Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite
V. 2. Die Kriegsgefahr.

Die Gesinnung der Nation sprach sich so unwiderstehlich aus, daß selbst
Jakob Venedey, der Häuptling der Pariser "Geächteten", der abgesagte
Feind Preußens nicht umhin konnte in seinem phrasenreichen Buche "der
Rhein" ehrlich einzugestehen, die Rheinfrage dürfe für deutsche Männer
keine Frage sein. Sogar in Oesterreich regte sich zuweilen das deutsche
Blut. Auf den Straßen Wiens wurde das Rheinlied gesungen, und
für den Oesterreichischen Beobachter, der vor Kurzem noch die höchst-
gefährliche Idee der deutschen Einheit so ingrimmig verfolgt hatte, schrieb
jetzt der junge Liberale Franz Schuselka die "deutschen Worte eines Oester-
reichers". Von den Gegnern wagten sich nur einzelne mit der Sprache
heraus; so W. Cornelius, der Demagog aus den Hambacher Zeiten, der
ließ in einem bissigen Gedichte den Vater Rhein seinen Sängern antworten:
"nennt mich weder deutsch noch frei." Heinrich Heine fühlte sich wie be-
täubt, als der kunstvolle Prachtbau der wälschen Phrasen des letzten Jahr-
zehntes so jählings zusammenbrach und die verhaßten Teutonen sich so
ungebärdig wider sein geliebtes Frankreich erhoben; indessen zog er vor,
für jetzt noch klüglich zu schweigen.

Der fremdbrüderliche Liberalismus der dreißiger Jahre war mit
einem Schlage vernichtet. Niemand empfand dies schwerer als Rotteck,
den die tragische Gerechtigkeit des Schicksals eben jetzt, im November 1840,
inmitten der Lärmrufe der teutonischen Kriegsbegeisterung aus dem
Leben abberief. Auf seine Weise hatte der ehrliche Doktrinär sein Vater-
land immer geliebt; aber die Möglichkeit eines Krieges gegen das liberale
Frankreich war ihm während der letzten Jahre ganz unfaßbar geworden.
In der verwandelten Zeit fand er sich nicht mehr zurecht, und noch auf
seinem Sterbebette fragte er traurig: in welche Hände wird nun das Ver-
nunftrecht kommen? Er ahnte nicht, daß diese Hände sich niemals finden
sollten. Die schöpferische Wissenschaft war über die Träume des Ver-
nunftrechts längst hinweggeschritten, die verständigen Liberalen begannen
schon, nach Dahlmann's Vorgang, ihre Ideale den gegebenen Zuständen
anzupassen; die jungen Schwarmgeister aber, die noch an das Wahnbild
eines unwandelbaren, in den Sternen geschriebenen Rechtes glaubten,
gingen weit über Rotteck hinaus, sie hofften auf ein Reich der unbedingten
Freiheit und Gleichheit. So starb der Führer des badischen Liberalismus
zur rechten Zeit für seinen Ruhm, in einem Augenblicke, da er den Deut-
schen nichts mehr sein konnte.

Zum ersten male seit unvordenklichen Zeiten war die deutsche Nation
mit ihren Fürsten ganz einig, und Metternich, der jetzt im Alter die
Dinge bequem zu nehmen liebte, meinte zufrieden, diese nationale Be-
wegung sei ganz unberührt von den revolutionären Gedanken der Be-
freiungskriege. Czar Nikolaus dagegen sagte besorgt zu dem preußischen
Gesandten, es scheine rathsam die stürmische nationale Gesinnung der
Deutschen zu überwachen, denn sie äußere sich am lautesten in den Kreisen

