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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit.
seinen diplomatischen Verhandlungen Hintergedanken hegt und hegen muß,
so gereicht es ihm stets zur besonderen Freude, wenn er einmal auch die
weltliche Gewalt auf Schleichwegen antrifft. Mit hoher sittlicher Ent-
rüstung fragte Cardinal Lambruschini den preußischen Gesandten (15. März
1836), ob diese Weisung nicht den Vorschriften des Breves offenbar zu-
widerlaufe. Zugleich sprach er die Hoffnung aus, ein päpstlicher Nuntius
in Berlin könne die Wiederkehr solcher Irrungen leicht verhindern. Dieser
letztere Wunsch wurde sofort entschieden zurückgewiesen. Auf keinen Fall
wollte der König in seiner Hauptstadt einen römischen Prälaten dulden,
um den sich die Oppositionspartei des polnischen und westphälischen Adels
vielleicht versammeln konnte; Ancillon meinte sogar, kein souveräner Staat
dürfe einen solchen diplomatischen Vertreter einer Kirchengemeinschaft zu-
lassen. Ebenso offen mußte der preußische Hof, wenn er richtig rechnete,
auch die erste Anfrage wegen der Instruction beantworten. Das Ge-
heimniß war verrathen, und nun blieb nur übrig, dem Papste ehrlich her-
auszusagen: da er über das räthselhafte Breve keine genügende Erklärung
hätte abgeben wollen, so sei die Krone genöthigt gewesen, sich mit ihren
Landesbischöfen zu verständigen. Bunsen aber dachte auch jetzt noch mit
seinen beliebten kleinen Mitteln durchzukommen und erlaubte sich eine
ebenso unwürdige als thörichte Sophisterei.

In seiner Antwort vom 16. April betheuerte er feierlich, niemals habe
Spiegel eine solche Weisung erlassen. Die Versicherung war buchstäblich
wahr, der Sache nach grundfalsch, und sie ward dadurch nicht edler, daß
ein Schwall frommer, tugendhafter Redensarten darauf folgte; in solchen
Künsten diplomatischer Kanzelberedsamkeit durfte es der deutsche Theolog
mit dem Cardinal wohl aufnehmen. Was nicht ausbleiben konnte, ge-
schah. Die Curie ließ unter der Hand durch ihre Getreuen am Rhein
weitere Nachforschungen anstellen, und als im November der ehrwürdige
Bischof von Trier auf dem Todesbette lag, unterschrieb er, wahrscheinlich
durch seine geistlichen Umgebungen überredet, einen reuigen Brief, der den
heiligen Vater um Verzeihung bat wegen jener geheimen Instruction.
Bald darauf kannte der römische Stuhl schon den vollständigen Wortlaut
der Vereinbarung zwischen Spiegel und Bunsen. In welchem Lichte stand
nun Preußens Krone da! Dank den Mißgriffen ihres römischen Gesandten
gerieth diese bei allen ihren Schwächen durchaus ehrliche Regierung in
den Ruf der Verrätherei, und solche Nachrede war nirgends gefährlicher
als am Rhein, wo alle Schoppenstecher sich längst gewöhnt hatten die
albernen Witze über die preußischen Pfiffe und Kniffe nachzusprechen. Jetzt
schimpften die Rheinländer auf den Lug-Bunsen und sagten: wenn er
weint, dann lügt er!

Wer hätte nach solchen Erlebnissen den Erzbischof zurückhalten können
auf seiner abschüssigen Bahn? In Köln wie einst in Münster befahl er seinen
Geistlichen ganz unbedenklich, keine gemischte Ehe ohne das Versprechen

IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
ſeinen diplomatiſchen Verhandlungen Hintergedanken hegt und hegen muß,
ſo gereicht es ihm ſtets zur beſonderen Freude, wenn er einmal auch die
weltliche Gewalt auf Schleichwegen antrifft. Mit hoher ſittlicher Ent-
rüſtung fragte Cardinal Lambruschini den preußiſchen Geſandten (15. März
1836), ob dieſe Weiſung nicht den Vorſchriften des Breves offenbar zu-
widerlaufe. Zugleich ſprach er die Hoffnung aus, ein päpſtlicher Nuntius
in Berlin könne die Wiederkehr ſolcher Irrungen leicht verhindern. Dieſer
letztere Wunſch wurde ſofort entſchieden zurückgewieſen. Auf keinen Fall
wollte der König in ſeiner Hauptſtadt einen römiſchen Prälaten dulden,
um den ſich die Oppoſitionspartei des polniſchen und weſtphäliſchen Adels
vielleicht verſammeln konnte; Ancillon meinte ſogar, kein ſouveräner Staat
dürfe einen ſolchen diplomatiſchen Vertreter einer Kirchengemeinſchaft zu-
laſſen. Ebenſo offen mußte der preußiſche Hof, wenn er richtig rechnete,
auch die erſte Anfrage wegen der Inſtruction beantworten. Das Ge-
heimniß war verrathen, und nun blieb nur übrig, dem Papſte ehrlich her-
auszuſagen: da er über das räthſelhafte Breve keine genügende Erklärung
hätte abgeben wollen, ſo ſei die Krone genöthigt geweſen, ſich mit ihren
Landesbiſchöfen zu verſtändigen. Bunſen aber dachte auch jetzt noch mit
ſeinen beliebten kleinen Mitteln durchzukommen und erlaubte ſich eine
ebenſo unwürdige als thörichte Sophiſterei.

