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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die Kniebeugung in Baiern.
Reise, welche der alte König erst streng verboten hatte und auch jetzt noch
sehr ungern sah.*)

Mittlerweile bekam auch das bairische Volk zu fühlen was clericale
Parteiherrschaft ist. Wie maßlos hatten die bairischen Ultramontanen auf
die preußischen Kirchenparaden gescholten; auf Befehl König Friedrich Wil-
helm's war dieser Mißbrauch nunmehr abgeschafft. Zur Erwiderung
gleichsam befahl König Ludwig durch eine Verordnung vom 14. Aug. 1838
den bairischen Truppen, daß sie auf der Wache und beim Gottesdienste
vor dem Sanctissimum niederknieen sollten. Die Armee bestand zu einem
vollen Drittel aus evangelischen Mannschaften, und ihnen ward eine kirch-
liche Ceremonie zugemuthet, welche jeder strenge Protestant als sündhaften
Baalsdienst verabscheuen mußte! Hier verrieth sich der wahre Geist der
Partei, welche der preußischen Krone gegenüber die Gewissensfreiheit zu
vertheidigen behauptete. Allgemein war die Erbitterung in den evange-
tischen Landestheilen; ängstliche Gemüther fürchteten schon, aus dem Streite
zwischen Staat und Kirche werde ein Krieg der Confessionen hervorgehen.

Ein neuer Erfolg gelang den Ultramontanen in Baden. Im Herbst
1839 wurde Nebenius aus dem Ministerium verdrängt. Blittersdorff war
nunmehr Herr der Lage, und sein hartreactionäres System konnte sich nur
durch die Beihilfe der clericalen Partei behaupten. Bei Nebenius' Sturze
hatte der österreichische Gesandte Graf Dietrichstein mitgewirkt;**) überall
arbeiteten die Diplomaten der Hofburg mit den Feinden Preußens be-
hutsam zusammen. Seit Bunsen's Anconer Note glaubte Metternich nicht
mehr recht an den Ernst der preußischen Kirchenpolitik. In einem Augen-
blicke ehrlichen Zornes fragte er Maltzan: "Wollen Sie, daß ich die Rolle
des Beschützers der katholischen Kirche an Frankreich oder an Baiern über-
lasse? Das eine ist unser Nebenbuhler in Europa, das andere der an-
sehnlichste katholische Staat in Deutschland."***) Die beiden bairischen
Schwestern in Wien freuten sich von Herzen der Haltung ihres königlichen
Bruders; der Briefwechsel der Geschwister war nie lebhafter gewesen.
Ihrem Einfluß war es vermuthlich zu verdanken, daß die bisher streng
verbotene Neue Würzburger Zeitung, sobald sie den Kampf gegen Preußen
begann, plötzlich in Oesterreich zugelassen wurde. Metternich ertheilte dem
Vatican beständig vertraute Rathschläge, und Lambruschini sagte dankbar
zu Graf Lützow: wir überlassen uns gänzlich der weisen Leitung des kaiser-
lichen Hofes. Ganz friedfertig mochten diese Rathschläge schwerlich lauten,
aber auch nicht offenbar feindselig. Als Metternich im Juli 1838 mit dem
Könige wieder in Teplitz zusammentraf, erging er sich nur in vorsichtigen all-
gemeinen Betrachtungen; die Wiedereinsetzung Droste's wagte er der Krone

*) S. o. IV. 534.
**) Otterstedt's Bericht, 15. Oct. 1839.
***) Maltzan's Bericht, 15. Jan. 1838.
46*

Die Kniebeugung in Baiern.
Reiſe, welche der alte König erſt ſtreng verboten hatte und auch jetzt noch
ſehr ungern ſah.*)

Mittlerweile bekam auch das bairiſche Volk zu fühlen was clericale
Parteiherrſchaft iſt. Wie maßlos hatten die bairiſchen Ultramontanen auf
die preußiſchen Kirchenparaden geſcholten; auf Befehl König Friedrich Wil-
helm’s war dieſer Mißbrauch nunmehr abgeſchafft. Zur Erwiderung
gleichſam befahl König Ludwig durch eine Verordnung vom 14. Aug. 1838
den bairiſchen Truppen, daß ſie auf der Wache und beim Gottesdienſte
vor dem Sanctiſſimum niederknieen ſollten. Die Armee beſtand zu einem
vollen Drittel aus evangeliſchen Mannſchaften, und ihnen ward eine kirch-
liche Ceremonie zugemuthet, welche jeder ſtrenge Proteſtant als ſündhaften
Baalsdienſt verabſcheuen mußte! Hier verrieth ſich der wahre Geiſt der
Partei, welche der preußiſchen Krone gegenüber die Gewiſſensfreiheit zu
vertheidigen behauptete. Allgemein war die Erbitterung in den evange-
tiſchen Landestheilen; ängſtliche Gemüther fürchteten ſchon, aus dem Streite
zwiſchen Staat und Kirche werde ein Krieg der Confeſſionen hervorgehen.

