und der Universität betheuerten ihm wetteifernd ihre Ergebenheit; denn die preußische Regierung hatte kürzlich die Thorheit begangen, ihren Unter- thanen den Besuch der Heidelberger Hochschule zu verbieten, und die Preußen bildeten den Stamm der studirenden "Ausländer", von denen die liebliche Neckarstadt damals noch lebte.*)
Die Verdienste der Regierung ließen sich nicht in Abrede stellen. Die Ablösung der bäuerlichen Lasten gelang zur Befriedigung der Pflichtigen, ein verständiges Volksschulgesetz ordnete den Elementarunterricht; die neue große Polytechnische Anstalt in Karlsruhe erlangte rasch einen guten Ruf; Mannheim erhielt seinen Rheinhafen, ein unschätzbares Geschenk eben jetzt, da die Stadt in den großen Verkehr des Zollvereins eintrat; die schon im letzten Jahrzehnt nach den kühnen Plänen des Obersten Tulla begon- nene Correction des Rheines schritt rüstig vorwärts, obgleich die Bauern der Uferdörfer sich zuweilen thätlich widersetzten; auch die wilden Schwarz- waldflüsse Elz und Dreisam wurden gebändigt. Die Verwaltung erwarb sich durch ihre einsichtige Thätigkeit so allgemeines Vertrauen, daß Winter sogar eine Abänderung des neuen allzu radicalen Gemeindegesetzes beim Landtage durchsetzen konnte.
Seit dem Herbst 1835 begann man jedoch schon zu fürchten, daß dieser Waffenstillstand der Parteien nicht lange dauern werde. Freiherr v. Türckheim forderte seine Entlassung. Er hatte sich allezeit als treuer Patriot gezeigt und noch kürzlich dem Tuilerienhofe muthig die Zähne ge- wiesen, als dieser während der Schweizer Wirren den Karlsruher Hof zu bedrohen wagte; zuletzt ward ihm die peinliche Mittelstellung zwischen dem Bundestage und den Kammern doch verleidet. Sein Nachfolger wurde Blittersdorff, weil sich Niemand sonst fand, und weil Minister Reizen- stein, der sich mit den Jahren den Liberalen immer mehr entfremdete, der Hofburg einen unzweideutigen Beweis badischer Bundestreue geben wollte. Graf Münch, Blittersdorff's Frankfurter Gönner, und der Gesandte in Wien, General Tettenborn, hatten insgeheim nachgeholfen.**) An Feind- seligkeiten gegen Preußen dachte der Großherzog sicherlich nicht; er bewahrte dem alten Könige treue Ergebenheit und vergoß Thränen der Rührung, als er zum Chef eines preußischen Regiments ernannt wurde.***) Indeß zeigten sich bald die Hintergedanken des neuen Ministers. Sein Ideal war eine starke, durch Oesterreich geleitete Bundesgewalt, die den Land- tagen unerbittlich den Daumen auf's Auge setzen sollte. In der Stille näherte sich der ungläubige Weltmann schon den Clericalen, denn sie waren in Süddeutschland die einzig mögliche Stütze des Absolutismus, und der Wiener Hof hatte mit ihnen bereits seinen Frieden geschlossen. Neben
*) Otterstedt's Bericht, 26. Nov. 1833.
**) Dönhoff's Bericht, 9. Nov. 1835.
***) Otterstedt's Bericht, 8. Jan. 1833.
IV. 8. Stille Jahre.
und der Univerſität betheuerten ihm wetteifernd ihre Ergebenheit; denn die preußiſche Regierung hatte kürzlich die Thorheit begangen, ihren Unter- thanen den Beſuch der Heidelberger Hochſchule zu verbieten, und die Preußen bildeten den Stamm der ſtudirenden „Ausländer“, von denen die liebliche Neckarſtadt damals noch lebte.*)
Die Verdienſte der Regierung ließen ſich nicht in Abrede ſtellen. Die Ablöſung der bäuerlichen Laſten gelang zur Befriedigung der Pflichtigen, ein verſtändiges Volksſchulgeſetz ordnete den Elementarunterricht; die neue große Polytechniſche Anſtalt in Karlsruhe erlangte raſch einen guten Ruf; Mannheim erhielt ſeinen Rheinhafen, ein unſchätzbares Geſchenk eben jetzt, da die Stadt in den großen Verkehr des Zollvereins eintrat; die ſchon im letzten Jahrzehnt nach den kühnen Plänen des Oberſten Tulla begon- nene Correction des Rheines ſchritt rüſtig vorwärts, obgleich die Bauern der Uferdörfer ſich zuweilen thätlich widerſetzten; auch die wilden Schwarz- waldflüſſe Elz und Dreiſam wurden gebändigt. Die Verwaltung erwarb ſich durch ihre einſichtige Thätigkeit ſo allgemeines Vertrauen, daß Winter ſogar eine Abänderung des neuen allzu radicalen Gemeindegeſetzes beim Landtage durchſetzen konnte.
