legten "Winterabend-Unterhaltungen am warmen Ofen" schilderten den Rheinländern, wie sie allesammt Sklaven seien, auf preußisch hinter's Licht geführt, wie das Land vor fünfundzwanzig Jahren mehr Kronenthaler besessen hätte als heute Silbergroschen; wenn ein Protestant sich auf den Glauben seiner Väter berufe, so sei dies ganz das Nämliche als wenn ein schlechter Kerl sage: meine Eltern waren auch schlechte Kerle. Dem evan- gelischen Könige, der durch Seelenverkauf seine Schwiegertochter dem wahren Glauben entfremdet habe, wurde als leuchtendes Gegenbild der gerechte katholische "Kaiser Fränzel in Oesterreich" entgegengestellt.
Dem wilden clericalen Hasse, der sich in solchen Schriften aussprach, boten zunächst die Hermesianer eine willkommene Zielscheibe. Es rächte sich jetzt, daß Spiegel, zu Altenstein's Leidwesen, die Schüler von Hermes parteiisch begünstigt hatte. Die so lange zurückgesetzte gegnerische Partei dürstete nach Rache; sie wußte, daß der neue Erzbischof mit Spiegel wie mit Hermes immer in Feindschaft gelebt hatte. Er selbst berechnete die Zahl der Hermesianer unter dem Clerus seines Erzbisthums auf mehr als fünftausend, und dazu gehörten fast alle die älteren, der Staatsgewalt gehorsamen Geistlichen. Gleichwohl war diese mächtige Schule schon im Sinken, ganz wie der alte Rationalismus innerhalb der evangelischen Kirche. Für die neuen Ideen, welche die Romantik in der katholischen Welt ge- weckt hatte, zeigten die Hermesianer kein Verständniß, und je kräftiger das kirchliche Bewußtsein sich wieder regte, um so weniger konnte ihm eine Theologie genügen, welche die römischen Glaubenssätze auf die rein pro- testantische Lehre Kant's zu stützen suchte. Vor Jahren schon hatte der ultramontane Generalvicar Fonck in Aachen die Bonner Theologen vor dem Königsberger Philosophen gewarnt, was der Minister freilich als eine unbefugte Einmischung in die Wissenschaft rügte.*) Neuerdings führte die Aschaffenburger Kirchenzeitung einen heftigen Federkrieg gegen die Halb- heiten der Hermesianer, und nach Hermes' Tode (1831) versuchten seine Gegner, den römischen Stuhl zu einem Machtspruche wider den Verstor- benen zu bewegen. Jarcke in Wien betrieb die Denunciation mit dem fanatischen Eifer des Convertiten, die Wiener Redemtoristen stellten so- gleich eine Reihe ketzerischer Sätze aus Hermes' Schriften zusammen. Dann bereiste Jarcke das Rheinland um neue Beweismittel gegen die Bonner Theologenschule zu sammeln; er beredete seinen Gönner Metternich, die Anklage in Rom durch den Gesandten Graf Lützow, der auch zu der cleri- calen Schaar der evangelischen Renegaten gehörte, insgeheim zu unter- stützen. Die Hände des Wiener Hofpublicisten ließen sich überall spüren; er gab in diesen Jahren dem Erbprinzen von Nassau politischen Unter- richt, und mit solchem Erfolge, daß die Heimath der protestantischen Oranier nachher für lange Zeit den clericalen Einflüssen verfiel. Nun wurden der
*) Fonck an Prof. Seber in Bonn, 18. Juli; Altenstein an Rehfues, 22. Aug. 1823.
IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
legten „Winterabend-Unterhaltungen am warmen Ofen“ ſchilderten den Rheinländern, wie ſie alleſammt Sklaven ſeien, auf preußiſch hinter’s Licht geführt, wie das Land vor fünfundzwanzig Jahren mehr Kronenthaler beſeſſen hätte als heute Silbergroſchen; wenn ein Proteſtant ſich auf den Glauben ſeiner Väter berufe, ſo ſei dies ganz das Nämliche als wenn ein ſchlechter Kerl ſage: meine Eltern waren auch ſchlechte Kerle. Dem evan- geliſchen Könige, der durch Seelenverkauf ſeine Schwiegertochter dem wahren Glauben entfremdet habe, wurde als leuchtendes Gegenbild der gerechte katholiſche „Kaiſer Fränzel in Oeſterreich“ entgegengeſtellt.
