das unzuverlässige litthauische Corps des Generals Rosen, und bald sah sich Diebitsch genöthigt noch weiter ostwärts zurückzugehen. Die Garden trafen auf ihrem Pariser Siegeszuge grade noch rechtzeitig ein um in Polen das Verderben aufzuhalten. Ein langer und schwerer Krieg stand bevor; mit heller Schadenfreude verkündeten die europäischen Zeitungen, wie schwach der gefürchtete nordische Koloß sich erwiesen habe. Auf viele Monate hinaus war Rußland außer Stande in die Händel Westeuropas thätig einzugreifen. --
Aber auch die beiden anderen Theilungsmächte wurden durch die polnische Revolution gelähmt. Wieder wie einst beim Beginne des ersten Revolutionskrieges stand Preußen in Gefahr zwischen zwei Feuer zu ge- rathen; kein preußischer Staatsmann durfte verkennen, was die Pflicht der Selbsterhaltung gebot. Blieb der Aufstand in Warschau siegreich, so waren Posen und Westpreußen schwer gefährdet, und in Frankreich gelangte voraussichtlich die Partei der revolutionären Propaganda ans Ruder. An dieser handgreiflichen Wahrheit konnten die glatten Worte der Polen nichts ändern. Graf Titus Dzialynski, das Oberhaupt der Posener Verschwörer, eilte sobald die Revolution ausgebrochen war, nach Warschau, um anzufragen, ob eine Schilderhebung in Posen rathsam sei. Die provisorische Regierung aber, die noch unter Czartoryski's behutsamer Leitung stand, wies ihn ab und beeilte sich, in einem um einen Tag vordatirten Briefe dem preußischen Consul Schmidt unaufgefordert zu erklären: sie hege "die feste Absicht, gewissenhaft die Grenzen aller Staaten Sr. Maj. des Königs von Preußen zu achten." Zum Ueberfluß kam der harmlose Posener Graf selber zu dem Consul und versicherte gemüth- lich, er sei nur nach Warschau gereist um seine Mutter zu besuchen.*) Wen sollten solche Künste täuschen? Während Tag für Tag Ueberläufer aus Preußen in das polnische Heer eintraten -- darunter auch der aus Glogau entflohene General Uminski -- und sogar eine Posener Reitertruppe ge- bildet wurde, rechneten die Warschauer Gewalthaber noch immer auf die deutsche Gutherzigkeit und ließen den König durch General Kniaziewicz um seine Vermittlung bitten. Friedrich Wilhelm lehnte das Gesuch schroff ab und gab den Aufständischen den Rath, sich ihrem Könige zu unter- werfen.**) Er durfte in ihnen nur Feinde seines eigenen Staates sehen, rief seinen Consul aus Warschau zurück und stellte die in Berlin verwahrten Gelder der polnischen Bank dem rechtmäßigen Könige zur Verfügung.
Als die Dinge ernster wurden, ließ er die 130 Meilen lange Grenz- linie durch Truppen der vier östlichen Armeecorps besetzen. Gneisenau
*) Schreiben der Provisorischen Regierung an Schmidt, 4. December. Schmidt's Berichte, 5. 9. December 1830.
**) Schmidt's Bericht, 27. December 1830. Ancillon's Weisung an Schöler 19. Ja- nuar 1831.
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
das unzuverläſſige litthauiſche Corps des Generals Roſen, und bald ſah ſich Diebitſch genöthigt noch weiter oſtwärts zurückzugehen. Die Garden trafen auf ihrem Pariſer Siegeszuge grade noch rechtzeitig ein um in Polen das Verderben aufzuhalten. Ein langer und ſchwerer Krieg ſtand bevor; mit heller Schadenfreude verkündeten die europäiſchen Zeitungen, wie ſchwach der gefürchtete nordiſche Koloß ſich erwieſen habe. Auf viele Monate hinaus war Rußland außer Stande in die Händel Weſteuropas thätig einzugreifen. —
Aber auch die beiden anderen Theilungsmächte wurden durch die polniſche Revolution gelähmt. Wieder wie einſt beim Beginne des erſten Revolutionskrieges ſtand Preußen in Gefahr zwiſchen zwei Feuer zu ge- rathen; kein preußiſcher Staatsmann durfte verkennen, was die Pflicht der Selbſterhaltung gebot. Blieb der Aufſtand in Warſchau ſiegreich, ſo waren Poſen und Weſtpreußen ſchwer gefährdet, und in Frankreich gelangte vorausſichtlich die Partei der revolutionären Propaganda ans Ruder. An dieſer handgreiflichen Wahrheit konnten die glatten Worte der Polen nichts ändern. Graf Titus Dzialynski, das Oberhaupt der Poſener Verſchwörer, eilte ſobald die Revolution ausgebrochen war, nach Warſchau, um anzufragen, ob eine Schilderhebung in Poſen rathſam ſei. Die proviſoriſche Regierung aber, die noch unter Czartoryski’s behutſamer Leitung ſtand, wies ihn ab und beeilte ſich, in einem um einen Tag vordatirten Briefe dem preußiſchen Conſul Schmidt unaufgefordert zu erklären: ſie hege „die feſte Abſicht, gewiſſenhaft die Grenzen aller Staaten Sr. Maj. des Königs von Preußen zu achten.“ Zum Ueberfluß kam der harmloſe Poſener Graf ſelber zu dem Conſul und verſicherte gemüth- lich, er ſei nur nach Warſchau gereiſt um ſeine Mutter zu beſuchen.*) Wen ſollten ſolche Künſte täuſchen? Während Tag für Tag Ueberläufer aus Preußen in das polniſche Heer eintraten — darunter auch der aus Glogau entflohene General Uminski — und ſogar eine Poſener Reitertruppe ge- bildet wurde, rechneten die Warſchauer Gewalthaber noch immer auf die deutſche Gutherzigkeit und ließen den König durch General Kniaziewicz um ſeine Vermittlung bitten. Friedrich Wilhelm lehnte das Geſuch ſchroff ab und gab den Aufſtändiſchen den Rath, ſich ihrem Könige zu unter- werfen.**) Er durfte in ihnen nur Feinde ſeines eigenen Staates ſehen, rief ſeinen Conſul aus Warſchau zurück und ſtellte die in Berlin verwahrten Gelder der polniſchen Bank dem rechtmäßigen Könige zur Verfügung.
