Dreien war nur Heideck des griechischen Landes und seiner Sprache einigermaßen kundig. "Was ich in Ihre Hände lege -- schrieb Ludwig an Armansperg -- ist nicht blos ein persönliches, es ist ein Interesse des bairischen Hauses, des bairischen Volks, ein welthistorisches Interesse." Auch eine Schaar von Unterbeamten zog mit hinüber. Darunter befanden sich -- wie dies bei jeder plötzlichen Verschiebung im Beamtenthum zu geschehen pflegt -- einzelne hochstrebende Idealisten, aber noch mehr un- brauchbare Leute, die daheim nicht vorwärts kamen; sie glaubten das Glück der Hellenen dann am sichersten zu begründen, wenn sie ihnen einen Euro- taskreis und einen Ilissuskreis getreu nach dem Vorbilde des heimischen Rezatkreises und Isarkreises einrichteten. Wohl kamen einige Tage fröh- licher Hoffnung: als der junge König, leider nicht auf deutschen Schiffen, sondern nur als Gast auf der Flotte der Schutzmächte, an der malerischen Felsenküste von Nauplia landete (3. Febr. 1833) -- ein prächtiges Schau- spiel, das der eigens dazu abgesandte Peter Heß auf einem seiner besten Gemälde verewigte -- und dann wieder, als die letzten Türken das Kastron von Athen räumten und die Hellblauen mit den Raupenhelmen triumphirend in der Akropolis einzogen. Doch nur zu bald zeigte sich der Widersinn dieser Verbindung zweier Länder, die mit einander schlechterdings nichts gemein hatten als die zufällige Gleichheit der blauweißen Landesfarben.
Die Regentschaft fand den Boden bereits besetzt durch die Resi- denten der drei Schutzmächte, die sich hier, ganz wie ihre vornehmeren Genossen am Bosporus, schon einen diplomatischen Blocksberg eingerichtet hatten und, ganz wie jene, in endlosen Ränkespielen einander befehdeten. Da sie längst Bescheid wußten, die treuherzige Regentschaft aber den eigent- lichen Grund aller orientalischen Parteikämpfe, die Begehrlichkeit, noch nicht durchschaut hatte, so geschah es bald, daß jeder der drei Gesandten einen der bairischen Regenten für sich gewann. Armansperg ging mit England, Heideck mit Rußland, Maurer und sein getreuer Geh. Rath Abel mit Frankreich. Die Zwietracht ward vollkommen, als nachher auch noch der neue österreichische Gesandte Prokesch sich einmischte. Der preußische Hof hielt sich diesen Ränken meist fern; er blieb aber der Meinung, daß Armansperg's englische Politik immerhin noch am wenigsten schade, denn Rußlands Einfluß würde die Eifersucht der Westmächte, Frankreichs Ein- fluß die revolutionären Leidenschaften aufstacheln.*) Der diplomatische Zank war um so gefährlicher, da die Schutzmächte die wirthschaftliche Zu- kunft des völlig ausgeraubten jungen Staates in ihrer Hand hielten; sie hatten zu Gunsten Griechenlands eine Anleihe von 60 Mill. Franken auf- genommen, wovon erst zwei Drittel ausgezahlt waren, und sobald die Haltung der Regentschaft einer der drei Mächte mißfiel, erging sofort die barsche Drohung, nunmehr müsse man die Zahlungen einstellen.
*) Ancillon, Weisung an Dönhoff, 28. Mai 1835.
