furter Metzgern zu öffnen und das Sturmläuten zu besorgen. Einzelne Frankfurter sollten verschiedene Herren der städtischen Regierung und Polizei arretiren.
Am 3. Abends versammelten wir von der ersten Rotte uns in der Wohnung Bunsen's, in der Münze. Wir erhielten dort Flinten und eine Anzahl Patronen und Punkt 9 Uhr brachen wir, etwa 15 Mann hoch, auf über den Roßmarkt zur Haupt- wache, die stärker besetzt war als gewöhnlich, denn die Frankfurter Behörden hatten Wind bekommen, es solle heute losgeschlagen werden. Wir stürzten uns sofort auf die außer- halb aufgestellten Flinten und nahmen sie weg; es fielen einige Schüsse. Der Leutnant, der auf der Wache das Commando hatte, flüchtete durch ein hinteres Fenster als wir in die Stube drangen. Damit war hier die Sache fertig. Man hörte Sturmläuten. Eine Masse Volk sammelte sich vor der Hauptwache, aber Niemand ließ sich bewegen von den Flinten zu ergreifen und mit uns zu helfen an der Befreiung Deutschlands. Die entwaffneten Soldaten verhielten sich ebenfalls passiv. Wir warteten nun eine Zeit lang unthätig den weiteren Verlauf der Dinge ab, bis wir von der Zeil her Schüsse hörten und sich das Gerücht verbreitete, es rücke Militär heran. Wir zogen nun die Zeil hinab gegen die Constabler-Wache und hier entspann sich ein kleines Gefecht; es wurde herüber und hinüber geschossen. Die Kanonen konnten glücklicher Weise nicht verwendet werden, da der betreffende Herr den Schlüssel zum Zeughausthor nicht fand. Wir paar Stu- denten, die noch vor der Constabler-Wache beisammen waren, hielten bald für gerathen, der großen Ueberzahl zu weichen. Wir gingen die Allerheiligenstraße hinaus bis zum Hanauer Thor, wo alles still war; hier legten wir unsere Flinten vorläufig in einem im Bau begriffenen Hause ab und gingen wieder gegen die Zeil vor; wir fanden die Constabler-Wache stark von Militär besetzt; ebenso die Hauptwache; Patrouillen durch- zogen die Straßen und der regierende Bürgermeister kam in offener Chaise daher ge- fahren, an das Volk, das herbeigeströmt war, beruhigende Reden haltend. Schließlich ging ich etwa halb elf in den Gasthof zurück, wo ich meine Freunde antraf. Wir be- riethen, was thun und waren der Ansicht, ruhig abzuwarten, was weiter geschehe und für uns zu thun sei. Ich speciell dachte nicht daran mich zu verbergen, was ich wohl leicht hätte thun können bei unseren Ebenauvettern. Wir gingen zu Bett. Als ich mich auszog, fand sich mein linker Hemdärmel blutig und zerrissen. In einer ziemlich ober- flächlichen Wunde am linken Oberarm stak eine breitgeschlagene Kugel; ich hatte einen Prellschuß erhalten und in der Aufregung nichts davon gespürt. Ich ließ mir mittelst Heftpflaster, das ich bei mir trug, die Wunde verbinden, und war wenigstens so vor- sichtig, das blutige Hemd in den Abtritt zu werfen. Ich schlief gut. Mitten in der Nacht geweckt, sah ich Polizeimänner vor meinem Bett stehen. Ich wurde nach meinem Namen gefragt und nach der Absicht meines Hierseins. Ich gab an, ich sei auf der Reise zu Verwandten im Nassauischen. Man bedeutete mir, ich sei so gut wie arretirt, dürfe einstweilen nicht weggehen. Polizeidiener bewachten uns in den Hausgängen. Am anderen Morgen wurden wir einzeln abgeholt und auf die Constabler-Wache geführt. Hier ward ich in ein Gefängniß gesperrt aus Mangel an Platz zu einem wegen Preß- unfug inhaftirten Frankfurter Bürger Namens Rottenstein. Dessen Frau brachte ihm täglich Bier und Mittags Kaffee. -- Er theilte dies, so wie sein Bett, redlich mit mir. Die blecherne Kaffeekanne hatte einen doppelten Boden, und derart wurden kleine Be- dürfnisse, Papier, Bleistift u. s. w. eingeschmuggelt, und ich kam in Correspondenz mit außen, insbesondere mit einem Fräulein Stolze, die ich nie gesehen. So erhielten wir auch Nadel und Faden, womit mir Rottenstein das Loch im linken Rockärmel sehr kunst- gerecht zunähte.
