Erklärungen.*) Darauf verlangte der Welfe auch noch, daß die Rechts- gutachten der drei Facultäten von Bundeswegen verboten würden; die Mehrheit stimmte zu, doch abermals erhob Baiern Einspruch, und das Ende war, daß die verbotene Schrift fast überall in Deutschland frei um- laufen konnte. Geflissentlich gab sich der hannöversche Hof den Anschein, als ob er mit dem preußischen in einer engen Freundschaft lebte, welche in Wirklichkeit nicht bestand. Nach dem Abschluß eines Handelsvertrages zwischen den beiden Nachbarstaaten verlangte Ernst August für seinen Minister Schele ausdrücklich einen preußischen Orden, was als Gegen- leistung nicht abgeschlagen werden konnte, und er erlebte die Genugthuung, daß die kleinmeisterliche Presse diese Auszeichnung fast ebenso leidenschaftlich besprach wie vormals den berühmten rothen Adlerorden des Professors Schmalz. Noch viele Monate hindurch währte der hoffnungslose Streit; immer wieder überreichte der unermüdliche Dr. Hessenberg Beschwerde- schriften hannöverscher Städte, und es hielt schwer, die hadernden Parteien des Bundestags zusammenzuhalten.**)
In Wahrheit ging der hannöversche Verfassungsstreit schon zu Ende. Ohne die Hilfe des Bundes -- das hatte Stüve längst vorausgesehen -- konnte die schwache, weithin zerstreute Oppositionspartei nicht mehr auf Erfolge zählen. Das Volk war der Händel müde. Die Regierung be- nutzte jedes Mittel, um wieder eine vollzählige Kammer zu Stande zu bringen; sie scheute sich nicht, sogar die Wahlen der Minderheit der Cor- porationen für giltig zu erklären, so daß selbst der Landtagsmarschall Graf Münster sich nicht mehr fügen wollte. Christiani und andere liberale Ab- geordnete wurden von Polizeiwegen aufgefordert, im Landtage zu erscheinen, widrigenfalls die Behörde sie aus der Stadt Hannover ausweisen würde. Dergestalt erlebte Deutschland das wunderbare Schauspiel, daß man seine Volksvertreter auf dem Schub in die Kammer brachte. Durch solche Künste ward der Landtag endlich beschlußfähig, und im Sommer 1840 erklärte er sich bereit, auf einen neuen Verfassungsentwurf der Regie- rung einzugehen. Ernst August empfing jetzt seine getreuen Stände sehr freundlich und sagte: "Ich fühle als einen Stein vom Herzen zu hören das was Sie mir sagen." Wenn man ihm nur seinen Willen that, war er ja kein Bösewicht.
Am 6. August 1840 kam das Landesverfassungsgesetz zu Stande. Die neue Verfassung gewährte dem Welfen Alles was er wünschte: ein den Ständen nicht verantwortliches Ministerium, einen Landtag mit sehr be- schränkter gesetzgeberischer Befugniß, und vor Allem die längst ersehnte Kassentrennung. Sie bestimmte auch, was ihm fast noch wichtiger war, daß nur Geisteskrankheit vom Throne ausschließen, und mithin der blinde
*) Schöler's Bericht, 1. Oct. 1839.
**) Schöler's Bericht, 5. März 1840.
Letzte Entſcheidung des Bundestags.
Erklärungen.*) Darauf verlangte der Welfe auch noch, daß die Rechts- gutachten der drei Facultäten von Bundeswegen verboten würden; die Mehrheit ſtimmte zu, doch abermals erhob Baiern Einſpruch, und das Ende war, daß die verbotene Schrift faſt überall in Deutſchland frei um- laufen konnte. Gefliſſentlich gab ſich der hannöverſche Hof den Anſchein, als ob er mit dem preußiſchen in einer engen Freundſchaft lebte, welche in Wirklichkeit nicht beſtand. Nach dem Abſchluß eines Handelsvertrages zwiſchen den beiden Nachbarſtaaten verlangte Ernſt Auguſt für ſeinen Miniſter Schele ausdrücklich einen preußiſchen Orden, was als Gegen- leiſtung nicht abgeſchlagen werden konnte, und er erlebte die Genugthuung, daß die kleinmeiſterliche Preſſe dieſe Auszeichnung faſt ebenſo leidenſchaftlich beſprach wie vormals den berühmten rothen Adlerorden des Profeſſors Schmalz. Noch viele Monate hindurch währte der hoffnungsloſe Streit; immer wieder überreichte der unermüdliche Dr. Heſſenberg Beſchwerde- ſchriften hannöverſcher Städte, und es hielt ſchwer, die hadernden Parteien des Bundestags zuſammenzuhalten.**)
In Wahrheit ging der hannöverſche Verfaſſungsſtreit ſchon zu Ende. Ohne die Hilfe des Bundes — das hatte Stüve längſt vorausgeſehen — konnte die ſchwache, weithin zerſtreute Oppoſitionspartei nicht mehr auf Erfolge zählen. Das Volk war der Händel müde. Die Regierung be- nutzte jedes Mittel, um wieder eine vollzählige Kammer zu Stande zu bringen; ſie ſcheute ſich nicht, ſogar die Wahlen der Minderheit der Cor- porationen für giltig zu erklären, ſo daß ſelbſt der Landtagsmarſchall Graf Münſter ſich nicht mehr fügen wollte. Chriſtiani und andere liberale Ab- geordnete wurden von Polizeiwegen aufgefordert, im Landtage zu erſcheinen, widrigenfalls die Behörde ſie aus der Stadt Hannover ausweiſen würde. Dergeſtalt erlebte Deutſchland das wunderbare Schauſpiel, daß man ſeine Volksvertreter auf dem Schub in die Kammer brachte. Durch ſolche Künſte ward der Landtag endlich beſchlußfähig, und im Sommer 1840 erklärte er ſich bereit, auf einen neuen Verfaſſungsentwurf der Regie- rung einzugehen. Ernſt Auguſt empfing jetzt ſeine getreuen Stände ſehr freundlich und ſagte: „Ich fühle als einen Stein vom Herzen zu hören das was Sie mir ſagen.“ Wenn man ihm nur ſeinen Willen that, war er ja kein Böſewicht.
