Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Baiern als Schirmherr der Ultramontanen. seltsames Zusammentreffen! In denselben Novembertagen des Jahres 1837,da Droste-Vischering verhaftet wurde, trat das Ministerium Abel seine Herrschaft in München an. An die Wiederherstellung der rheinischen Herr- schaft des Hauses Wittelsbach mag König Ludwig wohl nie im Ernst gedacht haben; solche Pläne mußten selbst der Phantasie des philhellenischen Dichter- königs allzu verwegen erscheinen. Aber jener Gedanke, den ihm einst Görres bei seiner Thronbesteigung ans Herz gelegt hatte, erfüllte ihn jetzt ganz und gar: er wollte als Nachfolger des gewaltigen Kurfürsten Maximilian der Schirmherr des deutschen Katholicismus werden. Vor diesem Ideale verblaßten alle die anderen Traditionen seines Hauses: er vergaß, daß er auch der Erbe der evangelischen Pfalzgrafen war, daß sein Baiern -- wie oft hatte er es doch selbst ausgesprochen! -- nur im Bunde mit Preußen sich seine Stellung in der neuen deutschen Geschichte erworben hatte. Kopf- über stürzte er sich in eine clericale Weltanschauung, die seinem freien Sinne ursprünglich fremd war; sein immerdar launisches Wesen ward nahezu närrisch, dem Bewunderer des milden Sailer ließ sich jetzt jede clericale Tollheit zutrauen. Graf Dönhoff schrieb: "ein Fürst, den wir von ultraliberalen zu ultramontanen, von den übertriebensten constitu- tionellen Vorstellungen zur ausgesprochenen Willkürherrschaft haben über- gehen sehen, kann auch in jeder anderen Hinsicht noch seine Meinung wechseln." Und König Friedrich Wilhelm bemerkte dazu: "ein sehr kurzes, aber sehr treffendes Bild Sr. Majestät."*) Mit schamloser Parteilichkeit begünstigte der Münchener Hof von vorn- *) Dönhoff's Bericht, 11. März 1838. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 46
Baiern als Schirmherr der Ultramontanen. ſeltſames Zuſammentreffen! In denſelben Novembertagen des Jahres 1837,da Droſte-Viſchering verhaftet wurde, trat das Miniſterium Abel ſeine Herrſchaft in München an. An die Wiederherſtellung der rheiniſchen Herr- ſchaft des Hauſes Wittelsbach mag König Ludwig wohl nie im Ernſt gedacht haben; ſolche Pläne mußten ſelbſt der Phantaſie des philhelleniſchen Dichter- königs allzu verwegen erſcheinen. Aber jener Gedanke, den ihm einſt Görres bei ſeiner Thronbeſteigung ans Herz gelegt hatte, erfüllte ihn jetzt ganz und gar: er wollte als Nachfolger des gewaltigen Kurfürſten Maximilian der Schirmherr des deutſchen Katholicismus werden. Vor dieſem Ideale verblaßten alle die anderen Traditionen ſeines Hauſes: er vergaß, daß er auch der Erbe der evangeliſchen Pfalzgrafen war, daß ſein Baiern — wie oft hatte er es doch ſelbſt ausgeſprochen! — nur im Bunde mit Preußen ſich ſeine Stellung in der neuen deutſchen Geſchichte erworben hatte. Kopf- über ſtürzte er ſich in eine clericale Weltanſchauung, die ſeinem freien Sinne urſprünglich fremd war; ſein immerdar launiſches Weſen ward nahezu närriſch, dem Bewunderer des milden Sailer ließ ſich jetzt jede clericale Tollheit zutrauen. Graf Dönhoff ſchrieb: „ein Fürſt, den wir von ultraliberalen zu ultramontanen, von den übertriebenſten conſtitu- tionellen Vorſtellungen zur ausgeſprochenen Willkürherrſchaft haben über- gehen ſehen, kann auch in jeder anderen Hinſicht noch ſeine Meinung wechſeln.“ Und König Friedrich Wilhelm bemerkte dazu: „ein ſehr kurzes, aber ſehr treffendes Bild Sr. Majeſtät.“*) Mit ſchamloſer Parteilichkeit begünſtigte der Münchener Hof von vorn- *) Dönhoff’s Bericht, 11. März 1838. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 46
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Baiern als Schirmherr der Ultramontanen.