Dem wilden clericalen Haſſe, der ſich in ſolchen Schriften ausſprach, boten zunächſt die Hermeſianer eine willkommene Zielſcheibe. Es rächte ſich jetzt, daß Spiegel, zu Altenſtein’s Leidweſen, die Schüler von Hermes parteiiſch begünſtigt hatte. Die ſo lange zurückgeſetzte gegneriſche Partei dürſtete nach Rache; ſie wußte, daß der neue Erzbiſchof mit Spiegel wie mit Hermes immer in Feindſchaft gelebt hatte. Er ſelbſt berechnete die Zahl der Hermeſianer unter dem Clerus ſeines Erzbisthums auf mehr als fünftauſend, und dazu gehörten faſt alle die älteren, der Staatsgewalt gehorſamen Geiſtlichen. Gleichwohl war dieſe mächtige Schule ſchon im Sinken, ganz wie der alte Rationalismus innerhalb der evangeliſchen Kirche. Für die neuen Ideen, welche die Romantik in der katholiſchen Welt ge- weckt hatte, zeigten die Hermeſianer kein Verſtändniß, und je kräftiger das kirchliche Bewußtſein ſich wieder regte, um ſo weniger konnte ihm eine Theologie genügen, welche die römiſchen Glaubensſätze auf die rein pro- teſtantiſche Lehre Kant’s zu ſtützen ſuchte. Vor Jahren ſchon hatte der ultramontane Generalvicar Fonck in Aachen die Bonner Theologen vor dem Königsberger Philoſophen gewarnt, was der Miniſter freilich als eine unbefugte Einmiſchung in die Wiſſenſchaft rügte.*) Neuerdings führte die Aſchaffenburger Kirchenzeitung einen heftigen Federkrieg gegen die Halb- heiten der Hermeſianer, und nach Hermes’ Tode (1831) verſuchten ſeine Gegner, den römiſchen Stuhl zu einem Machtſpruche wider den Verſtor- benen zu bewegen. Jarcke in Wien betrieb die Denunciation mit dem fanatiſchen Eifer des Convertiten, die Wiener Redemtoriſten ſtellten ſo- gleich eine Reihe ketzeriſcher Sätze aus Hermes’ Schriften zuſammen. Dann bereiſte Jarcke das Rheinland um neue Beweismittel gegen die Bonner Theologenſchule zu ſammeln; er beredete ſeinen Gönner Metternich, die Anklage in Rom durch den Geſandten Graf Lützow, der auch zu der cleri- calen Schaar der evangeliſchen Renegaten gehörte, insgeheim zu unter- ſtützen. Die Hände des Wiener Hofpubliciſten ließen ſich überall ſpüren; er gab in dieſen Jahren dem Erbprinzen von Naſſau politiſchen Unter- richt, und mit ſolchem Erfolge, daß die Heimath der proteſtantiſchen Oranier nachher für lange Zeit den clericalen Einflüſſen verfiel. Nun wurden der
*) Fonck an Prof. Seber in Bonn, 18. Juli; Altenſtein an Rehfues, 22. Aug. 1823.
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IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
legten „Winterabend-Unterhaltungen am warmen Ofen“ ſchilderten den
Rheinländern, wie ſie alleſammt Sklaven ſeien, auf preußiſch hinter’s Licht
geführt, wie das Land vor fünfundzwanzig Jahren mehr Kronenthaler
beſeſſen hätte als heute Silbergroſchen; wenn ein Proteſtant ſich auf den
Glauben ſeiner Väter berufe, ſo ſei dies ganz das Nämliche als wenn ein
ſchlechter Kerl ſage: meine Eltern waren auch ſchlechte Kerle. Dem evan-
geliſchen Könige, der durch Seelenverkauf ſeine Schwiegertochter dem wahren
Glauben entfremdet habe, wurde als leuchtendes Gegenbild der gerechte
katholiſche „Kaiſer Fränzel in Oeſterreich“ entgegengeſtellt.
Dem wilden clericalen Haſſe, der ſich in ſolchen Schriften ausſprach,
boten zunächſt die Hermeſianer eine willkommene Zielſcheibe. Es rächte
ſich jetzt, daß Spiegel, zu Altenſtein’s Leidweſen, die Schüler von Hermes
parteiiſch begünſtigt hatte. Die ſo lange zurückgeſetzte gegneriſche Partei
dürſtete nach Rache; ſie wußte, daß der neue Erzbiſchof mit Spiegel wie
mit Hermes immer in Feindſchaft gelebt hatte. Er ſelbſt berechnete die
Zahl der Hermeſianer unter dem Clerus ſeines Erzbisthums auf mehr
als fünftauſend, und dazu gehörten faſt alle die älteren, der Staatsgewalt
gehorſamen Geiſtlichen. Gleichwohl war dieſe mächtige Schule ſchon im
Sinken, ganz wie der alte Rationalismus innerhalb der evangeliſchen Kirche.
Für die neuen Ideen, welche die Romantik in der katholiſchen Welt ge-
weckt hatte, zeigten die Hermeſianer kein Verſtändniß, und je kräftiger das
kirchliche Bewußtſein ſich wieder regte, um ſo weniger konnte ihm eine
Theologie genügen, welche die römiſchen Glaubensſätze auf die rein pro-
teſtantiſche Lehre Kant’s zu ſtützen ſuchte. Vor Jahren ſchon hatte der
ultramontane Generalvicar Fonck in Aachen die Bonner Theologen vor
dem Königsberger Philoſophen gewarnt, was der Miniſter freilich als eine
unbefugte Einmiſchung in die Wiſſenſchaft rügte. *) Neuerdings führte die
Aſchaffenburger Kirchenzeitung einen heftigen Federkrieg gegen die Halb-
heiten der Hermeſianer, und nach Hermes’ Tode (1831) verſuchten ſeine
Gegner, den römiſchen Stuhl zu einem Machtſpruche wider den Verſtor-
benen zu bewegen. Jarcke in Wien betrieb die Denunciation mit dem
fanatiſchen Eifer des Convertiten, die Wiener Redemtoriſten ſtellten ſo-
gleich eine Reihe ketzeriſcher Sätze aus Hermes’ Schriften zuſammen. Dann
bereiſte Jarcke das Rheinland um neue Beweismittel gegen die Bonner
Theologenſchule zu ſammeln; er beredete ſeinen Gönner Metternich, die
Anklage in Rom durch den Geſandten Graf Lützow, der auch zu der cleri-
calen Schaar der evangeliſchen Renegaten gehörte, insgeheim zu unter-
ſtützen. Die Hände des Wiener Hofpubliciſten ließen ſich überall ſpüren;
er gab in dieſen Jahren dem Erbprinzen von Naſſau politiſchen Unter-
richt, und mit ſolchem Erfolge, daß die Heimath der proteſtantiſchen Oranier
nachher für lange Zeit den clericalen Einflüſſen verfiel. Nun wurden der
*) Fonck an Prof. Seber in Bonn, 18. Juli; Altenſtein an Rehfues, 22. Aug. 1823.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/706>, abgerufen am 27.11.2024.
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