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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Protestantische Vertheidiger der preußischen Krone.
unzweifelhaft zugestanden, freiwillig verzichtet und die römische Kirche mit
einer alle katholischen Fürsten beschämenden Hochherzigkeit behandelt habe.
Der Theolog Marheineke in Berlin verfocht die Rechte der Staatsgewalt
nach den Grundsätzen der Hegel'schen Philosophie.

Zu diesen ernsthaften Vertheidigern gesellten sich aber auch Bundes-
genossen, welche dem strenggläubigen Könige höchst verdächtig scheinen mußten.
Die kursächsischen Rationalisten zeigten noch einmal, wie wenig sie das ver-
wandelte kirchliche Leben der Zeit verstanden; sie sprachen in der Leipziger
Allgemeinen Zeitung und anderen mitteldeutschen Blättern noch ganz in
der alten Weise verächtlich von der altersschwachen Kreuzspinne, die zwischen
den zerbrochenen Säulen des Colosseums hause. Der alte rheinländische
Burschenschafter Carove in Heidelberg, ein liebenswürdiger, für Völkerglück
und ewigen Frieden begeisterter Enthusiast entwarf in einem Buche "Papis-
mus und Humanität" ein verschwommenes Bild von der kirchlichen Ein-
tracht der Zukunft: die deutschen Katholiken sollten sich von Rom lossagen,
"sich ihren geistfreien Brüdern wieder in die Arme werfen"; und dabei
blieb er selbst im Schooße der römischen Kirche. Nun gar die Genossen
des Jungen Deutschlands benutzten die Gunst der Stunde, um ihre er-
loschenen Lichtlein an den Flammen dieses Kirchenstreits wieder anzuzünden
und ihren Haß gegen das Christenthum ungestraft auszusprechen: nach
ihrer Geschichtsphilosophie waren ja die Reformatoren nur Vorläufer der
französischen Revolution, Bahnbrecher der jungdeutschen Unzuchtslehre.
Wie jubelten die Clericalen schadenfroh, als Th. Mundt in seinem Taschen-
buche "Delphin" sagte: "König Wenzel liebte Wein, Weiber und Gesang,
wie Luther, dessen erste Protestation gegen den Katholicismus mit der Liebe
zu einer Frau begann;" als Ruge's Jahrbücher den wahren Protestan-
tismus für die Negation alles Kirchenglaubens ausgaben; als Gutzkow in
einer gezierten Schrift "die rothe Mütze und die Kapuze" den preußischen
Staat für "den Staat der Abstraktion" erklärte und zufrieden versicherte,
der helle Klang des Glöckleins auf den Rheindampfschiffen errege heutzutage
mehr Theilnahme als der dumpfe Glockenhall vom Kölner Dome. Vor
solchen Freunden mußten die Vertreter des christlichen Staates in Berlin
wohl besorgt werden.

Die Gegensätze spitzten sich immer schärfer zu. Von den nichtkatho-
lischen Schriftstellern, welche die Curie vertheidigten oder entschuldigten,
traten drei bald nachher zur römischen Kirche über: der Mecklenburger
Franz v. Florencourt, ein ehrlicher, federgewandter, aber ziemlich verworrener
Publicist, sodann der ostpreußische Jurist Rintel und der Jude Joel Jacobi,
ein zweifelhafter Charakter, dem Niemand recht traute. Wer jetzt noch
zu vermitteln suchte, erntete Vorwürfe von beiden Seiten. Das erfuhr
der alte Reichsfreiherr Hans Gagern, als er in einer besänftigenden "An-
sprache an die Nation" dem Kölner Prälaten zurief: "Sie sind Erzbischof,
Deutscher, Europäer und Mensch!" Für Europa und die Menschheit

Proteſtantiſche Vertheidiger der preußiſchen Krone.
unzweifelhaft zugeſtanden, freiwillig verzichtet und die römiſche Kirche mit
einer alle katholiſchen Fürſten beſchämenden Hochherzigkeit behandelt habe.
Der Theolog Marheineke in Berlin verfocht die Rechte der Staatsgewalt
nach den Grundſätzen der Hegel’ſchen Philoſophie.

