preußischen Staate verdankten. Aber ernste Ruhestörungen schienen aller- dings zu befürchten. Ein am Thore des Doms angeschlagener Aufruf mahnte die rheinischen Katholiken das protestantische Joch abzuschütteln, die belgischen Emissäre trieben überall ihr Unwesen, und Droste selbst nahm keinen Anstand, den Kölnern durch die Pfarrer mitzutheilen, daß er die Rechte der Kirche gegen die Anschläge der weltlichen Gewalt verthei- digen wolle. Sollte man warten, bis diese Aufwiegelung ihre Früchte trug? Der Oberpräsident Bodelschwingh versicherte bestimmt, daß Droste beabsichtige, sich im Ornate vor dem Hochaltare des Domes gefangen nehmen zu lassen, um dergestalt das der Kirche allezeit vortheilhafte Mar- tyrium mit geistlichem Pomp zu vollenden.
Am 14. November wurde ein großer Ministerrath unter dem Vor- sitze des Königs abgehalten. Bunsen wohnte der Berathung bei. Er war, gleich seinem Gönner dem Kronprinzen, zu jeder möglichen Nachgiebigkeit bereit und hatte soeben erst durchgesetzt, daß jene unbillige alte Verord- nung, welche die Soldaten allesammt zum Besuch der evangelischen Kir- chenparaden verpflichtete, vom Könige aufgehoben wurde; aber nach Allem was geschehen glaubte er in Rom nichts mehr erreichen zu können, wenn nicht der Staat zuvor durch Thaten sein Ansehen gewahrt habe. Dahin war es gekommen -- so sagte selbst der Freund des Kronprinzen, Anton Stolberg -- "daß sich einfach die Frage stellte, ob der König oder der Erzbischof das Ruder der Regierung führen solle."*) Demnach beschlossen die Minister, den Erzbischof aus seiner Diöcese zu entfernen, wenn er sein Amt nicht freiwillig niederlege; er sollte in seine Münstersche Hei- math, oder falls er sich hartnäckig widersetze, nach einem festen Platze ab- geführt werden.**) Der Befehl wurde am 20. November durch Bodel- schwingh und General Pfuel gewandt, ohne unnütze Härte ausgeführt; Droste verblieb vorläufig auf der Festung Minden, da er nicht in seine Heimath gehen wollte. Unzweifelhaft gebrauchte die Krone nur ihr gutes Recht. Da die altpreußische Gesetzgebung für politische Vergehen auch im Rheinlande galt, so war der König ebenso befugt den widersetzlichen Erz- bischof durch einen Verhaftsbefehl unschädlich zu machen, wie einst Fried- rich der Große von Rechtswegen die Fürstbischöfe Sinzendorf und Schaff- gotsch aus Breslau hatte entfernen lassen. Aber die Zeit war verwandelt. Dies Recht der absoluten Krone lebte nicht mehr im Rechtsbewußtsein des Volkes, sondern erschien bereits als Willkür; und was noch übler war, die öffentliche Meinung mußte glauben, daß der Staat katholische Priester zur Spendung des Sakraments der Ehe, das die Kirche doch nur nach ihrem eigenen Ermessen gewähren oder versagen kann, durch zwingenden Befehl nöthigen wolle.
*) Stolberg an Cuny, 16. Dec. 1837.
**) Cabinetsordre an Bodelschwingh, 15. Nov. 1837.
IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
preußiſchen Staate verdankten. Aber ernſte Ruheſtörungen ſchienen aller- dings zu befürchten. Ein am Thore des Doms angeſchlagener Aufruf mahnte die rheiniſchen Katholiken das proteſtantiſche Joch abzuſchütteln, die belgiſchen Emiſſäre trieben überall ihr Unweſen, und Droſte ſelbſt nahm keinen Anſtand, den Kölnern durch die Pfarrer mitzutheilen, daß er die Rechte der Kirche gegen die Anſchläge der weltlichen Gewalt verthei- digen wolle. Sollte man warten, bis dieſe Aufwiegelung ihre Früchte trug? Der Oberpräſident Bodelſchwingh verſicherte beſtimmt, daß Droſte beabſichtige, ſich im Ornate vor dem Hochaltare des Domes gefangen nehmen zu laſſen, um dergeſtalt das der Kirche allezeit vortheilhafte Mar- tyrium mit geiſtlichem Pomp zu vollenden.