In ſeiner Antwort vom 16. April betheuerte er feierlich, niemals habe
Spiegel eine ſolche Weiſung erlaſſen. Die Verſicherung war buchſtäblich
wahr, der Sache nach grundfalſch, und ſie ward dadurch nicht edler, daß
ein Schwall frommer, tugendhafter Redensarten darauf folgte; in ſolchen
Künſten diplomatiſcher Kanzelberedſamkeit durfte es der deutſche Theolog
mit dem Cardinal wohl aufnehmen. Was nicht ausbleiben konnte, ge-
ſchah. Die Curie ließ unter der Hand durch ihre Getreuen am Rhein
weitere Nachforſchungen anſtellen, und als im November der ehrwürdige
Biſchof von Trier auf dem Todesbette lag, unterſchrieb er, wahrſcheinlich
durch ſeine geiſtlichen Umgebungen überredet, einen reuigen Brief, der den
heiligen Vater um Verzeihung bat wegen jener geheimen Inſtruction.
Bald darauf kannte der römiſche Stuhl ſchon den vollſtändigen Wortlaut
der Vereinbarung zwiſchen Spiegel und Bunſen. In welchem Lichte ſtand
nun Preußens Krone da! Dank den Mißgriffen ihres römiſchen Geſandten
gerieth dieſe bei allen ihren Schwächen durchaus ehrliche Regierung in
den Ruf der Verrätherei, und ſolche Nachrede war nirgends gefährlicher
als am Rhein, wo alle Schoppenſtecher ſich längſt gewöhnt hatten die
albernen Witze über die preußiſchen Pfiffe und Kniffe nachzuſprechen. Jetzt
ſchimpften die Rheinländer auf den Lug-Bunſen und ſagten: wenn er
weint, dann lügt er!

Wer hätte nach ſolchen Erlebniſſen den Erzbiſchof zurückhalten können
auf ſeiner abſchüſſigen Bahn? In Köln wie einſt in Münſter befahl er ſeinen
Geiſtlichen ganz unbedenklich, keine gemiſchte Ehe ohne das Verſprechen

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[696/0710] IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit. ſeinen diplomatiſchen Verhandlungen Hintergedanken hegt und hegen muß, ſo gereicht es ihm ſtets zur beſonderen Freude, wenn er einmal auch die weltliche Gewalt auf Schleichwegen antrifft. Mit hoher ſittlicher Ent- rüſtung fragte Cardinal Lambruschini den preußiſchen Geſandten (15. März 1836), ob dieſe Weiſung nicht den Vorſchriften des Breves offenbar zu- widerlaufe. Zugleich ſprach er die Hoffnung aus, ein päpſtlicher Nuntius in Berlin könne die Wiederkehr ſolcher Irrungen leicht verhindern. Dieſer letztere Wunſch wurde ſofort entſchieden zurückgewieſen. Auf keinen Fall wollte der König in ſeiner Hauptſtadt einen römiſchen Prälaten dulden, um den ſich die Oppoſitionspartei des polniſchen und weſtphäliſchen Adels vielleicht verſammeln konnte; Ancillon meinte ſogar, kein ſouveräner Staat dürfe einen ſolchen diplomatiſchen Vertreter einer Kirchengemeinſchaft zu- laſſen. Ebenſo offen mußte der preußiſche Hof, wenn er richtig rechnete, auch die erſte Anfrage wegen der Inſtruction beantworten. Das Ge- heimniß war verrathen, und nun blieb nur übrig, dem Papſte ehrlich her- auszuſagen: da er über das räthſelhafte Breve keine genügende Erklärung hätte abgeben wollen, ſo ſei die Krone genöthigt geweſen, ſich mit ihren Landesbiſchöfen zu verſtändigen. Bunſen aber dachte auch jetzt noch mit ſeinen beliebten kleinen Mitteln durchzukommen und erlaubte ſich eine ebenſo unwürdige als thörichte Sophiſterei. In ſeiner Antwort vom 16. April betheuerte er feierlich, niemals habe Spiegel eine ſolche Weiſung erlaſſen. Die Verſicherung war buchſtäblich wahr, der Sache nach grundfalſch, und ſie ward dadurch nicht edler, daß ein Schwall frommer, tugendhafter Redensarten darauf folgte; in ſolchen Künſten diplomatiſcher Kanzelberedſamkeit durfte es der deutſche Theolog mit dem Cardinal wohl aufnehmen. Was nicht ausbleiben konnte, ge- ſchah. Die Curie ließ unter der Hand durch ihre Getreuen am Rhein weitere Nachforſchungen anſtellen, und als im November der ehrwürdige Biſchof von Trier auf dem Todesbette lag, unterſchrieb er, wahrſcheinlich durch ſeine geiſtlichen Umgebungen überredet, einen reuigen Brief, der den heiligen Vater um Verzeihung bat wegen jener geheimen Inſtruction. Bald darauf kannte der römiſche Stuhl ſchon den vollſtändigen Wortlaut der Vereinbarung zwiſchen Spiegel und Bunſen. In welchem Lichte ſtand nun Preußens Krone da! Dank den Mißgriffen ihres römiſchen Geſandten gerieth dieſe bei allen ihren Schwächen durchaus ehrliche Regierung in den Ruf der Verrätherei, und ſolche Nachrede war nirgends gefährlicher als am Rhein, wo alle Schoppenſtecher ſich längſt gewöhnt hatten die albernen Witze über die preußiſchen Pfiffe und Kniffe nachzuſprechen. Jetzt ſchimpften die Rheinländer auf den Lug-Bunſen und ſagten: wenn er weint, dann lügt er! Wer hätte nach ſolchen Erlebniſſen den Erzbiſchof zurückhalten können auf ſeiner abſchüſſigen Bahn? In Köln wie einſt in Münſter befahl er ſeinen Geiſtlichen ganz unbedenklich, keine gemiſchte Ehe ohne das Verſprechen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 696. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/710>, abgerufen am 24.11.2024.