V. 2. Die Kriegsgefahr.

Die Geſinnung der Nation ſprach ſich ſo unwiderſtehlich aus, daß ſelbſt
Jakob Venedey, der Häuptling der Pariſer „Geächteten“, der abgeſagte
Feind Preußens nicht umhin konnte in ſeinem phraſenreichen Buche „der
Rhein“ ehrlich einzugeſtehen, die Rheinfrage dürfe für deutſche Männer
keine Frage ſein. Sogar in Oeſterreich regte ſich zuweilen das deutſche
Blut. Auf den Straßen Wiens wurde das Rheinlied geſungen, und
für den Oeſterreichiſchen Beobachter, der vor Kurzem noch die höchſt-
gefährliche Idee der deutſchen Einheit ſo ingrimmig verfolgt hatte, ſchrieb
jetzt der junge Liberale Franz Schuſelka die „deutſchen Worte eines Oeſter-
reichers“. Von den Gegnern wagten ſich nur einzelne mit der Sprache
heraus; ſo W. Cornelius, der Demagog aus den Hambacher Zeiten, der
ließ in einem biſſigen Gedichte den Vater Rhein ſeinen Sängern antworten:
„nennt mich weder deutſch noch frei.“ Heinrich Heine fühlte ſich wie be-
täubt, als der kunſtvolle Prachtbau der wälſchen Phraſen des letzten Jahr-
zehntes ſo jählings zuſammenbrach und die verhaßten Teutonen ſich ſo
ungebärdig wider ſein geliebtes Frankreich erhoben; indeſſen zog er vor,
für jetzt noch klüglich zu ſchweigen.

Der fremdbrüderliche Liberalismus der dreißiger Jahre war mit
einem Schlage vernichtet. Niemand empfand dies ſchwerer als Rotteck,
den die tragiſche Gerechtigkeit des Schickſals eben jetzt, im November 1840,
inmitten der Lärmrufe der teutoniſchen Kriegsbegeiſterung aus dem
Leben abberief. Auf ſeine Weiſe hatte der ehrliche Doktrinär ſein Vater-
land immer geliebt; aber die Möglichkeit eines Krieges gegen das liberale
Frankreich war ihm während der letzten Jahre ganz unfaßbar geworden.
In der verwandelten Zeit fand er ſich nicht mehr zurecht, und noch auf
ſeinem Sterbebette fragte er traurig: in welche Hände wird nun das Ver-
nunftrecht kommen? Er ahnte nicht, daß dieſe Hände ſich niemals finden
ſollten. Die ſchöpferiſche Wiſſenſchaft war über die Träume des Ver-
nunftrechts längſt hinweggeſchritten, die verſtändigen Liberalen begannen
ſchon, nach Dahlmann’s Vorgang, ihre Ideale den gegebenen Zuſtänden
anzupaſſen; die jungen Schwarmgeiſter aber, die noch an das Wahnbild
eines unwandelbaren, in den Sternen geſchriebenen Rechtes glaubten,
gingen weit über Rotteck hinaus, ſie hofften auf ein Reich der unbedingten
Freiheit und Gleichheit. So ſtarb der Führer des badiſchen Liberalismus
zur rechten Zeit für ſeinen Ruhm, in einem Augenblicke, da er den Deut-
ſchen nichts mehr ſein konnte.