Ein neuer Erfolg gelang den Ultramontanen in Baden. Im Herbſt
1839 wurde Nebenius aus dem Miniſterium verdrängt. Blittersdorff war
nunmehr Herr der Lage, und ſein hartreactionäres Syſtem konnte ſich nur
durch die Beihilfe der clericalen Partei behaupten. Bei Nebenius’ Sturze
hatte der öſterreichiſche Geſandte Graf Dietrichſtein mitgewirkt;**) überall
arbeiteten die Diplomaten der Hofburg mit den Feinden Preußens be-
hutſam zuſammen. Seit Bunſen’s Anconer Note glaubte Metternich nicht
mehr recht an den Ernſt der preußiſchen Kirchenpolitik. In einem Augen-
blicke ehrlichen Zornes fragte er Maltzan: „Wollen Sie, daß ich die Rolle
des Beſchützers der katholiſchen Kirche an Frankreich oder an Baiern über-
laſſe? Das eine iſt unſer Nebenbuhler in Europa, das andere der an-
ſehnlichſte katholiſche Staat in Deutſchland.“***) Die beiden bairiſchen
Schweſtern in Wien freuten ſich von Herzen der Haltung ihres königlichen
Bruders; der Briefwechſel der Geſchwiſter war nie lebhafter geweſen.
Ihrem Einfluß war es vermuthlich zu verdanken, daß die bisher ſtreng
verbotene Neue Würzburger Zeitung, ſobald ſie den Kampf gegen Preußen
begann, plötzlich in Oeſterreich zugelaſſen wurde. Metternich ertheilte dem
Vatican beſtändig vertraute Rathſchläge, und Lambruschini ſagte dankbar
zu Graf Lützow: wir überlaſſen uns gänzlich der weiſen Leitung des kaiſer-
lichen Hofes. Ganz friedfertig mochten dieſe Rathſchläge ſchwerlich lauten,
aber auch nicht offenbar feindſelig. Als Metternich im Juli 1838 mit dem
Könige wieder in Teplitz zuſammentraf, erging er ſich nur in vorſichtigen all-
gemeinen Betrachtungen; die Wiedereinſetzung Droſte’s wagte er der Krone

*) S. o. IV. 534.
**) Otterſtedt’s Bericht, 15. Oct. 1839.
***) Maltzan’s Bericht, 15. Jan. 1838.
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[723/0737] Die Kniebeugung in Baiern. Reiſe, welche der alte König erſt ſtreng verboten hatte und auch jetzt noch ſehr ungern ſah. *) Mittlerweile bekam auch das bairiſche Volk zu fühlen was clericale Parteiherrſchaft iſt. Wie maßlos hatten die bairiſchen Ultramontanen auf die preußiſchen Kirchenparaden geſcholten; auf Befehl König Friedrich Wil- helm’s war dieſer Mißbrauch nunmehr abgeſchafft. Zur Erwiderung gleichſam befahl König Ludwig durch eine Verordnung vom 14. Aug. 1838 den bairiſchen Truppen, daß ſie auf der Wache und beim Gottesdienſte vor dem Sanctiſſimum niederknieen ſollten. Die Armee beſtand zu einem vollen Drittel aus evangeliſchen Mannſchaften, und ihnen ward eine kirch- liche Ceremonie zugemuthet, welche jeder ſtrenge Proteſtant als ſündhaften Baalsdienſt verabſcheuen mußte! Hier verrieth ſich der wahre Geiſt der Partei, welche der preußiſchen Krone gegenüber die Gewiſſensfreiheit zu vertheidigen behauptete. Allgemein war die Erbitterung in den evange- tiſchen Landestheilen; ängſtliche Gemüther fürchteten ſchon, aus dem Streite zwiſchen Staat und Kirche werde ein Krieg der Confeſſionen hervorgehen. Ein neuer Erfolg gelang den Ultramontanen in Baden. Im Herbſt 1839 wurde Nebenius aus dem Miniſterium verdrängt. Blittersdorff war nunmehr Herr der Lage, und ſein hartreactionäres Syſtem konnte ſich nur durch die Beihilfe der clericalen Partei behaupten. Bei Nebenius’ Sturze hatte der öſterreichiſche Geſandte Graf Dietrichſtein mitgewirkt; **) überall arbeiteten die Diplomaten der Hofburg mit den Feinden Preußens be- hutſam zuſammen. Seit Bunſen’s Anconer Note glaubte Metternich nicht mehr recht an den Ernſt der preußiſchen Kirchenpolitik. In einem Augen- blicke ehrlichen Zornes fragte er Maltzan: „Wollen Sie, daß ich die Rolle des Beſchützers der katholiſchen Kirche an Frankreich oder an Baiern über- laſſe? Das eine iſt unſer Nebenbuhler in Europa, das andere der an- ſehnlichſte katholiſche Staat in Deutſchland.“ ***) Die beiden bairiſchen Schweſtern in Wien freuten ſich von Herzen der Haltung ihres königlichen Bruders; der Briefwechſel der Geſchwiſter war nie lebhafter geweſen. Ihrem Einfluß war es vermuthlich zu verdanken, daß die bisher ſtreng verbotene Neue Würzburger Zeitung, ſobald ſie den Kampf gegen Preußen begann, plötzlich in Oeſterreich zugelaſſen wurde. Metternich ertheilte dem Vatican beſtändig vertraute Rathſchläge, und Lambruschini ſagte dankbar zu Graf Lützow: wir überlaſſen uns gänzlich der weiſen Leitung des kaiſer- lichen Hofes. Ganz friedfertig mochten dieſe Rathſchläge ſchwerlich lauten, aber auch nicht offenbar feindſelig. Als Metternich im Juli 1838 mit dem Könige wieder in Teplitz zuſammentraf, erging er ſich nur in vorſichtigen all- gemeinen Betrachtungen; die Wiedereinſetzung Droſte’s wagte er der Krone *) S. o. IV. 534. **) Otterſtedt’s Bericht, 15. Oct. 1839. ***) Maltzan’s Bericht, 15. Jan. 1838. 46*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/737>, abgerufen am 27.11.2024.