IV. 8. Stille Jahre.
Dreien war nur Heideck des griechiſchen Landes und ſeiner Sprache einigermaßen kundig. „Was ich in Ihre Hände lege — ſchrieb Ludwig an Armansperg — iſt nicht blos ein perſönliches, es iſt ein Intereſſe des bairiſchen Hauſes, des bairiſchen Volks, ein welthiſtoriſches Intereſſe.“ Auch eine Schaar von Unterbeamten zog mit hinüber. Darunter befanden ſich — wie dies bei jeder plötzlichen Verſchiebung im Beamtenthum zu geſchehen pflegt — einzelne hochſtrebende Idealiſten, aber noch mehr un- brauchbare Leute, die daheim nicht vorwärts kamen; ſie glaubten das Glück der Hellenen dann am ſicherſten zu begründen, wenn ſie ihnen einen Euro- taskreis und einen Iliſſuskreis getreu nach dem Vorbilde des heimiſchen Rezatkreiſes und Iſarkreiſes einrichteten. Wohl kamen einige Tage fröh- licher Hoffnung: als der junge König, leider nicht auf deutſchen Schiffen, ſondern nur als Gaſt auf der Flotte der Schutzmächte, an der maleriſchen Felſenküſte von Nauplia landete (3. Febr. 1833) — ein prächtiges Schau- ſpiel, das der eigens dazu abgeſandte Peter Heß auf einem ſeiner beſten Gemälde verewigte — und dann wieder, als die letzten Türken das Kaſtron von Athen räumten und die Hellblauen mit den Raupenhelmen triumphirend in der Akropolis einzogen. Doch nur zu bald zeigte ſich der Widerſinn dieſer Verbindung zweier Länder, die mit einander ſchlechterdings nichts gemein hatten als die zufällige Gleichheit der blauweißen Landesfarben.
Die Regentſchaft fand den Boden bereits beſetzt durch die Reſi- denten der drei Schutzmächte, die ſich hier, ganz wie ihre vornehmeren Genoſſen am Bosporus, ſchon einen diplomatiſchen Blocksberg eingerichtet hatten und, ganz wie jene, in endloſen Ränkeſpielen einander befehdeten. Da ſie längſt Beſcheid wußten, die treuherzige Regentſchaft aber den eigent- lichen Grund aller orientaliſchen Parteikämpfe, die Begehrlichkeit, noch nicht durchſchaut hatte, ſo geſchah es bald, daß jeder der drei Geſandten einen der bairiſchen Regenten für ſich gewann. Armansperg ging mit England, Heideck mit Rußland, Maurer und ſein getreuer Geh. Rath Abel mit Frankreich. Die Zwietracht ward vollkommen, als nachher auch noch der neue öſterreichiſche Geſandte Prokeſch ſich einmiſchte. Der preußiſche Hof hielt ſich dieſen Ränken meiſt fern; er blieb aber der Meinung, daß Armansperg’s engliſche Politik immerhin noch am wenigſten ſchade, denn Rußlands Einfluß würde die Eiferſucht der Weſtmächte, Frankreichs Ein- fluß die revolutionären Leidenſchaften aufſtacheln.*) Der diplomatiſche Zank war um ſo gefährlicher, da die Schutzmächte die wirthſchaftliche Zu- kunft des völlig ausgeraubten jungen Staates in ihrer Hand hielten; ſie hatten zu Gunſten Griechenlands eine Anleihe von 60 Mill. Franken auf- genommen, wovon erſt zwei Drittel ausgezahlt waren, und ſobald die Haltung der Regentſchaft einer der drei Mächte mißfiel, erging ſofort die barſche Drohung, nunmehr müſſe man die Zahlungen einſtellen.