Am 14. November wurde ein großer Miniſterrath unter dem Vor- ſitze des Königs abgehalten. Bunſen wohnte der Berathung bei. Er war, gleich ſeinem Gönner dem Kronprinzen, zu jeder möglichen Nachgiebigkeit bereit und hatte ſoeben erſt durchgeſetzt, daß jene unbillige alte Verord- nung, welche die Soldaten alleſammt zum Beſuch der evangeliſchen Kir- chenparaden verpflichtete, vom Könige aufgehoben wurde; aber nach Allem was geſchehen glaubte er in Rom nichts mehr erreichen zu können, wenn nicht der Staat zuvor durch Thaten ſein Anſehen gewahrt habe. Dahin war es gekommen — ſo ſagte ſelbſt der Freund des Kronprinzen, Anton Stolberg — „daß ſich einfach die Frage ſtellte, ob der König oder der Erzbiſchof das Ruder der Regierung führen ſolle.“*) Demnach beſchloſſen die Miniſter, den Erzbiſchof aus ſeiner Diöceſe zu entfernen, wenn er ſein Amt nicht freiwillig niederlege; er ſollte in ſeine Münſterſche Hei- math, oder falls er ſich hartnäckig widerſetze, nach einem feſten Platze ab- geführt werden.**) Der Befehl wurde am 20. November durch Bodel- ſchwingh und General Pfuel gewandt, ohne unnütze Härte ausgeführt; Droſte verblieb vorläufig auf der Feſtung Minden, da er nicht in ſeine Heimath gehen wollte. Unzweifelhaft gebrauchte die Krone nur ihr gutes Recht. Da die altpreußiſche Geſetzgebung für politiſche Vergehen auch im Rheinlande galt, ſo war der König ebenſo befugt den widerſetzlichen Erz- biſchof durch einen Verhaftsbefehl unſchädlich zu machen, wie einſt Fried- rich der Große von Rechtswegen die Fürſtbiſchöfe Sinzendorf und Schaff- gotſch aus Breslau hatte entfernen laſſen. Aber die Zeit war verwandelt. Dies Recht der abſoluten Krone lebte nicht mehr im Rechtsbewußtſein des Volkes, ſondern erſchien bereits als Willkür; und was noch übler war, die öffentliche Meinung mußte glauben, daß der Staat katholiſche Prieſter zur Spendung des Sakraments der Ehe, das die Kirche doch nur nach ihrem eigenen Ermeſſen gewähren oder verſagen kann, durch zwingenden Befehl nöthigen wolle.
*) Stolberg an Cuny, 16. Dec. 1837.
**) Cabinetsordre an Bodelſchwingh, 15. Nov. 1837.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0712"n="698"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV.</hi> 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.</fw><lb/>
preußiſchen Staate verdankten. Aber ernſte Ruheſtörungen ſchienen aller-<lb/>
dings zu befürchten. Ein am Thore des Doms angeſchlagener Aufruf<lb/>
mahnte die rheiniſchen Katholiken das proteſtantiſche Joch abzuſchütteln,<lb/>
die belgiſchen Emiſſäre trieben überall ihr Unweſen, und Droſte ſelbſt<lb/>
nahm keinen Anſtand, den Kölnern durch die Pfarrer mitzutheilen, daß er<lb/>
die Rechte der Kirche gegen die Anſchläge der weltlichen Gewalt verthei-<lb/>
digen wolle. Sollte man warten, bis dieſe Aufwiegelung ihre Früchte<lb/>
trug? Der Oberpräſident Bodelſchwingh verſicherte beſtimmt, daß Droſte<lb/>
beabſichtige, ſich im Ornate vor dem Hochaltare des Domes gefangen<lb/>
nehmen zu laſſen, um dergeſtalt das der Kirche allezeit vortheilhafte Mar-<lb/>
tyrium mit geiſtlichem Pomp zu vollenden.</p><lb/><p>Am 14. November wurde ein großer Miniſterrath unter dem Vor-<lb/>ſitze des Königs abgehalten. Bunſen wohnte der Berathung bei. Er war,<lb/>
gleich ſeinem Gönner dem Kronprinzen, zu jeder möglichen Nachgiebigkeit<lb/>
bereit und hatte ſoeben erſt durchgeſetzt, daß jene unbillige alte Verord-<lb/>
nung, welche die Soldaten alleſammt zum Beſuch der evangeliſchen Kir-<lb/>
chenparaden verpflichtete, vom Könige aufgehoben wurde; aber nach Allem<lb/>
was geſchehen glaubte er in Rom nichts mehr erreichen zu können, wenn<lb/>
nicht der Staat zuvor durch Thaten ſein Anſehen gewahrt habe. Dahin<lb/>
war es gekommen —ſo ſagte ſelbſt der Freund des Kronprinzen, Anton<lb/>
Stolberg —„daß ſich einfach die Frage ſtellte, ob der König oder der<lb/>
Erzbiſchof das Ruder der Regierung führen ſolle.“<noteplace="foot"n="*)">Stolberg an Cuny, 16. Dec. 1837.</note> Demnach beſchloſſen<lb/>
die Miniſter, den Erzbiſchof aus ſeiner Diöceſe zu entfernen, wenn er<lb/>ſein Amt nicht freiwillig niederlege; er ſollte in ſeine Münſterſche Hei-<lb/>
math, oder falls er ſich hartnäckig widerſetze, nach einem feſten Platze ab-<lb/>
