Diesen Vortheil konnte sich die Curie unmöglich entgehen lassen, und was ihr die diplomatische Klugheit gebot, befriedigte zugleich ihren unaus- löschlichen Haß. Wohl war der preußische Staat am frühesten unter allen protestantischen Mächten der römischen Kirche gerecht worden. Dennoch blieb er dem Papstthum der Todfeind, der Hort und Halt des Protestan- tismus, seine Krone ruhte auf einem secularisirten Kirchenlande; und bot sich die Gelegenheit, das Vaterland Martin Luther's in seinem politischen Kerne anzugreifen, dann mußten alle die so lange verhüllten Empfindungen des Vaticans zu Tage treten. Sofort nach den ersten Kölnischen Nach- richten versammelte Gregor die Cardinäle, ohne auch nur die ihm aus Berlin zugesagten näheren Mittheilungen abzuwarten, und sagte am 10. Dec. in einer grimmigen Allocution: "Was Niemand sich vorstellen oder aussinnen konnte, was auch nur leichthin zu muthmaßen ein Ver- brechen gewesen wäre, das ist auf wohlberechneten Antrieb der weltlichen Gewalt geschehen." Darum erhob er seine Stimme "um die verletzte kirch- liche Freiheit, die verhöhnte bischöfliche Würde, die mit Füßen getretenen Rechte der katholischen Kirche und dieses heiligen Stuhles öffentlich klagend zurückzufordern". Ein Ton urkräftigen Behagens klang durch diese Ver- wünschungen; Jedermann fühlte, hier sprach das Herz des christlichen Pontifex. Seit der Wiederherstellung des Kirchenstaates geschah es zum ersten male, daß die Curie einen mächtigen Staat also zu beleidigen wagte; und da das leere Pathos der Allocutionen noch nicht, wie unter Gregor's Nachfolger, durch beharrliche Wiederholung vernutzt war, so hallten die Flüche des Papstes weithin in der katholischen Welt wieder.
Auf solche Beschimpfungen gab es nur eine Antwort. Die Krone Preußen mußte ihren Gesandten aus Rom abberufen und, ohne den Vatican eines Wortes zu würdigen, sofort die bürgerliche Eheschließung einführen -- ein entscheidender Schlag, worauf man in Rom am wenigsten gefaßt war. Dann bot die Lage des verwaisten Erzbisthums wenig Schwierig- keiten. Die Mehrheit des Kölner Domcapitels war hermesianisch gesinnt und folgte den Rathschlägen jenes Capitulars München, welcher einst die kunstvolle Auslegung des Breves verfaßt hatte. Das Capitel übernahm auf Verlangen der Staatsgewalt unbedenklich die vorläufige Verwaltung der Diöcese, wählte den Domkapitular Hüsgen zum Generalvicar und be- schwerte sich bei der Curie, natürlich nicht ohne die herkömmlichen Wehklagen, über die Härte des gefangenen Erzbischofs. Ein scharfer Verweis des Papstes hatte keine fühlbaren Folgen. Als der Nuntius Spinelli in Brüssel versuchte die Wahl Hüsgen's für unkanonisch, seine Fastenindulte für nichtig zu erklären, da schritt der König mit einem scharfen Verbote ein, und die Curie erwiderte verlegen, Spinelli habe ohne Auftrag gehandelt.*) Auch die Vorlesungen am Bonner Convict durften, mit Erlaubniß des Dom-
*) Rochow's Bericht an den König, 5. Apr.; Cabinetsordre v. 9. Apr. 1838.
Droſte’s Abführung. Die Allocution.
Dieſen Vortheil konnte ſich die Curie unmöglich entgehen laſſen, und was ihr die diplomatiſche Klugheit gebot, befriedigte zugleich ihren unaus- löſchlichen Haß. Wohl war der preußiſche Staat am früheſten unter allen proteſtantiſchen Mächten der römiſchen Kirche gerecht worden. Dennoch blieb er dem Papſtthum der Todfeind, der Hort und Halt des Proteſtan- tismus, ſeine Krone ruhte auf einem ſeculariſirten Kirchenlande; und bot ſich die Gelegenheit, das Vaterland Martin Luther’s in ſeinem politiſchen Kerne anzugreifen, dann mußten alle die ſo lange verhüllten Empfindungen des Vaticans zu Tage treten. Sofort nach den erſten Kölniſchen Nach- richten verſammelte Gregor die Cardinäle, ohne auch nur die ihm aus Berlin zugeſagten näheren Mittheilungen abzuwarten, und ſagte am 10. Dec. in einer grimmigen Allocution: „Was Niemand ſich vorſtellen oder ausſinnen konnte, was auch nur leichthin zu muthmaßen ein Ver- brechen geweſen wäre, das iſt auf wohlberechneten Antrieb der weltlichen Gewalt geſchehen.“ Darum erhob er ſeine Stimme „um die verletzte kirch- liche Freiheit, die verhöhnte biſchöfliche Würde, die mit Füßen getretenen Rechte der katholiſchen Kirche und dieſes heiligen Stuhles öffentlich klagend zurückzufordern“. Ein Ton urkräftigen Behagens klang durch dieſe Ver- wünſchungen; Jedermann fühlte, hier ſprach das Herz des chriſtlichen Pontifex. Seit der Wiederherſtellung des Kirchenſtaates geſchah es zum erſten male, daß die Curie einen mächtigen Staat alſo zu beleidigen wagte; und da das leere Pathos der Allocutionen noch nicht, wie unter Gregor’s Nachfolger, durch beharrliche Wiederholung vernutzt war, ſo hallten die Flüche des Papſtes weithin in der katholiſchen Welt wieder.