Zum erſten male ſeit unvordenklichen Zeiten war die deutſche Nation
mit ihren Fürſten ganz einig, und Metternich, der jetzt im Alter die
Dinge bequem zu nehmen liebte, meinte zufrieden, dieſe nationale Be-
wegung ſei ganz unberührt von den revolutionären Gedanken der Be-
freiungskriege. Czar Nikolaus dagegen ſagte beſorgt zu dem preußiſchen
Geſandten, es ſcheine rathſam die ſtürmiſche nationale Geſinnung der
Deutſchen zu überwachen, denn ſie äußere ſich am lauteſten in den Kreiſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0102" n="88"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 2. Die Kriegsgefahr.</fw><lb/>
          <p>Die Ge&#x017F;innung der Nation &#x017F;prach &#x017F;ich &#x017F;o unwider&#x017F;tehlich aus, daß &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
Jakob Venedey, der Häuptling der Pari&#x017F;er &#x201E;Geächteten&#x201C;, der abge&#x017F;agte<lb/>
Feind Preußens nicht umhin konnte in &#x017F;einem phra&#x017F;enreichen Buche &#x201E;der<lb/>
Rhein&#x201C; ehrlich einzuge&#x017F;tehen, die Rheinfrage dürfe für deut&#x017F;che Männer<lb/>
keine Frage &#x017F;ein. Sogar in Oe&#x017F;terreich regte &#x017F;ich zuweilen das deut&#x017F;che<lb/>
Blut. Auf den Straßen Wiens wurde das Rheinlied ge&#x017F;ungen, und<lb/>
für den Oe&#x017F;terreichi&#x017F;chen Beobachter, der vor Kurzem noch die höch&#x017F;t-<lb/>
gefährliche Idee der deut&#x017F;chen Einheit &#x017F;o ingrimmig verfolgt hatte, &#x017F;chrieb<lb/>
jetzt der junge Liberale Franz Schu&#x017F;elka die &#x201E;deut&#x017F;chen Worte eines Oe&#x017F;ter-<lb/>
reichers&#x201C;. Von den Gegnern wagten &#x017F;ich nur einzelne mit der Sprache<lb/>
heraus; &#x017F;o W. Cornelius, der Demagog aus den Hambacher Zeiten, der<lb/>
ließ in einem bi&#x017F;&#x017F;igen Gedichte den Vater Rhein &#x017F;einen Sängern antworten:<lb/>
&#x201E;nennt mich weder deut&#x017F;ch noch frei.&#x201C; Heinrich Heine fühlte &#x017F;ich wie be-<lb/>
täubt, als der kun&#x017F;tvolle Prachtbau der wäl&#x017F;chen Phra&#x017F;en des letzten Jahr-<lb/>
zehntes &#x017F;o jählings zu&#x017F;ammenbrach und die verhaßten Teutonen &#x017F;ich &#x017F;o<lb/>
ungebärdig wider &#x017F;ein geliebtes Frankreich erhoben; inde&#x017F;&#x017F;en zog er vor,<lb/>
für jetzt noch klüglich zu &#x017F;chweigen.</p><lb/>
          <p>Der fremdbrüderliche Liberalismus der dreißiger Jahre war mit<lb/>
einem Schlage vernichtet. Niemand empfand dies &#x017F;chwerer als Rotteck,<lb/>
den die tragi&#x017F;che Gerechtigkeit des Schick&#x017F;als eben jetzt, im November 1840,<lb/>
inmitten der Lärmrufe der teutoni&#x017F;chen Kriegsbegei&#x017F;terung aus dem<lb/>
Leben abberief. Auf &#x017F;eine Wei&#x017F;e hatte der ehrliche Doktrinär &#x017F;ein Vater-<lb/>
land immer geliebt; aber die Möglichkeit eines Krieges gegen das liberale<lb/>
Frankreich war ihm während der letzten Jahre ganz unfaßbar geworden.<lb/>
In der verwandelten Zeit fand er &#x017F;ich nicht mehr zurecht, und noch auf<lb/>
&#x017F;einem Sterbebette fragte er traurig: in welche Hände wird nun das Ver-<lb/>
nunftrecht kommen? Er ahnte nicht, daß die&#x017F;e Hände &#x017F;ich niemals finden<lb/>
&#x017F;ollten. Die &#x017F;chöpferi&#x017F;che Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft war über die Träume des Ver-<lb/>
nunftrechts läng&#x017F;t hinwegge&#x017F;chritten, die ver&#x017F;tändigen Liberalen begannen<lb/>
&#x017F;chon, nach Dahlmann&#x2019;s Vorgang, ihre Ideale den gegebenen Zu&#x017F;tänden<lb/>
anzupa&#x017F;&#x017F;en; die jungen Schwarmgei&#x017F;ter aber, die noch an das Wahnbild<lb/>
eines unwandelbaren, in den Sternen ge&#x017F;chriebenen Rechtes glaubten,<lb/>
gingen weit über Rotteck hinaus, &#x017F;ie hofften auf ein Reich der unbedingten<lb/>
Freiheit und Gleichheit. So &#x017F;tarb der Führer des badi&#x017F;chen Liberalismus<lb/>
zur rechten Zeit für &#x017F;einen Ruhm, in einem Augenblicke, da er den Deut-<lb/>