Am 5. April sah ich von meinem Fenster aus (es waren noch keine Kasten davor angebracht) eine größere Zahl Bauern die Friedberger Straße her unter militärischer Be- deckung einziehen. Es waren das die Bauern, meist von Bonames, die am Abend des 3. April das Friedberger Thor gestürmt hatten, und jetzt eingesteckt wurden. Unter dem warmen Bedauern für diese armen Teufel, die jedenfalls ohne zu wissen wie zu Hochver-
XXII. Das Frankfurter Attentat.
furter Metzgern zu öffnen und das Sturmläuten zu beſorgen. Einzelne Frankfurter ſollten verſchiedene Herren der ſtädtiſchen Regierung und Polizei arretiren.
Am 3. Abends verſammelten wir von der erſten Rotte uns in der Wohnung Bunſen’s, in der Münze. Wir erhielten dort Flinten und eine Anzahl Patronen und Punkt 9 Uhr brachen wir, etwa 15 Mann hoch, auf über den Roßmarkt zur Haupt- wache, die ſtärker beſetzt war als gewöhnlich, denn die Frankfurter Behörden hatten Wind bekommen, es ſolle heute losgeſchlagen werden. Wir ſtürzten uns ſofort auf die außer- halb aufgeſtellten Flinten und nahmen ſie weg; es fielen einige Schüſſe. Der Leutnant, der auf der Wache das Commando hatte, flüchtete durch ein hinteres Fenſter als wir in die Stube drangen. Damit war hier die Sache fertig. Man hörte Sturmläuten. Eine Maſſe Volk ſammelte ſich vor der Hauptwache, aber Niemand ließ ſich bewegen von den Flinten zu ergreifen und mit uns zu helfen an der Befreiung Deutſchlands. Die entwaffneten Soldaten verhielten ſich ebenfalls paſſiv. Wir warteten nun eine Zeit lang unthätig den weiteren Verlauf der Dinge ab, bis wir von der Zeil her Schüſſe hörten und ſich das Gerücht verbreitete, es rücke Militär heran. Wir zogen nun die Zeil hinab gegen die Conſtabler-Wache und hier entſpann ſich ein kleines Gefecht; es wurde herüber und hinüber geſchoſſen. Die Kanonen konnten glücklicher Weiſe nicht verwendet werden, da der betreffende Herr den Schlüſſel zum Zeughausthor nicht fand. Wir paar Stu- denten, die noch vor der Conſtabler-Wache beiſammen waren, hielten bald für gerathen, der großen Ueberzahl zu weichen. Wir gingen die Allerheiligenſtraße hinaus bis zum Hanauer Thor, wo alles ſtill war; hier legten wir unſere Flinten vorläufig in einem im Bau begriffenen Hauſe ab und gingen wieder gegen die Zeil vor; wir fanden die Conſtabler-Wache ſtark von Militär beſetzt; ebenſo die Hauptwache; Patrouillen durch- zogen die Straßen und der regierende Bürgermeiſter kam in offener Chaiſe daher ge- fahren, an das Volk, das herbeigeſtrömt war, beruhigende Reden haltend. Schließlich ging ich etwa halb elf in den Gaſthof zurück, wo ich meine Freunde antraf. Wir be- riethen, was thun und waren der Anſicht, ruhig abzuwarten, was weiter geſchehe und für uns zu thun ſei. Ich ſpeciell dachte nicht daran mich zu verbergen, was ich wohl leicht hätte thun können bei unſeren