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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 8. Stille Jahre.
stilvollen Palast für das Münchener Postamt ankaufte, und mußte nun
als Gesandter nach Wien gehen, angeblich um dort über einen Handels-
vertrag, der nie zu Stande kam, zu unterhandeln. Der preußische Ge-
sandte aber schrieb: daran läßt sich erkennen, "wie hier die constitutionelle
Verantwortlichkeit der Minister verstanden wird."*)

Mit der launischen Willkür des Königs wuchs auch seine Vorliebe
für die Clericalen. Während er den Protestanten verbot, nach preußischer
Weise den Namen der evangelischen Kirche zu führen, erlaubte er den
römischen Priestern das Sanctissimum überall, sogar in protestantischen
Städten, durch die Straßen zu tragen und befahl, daß Reiter und Wagen
davor anhalten sollten. Die Klöster mehrten sich von Jahr zu Jahr; im
Juli 1837 bestanden ihrer schon 85; die Zusage des Concordats, welche
die Wiederherstellung "einiger" Klöster verhieß, war also längst erfüllt.
Der aufopfernden Liebesthätigkeit der barmherzigen Schwestern versagten
auch die Protestanten ihre Anerkennung nicht; die terminirenden Bettel-
mönche aber geriethen häufig in Streit mit den Polizeibeamten, die nach
ihrer Amtspflicht das Betteln und Strolchen zu untersagen hatten. In
Augsburg übergab der König das Gymnasium den Benedictinern und
feierte diese That durch einen Geschichtsthaler, der die Bavaria darstellte,
wie sie zwei Knaben einem Mönche zuführte. Dann befahl Wallerstein
durch eine Verordnung, daß bei der Besetzung der Gymnasial-Lehrerstellen
die Geistlichen vorzugsweise berücksichtigt werden sollten. Er that es aus
Nachgiebigkeit gegen den König; im Stillen war der schmiegsame Minister
von der Ueberlegenheit des weltlichen Unterrichts überzeugt und freute sich
herzlich, als der Führer der classischen Pädagogen, Thiersch in der Pfalz
einige neue Lateinschulen einrichtete. Wo das Mönchthum blühte, durften
auch die Mirakel nicht fehlen. In der Nachbarschaft Münchens tauchte eine
Blutschwitzerin Maria Mörl auf, und zahlreiche Andächtige strömten herbei,
um die Wundenmale Christi am Leibe der heiligen Frau zu betrachten.

Unterdessen hatte der Papst (1832) ein strenges Breve über die ge-
mischten Ehen erlassen. Auf die Bitten des ehrwürdigen Bamberger Erz-
bischofs Frhrn. v. Frauenburg und anderer Prälaten wurden diese harten
Vorschriften zwar durch eine Instruktion etwas gemildert; indeß blieb fortan
Regel, daß der römische Priester die katholische Erziehung aller Kinder ver-
langte und anderenfalls höchstens die passive Assistenz leistete. In den pari-
tätischen fränkischen Landschaften, wo auf 16 neue Ehen oft 14 Mischehen
kamen, äußerte sich der Unwille sehr laut. Als aber das lutherische Con-
sistorium, um seine Gegenmaßregeln zu treffen, sich von der Regierung die
Mittheilung jener beiden Breven erbat, da wurde ihm sein Gesuch mehr-
mals abgeschlagen.**) Die Aussichten verdüsterten sich noch mehr, als

*) Dönhoff's Berichte, 27. Sept. 1834, 7. Jan. 1835.
**) Dönhoff's Berichte, 31. Mai 1834, 20. März 1835.

IV. 8. Stille Jahre.
ſtilvollen Palaſt für das Münchener Poſtamt ankaufte, und mußte nun
als Geſandter nach Wien gehen, angeblich um dort über einen Handels-
vertrag, der nie zu Stande kam, zu unterhandeln. Der preußiſche Ge-
ſandte aber ſchrieb: daran läßt ſich erkennen, „wie hier die conſtitutionelle
Verantwortlichkeit der Miniſter verſtanden wird.“*)

Mit der launiſchen Willkür des Königs wuchs auch ſeine Vorliebe
für die Clericalen. Während er den Proteſtanten verbot, nach preußiſcher
Weiſe den Namen der evangeliſchen Kirche zu führen, erlaubte er den
römiſchen Prieſtern das Sanctiſſimum überall, ſogar in proteſtantiſchen
Städten, durch die Straßen zu tragen und befahl, daß Reiter und Wagen
davor anhalten ſollten. Die Klöſter mehrten ſich von Jahr zu Jahr; im
Juli 1837 beſtanden ihrer ſchon 85; die Zuſage des Concordats, welche
die Wiederherſtellung „einiger“ Klöſter verhieß, war alſo längſt erfüllt.
Der aufopfernden Liebesthätigkeit der barmherzigen Schweſtern verſagten
auch die Proteſtanten ihre Anerkennung nicht; die terminirenden Bettel-
mönche aber geriethen häufig in Streit mit den Polizeibeamten, die nach
ihrer Amtspflicht das Betteln und Strolchen zu unterſagen hatten. In
Augsburg übergab der König das Gymnaſium den Benedictinern und
feierte dieſe That durch einen Geſchichtsthaler, der die Bavaria darſtellte,
wie ſie zwei Knaben einem Mönche zuführte. Dann befahl Wallerſtein
durch eine Verordnung, daß bei der Beſetzung der Gymnaſial-Lehrerſtellen
die Geiſtlichen vorzugsweiſe berückſichtigt werden ſollten. Er that es aus
Nachgiebigkeit gegen den König; im Stillen war der ſchmiegſame Miniſter
von der Ueberlegenheit des weltlichen Unterrichts überzeugt und freute ſich
herzlich, als der Führer der claſſiſchen Pädagogen, Thierſch in der Pfalz
einige neue Lateinſchulen einrichtete. Wo das Mönchthum blühte, durften
auch die Mirakel nicht fehlen. In der Nachbarſchaft Münchens tauchte eine
Blutſchwitzerin Maria Mörl auf, und zahlreiche Andächtige ſtrömten herbei,
um die Wundenmale Chriſti am Leibe der heiligen Frau zu betrachten.