*) Ancillon, Weiſung an Dönhoff, 28. Mai 1835.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0652"n="638"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV.</hi> 8. Stille Jahre.</fw><lb/>
Dreien war nur Heideck des griechiſchen Landes und ſeiner Sprache<lb/>
einigermaßen kundig. „Was ich in Ihre Hände lege —ſchrieb Ludwig<lb/>
an Armansperg — iſt nicht blos ein perſönliches, es iſt ein Intereſſe des<lb/>
bairiſchen Hauſes, des bairiſchen Volks, ein welthiſtoriſches Intereſſe.“<lb/>
Auch eine Schaar von Unterbeamten zog mit hinüber. Darunter befanden<lb/>ſich — wie dies bei jeder plötzlichen Verſchiebung im Beamtenthum zu<lb/>
geſchehen pflegt — einzelne hochſtrebende Idealiſten, aber noch mehr un-<lb/>
brauchbare Leute, die daheim nicht vorwärts kamen; ſie glaubten das Glück<lb/>
der Hellenen dann am ſicherſten zu begründen, wenn ſie ihnen einen Euro-<lb/>
taskreis und einen Iliſſuskreis getreu nach dem Vorbilde des heimiſchen<lb/>
Rezatkreiſes und Iſarkreiſes einrichteten. Wohl kamen einige Tage fröh-<lb/>
licher Hoffnung: als der junge König, leider nicht auf deutſchen Schiffen,<lb/>ſondern nur als Gaſt auf der Flotte der Schutzmächte, an der maleriſchen<lb/>
Felſenküſte von Nauplia landete (3. Febr. 1833) — ein prächtiges Schau-<lb/>ſpiel, das der eigens dazu abgeſandte Peter Heß auf einem ſeiner beſten<lb/>
Gemälde verewigte — und dann wieder, als die letzten Türken das Kaſtron<lb/>
von Athen räumten und die Hellblauen mit den Raupenhelmen triumphirend<lb/>
in der Akropolis einzogen. Doch nur zu bald zeigte ſich der Widerſinn<lb/>
dieſer Verbindung zweier Länder, die mit einander ſchlechterdings nichts<lb/>
gemein hatten als die zufällige Gleichheit der blauweißen Landesfarben.</p><lb/><p>Die Regentſchaft fand den Boden bereits beſetzt durch die Reſi-<lb/>
denten der drei Schutzmächte, die ſich hier, ganz wie ihre vornehmeren<lb/>
Genoſſen am Bosporus, ſchon einen diplomatiſchen Blocksberg eingerichtet<lb/>
hatten und, ganz wie jene, in endloſen Ränkeſpielen einander befehdeten.<lb/>
Da ſie längſt Beſcheid wußten, die treuherzige Regentſchaft aber den eigent-<lb/>
lichen Grund aller orientaliſchen Parteikämpfe, die Begehrlichkeit, noch nicht<lb/>
durchſchaut hatte, ſo geſchah es bald, daß jeder der drei Geſandten einen<lb/>
der bairiſchen Regenten für ſich gewann. Armansperg ging mit England,<lb/>
Heideck mit Rußland, Maurer und ſein getreuer Geh. Rath Abel mit<lb/>
Frankreich. Die Zwietracht ward vollkommen, als nachher auch noch der<lb/>
neue öſterreichiſche Geſandte Prokeſch ſich einmiſchte. Der preußiſche Hof<lb/>
hielt ſich dieſen Ränken meiſt fern; er blieb aber der Meinung, daß<lb/>
Armansperg’s engliſche Politik immerhin noch am wenigſten ſchade, denn<lb/>
Rußlands Einfluß würde die Eiferſucht der Weſtmächte, Frankreichs Ein-<lb/>
fluß die revolutionären Leidenſchaften aufſtacheln.<noteplace="foot"n="*)">Ancillon, Weiſung an Dönhoff, 28. Mai 1835.</note> Der diplomatiſche<lb/>
Zank war um ſo gefährlicher, da die Schutzmächte die wirthſchaftliche Zu-<lb/>
kunft des völlig ausgeraubten jungen Staates in ihrer Hand hielten; ſie<lb/>
hatten zu Gunſten Griechenlands eine Anleihe von 60 Mill. Franken auf-<lb/>
genommen, wovon erſt zwei Drittel ausgezahlt waren, und ſobald die<lb/>
Haltung der Regentſchaft einer der drei Mächte mißfiel, erging ſofort die<lb/>
barſche Drohung, nunmehr müſſe man die Zahlungen einſtellen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[638/0652]