Seit dem Herbſt 1835 begann man jedoch ſchon zu fürchten, daß dieſer Waffenſtillſtand der Parteien nicht lange dauern werde. Freiherr v. Türckheim forderte ſeine Entlaſſung. Er hatte ſich allezeit als treuer Patriot gezeigt und noch kürzlich dem Tuilerienhofe muthig die Zähne ge- wieſen, als dieſer während der Schweizer Wirren den Karlsruher Hof zu bedrohen wagte; zuletzt ward ihm die peinliche Mittelſtellung zwiſchen dem Bundestage und den Kammern doch verleidet. Sein Nachfolger wurde Blittersdorff, weil ſich Niemand ſonſt fand, und weil Miniſter Reizen- ſtein, der ſich mit den Jahren den Liberalen immer mehr entfremdete, der Hofburg einen unzweideutigen Beweis badiſcher Bundestreue geben wollte. Graf Münch, Blittersdorff’s Frankfurter Gönner, und der Geſandte in Wien, General Tettenborn, hatten insgeheim nachgeholfen.**) An Feind- ſeligkeiten gegen Preußen dachte der Großherzog ſicherlich nicht; er bewahrte dem alten Könige treue Ergebenheit und vergoß Thränen der Rührung, als er zum Chef eines preußiſchen Regiments ernannt wurde.***) Indeß zeigten ſich bald die Hintergedanken des neuen Miniſters. Sein Ideal war eine ſtarke, durch Oeſterreich geleitete Bundesgewalt, die den Land- tagen unerbittlich den Daumen auf’s Auge ſetzen ſollte. In der Stille näherte ſich der ungläubige Weltmann ſchon den Clericalen, denn ſie waren in Süddeutſchland die einzig mögliche Stütze des Abſolutismus, und der Wiener Hof hatte mit ihnen bereits ſeinen Frieden geſchloſſen. Neben
*) Otterſtedt’s Bericht, 26. Nov. 1833.
**) Dönhoff’s Bericht, 9. Nov. 1835.
***) Otterſtedt’s Bericht, 8. Jan. 1833.
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die preußiſche Regierung hatte kürzlich die Thorheit begangen, ihren Unter-
thanen den Beſuch der Heidelberger Hochſchule zu verbieten, und die Preußen
bildeten den Stamm der ſtudirenden „Ausländer“, von denen die liebliche
Neckarſtadt damals noch lebte. *)
Die Verdienſte der Regierung ließen ſich nicht in Abrede ſtellen. Die
Ablöſung der bäuerlichen Laſten gelang zur Befriedigung der Pflichtigen,
ein verſtändiges Volksſchulgeſetz ordnete den Elementarunterricht; die neue
große Polytechniſche Anſtalt in Karlsruhe erlangte raſch einen guten Ruf;
Mannheim erhielt ſeinen Rheinhafen, ein unſchätzbares Geſchenk eben
jetzt, da die Stadt in den großen Verkehr des Zollvereins eintrat; die ſchon
im letzten Jahrzehnt nach den kühnen Plänen des Oberſten Tulla begon-
nene Correction des Rheines ſchritt rüſtig vorwärts, obgleich die Bauern
der Uferdörfer ſich zuweilen thätlich widerſetzten; auch die wilden Schwarz-
waldflüſſe Elz und Dreiſam wurden gebändigt. Die Verwaltung erwarb
ſich durch ihre einſichtige Thätigkeit ſo allgemeines Vertrauen, daß Winter
ſogar eine Abänderung des neuen allzu radicalen Gemeindegeſetzes beim
Landtage durchſetzen konnte.
Seit dem Herbſt 1835 begann man jedoch ſchon zu fürchten, daß
dieſer Waffenſtillſtand der Parteien nicht lange dauern werde. Freiherr
v. Türckheim forderte ſeine Entlaſſung. Er hatte ſich allezeit als treuer
Patriot gezeigt und noch kürzlich dem Tuilerienhofe muthig die Zähne ge-
wieſen, als dieſer während der Schweizer Wirren den Karlsruher Hof zu
bedrohen wagte; zuletzt ward ihm die peinliche Mittelſtellung zwiſchen dem
Bundestage und den Kammern doch verleidet. Sein Nachfolger wurde
Blittersdorff, weil ſich Niemand ſonſt fand, und weil Miniſter Reizen-
ſtein, der ſich mit den Jahren den Liberalen immer mehr entfremdete, der
Hofburg einen unzweideutigen Beweis badiſcher Bundestreue geben wollte.
Graf Münch, Blittersdorff’s Frankfurter Gönner, und der Geſandte in
Wien, General Tettenborn, hatten insgeheim nachgeholfen. **) An Feind-
ſeligkeiten gegen Preußen dachte der Großherzog ſicherlich nicht; er bewahrte
dem alten Könige treue Ergebenheit und vergoß Thränen der Rührung,
als er zum Chef eines preußiſchen Regiments ernannt wurde. ***) Indeß
zeigten ſich bald die Hintergedanken des neuen Miniſters. Sein Ideal
war eine ſtarke, durch Oeſterreich geleitete Bundesgewalt, die den Land-
tagen unerbittlich den Daumen auf’s Auge ſetzen ſollte. In der Stille
näherte ſich der ungläubige Weltmann ſchon den Clericalen, denn ſie waren
in Süddeutſchland die einzig mögliche Stütze des Abſolutismus, und der
Wiener Hof hatte mit ihnen bereits ſeinen Frieden geſchloſſen. Neben
*) Otterſtedt’s Bericht, 26. Nov. 1833.
**) Dönhoff’s Bericht, 9. Nov. 1835.
***) Otterſtedt’s Bericht, 8. Jan. 1833.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 630. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/644>, abgerufen am 24.11.2024.
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