&#x017F;chen nichts mehr &#x017F;ein konnte.</p><lb/>
          <p>Zum er&#x017F;ten male &#x017F;eit unvordenklichen Zeiten war die deut&#x017F;che Nation<lb/>
mit ihren Für&#x017F;ten ganz einig, und Metternich, der jetzt im Alter die<lb/>
Dinge bequem zu nehmen liebte, meinte zufrieden, die&#x017F;e nationale Be-<lb/>
wegung &#x017F;ei ganz unberührt von den revolutionären Gedanken der Be-<lb/>
freiungskriege. Czar Nikolaus dagegen &#x017F;agte be&#x017F;orgt zu dem preußi&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;andten, es &#x017F;cheine rath&#x017F;am die &#x017F;türmi&#x017F;che nationale Ge&#x017F;innung der<lb/>
Deut&#x017F;chen zu überwachen, denn &#x017F;ie äußere &#x017F;ich am laute&#x017F;ten in den Krei&#x017F;en<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0102] V. 2. Die Kriegsgefahr. Die Geſinnung der Nation ſprach ſich ſo unwiderſtehlich aus, daß ſelbſt Jakob Venedey, der Häuptling der Pariſer „Geächteten“, der abgeſagte Feind Preußens nicht umhin konnte in ſeinem phraſenreichen Buche „der Rhein“ ehrlich einzugeſtehen, die Rheinfrage dürfe für deutſche Männer keine Frage ſein. Sogar in Oeſterreich regte ſich zuweilen das deutſche Blut. Auf den Straßen Wiens wurde das Rheinlied geſungen, und für den Oeſterreichiſchen Beobachter, der vor Kurzem noch die höchſt- gefährliche Idee der deutſchen Einheit ſo ingrimmig verfolgt hatte, ſchrieb jetzt der junge Liberale Franz Schuſelka die „deutſchen Worte eines Oeſter- reichers“. Von den Gegnern wagten ſich nur einzelne mit der Sprache heraus; ſo W. Cornelius, der Demagog aus den Hambacher Zeiten, der ließ in einem biſſigen Gedichte den Vater Rhein ſeinen Sängern antworten: „nennt mich weder deutſch noch frei.“ Heinrich Heine fühlte ſich wie be- täubt, als der kunſtvolle Prachtbau der wälſchen Phraſen des letzten Jahr- zehntes ſo jählings zuſammenbrach und die verhaßten Teutonen ſich ſo ungebärdig wider ſein geliebtes Frankreich erhoben; indeſſen zog er vor, für jetzt noch klüglich zu ſchweigen. Der fremdbrüderliche Liberalismus der dreißiger Jahre war mit einem Schlage vernichtet. Niemand empfand dies ſchwerer als Rotteck, den die tragiſche Gerechtigkeit des Schickſals eben jetzt, im November 1840, inmitten der Lärmrufe der teutoniſchen Kriegsbegeiſterung aus dem Leben abberief. Auf ſeine Weiſe hatte der ehrliche Doktrinär ſein Vater- land immer geliebt; aber die Möglichkeit eines Krieges gegen das liberale Frankreich war ihm während der letzten Jahre ganz unfaßbar geworden. In der verwandelten Zeit fand er ſich nicht mehr zurecht, und noch auf ſeinem Sterbebette fragte er traurig: in welche Hände wird nun das Ver- nunftrecht kommen? Er ahnte nicht, daß dieſe Hände ſich niemals finden ſollten. Die ſchöpferiſche Wiſſenſchaft war über die Träume des Ver- nunftrechts längſt hinweggeſchritten, die verſtändigen Liberalen begannen ſchon, nach Dahlmann’s Vorgang, ihre Ideale den gegebenen Zuſtänden anzupaſſen; die jungen Schwarmgeiſter aber, die noch an das Wahnbild eines unwandelbaren, in den Sternen geſchriebenen Rechtes glaubten, gingen weit über Rotteck hinaus, ſie hofften auf ein Reich der unbedingten Freiheit und Gleichheit. So ſtarb der Führer des badiſchen Liberalismus zur rechten Zeit für ſeinen Ruhm, in einem Augenblicke, da er den Deut- ſchen nichts mehr ſein konnte. Zum erſten male ſeit unvordenklichen Zeiten war die deutſche Nation mit ihren Fürſten ganz einig, und Metternich, der jetzt im Alter die Dinge bequem zu nehmen liebte, meinte zufrieden, dieſe nationale Be- wegung ſei ganz unberührt von den revolutionären Gedanken der Be- freiungskriege. Czar Nikolaus dagegen ſagte beſorgt zu dem preußiſchen Geſandten, es ſcheine rathſam die ſtürmiſche nationale Geſinnung der Deutſchen zu überwachen, denn ſie äußere ſich am lauteſten in den Kreiſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/102
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/102>, abgerufen am 23.11.2024.