gewann und jetzt erst anfing mit anderen deutschen Residenzen zu wetteifern. Die Etikette ward freilich unerbittlich streng gewahrt, und Ernst August ruhte nicht, bis der bairische Gesandte Hormayr, der durch seine böse Zunge auch hier wieder Unfrieden stiftete, in die Hansestädte versetzt wurde. Die Truppen hatten bisher englische Fahnen geführt, ganz wie einst die Kur- sachsen polnische Feldzeichen trugen. Jetzt wurden die neuen weißgelben Landesfarben eingeführt, eine ganz unhistorische, allen Gesetzen der Heraldik widersprechende Farbenzusammenstellung; aus den Aktenbündeln verschwand der rothe Faden, der red tape der Briten. Die Infanterie erhielt, statt der englischen rothen, blaue preußische Röcke, und die Artillerie verlor ihren Ehrenplatz auf dem rechten Flügel. Groß war der Jammer über diese Neuerungen, größer fast als der Schmerz um das Staatsgrundgesetz; selbst der kluge alte General Sir Julius Hartmann vermochte sich von den theueren alten Erinnerungszeichen nur schwer zu trennen, und König Ludwig von Baiern sang in einem herzbrechenden Klageliede:
Denn der Hannoveraner ist zu denken Getrennt von seinem rothen Rocke nicht.
Sie ahnten nicht, daß der alte Welfe unbewußt im Dienste des nationalen Gedankens arbeitete. Ernst August verdrängte die Ausländerei und zog einen hannöverschen Particularismus groß, aus dem vielleicht dereinst eine deutsche Gesinnung erwachsen konnte; darum war die Abschaffung der rothen Röcke die rühmlichste That seiner ersten Regierungsjahre.
Aus eigener Kraft konnte dies halb gleichgiltige halb rathlose Volk nicht zu seinem Rechte gelangen. Stüve fühlte das lebhaft und setzte darum seine ganze Hoffnung auf den Deutschen Bund; durch die Petition der Stadt Osnabrück erzwang er was Oesterreich und Preußen so ängstlich zu verhindern gesucht hatten. Den beiden Großmächten kam der vollendete Staatsstreich ganz unerwartet. Das hatten sie, nachdem Ernst August in Karlsbad so versöhnlich gesprochen, unmöglich voraussehen können; auch der englische Gesandte Sir Fred. Lamb war dort in Böhmen von dem biderben Welfen völlig überlistet worden und fühlte sich jetzt seinem eigenen Hofe gegenüber schmählich bloßgestellt.*) Nachdem das Unglück geschehen war, bemühte sich Canitz redlich, den König vor weiteren Gewaltsamkeiten zu warnen und ihm eine rasche Verständigung mit dem Landtage zu em- pfehlen. Er sah ganz richtig, daß die Mißstimmung wuchs je länger die Ungewißheit währte, daß Leist als Regierungsbevollmächtigter weder Achtung noch Vertrauen erwecken konnte, daß der Landtag für die künftige Volks- vertretung wirksame Rechte, namentlich das Recht der Gesetzgebung, fordern mußte, daß "die Autokratie" nirgends gefährlicher war als in diesem Lande, das keinen regierungsfähigen Thronfolger besaß.**) Doch einen bestimmten
*) Maltzan's Berichte, 16. Nov. 1837 ff.
**) Canitz's Berichte, 17. Nov., 19. Dec. 1837, 4. Apr., 12. Mai, 28. Juli 1838.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 43
Die Osnabrücker vor dem Bundestage.
gewann und jetzt erſt anfing mit anderen deutſchen Reſidenzen zu wetteifern. Die Etikette ward freilich unerbittlich ſtreng gewahrt, und Ernſt Auguſt ruhte nicht, bis der bairiſche Geſandte Hormayr, der durch ſeine böſe Zunge auch hier wieder Unfrieden ſtiftete, in die Hanſeſtädte verſetzt wurde. Die Truppen hatten bisher engliſche Fahnen geführt, ganz wie einſt die Kur- ſachſen polniſche Feldzeichen trugen. Jetzt wurden die neuen weißgelben Landesfarben eingeführt, eine ganz unhiſtoriſche, allen Geſetzen der Heraldik widerſprechende Farbenzuſammenſtellung; aus den Aktenbündeln verſchwand der rothe Faden, der red tape der Briten. Die Infanterie erhielt, ſtatt der engliſchen rothen, blaue preußiſche Röcke, und die Artillerie verlor ihren Ehrenplatz auf dem rechten Flügel. Groß war der Jammer über dieſe Neuerungen, größer faſt als der Schmerz um das Staatsgrundgeſetz; ſelbſt der kluge alte General Sir Julius Hartmann vermochte ſich von den theueren alten Erinnerungszeichen nur ſchwer zu trennen, und König Ludwig von Baiern ſang in einem herzbrechenden Klageliede:
Denn der Hannoveraner iſt zu denken Getrennt von ſeinem rothen Rocke nicht.
Sie ahnten nicht, daß der alte Welfe unbewußt im Dienſte des nationalen Gedankens arbeitete. Ernſt Auguſt verdrängte die Ausländerei und zog einen hannöverſchen Particularismus groß, aus dem vielleicht dereinſt eine deutſche Geſinnung erwachſen konnte; darum war die Abſchaffung der rothen Röcke die rühmlichſte That ſeiner erſten Regierungsjahre.