Unterdeſſen hatte der Papſt (1832) ein ſtrenges Breve über die ge-
miſchten Ehen erlaſſen. Auf die Bitten des ehrwürdigen Bamberger Erz-
biſchofs Frhrn. v. Frauenburg und anderer Prälaten wurden dieſe harten
Vorſchriften zwar durch eine Inſtruktion etwas gemildert; indeß blieb fortan
Regel, daß der römiſche Prieſter die katholiſche Erziehung aller Kinder ver-
langte und anderenfalls höchſtens die paſſive Aſſiſtenz leiſtete. In den pari-
tätiſchen fränkiſchen Landſchaften, wo auf 16 neue Ehen oft 14 Miſchehen
kamen, äußerte ſich der Unwille ſehr laut. Als aber das lutheriſche Con-
ſiſtorium, um ſeine Gegenmaßregeln zu treffen, ſich von der Regierung die
Mittheilung jener beiden Breven erbat, da wurde ihm ſein Geſuch mehr-
mals abgeſchlagen.**) Die Ausſichten verdüſterten ſich noch mehr, als

*) Dönhoff’s Berichte, 27. Sept. 1834, 7. Jan. 1835.
**) Dönhoff’s Berichte, 31. Mai 1834, 20. März 1835.
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[634/0648] IV. 8. Stille Jahre. ſtilvollen Palaſt für das Münchener Poſtamt ankaufte, und mußte nun als Geſandter nach Wien gehen, angeblich um dort über einen Handels- vertrag, der nie zu Stande kam, zu unterhandeln. Der preußiſche Ge- ſandte aber ſchrieb: daran läßt ſich erkennen, „wie hier die conſtitutionelle Verantwortlichkeit der Miniſter verſtanden wird.“ *) Mit der launiſchen Willkür des Königs wuchs auch ſeine Vorliebe für die Clericalen. Während er den Proteſtanten verbot, nach preußiſcher Weiſe den Namen der evangeliſchen Kirche zu führen, erlaubte er den römiſchen Prieſtern das Sanctiſſimum überall, ſogar in proteſtantiſchen Städten, durch die Straßen zu tragen und befahl, daß Reiter und Wagen davor anhalten ſollten. Die Klöſter mehrten ſich von Jahr zu Jahr; im Juli 1837 beſtanden ihrer ſchon 85; die Zuſage des Concordats, welche die Wiederherſtellung „einiger“ Klöſter verhieß, war alſo längſt erfüllt. Der aufopfernden Liebesthätigkeit der barmherzigen Schweſtern verſagten auch die Proteſtanten ihre Anerkennung nicht; die terminirenden Bettel- mönche aber geriethen häufig in Streit mit den Polizeibeamten, die nach ihrer Amtspflicht das Betteln und Strolchen zu unterſagen hatten. In Augsburg übergab der König das Gymnaſium den Benedictinern und feierte dieſe That durch einen Geſchichtsthaler, der die Bavaria darſtellte, wie ſie zwei Knaben einem Mönche zuführte. Dann befahl Wallerſtein durch eine Verordnung, daß bei der Beſetzung der Gymnaſial-Lehrerſtellen die Geiſtlichen vorzugsweiſe berückſichtigt werden ſollten. Er that es aus Nachgiebigkeit gegen den König; im Stillen war der ſchmiegſame Miniſter von der Ueberlegenheit des weltlichen Unterrichts überzeugt und freute ſich herzlich, als der Führer der claſſiſchen Pädagogen, Thierſch in der Pfalz einige neue Lateinſchulen einrichtete. Wo das Mönchthum blühte, durften auch die Mirakel nicht fehlen. In der Nachbarſchaft Münchens tauchte eine Blutſchwitzerin Maria Mörl auf, und zahlreiche Andächtige ſtrömten herbei, um die Wundenmale Chriſti am Leibe der heiligen Frau zu betrachten. Unterdeſſen hatte der Papſt (1832) ein ſtrenges Breve über die ge- miſchten Ehen erlaſſen. Auf die Bitten des ehrwürdigen Bamberger Erz- biſchofs Frhrn. v. Frauenburg und anderer Prälaten wurden dieſe harten Vorſchriften zwar durch eine Inſtruktion etwas gemildert; indeß blieb fortan Regel, daß der römiſche Prieſter die katholiſche Erziehung aller Kinder ver- langte und anderenfalls höchſtens die paſſive Aſſiſtenz leiſtete. In den pari- tätiſchen fränkiſchen Landſchaften, wo auf 16 neue Ehen oft 14 Miſchehen kamen, äußerte ſich der Unwille ſehr laut. Als aber das lutheriſche Con- ſiſtorium, um ſeine Gegenmaßregeln zu treffen, ſich von der Regierung die Mittheilung jener beiden Breven erbat, da wurde ihm ſein Geſuch mehr- mals abgeſchlagen. **) Die Ausſichten verdüſterten ſich noch mehr, als *) Dönhoff’s Berichte, 27. Sept. 1834, 7. Jan. 1835. **) Dönhoff’s Berichte, 31. Mai 1834, 20. März 1835.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/648>, abgerufen am 24.11.2024.