Am 6. Auguſt 1840 kam das Landesverfaſſungsgeſetz zu Stande. Die neue Verfaſſung gewährte dem Welfen Alles was er wünſchte: ein den Ständen nicht verantwortliches Miniſterium, einen Landtag mit ſehr be- ſchränkter geſetzgeberiſcher Befugniß, und vor Allem die längſt erſehnte Kaſſentrennung. Sie beſtimmte auch, was ihm faſt noch wichtiger war, daß nur Geiſteskrankheit vom Throne ausſchließen, und mithin der blinde
*) Schöler’s Bericht, 1. Oct. 1839.
**) Schöler’s Bericht, 5. März 1840.
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Letzte Entſcheidung des Bundestags.
Erklärungen. *) Darauf verlangte der Welfe auch noch, daß die Rechts-
gutachten der drei Facultäten von Bundeswegen verboten würden; die
Mehrheit ſtimmte zu, doch abermals erhob Baiern Einſpruch, und das
Ende war, daß die verbotene Schrift faſt überall in Deutſchland frei um-
laufen konnte. Gefliſſentlich gab ſich der hannöverſche Hof den Anſchein,
als ob er mit dem preußiſchen in einer engen Freundſchaft lebte, welche
in Wirklichkeit nicht beſtand. Nach dem Abſchluß eines Handelsvertrages
zwiſchen den beiden Nachbarſtaaten verlangte Ernſt Auguſt für ſeinen
Miniſter Schele ausdrücklich einen preußiſchen Orden, was als Gegen-
leiſtung nicht abgeſchlagen werden konnte, und er erlebte die Genugthuung,
daß die kleinmeiſterliche Preſſe dieſe Auszeichnung faſt ebenſo leidenſchaftlich
beſprach wie vormals den berühmten rothen Adlerorden des Profeſſors
Schmalz. Noch viele Monate hindurch währte der hoffnungsloſe Streit;
immer wieder überreichte der unermüdliche Dr. Heſſenberg Beſchwerde-
ſchriften hannöverſcher Städte, und es hielt ſchwer, die hadernden Parteien
des Bundestags zuſammenzuhalten. **)
In Wahrheit ging der hannöverſche Verfaſſungsſtreit ſchon zu Ende.
Ohne die Hilfe des Bundes — das hatte Stüve längſt vorausgeſehen —
konnte die ſchwache, weithin zerſtreute Oppoſitionspartei nicht mehr auf
Erfolge zählen. Das Volk war der Händel müde. Die Regierung be-
nutzte jedes Mittel, um wieder eine vollzählige Kammer zu Stande zu
bringen; ſie ſcheute ſich nicht, ſogar die Wahlen der Minderheit der Cor-
porationen für giltig zu erklären, ſo daß ſelbſt der Landtagsmarſchall Graf
Münſter ſich nicht mehr fügen wollte. Chriſtiani und andere liberale Ab-
geordnete wurden von Polizeiwegen aufgefordert, im Landtage zu erſcheinen,
widrigenfalls die Behörde ſie aus der Stadt Hannover ausweiſen würde.
Dergeſtalt erlebte Deutſchland das wunderbare Schauſpiel, daß man ſeine
Volksvertreter auf dem Schub in die Kammer brachte. Durch ſolche
Künſte ward der Landtag endlich beſchlußfähig, und im Sommer 1840
erklärte er ſich bereit, auf einen neuen Verfaſſungsentwurf der Regie-
rung einzugehen. Ernſt Auguſt empfing jetzt ſeine getreuen Stände ſehr
freundlich und ſagte: „Ich fühle als einen Stein vom Herzen zu hören
das was Sie mir ſagen.“ Wenn man ihm nur ſeinen Willen that, war
er ja kein Böſewicht.
Am 6. Auguſt 1840 kam das Landesverfaſſungsgeſetz zu Stande. Die
neue Verfaſſung gewährte dem Welfen Alles was er wünſchte: ein den
Ständen nicht verantwortliches Miniſterium, einen Landtag mit ſehr be-
ſchränkter geſetzgeberiſcher Befugniß, und vor Allem die längſt erſehnte
Kaſſentrennung. Sie beſtimmte auch, was ihm faſt noch wichtiger war, daß
nur Geiſteskrankheit vom Throne ausſchließen, und mithin der blinde
*) Schöler’s Bericht, 1. Oct. 1839.
**) Schöler’s Bericht, 5. März 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 681. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/695>, abgerufen am 23.07.2024.
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