und die verhaßten Teutonen ſich ſo ungebärdig wider ſein geliebtes Frankreich erhoben; indeſſen zog er vor, für jetzt noch klüglich zu ſchweigen.
Der fremdbrüderliche Liberalismus der dreißiger Jahre war mit einem Schlage vernichtet. Niemand empfand dies ſchwerer als Rotteck, den die tragiſche Gerechtigkeit des Schickſals eben jetzt, im November 1840, inmitten der Lärmrufe der teutoniſchen Kriegsbegeiſterung aus dem Leben abberief. Auf ſeine Weiſe hatte der ehrliche Doktrinär ſein Vater- land immer geliebt; aber die Möglichkeit eines Krieges gegen das liberale Frankreich war ihm während der letzten Jahre ganz unfaßbar geworden. In der verwandelten Zeit fand er ſich nicht mehr zurecht, und noch auf ſeinem Sterbebette fragte er traurig: in welche Hände wird nun das Ver- nunftrecht kommen? Er ahnte nicht, daß dieſe Hände ſich niemals finden ſollten. Die ſchöpferiſche Wiſſenſchaft war über die Träume des Ver- nunftrechts längſt hinweggeſchritten, die verſtändigen Liberalen begannen ſchon, nach Dahlmann’s Vorgang, ihre Ideale den gegebenen Zuſtänden anzupaſſen; die jungen Schwarmgeiſter aber, die noch an das Wahnbild eines unwandelbaren, in den Sternen geſchriebenen Rechtes glaubten, gingen weit über Rotteck hinaus, ſie hofften auf ein Reich der unbedingten Freiheit und Gleichheit. So ſtarb der Führer des badiſchen Liberalismus zur rechten Zeit für ſeinen Ruhm, in einem Augenblicke, da er den Deut- ſchen nichts mehr ſein konnte.
Zum erſten male ſeit unvordenklichen Zeiten war die deutſche Nation mit ihren Fürſten ganz einig, und Metternich, der jetzt im Alter die Dinge bequem zu nehmen liebte, meinte zufrieden, dieſe nationale Be- wegung ſei ganz unberührt von den revolutionären Gedanken der Be- freiungskriege. Czar Nikolaus dagegen ſagte beſorgt zu dem preußiſchen Geſandten, es ſcheine rathſam die ſtürmiſche nationale Geſinnung der Deutſchen zu überwachen, denn ſie äußere ſich am lauteſten in den Kreiſen
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V. 2. Die Kriegsgefahr.
Die Geſinnung der Nation ſprach ſich ſo unwiderſtehlich aus, daß ſelbſt
Jakob Venedey, der Häuptling der Pariſer „Geächteten“, der abgeſagte
Feind Preußens nicht umhin konnte in ſeinem phraſenreichen Buche „der
Rhein“ ehrlich einzugeſtehen, die Rheinfrage dürfe für deutſche Männer
keine Frage ſein. Sogar in Oeſterreich regte ſich zuweilen das deutſche
Blut. Auf den Straßen Wiens wurde das Rheinlied geſungen, und
für den Oeſterreichiſchen Beobachter, der vor Kurzem noch die höchſt-
gefährliche Idee der deutſchen Einheit ſo ingrimmig verfolgt hatte, ſchrieb
jetzt der junge Liberale Franz Schuſelka die „deutſchen Worte eines Oeſter-
reichers“. Von den Gegnern wagten ſich nur einzelne mit der Sprache
heraus; ſo W. Cornelius, der Demagog aus den Hambacher Zeiten, der
ließ in einem biſſigen Gedichte den Vater Rhein ſeinen Sängern antworten:
„nennt mich weder deutſch noch frei.“ Heinrich Heine fühlte ſich wie be-
täubt, als der kunſtvolle Prachtbau der wälſchen Phraſen des letzten Jahr-
zehntes ſo jählings zuſammenbrach und die verhaßten Teutonen ſich ſo
ungebärdig wider ſein geliebtes Frankreich erhoben; indeſſen zog er vor,
für jetzt noch klüglich zu ſchweigen.
Der fremdbrüderliche Liberalismus der dreißiger Jahre war mit
einem Schlage vernichtet. Niemand empfand dies ſchwerer als Rotteck,
den die tragiſche Gerechtigkeit des Schickſals eben jetzt, im November 1840,
inmitten der Lärmrufe der teutoniſchen Kriegsbegeiſterung aus dem
Leben abberief. Auf ſeine Weiſe hatte der ehrliche Doktrinär ſein Vater-
land immer geliebt; aber die Möglichkeit eines Krieges gegen das liberale
Frankreich war ihm während der letzten Jahre ganz unfaßbar geworden.
In der verwandelten Zeit fand er ſich nicht mehr zurecht, und noch auf
ſeinem Sterbebette fragte er traurig: in welche Hände wird nun das Ver-
nunftrecht kommen? Er ahnte nicht, daß dieſe Hände ſich niemals finden
ſollten. Die ſchöpferiſche Wiſſenſchaft war über die Träume des Ver-
nunftrechts längſt hinweggeſchritten, die verſtändigen Liberalen begannen
ſchon, nach Dahlmann’s Vorgang, ihre Ideale den gegebenen Zuſtänden
anzupaſſen; die jungen Schwarmgeiſter aber, die noch an das Wahnbild
eines unwandelbaren, in den Sternen geſchriebenen Rechtes glaubten,
gingen weit über Rotteck hinaus, ſie hofften auf ein Reich der unbedingten
Freiheit und Gleichheit. So ſtarb der Führer des badiſchen Liberalismus
zur rechten Zeit für ſeinen Ruhm, in einem Augenblicke, da er den Deut-
ſchen nichts mehr ſein konnte.
Zum erſten male ſeit unvordenklichen Zeiten war die deutſche Nation
mit ihren Fürſten ganz einig, und Metternich, der jetzt im Alter die
Dinge bequem zu nehmen liebte, meinte zufrieden, dieſe nationale Be-
wegung ſei ganz unberührt von den revolutionären Gedanken der Be-
freiungskriege. Czar Nikolaus dagegen ſagte beſorgt zu dem preußiſchen
Geſandten, es ſcheine rathſam die ſtürmiſche nationale Geſinnung der
Deutſchen zu überwachen, denn ſie äußere ſich am lauteſten in den Kreiſen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/102>, abgerufen am 23.11.2024.
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