ſeltſames Zuſammentreffen! In denſelben Novembertagen des Jahres 1837,
da Droſte-Viſchering verhaftet wurde, trat das Miniſterium Abel ſeine
Herrſchaft in München an. An die Wiederherſtellung der rheiniſchen Herr-
ſchaft des Hauſes Wittelsbach mag König Ludwig wohl nie im Ernſt gedacht
haben; ſolche Pläne mußten ſelbſt der Phantaſie des philhelleniſchen Dichter-
königs allzu verwegen erſcheinen. Aber jener Gedanke, den ihm einſt Görres
bei ſeiner Thronbeſteigung ans Herz gelegt hatte, erfüllte ihn jetzt ganz
und gar: er wollte als Nachfolger des gewaltigen Kurfürſten Maximilian
der Schirmherr des deutſchen Katholicismus werden. Vor dieſem Ideale
verblaßten alle die anderen Traditionen ſeines Hauſes: er vergaß, daß er
auch der Erbe der evangeliſchen Pfalzgrafen war, daß ſein Baiern —
wie oft hatte er es doch ſelbſt ausgeſprochen! — nur im Bunde mit Preußen
ſich ſeine Stellung in der neuen deutſchen Geſchichte erworben hatte. Kopf-
über ſtürzte er ſich in eine clericale Weltanſchauung, die ſeinem freien
Sinne urſprünglich fremd war; ſein immerdar launiſches Weſen ward
nahezu närriſch, dem Bewunderer des milden Sailer ließ ſich jetzt jede
clericale Tollheit zutrauen. Graf Dönhoff ſchrieb: „ein Fürſt, den wir
von ultraliberalen zu ultramontanen, von den übertriebenſten conſtitu-
tionellen Vorſtellungen zur ausgeſprochenen Willkürherrſchaft haben über-
gehen ſehen, kann auch in jeder anderen Hinſicht noch ſeine Meinung
wechſeln.“ Und König Friedrich Wilhelm bemerkte dazu: „ein ſehr kurzes,
aber ſehr treffendes Bild Sr. Majeſtät.“ *)
Mit ſchamloſer Parteilichkeit begünſtigte der Münchener Hof von vorn-
herein alle Feinde der preußiſchen Regierung. Während er die Schriften
von Leo, Marheineke, Rehfues confisciren ließ und ſich in Dresden über
die hartproteſtantiſche Sprache der Leipziger Allgemeinen Zeitung beſchwerte,
geſtattete er der Neuen Würzburger Zeitung Majeſtätsbeleidigungen gegen
die Krone Preußen, die in dieſem Zeitalter der Cenſur ganz unmöglich
ſchienen. Jede Dreiſtigkeit ward den Ultramontanen nachgeſehen. Den
Athanaſius nahm König Ludwig aus Görres’ eigenen Händen dankbar ent-
gegen und belohnte den Verfaſſer durch einen Orden, den die Münchener
Studenten mit Jubelrufen begrüßten; in dem Buche aber ſtand zu leſen,
daß die Kinder gemiſchter Ehen zwieſchlächtige Baſtarde ſeien, und Ludwig
ſelbſt lebte in gemiſchter Ehe wie ſein Vater König Max Joſeph. Am
Namenstage der evangeliſchen Königin Thereſe veranſtalteten die barfüßigen
Karmeliter in Würzburg, „insgemein Reuerer genannt“ einen Gottesdienſt
zu Ehren der heiligen und ſeraphiſchen Jungfrau und Mutter Thereſia
und verkündeten in öffentlichen Anſchlägen: „Wer an dieſem Tage dort um
Frieden und Eintracht der Fürſten und Potentaten, um Ausreutung der
Ketzerei und um Mehrung der chriſtkatholiſchen Kirche bittet, erhält voll-
kommenen Ablaß.“ Für dieſe Verhöhnung ſeiner eigenen Gemahlin fand
*) Dönhoff’s Bericht, 11. März 1838.
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