Als die Dinge ernſter wurden, ließ er die 130 Meilen lange Grenz- linie durch Truppen der vier öſtlichen Armeecorps beſetzen. Gneiſenau
*) Schreiben der Proviſoriſchen Regierung an Schmidt, 4. December. Schmidt’s Berichte, 5. 9. December 1830.
**) Schmidt’s Bericht, 27. December 1830. Ancillon’s Weiſung an Schöler 19. Ja- nuar 1831.
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ſich Diebitſch genöthigt noch weiter oſtwärts zurückzugehen. Die Garden
trafen auf ihrem Pariſer Siegeszuge grade noch rechtzeitig ein um in
Polen das Verderben aufzuhalten. Ein langer und ſchwerer Krieg ſtand
bevor; mit heller Schadenfreude verkündeten die europäiſchen Zeitungen,
wie ſchwach der gefürchtete nordiſche Koloß ſich erwieſen habe. Auf viele
Monate hinaus war Rußland außer Stande in die Händel Weſteuropas
thätig einzugreifen. —
Aber auch die beiden anderen Theilungsmächte wurden durch die
polniſche Revolution gelähmt. Wieder wie einſt beim Beginne des erſten
Revolutionskrieges ſtand Preußen in Gefahr zwiſchen zwei Feuer zu ge-
rathen; kein preußiſcher Staatsmann durfte verkennen, was die Pflicht
der Selbſterhaltung gebot. Blieb der Aufſtand in Warſchau ſiegreich, ſo
waren Poſen und Weſtpreußen ſchwer gefährdet, und in Frankreich gelangte
vorausſichtlich die Partei der revolutionären Propaganda ans Ruder.
An dieſer handgreiflichen Wahrheit konnten die glatten Worte der Polen
nichts ändern. Graf Titus Dzialynski, das Oberhaupt der Poſener
Verſchwörer, eilte ſobald die Revolution ausgebrochen war, nach Warſchau,
um anzufragen, ob eine Schilderhebung in Poſen rathſam ſei. Die
proviſoriſche Regierung aber, die noch unter Czartoryski’s behutſamer
Leitung ſtand, wies ihn ab und beeilte ſich, in einem um einen Tag
vordatirten Briefe dem preußiſchen Conſul Schmidt unaufgefordert zu
erklären: ſie hege „die feſte Abſicht, gewiſſenhaft die Grenzen aller Staaten
Sr. Maj. des Königs von Preußen zu achten.“ Zum Ueberfluß kam
der harmloſe Poſener Graf ſelber zu dem Conſul und verſicherte gemüth-
lich, er ſei nur nach Warſchau gereiſt um ſeine Mutter zu beſuchen. *)
Wen ſollten ſolche Künſte täuſchen? Während Tag für Tag Ueberläufer aus
Preußen in das polniſche Heer eintraten — darunter auch der aus Glogau
entflohene General Uminski — und ſogar eine Poſener Reitertruppe ge-
bildet wurde, rechneten die Warſchauer Gewalthaber noch immer auf
die deutſche Gutherzigkeit und ließen den König durch General Kniaziewicz
um ſeine Vermittlung bitten. Friedrich Wilhelm lehnte das Geſuch ſchroff
ab und gab den Aufſtändiſchen den Rath, ſich ihrem Könige zu unter-
werfen. **) Er durfte in ihnen nur Feinde ſeines eigenen Staates ſehen, rief
ſeinen Conſul aus Warſchau zurück und ſtellte die in Berlin verwahrten
Gelder der polniſchen Bank dem rechtmäßigen Könige zur Verfügung.
Als die Dinge ernſter wurden, ließ er die 130 Meilen lange Grenz-
linie durch Truppen der vier öſtlichen Armeecorps beſetzen. Gneiſenau
*) Schreiben der Proviſoriſchen Regierung an Schmidt, 4. December. Schmidt’s
Berichte, 5. 9. December 1830.
**) Schmidt’s Bericht, 27. December 1830. Ancillon’s Weiſung an Schöler 19. Ja-
nuar 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/76>, abgerufen am 26.11.2024.
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