Aus eigener Kraft konnte dies halb gleichgiltige halb rathloſe Volk nicht zu ſeinem Rechte gelangen. Stüve fühlte das lebhaft und ſetzte darum ſeine ganze Hoffnung auf den Deutſchen Bund; durch die Petition der Stadt Osnabrück erzwang er was Oeſterreich und Preußen ſo ängſtlich zu verhindern geſucht hatten. Den beiden Großmächten kam der vollendete Staatsſtreich ganz unerwartet. Das hatten ſie, nachdem Ernſt Auguſt in Karlsbad ſo verſöhnlich geſprochen, unmöglich vorausſehen können; auch der engliſche Geſandte Sir Fred. Lamb war dort in Böhmen von dem biderben Welfen völlig überliſtet worden und fühlte ſich jetzt ſeinem eigenen Hofe gegenüber ſchmählich bloßgeſtellt.*) Nachdem das Unglück geſchehen war, bemühte ſich Canitz redlich, den König vor weiteren Gewaltſamkeiten zu warnen und ihm eine raſche Verſtändigung mit dem Landtage zu em- pfehlen. Er ſah ganz richtig, daß die Mißſtimmung wuchs je länger die Ungewißheit währte, daß Leiſt als Regierungsbevollmächtigter weder Achtung noch Vertrauen erwecken konnte, daß der Landtag für die künftige Volks- vertretung wirkſame Rechte, namentlich das Recht der Geſetzgebung, fordern mußte, daß „die Autokratie“ nirgends gefährlicher war als in dieſem Lande, das keinen regierungsfähigen Thronfolger beſaß.**) Doch einen beſtimmten
*) Maltzan’s Berichte, 16. Nov. 1837 ff.
**) Canitz’s Berichte, 17. Nov., 19. Dec. 1837, 4. Apr., 12. Mai, 28. Juli 1838.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 43
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Die Osnabrücker vor dem Bundestage.
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Die Etikette ward freilich unerbittlich ſtreng gewahrt, und Ernſt Auguſt
ruhte nicht, bis der bairiſche Geſandte Hormayr, der durch ſeine böſe Zunge
auch hier wieder Unfrieden ſtiftete, in die Hanſeſtädte verſetzt wurde. Die
Truppen hatten bisher engliſche Fahnen geführt, ganz wie einſt die Kur-
ſachſen polniſche Feldzeichen trugen. Jetzt wurden die neuen weißgelben
Landesfarben eingeführt, eine ganz unhiſtoriſche, allen Geſetzen der Heraldik
widerſprechende Farbenzuſammenſtellung; aus den Aktenbündeln verſchwand
der rothe Faden, der red tape der Briten. Die Infanterie erhielt, ſtatt
der engliſchen rothen, blaue preußiſche Röcke, und die Artillerie verlor ihren
Ehrenplatz auf dem rechten Flügel. Groß war der Jammer über dieſe
Neuerungen, größer faſt als der Schmerz um das Staatsgrundgeſetz; ſelbſt
der kluge alte General Sir Julius Hartmann vermochte ſich von den
theueren alten Erinnerungszeichen nur ſchwer zu trennen, und König Ludwig
von Baiern ſang in einem herzbrechenden Klageliede:
Denn der Hannoveraner iſt zu denken
Getrennt von ſeinem rothen Rocke nicht.
Sie ahnten nicht, daß der alte Welfe unbewußt im Dienſte des nationalen
Gedankens arbeitete. Ernſt Auguſt verdrängte die Ausländerei und zog
einen hannöverſchen Particularismus groß, aus dem vielleicht dereinſt eine
deutſche Geſinnung erwachſen konnte; darum war die Abſchaffung der rothen
Röcke die rühmlichſte That ſeiner erſten Regierungsjahre.
Aus eigener Kraft konnte dies halb gleichgiltige halb rathloſe Volk
nicht zu ſeinem Rechte gelangen. Stüve fühlte das lebhaft und ſetzte
darum ſeine ganze Hoffnung auf den Deutſchen Bund; durch die Petition
der Stadt Osnabrück erzwang er was Oeſterreich und Preußen ſo ängſtlich
zu verhindern geſucht hatten. Den beiden Großmächten kam der vollendete
Staatsſtreich ganz unerwartet. Das hatten ſie, nachdem Ernſt Auguſt in
Karlsbad ſo verſöhnlich geſprochen, unmöglich vorausſehen können; auch
der engliſche Geſandte Sir Fred. Lamb war dort in Böhmen von dem
biderben Welfen völlig überliſtet worden und fühlte ſich jetzt ſeinem eigenen
Hofe gegenüber ſchmählich bloßgeſtellt. *) Nachdem das Unglück geſchehen
war, bemühte ſich Canitz redlich, den König vor weiteren Gewaltſamkeiten
zu warnen und ihm eine raſche Verſtändigung mit dem Landtage zu em-
pfehlen. Er ſah ganz richtig, daß die Mißſtimmung wuchs je länger die
Ungewißheit währte, daß Leiſt als Regierungsbevollmächtigter weder Achtung
noch Vertrauen erwecken konnte, daß der Landtag für die künftige Volks-
vertretung wirkſame Rechte, namentlich das Recht der Geſetzgebung, fordern
mußte, daß „die Autokratie“ nirgends gefährlicher war als in dieſem Lande,
das keinen regierungsfähigen Thronfolger beſaß. **) Doch einen beſtimmten
*) Maltzan’s Berichte, 16. Nov. 1837 ff.
**) Canitz’s Berichte, 17. Nov., 19. Dec. 1837, 4. Apr., 12. Mai, 28. Juli 1838.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 43
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 673. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/687>, abgerufen am 23.07.2024.
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