IV. 8. Stille Jahre.
Dreien war nur Heideck des griechiſchen Landes und ſeiner Sprache
einigermaßen kundig. „Was ich in Ihre Hände lege — ſchrieb Ludwig
an Armansperg — iſt nicht blos ein perſönliches, es iſt ein Intereſſe des
bairiſchen Hauſes, des bairiſchen Volks, ein welthiſtoriſches Intereſſe.“
Auch eine Schaar von Unterbeamten zog mit hinüber. Darunter befanden
ſich — wie dies bei jeder plötzlichen Verſchiebung im Beamtenthum zu
geſchehen pflegt — einzelne hochſtrebende Idealiſten, aber noch mehr un-
brauchbare Leute, die daheim nicht vorwärts kamen; ſie glaubten das Glück
der Hellenen dann am ſicherſten zu begründen, wenn ſie ihnen einen Euro-
taskreis und einen Iliſſuskreis getreu nach dem Vorbilde des heimiſchen
Rezatkreiſes und Iſarkreiſes einrichteten. Wohl kamen einige Tage fröh-
licher Hoffnung: als der junge König, leider nicht auf deutſchen Schiffen,
ſondern nur als Gaſt auf der Flotte der Schutzmächte, an der maleriſchen
Felſenküſte von Nauplia landete (3. Febr. 1833) — ein prächtiges Schau-
ſpiel, das der eigens dazu abgeſandte Peter Heß auf einem ſeiner beſten
Gemälde verewigte — und dann wieder, als die letzten Türken das Kaſtron
von Athen räumten und die Hellblauen mit den Raupenhelmen triumphirend
in der Akropolis einzogen. Doch nur zu bald zeigte ſich der Widerſinn
dieſer Verbindung zweier Länder, die mit einander ſchlechterdings nichts
gemein hatten als die zufällige Gleichheit der blauweißen Landesfarben.
Die Regentſchaft fand den Boden bereits beſetzt durch die Reſi-
denten der drei Schutzmächte, die ſich hier, ganz wie ihre vornehmeren
Genoſſen am Bosporus, ſchon einen diplomatiſchen Blocksberg eingerichtet
hatten und, ganz wie jene, in endloſen Ränkeſpielen einander befehdeten.
Da ſie längſt Beſcheid wußten, die treuherzige Regentſchaft aber den eigent-
lichen Grund aller orientaliſchen Parteikämpfe, die Begehrlichkeit, noch nicht
durchſchaut hatte, ſo geſchah es bald, daß jeder der drei Geſandten einen
der bairiſchen Regenten für ſich gewann. Armansperg ging mit England,
Heideck mit Rußland, Maurer und ſein getreuer Geh. Rath Abel mit
Frankreich. Die Zwietracht ward vollkommen, als nachher auch noch der
neue öſterreichiſche Geſandte Prokeſch ſich einmiſchte. Der preußiſche Hof
hielt ſich dieſen Ränken meiſt fern; er blieb aber der Meinung, daß
Armansperg’s engliſche Politik immerhin noch am wenigſten ſchade, denn
Rußlands Einfluß würde die Eiferſucht der Weſtmächte, Frankreichs Ein-
fluß die revolutionären Leidenſchaften aufſtacheln. *) Der diplomatiſche
Zank war um ſo gefährlicher, da die Schutzmächte die wirthſchaftliche Zu-
kunft des völlig ausgeraubten jungen Staates in ihrer Hand hielten; ſie
hatten zu Gunſten Griechenlands eine Anleihe von 60 Mill. Franken auf-
genommen, wovon erſt zwei Drittel ausgezahlt waren, und ſobald die
Haltung der Regentſchaft einer der drei Mächte mißfiel, erging ſofort die
barſche Drohung, nunmehr müſſe man die Zahlungen einſtellen.
*) Ancillon, Weiſung an Dönhoff, 28. Mai 1835.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/652>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.