Ebenauvettern. Wir gingen zu Bett. Als ich mich auszog, fand ſich mein linker Hemdärmel blutig und zerriſſen. In einer ziemlich ober- flächlichen Wunde am linken Oberarm ſtak eine breitgeſchlagene Kugel; ich hatte einen Prellſchuß erhalten und in der Aufregung nichts davon geſpürt. Ich ließ mir mittelſt Heftpflaſter, das ich bei mir trug, die Wunde verbinden, und war wenigſtens ſo vor- ſichtig, das blutige Hemd in den Abtritt zu werfen. Ich ſchlief gut. Mitten in der Nacht geweckt, ſah ich Polizeimänner vor meinem Bett ſtehen. Ich wurde nach meinem Namen gefragt und nach der Abſicht meines Hierſeins. Ich gab an, ich ſei auf der Reiſe zu Verwandten im Naſſauiſchen. Man bedeutete mir, ich ſei ſo gut wie arretirt, dürfe einſtweilen nicht weggehen. Polizeidiener bewachten uns in den Hausgängen. Am anderen Morgen wurden wir einzeln abgeholt und auf die Conſtabler-Wache geführt. Hier ward ich in ein Gefängniß geſperrt aus Mangel an Platz zu einem wegen Preß- unfug inhaftirten Frankfurter Bürger Namens Rottenſtein. Deſſen Frau brachte ihm täglich Bier und Mittags Kaffee. — Er theilte dies, ſo wie ſein Bett, redlich mit mir. Die blecherne Kaffeekanne hatte einen doppelten Boden, und derart wurden kleine Be- dürfniſſe, Papier, Bleiſtift u. ſ. w. eingeſchmuggelt, und ich kam in Correſpondenz mit außen, insbeſondere mit einem Fräulein Stolze, die ich nie geſehen. So erhielten wir auch Nadel und Faden, womit mir Rottenſtein das Loch im linken Rockärmel ſehr kunſt- gerecht zunähte.
Am 5. April ſah ich von meinem Fenſter aus (es waren noch keine Kaſten davor angebracht) eine größere Zahl Bauern die Friedberger Straße her unter militäriſcher Be- deckung einziehen. Es waren das die Bauern, meiſt von Bonames, die am Abend des 3. April das Friedberger Thor geſtürmt hatten, und jetzt eingeſteckt wurden. Unter dem warmen Bedauern für dieſe armen Teufel, die jedenfalls ohne zu wiſſen wie zu Hochver-
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[747/0761]
XXII. Das Frankfurter Attentat.
furter Metzgern zu öffnen und das Sturmläuten zu beſorgen. Einzelne Frankfurter
ſollten verſchiedene Herren der ſtädtiſchen Regierung und Polizei arretiren.
Am 3. Abends verſammelten wir von der erſten Rotte uns in der Wohnung
Bunſen’s, in der Münze. Wir erhielten dort Flinten und eine Anzahl Patronen und
Punkt 9 Uhr brachen wir, etwa 15 Mann hoch, auf über den Roßmarkt zur Haupt-
wache, die ſtärker beſetzt war als gewöhnlich, denn die Frankfurter Behörden hatten Wind
bekommen, es ſolle heute losgeſchlagen werden. Wir ſtürzten uns ſofort auf die außer-
halb aufgeſtellten Flinten und nahmen ſie weg; es fielen einige Schüſſe. Der Leutnant,
der auf der Wache das Commando hatte, flüchtete durch ein hinteres Fenſter als wir
in die Stube drangen. Damit war hier die Sache fertig. Man hörte Sturmläuten.
