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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
reichs Hilfe und erbot sich, die Krone der Jagellonen irgend einem Erz-
herzoge, welcher es auch sei, zu verschaffen.*)

Das Alles war verlorene Mühe, obwohl die polnischen Blätter be-
ständig von der günstigen Gesinnung des Wiener Hofes fabelten. Andert-
halb Jahre früher, zur Zeit des Türkenkrieges, hätte Metternich die pol-
nische Revolution vielleicht willkommen geheißen; jetzt da er den Bund
der Ostmächte wieder fester zu schließen suchte, war sie ihm nur "eine
Revolution wie alle anderen". Eine Hinterthür hielt er sich freilich offen,
indem er den k. k. Consul Oechsner, zum Befremden des Czaren, während
des Krieges in Warschau bleiben ließ; jedoch die Erwählung eines Erz-
herzogs wies er als einen "absurden" Gedanken kurzweg ab. Um seinen
Abscheu kräftig zu bekunden, bereicherte er sogar das Wörterbuch seiner
Angst-Sprache um eine sechste Metapher und nannte dies Polen "ein
Pulvermagazin", das alle Nachbarn in die Luft zu sprengen drohe. Auch
Gentz, der alte Gegner Rußlands, mußte zugestehen, daß Oesterreich jetzt
nicht viel anders handeln durfte als Preußen. In der That gab Kaiser
Franz den Polen fast dieselbe Antwort wie König Friedrich Wilhelm;
nur dem Fürsten Czartoryski, der bei Hofe wohlgelitten war, und einigen
seiner Standesgenossen versprach man unter der Hand ein Asyl in
Oesterreich. Die galizische Grenze wurde stark besetzt und dem russischen
Heere die Zufuhr von Lebensmitteln freundnachbarlich gestattet.

Da die Ostmächte fest zusammenstanden, so konnte Czar Nikolaus
sich jede Einmischung Frankreichs von Haus aus scharf verbitten. In
hoffärtigem Tone schrieb Nesselrode nach Paris: "Wenn die Regierung
des Königs Ludwig Philipp bisher scheinbar mit Ungeduld den rechten
Augenblick erwartet hat um Europa eine Bürgschaft der Sicherheit zu
geben und sich das Vertrauen des Kaisers zu erwerben, so darf sie nicht
versäumen, die gegenwärtige Gelegenheit weise zu benutzen. Ihre Würde
wie ihr Interesse gebieten ihr dies zu thun."**) Die herrische Mahnung
fand willige Hörer. Ludwig Philipp wußte wohl, daß der völlig aus-
sichtslose Versuch in die polnischen Händel einzugreifen, nur den Feinden
seines Hauses zu gute kommen konnte. Denn obwohl alle Parteien
Frankreichs für dies Belgien des Ostens, dies "liberale und katholische
Volk, den natürlichen Bundesgenossen der Franzosen" schwärmten, so
zeichneten sich doch die Republikaner und die verkappten Bonapartisten
durch verdächtigen Eifer aus. Dieselben Blätter, welche den Grundsatz
der Nicht-Einmischung als die Heilswahrheit neu-französischer Freiheit
priesen, forderten mit der unbefangenen Logik des Radicalismus die
Einmischung zu Gunsten der Polen. Der greise Lafayette erhob in einer
schwülstigen Erklärung feierlichen Einspruch gegen das Vorgehen der

*) Maltzahn's Berichte, 18. 28. Januar, 21. Februar, 4. September 1831.
**) Nesselrode, Weisung an Pozzo di Borgo, 28. Nov. (a. St.) 1830.

IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
reichs Hilfe und erbot ſich, die Krone der Jagellonen irgend einem Erz-
herzoge, welcher es auch ſei, zu verſchaffen.*)

Das Alles war verlorene Mühe, obwohl die polniſchen Blätter be-
ſtändig von der günſtigen Geſinnung des Wiener Hofes fabelten. Andert-
halb Jahre früher, zur Zeit des Türkenkrieges, hätte Metternich die pol-
niſche Revolution vielleicht willkommen geheißen; jetzt da er den Bund
der Oſtmächte wieder feſter zu ſchließen ſuchte, war ſie ihm nur „eine
Revolution wie alle anderen“. Eine Hinterthür hielt er ſich freilich offen,
indem er den k. k. Conſul Oechsner, zum Befremden des Czaren, während
des Krieges in Warſchau bleiben ließ; jedoch die Erwählung eines Erz-
herzogs wies er als einen „abſurden“ Gedanken kurzweg ab. Um ſeinen
Abſcheu kräftig zu bekunden, bereicherte er ſogar das Wörterbuch ſeiner
Angſt-Sprache um eine ſechſte Metapher und nannte dies Polen „ein
Pulvermagazin“, das alle Nachbarn in die Luft zu ſprengen drohe. Auch
Gentz, der alte Gegner Rußlands, mußte zugeſtehen, daß Oeſterreich jetzt
nicht viel anders handeln durfte als Preußen. In der That gab Kaiſer
Franz den Polen faſt dieſelbe Antwort wie König Friedrich Wilhelm;
nur dem Fürſten Czartoryski, der bei Hofe wohlgelitten war, und einigen
ſeiner Standesgenoſſen verſprach man unter der Hand ein Aſyl in
Oeſterreich. Die galiziſche Grenze wurde ſtark beſetzt und dem ruſſiſchen
Heere die Zufuhr von Lebensmitteln freundnachbarlich geſtattet.