geführt werden.<noteplace="foot"n="**)">Cabinetsordre an Bodelſchwingh, 15. Nov. 1837.</note> Der Befehl wurde am 20. November durch Bodel-<lb/>ſchwingh und General Pfuel gewandt, ohne unnütze Härte ausgeführt;<lb/>
Droſte verblieb vorläufig auf der Feſtung Minden, da er nicht in ſeine<lb/>
Heimath gehen wollte. Unzweifelhaft gebrauchte die Krone nur ihr gutes<lb/>
Recht. Da die altpreußiſche Geſetzgebung für politiſche Vergehen auch im<lb/>
Rheinlande galt, ſo war der König ebenſo befugt den widerſetzlichen Erz-<lb/>
biſchof durch einen Verhaftsbefehl unſchädlich zu machen, wie einſt Fried-<lb/>
rich der Große von Rechtswegen die Fürſtbiſchöfe Sinzendorf und Schaff-<lb/>
gotſch aus Breslau hatte entfernen laſſen. Aber die Zeit war verwandelt.<lb/>
Dies Recht der abſoluten Krone lebte nicht mehr im Rechtsbewußtſein des<lb/>
Volkes, ſondern erſchien bereits als Willkür; und was noch übler war,<lb/>
die öffentliche Meinung mußte glauben, daß der Staat katholiſche Prieſter<lb/>
zur Spendung des Sakraments der Ehe, das die Kirche doch nur nach<lb/>
ihrem eigenen Ermeſſen gewähren oder verſagen kann, durch zwingenden<lb/>
Befehl nöthigen wolle.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[698/0712]
IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
preußiſchen Staate verdankten. Aber ernſte Ruheſtörungen ſchienen aller-
dings zu befürchten. Ein am Thore des Doms angeſchlagener Aufruf
mahnte die rheiniſchen Katholiken das proteſtantiſche Joch abzuſchütteln,
die belgiſchen Emiſſäre trieben überall ihr Unweſen, und Droſte ſelbſt
nahm keinen Anſtand, den Kölnern durch die Pfarrer mitzutheilen, daß er
die Rechte der Kirche gegen die Anſchläge der weltlichen Gewalt verthei-
digen wolle. Sollte man warten, bis dieſe Aufwiegelung ihre Früchte
trug? Der Oberpräſident Bodelſchwingh verſicherte beſtimmt, daß Droſte
beabſichtige, ſich im Ornate vor dem Hochaltare des Domes gefangen
nehmen zu laſſen, um dergeſtalt das der Kirche allezeit vortheilhafte Mar-
tyrium mit geiſtlichem Pomp zu vollenden.
Am 14. November wurde ein großer Miniſterrath unter dem Vor-
ſitze des Königs abgehalten. Bunſen wohnte der Berathung bei. Er war,
gleich ſeinem Gönner dem Kronprinzen, zu jeder möglichen Nachgiebigkeit
bereit und hatte ſoeben erſt durchgeſetzt, daß jene unbillige alte Verord-
nung, welche die Soldaten alleſammt zum Beſuch der evangeliſchen Kir-
chenparaden verpflichtete, vom Könige aufgehoben wurde; aber nach Allem
was geſchehen glaubte er in Rom nichts mehr erreichen zu können, wenn
nicht der Staat zuvor durch Thaten ſein Anſehen gewahrt habe. Dahin
war es gekommen — ſo ſagte ſelbſt der Freund des Kronprinzen, Anton
Stolberg — „daß ſich einfach die Frage ſtellte, ob der König oder der
Erzbiſchof das Ruder der Regierung führen ſolle.“ *) Demnach beſchloſſen
die Miniſter, den Erzbiſchof aus ſeiner Diöceſe zu entfernen, wenn er
ſein Amt nicht freiwillig niederlege; er ſollte in ſeine Münſterſche Hei-
math, oder falls er ſich hartnäckig widerſetze, nach einem feſten Platze ab-
geführt werden. **) Der Befehl wurde am 20. November durch Bodel-
ſchwingh und General Pfuel gewandt, ohne unnütze Härte ausgeführt;
Droſte verblieb vorläufig auf der Feſtung Minden, da er nicht in ſeine
Heimath gehen wollte. Unzweifelhaft gebrauchte die Krone nur ihr gutes
Recht. Da die altpreußiſche Geſetzgebung für politiſche Vergehen auch im
Rheinlande galt, ſo war der König ebenſo befugt den widerſetzlichen Erz-
biſchof durch einen Verhaftsbefehl unſchädlich zu machen, wie einſt Fried-
rich der Große von Rechtswegen die Fürſtbiſchöfe Sinzendorf und Schaff-
gotſch aus Breslau hatte entfernen laſſen. Aber die Zeit war verwandelt.
Dies Recht der abſoluten Krone lebte nicht mehr im Rechtsbewußtſein des
Volkes, ſondern erſchien bereits als Willkür; und was noch übler war,
die öffentliche Meinung mußte glauben, daß der Staat katholiſche Prieſter
zur Spendung des Sakraments der Ehe, das die Kirche doch nur nach
ihrem eigenen Ermeſſen gewähren oder verſagen kann, durch zwingenden
Befehl nöthigen wolle.
*) Stolberg an Cuny, 16. Dec. 1837.
**) Cabinetsordre an Bodelſchwingh, 15. Nov. 1837.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 698. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/712>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.