Zu dieſen ernſthaften Vertheidigern geſellten ſich aber auch Bundes-
genoſſen, welche dem ſtrenggläubigen Könige höchſt verdächtig ſcheinen mußten.
Die kurſächſiſchen Rationaliſten zeigten noch einmal, wie wenig ſie das ver-
wandelte kirchliche Leben der Zeit verſtanden; ſie ſprachen in der Leipziger
Allgemeinen Zeitung und anderen mitteldeutſchen Blättern noch ganz in
der alten Weiſe verächtlich von der altersſchwachen Kreuzſpinne, die zwiſchen
den zerbrochenen Säulen des Coloſſeums hauſe. Der alte rheinländiſche
Burſchenſchafter Carové in Heidelberg, ein liebenswürdiger, für Völkerglück
und ewigen Frieden begeiſterter Enthuſiaſt entwarf in einem Buche „Papis-
mus und Humanität“ ein verſchwommenes Bild von der kirchlichen Ein-
tracht der Zukunft: die deutſchen Katholiken ſollten ſich von Rom losſagen,
„ſich ihren geiſtfreien Brüdern wieder in die Arme werfen“; und dabei
blieb er ſelbſt im Schooße der römiſchen Kirche. Nun gar die Genoſſen
des Jungen Deutſchlands benutzten die Gunſt der Stunde, um ihre er-
loſchenen Lichtlein an den Flammen dieſes Kirchenſtreits wieder anzuzünden
und ihren Haß gegen das Chriſtenthum ungeſtraft auszuſprechen: nach
ihrer Geſchichtsphiloſophie waren ja die Reformatoren nur Vorläufer der
franzöſiſchen Revolution, Bahnbrecher der jungdeutſchen Unzuchtslehre.
Wie jubelten die Clericalen ſchadenfroh, als Th. Mundt in ſeinem Taſchen-
buche „Delphin“ ſagte: „König Wenzel liebte Wein, Weiber und Geſang,
wie Luther, deſſen erſte Proteſtation gegen den Katholicismus mit der Liebe
zu einer Frau begann;“ als Ruge’s Jahrbücher den wahren Proteſtan-
tismus für die Negation alles Kirchenglaubens ausgaben; als Gutzkow in
einer gezierten Schrift „die rothe Mütze und die Kapuze“ den preußiſchen
Staat für „den Staat der Abſtraktion“ erklärte und zufrieden verſicherte,
der helle Klang des Glöckleins auf den Rheindampfſchiffen errege heutzutage
mehr Theilnahme als der dumpfe Glockenhall vom Kölner Dome. Vor
ſolchen Freunden mußten die Vertreter des chriſtlichen Staates in Berlin
wohl beſorgt werden.

Die Gegenſätze ſpitzten ſich immer ſchärfer zu. Von den nichtkatho-
liſchen Schriftſtellern, welche die Curie vertheidigten oder entſchuldigten,
traten drei bald nachher zur römiſchen Kirche über: der Mecklenburger
Franz v. Florencourt, ein ehrlicher, federgewandter, aber ziemlich verworrener
Publiciſt, ſodann der oſtpreußiſche Juriſt Rintel und der Jude Joel Jacobi,
ein zweifelhafter Charakter, dem Niemand recht traute. Wer jetzt noch
zu vermitteln ſuchte, erntete Vorwürfe von beiden Seiten. Das erfuhr
der alte Reichsfreiherr Hans Gagern, als er in einer beſänftigenden „An-
ſprache an die Nation“ dem Kölner Prälaten zurief: „Sie ſind Erzbiſchof,
Deutſcher, Europäer und Menſch!“ Für Europa und die Menſchheit

