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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit.
vor einer offenen "Kriegserklärung", und der König stimmte ihm bei, gegen
den Rath der anderen Minister.*) So mußte Buch ausharren, obgleich
Verhandlungen vor der Hand ganz unmöglich waren, und nur weil er
persönlich vom Papste hoch geschätzt wurde, konnte er diesen widerwärtigen
Zustand eine Weile ertragen.

Der König fühlte sich tief unglücklich und suchte seine Posener Unter-
thanen durch eine ernste Ansprache zu beruhigen. Er hatte die unbestimmte
Empfindung, daß irgend etwas geschehen müsse, und seine Minister "im
Finstern tappten". "Zur legislativen Feststellung der zweifelhaft gewor-
denen staats- und kirchenrechtlichen Verhältnisse" bildete er schon im Februar
1838 eine Commission, welcher neben anderen hohen Beamten auch der
Rechtshistoriker K. F. Eichhorn angehörte.**) Ihre Arbeiten wurden dann
im Staatsrathe wie im Staatsministerium begutachtet; zur weiteren Be-
rathung berief man noch sechs Oberpräsidenten nach Berlin, denn nur
zwei von den acht Provinzen, Brandenburg und Pommern waren von
dem Kirchenstreite unberührt geblieben. Nach Jahresfrist etwa lagen sechs
Gesetzentwürfe fertig vor, darunter zwei Strafgesetze wider solche Geist-
liche, welche die Kanzel mißbrauchten oder den öffentlichen Frieden störten,
und ein sehr strenges Gesetz über die gemischten Ehen, das nicht nur, nach
dem Gesetze vom Jahre 1803, die Erziehung aller Kinder im Bekenntniß
des Vaters anbefahl, sondern auch jede Abweichung von dieser Regel un-
bedingt verbot: selbst die freie Uebereinkunft beider Eltern sollte daran
nichts ändern dürfen -- eine furchtbar harte Vorschrift, welche in vielen
Fällen zu schwerem Gewissensdrucke führen mußte.***) Der leitende Ge-
danke der Entwürfe war die Einheit des Staatskirchenrechts für die ge-
sammte Monarchie.

Aber das hohe Beamtenthum selbst zeigte sich keineswegs einig. Der
greise Stägemann und die Mehrzahl der Oberpräsidenten, vornehmlich
Schön, Flottwell, Merckel, standen noch ganz auf dem Boden des alten
landrechtlichen Territorialsystems und verlangten dringend die sofortige
Einführung der sechs Gesetze. Erbittert durch seinen langen Kampf gegen
die Polen, empfahl Flottwell sogar die Zertheilung des Gnesener Erz-
bisthums, die doch ohne die Zustimmung des römischen Stuhles unmög-
lich war. In einer, offenbar von Schön verfaßten Denkschrift tadelten die
Oberpräsidenten scharf, daß der Staat mit dem Papste überhaupt ver-
handelt habe, und noch schärfer "Doctor Bunsen's berüchtigte Note aus
Ancona"; sie sahen in diesem Bischofsstreite "den Kampf des Lichtes mit
der Finsterniß, dessen glorreiche Führung wie früher so auch jetzt Euerer

*) Berichte der drei Minister, 10. Nov. 1838; 3. Nov. 1839.
**) Cabinetsordre vom 17. Febr. 1838.
***) Gesetzentwürfe über die gemischten Ehen; zur Ergänzung des Allgemeinen Land-
rechts, Th. II. Tit. 11 § 66, Th. II. Tit. 20 § 151 u. 272 u. s. w.

IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
vor einer offenen „Kriegserklärung“, und der König ſtimmte ihm bei, gegen
den Rath der anderen Miniſter.*) So mußte Buch ausharren, obgleich
Verhandlungen vor der Hand ganz unmöglich waren, und nur weil er
perſönlich vom Papſte hoch geſchätzt wurde, konnte er dieſen widerwärtigen
Zuſtand eine Weile ertragen.

Der König fühlte ſich tief unglücklich und ſuchte ſeine Poſener Unter-
thanen durch eine ernſte Anſprache zu beruhigen. Er hatte die unbeſtimmte
Empfindung, daß irgend etwas geſchehen müſſe, und ſeine Miniſter „im
Finſtern tappten“. „Zur legislativen Feſtſtellung der zweifelhaft gewor-
denen ſtaats- und kirchenrechtlichen Verhältniſſe“ bildete er ſchon im Februar
1838 eine Commiſſion, welcher neben anderen hohen Beamten auch der
Rechtshiſtoriker K. F. Eichhorn angehörte.**) Ihre Arbeiten wurden dann
im Staatsrathe wie im Staatsminiſterium begutachtet; zur weiteren Be-
rathung berief man noch ſechs Oberpräſidenten nach Berlin, denn nur
zwei von den acht Provinzen, Brandenburg und Pommern waren von
dem Kirchenſtreite unberührt geblieben. Nach Jahresfriſt etwa lagen ſechs
Geſetzentwürfe fertig vor, darunter zwei Strafgeſetze wider ſolche Geiſt-
liche, welche die Kanzel mißbrauchten oder den öffentlichen Frieden ſtörten,
und ein ſehr ſtrenges Geſetz über die gemiſchten Ehen, das nicht nur, nach
dem Geſetze vom Jahre 1803, die Erziehung aller Kinder im Bekenntniß
des Vaters anbefahl, ſondern auch jede Abweichung von dieſer Regel un-
bedingt verbot: ſelbſt die freie Uebereinkunft beider Eltern ſollte daran
nichts ändern dürfen — eine furchtbar harte Vorſchrift, welche in vielen
Fällen zu ſchwerem Gewiſſensdrucke führen mußte.***) Der leitende Ge-
danke der Entwürfe war die Einheit des Staatskirchenrechts für die ge-
ſammte Monarchie.