Eine Maſſe Volk ſammelte ſich vor der Hauptwache, aber Niemand ließ ſich bewegen von
den Flinten zu ergreifen und mit uns zu helfen an der Befreiung Deutſchlands. Die
entwaffneten Soldaten verhielten ſich ebenfalls paſſiv. Wir warteten nun eine Zeit lang
unthätig den weiteren Verlauf der Dinge ab, bis wir von der Zeil her Schüſſe hörten
und ſich das Gerücht verbreitete, es rücke Militär heran. Wir zogen nun die Zeil hinab
gegen die Conſtabler-Wache und hier entſpann ſich ein kleines Gefecht; es wurde herüber
und hinüber geſchoſſen. Die Kanonen konnten glücklicher Weiſe nicht verwendet werden,
da der betreffende Herr den Schlüſſel zum Zeughausthor nicht fand. Wir paar Stu-
denten, die noch vor der Conſtabler-Wache beiſammen waren, hielten bald für gerathen,
der großen Ueberzahl zu weichen. Wir gingen die Allerheiligenſtraße hinaus bis zum
Hanauer Thor, wo alles ſtill war; hier legten wir unſere Flinten vorläufig in einem
im Bau begriffenen Hauſe ab und gingen wieder gegen die Zeil vor; wir fanden die
Conſtabler-Wache ſtark von Militär beſetzt; ebenſo die Hauptwache; Patrouillen durch-
zogen die Straßen und der regierende Bürgermeiſter kam in offener Chaiſe daher ge-
fahren, an das Volk, das herbeigeſtrömt war, beruhigende Reden haltend. Schließlich
ging ich etwa halb elf in den Gaſthof zurück, wo ich meine Freunde antraf. Wir be-
riethen, was thun und waren der Anſicht, ruhig abzuwarten, was weiter geſchehe und
für uns zu thun ſei. Ich ſpeciell dachte nicht daran mich zu verbergen, was ich wohl
leicht hätte thun können bei unſeren Ebenauvettern. Wir gingen zu Bett. Als ich mich
auszog, fand ſich mein linker Hemdärmel blutig und zerriſſen. In einer ziemlich ober-
flächlichen Wunde am linken Oberarm ſtak eine breitgeſchlagene Kugel; ich hatte einen
Prellſchuß erhalten und in der Aufregung nichts davon geſpürt. Ich ließ mir mittelſt
Heftpflaſter, das ich bei mir trug, die Wunde verbinden, und war wenigſtens ſo vor-
ſichtig, das blutige Hemd in den Abtritt zu werfen. Ich ſchlief gut. Mitten in der
Nacht geweckt, ſah ich Polizeimänner vor meinem Bett ſtehen. Ich wurde nach meinem
Namen gefragt und nach der Abſicht meines Hierſeins. Ich gab an, ich ſei auf der
Reiſe zu Verwandten im Naſſauiſchen. Man bedeutete mir, ich ſei ſo gut wie arretirt,
dürfe einſtweilen nicht weggehen. Polizeidiener bewachten uns in den Hausgängen. Am
anderen Morgen wurden wir einzeln abgeholt und auf die Conſtabler-Wache geführt.
Hier ward ich in ein Gefängniß geſperrt aus Mangel an Platz zu einem wegen Preß-
unfug inhaftirten Frankfurter Bürger Namens Rottenſtein. Deſſen Frau brachte ihm
täglich Bier und Mittags Kaffee. — Er theilte dies, ſo wie ſein Bett, redlich mit mir.
Die blecherne Kaffeekanne hatte einen doppelten Boden, und derart wurden kleine Be-
dürfniſſe, Papier, Bleiſtift u. ſ. w. eingeſchmuggelt, und ich kam in Correſpondenz mit
außen, insbeſondere mit einem Fräulein Stolze, die ich nie geſehen. So erhielten wir
auch Nadel und Faden, womit mir Rottenſtein das Loch im linken Rockärmel ſehr kunſt-
gerecht zunähte.
Am 5. April ſah ich von meinem Fenſter aus (es waren noch keine Kaſten davor
angebracht) eine größere Zahl Bauern die Friedberger Straße her unter militäriſcher Be-
deckung einziehen. Es waren das die Bauern, meiſt von Bonames, die am Abend des
3. April das Friedberger Thor geſtürmt hatten, und jetzt eingeſteckt wurden. Unter dem
warmen Bedauern für dieſe armen Teufel, die jedenfalls ohne zu wiſſen wie zu Hochver-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 747. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/761>, abgerufen am 24.11.2024.
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