Da die Oſtmächte feſt zuſammenſtanden, ſo konnte Czar Nikolaus
ſich jede Einmiſchung Frankreichs von Haus aus ſcharf verbitten. In
hoffärtigem Tone ſchrieb Neſſelrode nach Paris: „Wenn die Regierung
des Königs Ludwig Philipp bisher ſcheinbar mit Ungeduld den rechten
Augenblick erwartet hat um Europa eine Bürgſchaft der Sicherheit zu
geben und ſich das Vertrauen des Kaiſers zu erwerben, ſo darf ſie nicht
verſäumen, die gegenwärtige Gelegenheit weiſe zu benutzen. Ihre Würde
wie ihr Intereſſe gebieten ihr dies zu thun.“**) Die herriſche Mahnung
fand willige Hörer. Ludwig Philipp wußte wohl, daß der völlig aus-
ſichtsloſe Verſuch in die polniſchen Händel einzugreifen, nur den Feinden
ſeines Hauſes zu gute kommen konnte. Denn obwohl alle Parteien
Frankreichs für dies Belgien des Oſtens, dies „liberale und katholiſche
Volk, den natürlichen Bundesgenoſſen der Franzoſen“ ſchwärmten, ſo
zeichneten ſich doch die Republikaner und die verkappten Bonapartiſten
durch verdächtigen Eifer aus. Dieſelben Blätter, welche den Grundſatz
der Nicht-Einmiſchung als die Heilswahrheit neu-franzöſiſcher Freiheit
prieſen, forderten mit der unbefangenen Logik des Radicalismus die
Einmiſchung zu Gunſten der Polen. Der greiſe Lafayette erhob in einer
ſchwülſtigen Erklärung feierlichen Einſpruch gegen das Vorgehen der

*) Maltzahn’s Berichte, 18. 28. Januar, 21. Februar, 4. September 1831.
**) Neſſelrode, Weiſung an Pozzo di Borgo, 28. Nov. (a. St.) 1830.
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[64/0078] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. reichs Hilfe und erbot ſich, die Krone der Jagellonen irgend einem Erz- herzoge, welcher es auch ſei, zu verſchaffen. *) Das Alles war verlorene Mühe, obwohl die polniſchen Blätter be- ſtändig von der günſtigen Geſinnung des Wiener Hofes fabelten. Andert- halb Jahre früher, zur Zeit des Türkenkrieges, hätte Metternich die pol- niſche Revolution vielleicht willkommen geheißen; jetzt da er den Bund der Oſtmächte wieder feſter zu ſchließen ſuchte, war ſie ihm nur „eine Revolution wie alle anderen“. Eine Hinterthür hielt er ſich freilich offen, indem er den k. k. Conſul Oechsner, zum Befremden des Czaren, während des Krieges in Warſchau bleiben ließ; jedoch die Erwählung eines Erz- herzogs wies er als einen „abſurden“ Gedanken kurzweg ab. Um ſeinen Abſcheu kräftig zu bekunden, bereicherte er ſogar das Wörterbuch ſeiner Angſt-Sprache um eine ſechſte Metapher und nannte dies Polen „ein Pulvermagazin“, das alle Nachbarn in die Luft zu ſprengen drohe. Auch Gentz, der alte Gegner Rußlands, mußte zugeſtehen, daß Oeſterreich jetzt nicht viel anders handeln durfte als Preußen. In der That gab Kaiſer Franz den Polen faſt dieſelbe Antwort wie König Friedrich Wilhelm; nur dem Fürſten Czartoryski, der bei Hofe wohlgelitten war, und einigen ſeiner Standesgenoſſen verſprach man unter der Hand ein Aſyl in Oeſterreich. Die galiziſche Grenze wurde ſtark beſetzt und dem ruſſiſchen Heere die Zufuhr von Lebensmitteln freundnachbarlich geſtattet. Da die Oſtmächte feſt zuſammenſtanden, ſo konnte Czar Nikolaus ſich jede Einmiſchung Frankreichs von Haus aus ſcharf verbitten. In hoffärtigem Tone ſchrieb Neſſelrode nach Paris: „Wenn die Regierung des Königs Ludwig Philipp bisher ſcheinbar mit Ungeduld den rechten Augenblick erwartet hat um Europa eine Bürgſchaft der Sicherheit zu geben und ſich das Vertrauen des Kaiſers zu erwerben, ſo darf ſie nicht verſäumen, die gegenwärtige Gelegenheit weiſe zu benutzen. Ihre Würde wie ihr Intereſſe gebieten ihr dies zu thun.“ **) Die herriſche Mahnung fand willige Hörer. Ludwig Philipp wußte wohl, daß der völlig aus- ſichtsloſe Verſuch in die polniſchen Händel einzugreifen, nur den Feinden ſeines Hauſes zu gute kommen konnte. Denn obwohl alle Parteien Frankreichs für dies Belgien des Oſtens, dies „liberale und katholiſche Volk, den natürlichen Bundesgenoſſen der Franzoſen“ ſchwärmten, ſo zeichneten ſich doch die Republikaner und die verkappten Bonapartiſten durch verdächtigen Eifer aus. Dieſelben Blätter, welche den Grundſatz der Nicht-Einmiſchung als die Heilswahrheit neu-franzöſiſcher Freiheit prieſen, forderten mit der unbefangenen Logik des Radicalismus die Einmiſchung zu Gunſten der Polen. Der greiſe Lafayette erhob in einer ſchwülſtigen Erklärung feierlichen Einſpruch gegen das Vorgehen der *) Maltzahn’s Berichte, 18. 28. Januar, 21. Februar, 4. September 1831. **) Neſſelrode, Weiſung an Pozzo di Borgo, 28. Nov. (a. St.) 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/78>, abgerufen am 27.11.2024.