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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Trennung von England und Hannover.
gedrungenen Fremdherrschaft. Was in Pommern, in Preußen, in Schlesien
nur unter schweren Opfern und Kämpfen erreicht war, das gelang in
Hannover durch die Gunst des Zufalls, und alsbald zeigte sich, wie wenig
die lange Verbindung mit dem Auslande den Kern des niedersächsischen
Volksthums verändert hatte. Die starke englische Kolonie in der Stadt
Hannover, einige britische Sitten und Familienverbindungen in der vor-
nehmen Gesellschaft, dazu die kriegerischen Erinnerungen der Veteranen
und ein hohes Maß von Selbstgenügsamkeit, das war in Wahrheit Alles
was von dem ausländischen Wesen noch übrig blieb. Ohne Kummer gaben
die Hannoveraner den Namen der deutschen Großbritannier auf, um fortan
sich selbst und ihrem endlich sichtbaren Könige zu leben.

Ein Glück nur, daß sie trotz ihrer britischen Neigungen selten eng-
lische Zeitungen lasen und von dem schlimmen Rufe ihres neuen Herr-
schers wenig wußten. Mit der einzigen Ausnahme des Selbstmords hat
der Herzog von Cumberland schon jedes erdenkliche Verbrechen begangen
-- so schrieb um jene Zeit ein radicales englisches Blatt und sprach damit
nur in pöbelhaften Formen aus, welchen furchtbaren Haß dieser unbelieb-
teste aller englischen Prinzen im Verlaufe eines sechsundsechzigjährigen
Lebens auf sich geladen hatte. König Ernst August war der begabteste
unter den sieben Söhnen Georg's III., aber schlecht erzogen, nicht blos
aller Bildung baar, sondern ein abgesagter Feind der Wissenschaft, die er
"dem Federvieh der Tintenkleckser" überließ; nur wer wohl geboren, wohl
gekleidet und mäßig gelehrt war galt ihm, wie einst den Römern, für
einen anständigen Mann. Auf der Göttinger Hochschule hatte er nicht
einmal die deutsche Sprache erlernt, um so gründlicher die Reitkunst. Als
er dann in den niederländischen Feldzügen ein hannöversches Dragoner-
regiment befehligte, zeigte er sich sehr tapfer, aber auch so roh und grau-
sam, daß Scharnhorst seinen Abscheu kaum bezwingen konnte. Wiederholt
verbot er seinen Reitern, ihm die verfluchten französischen Republikaner
gefangen einzubringen; Alles wollte er niedersäbeln, in einem wilden Hand-
gemenge verlor er selbst ein Auge. An den napoleonischen Kriegen be-
theiligte er sich nicht, nur in den Tagen der Schlacht von Kulm erschien
er für kurze Zeit im Hauptquartier der Verbündeten. Trotz dieser ge-
ringen Kriegserfahrung betrieb er das Soldatenhandwerk mit leidenschaft-
lichem Eifer, und unbeschreiblich war seine Freude als König Friedrich
Wilhelm ihn zum Chef der rothen Zieten-Husaren ernannte. Neben dem
steifen Dünkel des englischen Lords behielt er doch immer etwas von der
naturwüchsigen Frische des deutschen Reiteroffiziers.

Im Oberhause ward er bald ein gefürchteter Führer der Hochtorys;
bald drohend und lärmend, bald schlau belügend, bald leise hetzend wußte
er seine Leute bei der Stange zu halten. Nur die hartreaktionären Grund-
sätze Lord Eldon's fanden seinen Beifall; selbst den eisernen Herzog hielt
er für einen gefährlichen Ränkeschmied, weil Wellington sich den Forde-

Trennung von England und Hannover.
gedrungenen Fremdherrſchaft. Was in Pommern, in Preußen, in Schleſien
nur unter ſchweren Opfern und Kämpfen erreicht war, das gelang in
Hannover durch die Gunſt des Zufalls, und alsbald zeigte ſich, wie wenig
die lange Verbindung mit dem Auslande den Kern des niederſächſiſchen
Volksthums verändert hatte. Die ſtarke engliſche Kolonie in der Stadt
Hannover, einige britiſche Sitten und Familienverbindungen in der vor-
nehmen Geſellſchaft, dazu die kriegeriſchen Erinnerungen der Veteranen
und ein hohes Maß von Selbſtgenügſamkeit, das war in Wahrheit Alles
was von dem ausländiſchen Weſen noch übrig blieb. Ohne Kummer gaben
die Hannoveraner den Namen der deutſchen Großbritannier auf, um fortan
ſich ſelbſt und ihrem endlich ſichtbaren Könige zu leben.