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[719/0733] Proteſtantiſche Vertheidiger der preußiſchen Krone. unzweifelhaft zugeſtanden, freiwillig verzichtet und die römiſche Kirche mit einer alle katholiſchen Fürſten beſchämenden Hochherzigkeit behandelt habe. Der Theolog Marheineke in Berlin verfocht die Rechte der Staatsgewalt nach den Grundſätzen der Hegel’ſchen Philoſophie. Zu dieſen ernſthaften Vertheidigern geſellten ſich aber auch Bundes- genoſſen, welche dem ſtrenggläubigen Könige höchſt verdächtig ſcheinen mußten. Die kurſächſiſchen Rationaliſten zeigten noch einmal, wie wenig ſie das ver- wandelte kirchliche Leben der Zeit verſtanden; ſie ſprachen in der Leipziger Allgemeinen Zeitung und anderen mitteldeutſchen Blättern noch ganz in der alten Weiſe verächtlich von der altersſchwachen Kreuzſpinne, die zwiſchen den zerbrochenen Säulen des Coloſſeums hauſe. Der alte rheinländiſche Burſchenſchafter Carové in Heidelberg, ein liebenswürdiger, für Völkerglück und ewigen Frieden begeiſterter Enthuſiaſt entwarf in einem Buche „Papis- mus und Humanität“ ein verſchwommenes Bild von der kirchlichen Ein- tracht der Zukunft: die deutſchen Katholiken ſollten ſich von Rom losſagen, „ſich ihren geiſtfreien Brüdern wieder in die Arme werfen“; und dabei blieb er ſelbſt im Schooße der römiſchen Kirche. Nun gar die Genoſſen des Jungen Deutſchlands benutzten die Gunſt der Stunde, um ihre er- loſchenen Lichtlein an den Flammen dieſes Kirchenſtreits wieder anzuzünden und ihren Haß gegen das Chriſtenthum ungeſtraft auszuſprechen: nach ihrer Geſchichtsphiloſophie waren ja die Reformatoren nur Vorläufer der franzöſiſchen Revolution, Bahnbrecher der jungdeutſchen Unzuchtslehre. Wie jubelten die Clericalen ſchadenfroh, als Th. Mundt in ſeinem Taſchen- buche „Delphin“ ſagte: „König Wenzel liebte Wein, Weiber und Geſang, wie Luther, deſſen erſte Proteſtation gegen den Katholicismus mit der Liebe zu einer Frau begann;“ als Ruge’s Jahrbücher den wahren Proteſtan- tismus für die Negation alles Kirchenglaubens ausgaben; als Gutzkow in einer gezierten Schrift „die rothe Mütze und die Kapuze“ den preußiſchen Staat für „den Staat der Abſtraktion“ erklärte und zufrieden verſicherte, der helle Klang des Glöckleins auf den Rheindampfſchiffen errege heutzutage mehr Theilnahme als der dumpfe Glockenhall vom Kölner Dome. Vor ſolchen Freunden mußten die Vertreter des chriſtlichen Staates in Berlin wohl beſorgt werden. Die Gegenſätze ſpitzten ſich immer ſchärfer zu. Von den nichtkatho- liſchen Schriftſtellern, welche die Curie vertheidigten oder entſchuldigten, traten drei bald nachher zur römiſchen Kirche über: der Mecklenburger Franz v. Florencourt, ein ehrlicher, federgewandter, aber ziemlich verworrener Publiciſt, ſodann der oſtpreußiſche Juriſt Rintel und der Jude Joel Jacobi, ein zweifelhafter Charakter, dem Niemand recht traute. Wer jetzt noch zu vermitteln ſuchte, erntete Vorwürfe von beiden Seiten. Das erfuhr der alte Reichsfreiherr Hans Gagern, als er in einer beſänftigenden „An- ſprache an die Nation“ dem Kölner Prälaten zurief: „Sie ſind Erzbiſchof, Deutſcher, Europäer und Menſch!“ Für Europa und die Menſchheit

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 719. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/733>, abgerufen am 24.11.2024.