Auf ſolche Beſchimpfungen gab es nur eine Antwort. Die Krone Preußen mußte ihren Geſandten aus Rom abberufen und, ohne den Vatican eines Wortes zu würdigen, ſofort die bürgerliche Eheſchließung einführen — ein entſcheidender Schlag, worauf man in Rom am wenigſten gefaßt war. Dann bot die Lage des verwaiſten Erzbisthums wenig Schwierig- keiten. Die Mehrheit des Kölner Domcapitels war hermeſianiſch geſinnt und folgte den Rathſchlägen jenes Capitulars München, welcher einſt die kunſtvolle Auslegung des Breves verfaßt hatte. Das Capitel übernahm auf Verlangen der Staatsgewalt unbedenklich die vorläufige Verwaltung der Diöceſe, wählte den Domkapitular Hüsgen zum Generalvicar und be- ſchwerte ſich bei der Curie, natürlich nicht ohne die herkömmlichen Wehklagen, über die Härte des gefangenen Erzbiſchofs. Ein ſcharfer Verweis des Papſtes hatte keine fühlbaren Folgen. Als der Nuntius Spinelli in Brüſſel verſuchte die Wahl Hüsgen’s für unkanoniſch, ſeine Faſtenindulte für nichtig zu erklären, da ſchritt der König mit einem ſcharfen Verbote ein, und die Curie erwiderte verlegen, Spinelli habe ohne Auftrag gehandelt.*) Auch die Vorleſungen am Bonner Convict durften, mit Erlaubniß des Dom-
*) Rochow’s Bericht an den König, 5. Apr.; Cabinetsordre v. 9. Apr. 1838.
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Dieſen Vortheil konnte ſich die Curie unmöglich entgehen laſſen, und
was ihr die diplomatiſche Klugheit gebot, befriedigte zugleich ihren unaus-
löſchlichen Haß. Wohl war der preußiſche Staat am früheſten unter allen
proteſtantiſchen Mächten der römiſchen Kirche gerecht worden. Dennoch
blieb er dem Papſtthum der Todfeind, der Hort und Halt des Proteſtan-
tismus, ſeine Krone ruhte auf einem ſeculariſirten Kirchenlande; und bot
ſich die Gelegenheit, das Vaterland Martin Luther’s in ſeinem politiſchen
Kerne anzugreifen, dann mußten alle die ſo lange verhüllten Empfindungen
des Vaticans zu Tage treten. Sofort nach den erſten Kölniſchen Nach-
richten verſammelte Gregor die Cardinäle, ohne auch nur die ihm aus
Berlin zugeſagten näheren Mittheilungen abzuwarten, und ſagte am
10. Dec. in einer grimmigen Allocution: „Was Niemand ſich vorſtellen
oder ausſinnen konnte, was auch nur leichthin zu muthmaßen ein Ver-
brechen geweſen wäre, das iſt auf wohlberechneten Antrieb der weltlichen
Gewalt geſchehen.“ Darum erhob er ſeine Stimme „um die verletzte kirch-
liche Freiheit, die verhöhnte biſchöfliche Würde, die mit Füßen getretenen
Rechte der katholiſchen Kirche und dieſes heiligen Stuhles öffentlich klagend
zurückzufordern“. Ein Ton urkräftigen Behagens klang durch dieſe Ver-
wünſchungen; Jedermann fühlte, hier ſprach das Herz des chriſtlichen
Pontifex. Seit der Wiederherſtellung des Kirchenſtaates geſchah es zum
erſten male, daß die Curie einen mächtigen Staat alſo zu beleidigen wagte;
und da das leere Pathos der Allocutionen noch nicht, wie unter Gregor’s
Nachfolger, durch beharrliche Wiederholung vernutzt war, ſo hallten die
Flüche des Papſtes weithin in der katholiſchen Welt wieder.
Auf ſolche Beſchimpfungen gab es nur eine Antwort. Die Krone
Preußen mußte ihren Geſandten aus Rom abberufen und, ohne den
Vatican eines Wortes zu würdigen, ſofort die bürgerliche Eheſchließung
einführen — ein entſcheidender Schlag, worauf man in Rom am wenigſten
gefaßt war. Dann bot die Lage des verwaiſten Erzbisthums wenig Schwierig-
keiten. Die Mehrheit des Kölner Domcapitels war hermeſianiſch geſinnt
und folgte den Rathſchlägen jenes Capitulars München, welcher einſt die
kunſtvolle Auslegung des Breves verfaßt hatte. Das Capitel übernahm
auf Verlangen der Staatsgewalt unbedenklich die vorläufige Verwaltung
der Diöceſe, wählte den Domkapitular Hüsgen zum Generalvicar und be-
ſchwerte ſich bei der Curie, natürlich nicht ohne die herkömmlichen Wehklagen,
über die Härte des gefangenen Erzbiſchofs. Ein ſcharfer Verweis des
Papſtes hatte keine fühlbaren Folgen. Als der Nuntius Spinelli in Brüſſel
verſuchte die Wahl Hüsgen’s für unkanoniſch, ſeine Faſtenindulte für nichtig
zu erklären, da ſchritt der König mit einem ſcharfen Verbote ein, und
die Curie erwiderte verlegen, Spinelli habe ohne Auftrag gehandelt. *) Auch
die Vorleſungen am Bonner Convict durften, mit Erlaubniß des Dom-
*) Rochow’s Bericht an den König, 5. Apr.; Cabinetsordre v. 9. Apr. 1838.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 699. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/713>, abgerufen am 24.11.2024.
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