Ein Glück nur, daß ſie trotz ihrer britiſchen Neigungen ſelten eng-
liſche Zeitungen laſen und von dem ſchlimmen Rufe ihres neuen Herr-
ſchers wenig wußten. Mit der einzigen Ausnahme des Selbſtmords hat
der Herzog von Cumberland ſchon jedes erdenkliche Verbrechen begangen
— ſo ſchrieb um jene Zeit ein radicales engliſches Blatt und ſprach damit
nur in pöbelhaften Formen aus, welchen furchtbaren Haß dieſer unbelieb-
teſte aller engliſchen Prinzen im Verlaufe eines ſechsundſechzigjährigen
Lebens auf ſich geladen hatte. König Ernſt Auguſt war der begabteſte
unter den ſieben Söhnen Georg’s III., aber ſchlecht erzogen, nicht blos
aller Bildung baar, ſondern ein abgeſagter Feind der Wiſſenſchaft, die er
„dem Federvieh der Tintenkleckſer“ überließ; nur wer wohl geboren, wohl
gekleidet und mäßig gelehrt war galt ihm, wie einſt den Römern, für
einen anſtändigen Mann. Auf der Göttinger Hochſchule hatte er nicht
einmal die deutſche Sprache erlernt, um ſo gründlicher die Reitkunſt. Als
er dann in den niederländiſchen Feldzügen ein hannöverſches Dragoner-
regiment befehligte, zeigte er ſich ſehr tapfer, aber auch ſo roh und grau-
ſam, daß Scharnhorſt ſeinen Abſcheu kaum bezwingen konnte. Wiederholt
verbot er ſeinen Reitern, ihm die verfluchten franzöſiſchen Republikaner
gefangen einzubringen; Alles wollte er niederſäbeln, in einem wilden Hand-
gemenge verlor er ſelbſt ein Auge. An den napoleoniſchen Kriegen be-
theiligte er ſich nicht, nur in den Tagen der Schlacht von Kulm erſchien
er für kurze Zeit im Hauptquartier der Verbündeten. Trotz dieſer ge-
ringen Kriegserfahrung betrieb er das Soldatenhandwerk mit leidenſchaft-
lichem Eifer, und unbeſchreiblich war ſeine Freude als König Friedrich
Wilhelm ihn zum Chef der rothen Zieten-Huſaren ernannte. Neben dem
ſteifen Dünkel des engliſchen Lords behielt er doch immer etwas von der
naturwüchſigen Friſche des deutſchen Reiteroffiziers.

Im Oberhauſe ward er bald ein gefürchteter Führer der Hochtorys;
bald drohend und lärmend, bald ſchlau belügend, bald leiſe hetzend wußte
er ſeine Leute bei der Stange zu halten. Nur die hartreaktionären Grund-
ſätze Lord Eldon’s fanden ſeinen Beifall; ſelbſt den eiſernen Herzog hielt
er für einen gefährlichen Ränkeſchmied, weil Wellington ſich den Forde-

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[645/0659] Trennung von England und Hannover. gedrungenen Fremdherrſchaft. Was in Pommern, in Preußen, in Schleſien nur unter ſchweren Opfern und Kämpfen erreicht war, das gelang in Hannover durch die Gunſt des Zufalls, und alsbald zeigte ſich, wie wenig die lange Verbindung mit dem Auslande den Kern des niederſächſiſchen Volksthums verändert hatte. Die ſtarke engliſche Kolonie in der Stadt Hannover, einige britiſche Sitten und Familienverbindungen in der vor- nehmen Geſellſchaft, dazu die kriegeriſchen Erinnerungen der Veteranen und ein hohes Maß von Selbſtgenügſamkeit, das war in Wahrheit Alles was von dem ausländiſchen Weſen noch übrig blieb. Ohne Kummer gaben die Hannoveraner den Namen der deutſchen Großbritannier auf, um fortan ſich ſelbſt und ihrem endlich ſichtbaren Könige zu leben. Ein Glück nur, daß ſie trotz ihrer britiſchen Neigungen ſelten eng- liſche Zeitungen laſen und von dem ſchlimmen Rufe ihres neuen Herr- ſchers wenig wußten. Mit der einzigen Ausnahme des Selbſtmords hat der Herzog von Cumberland ſchon jedes erdenkliche Verbrechen begangen — ſo ſchrieb um jene Zeit ein radicales engliſches Blatt und ſprach damit nur in pöbelhaften Formen aus, welchen furchtbaren Haß dieſer unbelieb- teſte aller engliſchen Prinzen im Verlaufe eines ſechsundſechzigjährigen Lebens auf ſich geladen hatte. König Ernſt Auguſt war der begabteſte unter den ſieben Söhnen Georg’s III., aber ſchlecht erzogen, nicht blos aller Bildung baar, ſondern ein abgeſagter Feind der Wiſſenſchaft, die er „dem Federvieh der Tintenkleckſer“ überließ; nur wer wohl geboren, wohl gekleidet und mäßig gelehrt war galt ihm, wie einſt den Römern, für einen anſtändigen Mann. Auf der Göttinger Hochſchule hatte er nicht einmal die deutſche Sprache erlernt, um ſo gründlicher die Reitkunſt. Als er dann in den niederländiſchen Feldzügen ein hannöverſches Dragoner- regiment befehligte, zeigte er ſich ſehr tapfer, aber auch ſo roh und grau- ſam, daß Scharnhorſt ſeinen Abſcheu kaum bezwingen konnte. Wiederholt verbot er ſeinen Reitern, ihm die verfluchten franzöſiſchen Republikaner gefangen einzubringen; Alles wollte er niederſäbeln, in einem wilden Hand- gemenge verlor er ſelbſt ein Auge. An den napoleoniſchen Kriegen be- theiligte er ſich nicht, nur in den Tagen der Schlacht von Kulm erſchien er für kurze Zeit im Hauptquartier der Verbündeten. Trotz dieſer ge- ringen Kriegserfahrung betrieb er das Soldatenhandwerk mit leidenſchaft- lichem Eifer, und unbeſchreiblich war ſeine Freude als König Friedrich Wilhelm ihn zum Chef der rothen Zieten-Huſaren ernannte. Neben dem ſteifen Dünkel des engliſchen Lords behielt er doch immer etwas von der naturwüchſigen Friſche des deutſchen Reiteroffiziers. Im Oberhauſe ward er bald ein gefürchteter Führer der Hochtorys; bald drohend und lärmend, bald ſchlau belügend, bald leiſe hetzend wußte er ſeine Leute bei der Stange zu halten. Nur die hartreaktionären Grund- ſätze Lord Eldon’s fanden ſeinen Beifall; ſelbſt den eiſernen Herzog hielt er für einen gefährlichen Ränkeſchmied, weil Wellington ſich den Forde-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/659>, abgerufen am 24.11.2024.