Aber das hohe Beamtenthum ſelbſt zeigte ſich keineswegs einig. Der
greiſe Stägemann und die Mehrzahl der Oberpräſidenten, vornehmlich
Schön, Flottwell, Merckel, ſtanden noch ganz auf dem Boden des alten
landrechtlichen Territorialſyſtems und verlangten dringend die ſofortige
Einführung der ſechs Geſetze. Erbittert durch ſeinen langen Kampf gegen
die Polen, empfahl Flottwell ſogar die Zertheilung des Gneſener Erz-
bisthums, die doch ohne die Zuſtimmung des römiſchen Stuhles unmög-
lich war. In einer, offenbar von Schön verfaßten Denkſchrift tadelten die
Oberpräſidenten ſcharf, daß der Staat mit dem Papſte überhaupt ver-
handelt habe, und noch ſchärfer „Doctor Bunſen’s berüchtigte Note aus
Ancona“; ſie ſahen in dieſem Biſchofsſtreite „den Kampf des Lichtes mit
der Finſterniß, deſſen glorreiche Führung wie früher ſo auch jetzt Euerer

*) Berichte der drei Miniſter, 10. Nov. 1838; 3. Nov. 1839.
**) Cabinetsordre vom 17. Febr. 1838.
***) Geſetzentwürfe über die gemiſchten Ehen; zur Ergänzung des Allgemeinen Land-
rechts, Th. II. Tit. 11 § 66, Th. II. Tit. 20 § 151 u. 272 u. ſ. w.
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[712/0726] IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit. vor einer offenen „Kriegserklärung“, und der König ſtimmte ihm bei, gegen den Rath der anderen Miniſter. *) So mußte Buch ausharren, obgleich Verhandlungen vor der Hand ganz unmöglich waren, und nur weil er perſönlich vom Papſte hoch geſchätzt wurde, konnte er dieſen widerwärtigen Zuſtand eine Weile ertragen. Der König fühlte ſich tief unglücklich und ſuchte ſeine Poſener Unter- thanen durch eine ernſte Anſprache zu beruhigen. Er hatte die unbeſtimmte Empfindung, daß irgend etwas geſchehen müſſe, und ſeine Miniſter „im Finſtern tappten“. „Zur legislativen Feſtſtellung der zweifelhaft gewor- denen ſtaats- und kirchenrechtlichen Verhältniſſe“ bildete er ſchon im Februar 1838 eine Commiſſion, welcher neben anderen hohen Beamten auch der Rechtshiſtoriker K. F. Eichhorn angehörte. **) Ihre Arbeiten wurden dann im Staatsrathe wie im Staatsminiſterium begutachtet; zur weiteren Be- rathung berief man noch ſechs Oberpräſidenten nach Berlin, denn nur zwei von den acht Provinzen, Brandenburg und Pommern waren von dem Kirchenſtreite unberührt geblieben. Nach Jahresfriſt etwa lagen ſechs Geſetzentwürfe fertig vor, darunter zwei Strafgeſetze wider ſolche Geiſt- liche, welche die Kanzel mißbrauchten oder den öffentlichen Frieden ſtörten, und ein ſehr ſtrenges Geſetz über die gemiſchten Ehen, das nicht nur, nach dem Geſetze vom Jahre 1803, die Erziehung aller Kinder im Bekenntniß des Vaters anbefahl, ſondern auch jede Abweichung von dieſer Regel un- bedingt verbot: ſelbſt die freie Uebereinkunft beider Eltern ſollte daran nichts ändern dürfen — eine furchtbar harte Vorſchrift, welche in vielen Fällen zu ſchwerem Gewiſſensdrucke führen mußte. ***) Der leitende Ge- danke der Entwürfe war die Einheit des Staatskirchenrechts für die ge- ſammte Monarchie. Aber das hohe Beamtenthum ſelbſt zeigte ſich keineswegs einig. Der greiſe Stägemann und die Mehrzahl der Oberpräſidenten, vornehmlich Schön, Flottwell, Merckel, ſtanden noch ganz auf dem Boden des alten landrechtlichen Territorialſyſtems und verlangten dringend die ſofortige Einführung der ſechs Geſetze. Erbittert durch ſeinen langen Kampf gegen die Polen, empfahl Flottwell ſogar die Zertheilung des Gneſener Erz- bisthums, die doch ohne die Zuſtimmung des römiſchen Stuhles unmög- lich war. In einer, offenbar von Schön verfaßten Denkſchrift tadelten die Oberpräſidenten ſcharf, daß der Staat mit dem Papſte überhaupt ver- handelt habe, und noch ſchärfer „Doctor Bunſen’s berüchtigte Note aus Ancona“; ſie ſahen in dieſem Biſchofsſtreite „den Kampf des Lichtes mit der Finſterniß, deſſen glorreiche Führung wie früher ſo auch jetzt Euerer *) Berichte der drei Miniſter, 10. Nov. 1838; 3. Nov. 1839. **) Cabinetsordre vom 17. Febr. 1838. ***) Geſetzentwürfe über die gemiſchten Ehen; zur Ergänzung des Allgemeinen Land- rechts, Th. II. Tit. 11 § 66, Th. II. Tit. 20 § 151 u. 272 u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 712. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/726>, abgerufen am 27.11.2024.