radicalen Hochwächters fortzusetzen suchte, und den gemäßigten, zuweilen von der Regierung selbst benutzten Schwäbischen Mercur. Die Censoren aber pflegten -- so rechtlos war die Presse -- das Oppositionsblatt nach- sichtiger zu behandeln als die befreundete Zeitung; denn was dort unbe- denklich erschien, hätte hier leicht Aufsehen erregen können. So schien dies stramme bureaukratische Regiment noch auf lange hinaus gesichert; und zuversichtlich sagte Schlayer im Landtage, zehn Jahre vor der März-Revo- lution: "Wann war Württembergs Zustand besser als jetzt?" Aehnliche Aeußerungen der Selbstzufriedenheit ließen sich auch auf den Minister- bänken anderer Kleinstaaten vernehmen. In der Enge ihres Berufslebens vermochten diese pflichtgetreuen Beamten nicht mehr zu begreifen, daß die Wohlthaten eines langen Friedens und einer geordneten Verwaltung ein edles Volk doch nicht über die schimpfliche Zerrissenheit seines Gesammt- staats trösten konnten. --
Während in Württemberg das alte System sich nur wieder häuslich einrichtete, bekundeten sich in Baden bald die ersten Anzeichen einer ge- fährlichen Reaktion. So lange Winter lebte, konnte der innere Friede freilich nicht ernstlich gestört werden. Der wackere Minister zählte zu jenen glücklichen Naturen, denen Niemand gram wird; seine derbe Offenherzig- keit war den Oberländern unwiderstehlich. Er hatte auf Befehl des Bun- destags das neue Preßgesetz aufgehoben; er hatte die Universität Freiburg geschlossen und ihre liberalen Professoren abgesetzt; er verweigerte die Be- stätigung, als die Freiburger nachher ihren Rotteck zum Bürgermeister wählten. Gleichwohl ward er in dem liberalen Ländchen immer beliebter, volksthümlicher fast als die Führer der Opposition; selbst Rotteck und Welcker, denen er so viel Leides angethan, verkehrten mit ihm freundlich, fast herzlich. Niemand wollte glauben, daß er jene Thaten der Unter- drückung aus freiem Antriebe beschlossen hätte; sagte er doch selbst oft: "ich fürchte die oben mehr als die unten." Das kleinliche Mittel der Urlaubsverweigerung verschmähte er stets. Aber allen erwählten Beamten schärfte er ein: sie sollten auch als Abgeordnete ihrer Staatsdienerpflicht eingedenk sein; wo nicht, so würde er nicht anstehen, ihnen den Urlaub zu entziehen. Andere Abgeordnete bat er brieflich um Mäßigung, mit scho- nungsloser Aufrichtigkeit. An Rotteck schrieb er einst: "Meinen Sie, irgend Jemand glaube, daß Sie gegen den Zollverein seien, weil Sie ihn für schädlich halten? Kein Mensch glaubt es, weil er an und für sich Ihrem System entspricht. Sie thun es aus Haß gegen Preußen, um, wenn Sie reussiren, die Hand emporhalten und sagen zu können: Ihr Preußen, ihr habt den Hofrath v. Rotteck verfolgt, gekränkt, seine Schriften verboten selbst ehe sie noch gedruckt waren; ihr habt ihn wie einen Wurm zer- treten, aber dieser Hofrath v. Rotteck ist doch eine Macht! Sie spielen hiernach die Rolle O'Connell's, nur ist Ihnen das Terrain nicht günstig -- Sie haben kein Irland. Und dessen Allen ungeachtet, da Sie als ent-
IV. 8. Stille Jahre.
radicalen Hochwächters fortzuſetzen ſuchte, und den gemäßigten, zuweilen von der Regierung ſelbſt benutzten Schwäbiſchen Mercur. Die Cenſoren aber pflegten — ſo rechtlos war die Preſſe — das Oppoſitionsblatt nach- ſichtiger zu behandeln als die befreundete Zeitung; denn was dort unbe- denklich erſchien, hätte hier leicht Aufſehen erregen können. So ſchien dies ſtramme bureaukratiſche Regiment noch auf lange hinaus geſichert; und zuverſichtlich ſagte Schlayer im Landtage, zehn Jahre vor der März-Revo- lution: „Wann war Württembergs Zuſtand beſſer als jetzt?“ Aehnliche Aeußerungen der Selbſtzufriedenheit ließen ſich auch auf den Miniſter- bänken anderer Kleinſtaaten vernehmen. In der Enge ihres Berufslebens vermochten dieſe pflichtgetreuen Beamten nicht mehr zu begreifen, daß die Wohlthaten eines langen Friedens und einer geordneten Verwaltung ein edles Volk doch nicht über die ſchimpfliche Zerriſſenheit ſeines Geſammt- ſtaats tröſten konnten. —
Während in Württemberg das alte Syſtem ſich nur wieder häuslich einrichtete, bekundeten ſich in Baden bald die erſten Anzeichen einer ge- fährlichen Reaktion. So lange Winter lebte, konnte der innere Friede freilich nicht ernſtlich geſtört werden. Der wackere Miniſter zählte zu jenen glücklichen Naturen, denen Niemand gram wird; ſeine derbe Offenherzig- keit war den Oberländern unwiderſtehlich. Er hatte auf Befehl des Bun- destags das neue Preßgeſetz aufgehoben; er hatte die Univerſität Freiburg geſchloſſen und ihre liberalen Profeſſoren abgeſetzt; er verweigerte die Be- ſtätigung, als die Freiburger nachher ihren Rotteck zum Bürgermeiſter wählten. Gleichwohl ward er in dem liberalen Ländchen immer beliebter, volksthümlicher faſt als die Führer der Oppoſition; ſelbſt Rotteck und Welcker, denen er ſo viel Leides angethan, verkehrten mit ihm freundlich, faſt herzlich. Niemand wollte glauben, daß er jene Thaten der Unter- drückung aus freiem Antriebe beſchloſſen hätte; ſagte er doch ſelbſt oft: „ich fürchte die oben mehr als die unten.“ Das kleinliche Mittel der Urlaubsverweigerung verſchmähte er ſtets. Aber allen erwählten Beamten ſchärfte er ein: ſie ſollten auch als Abgeordnete ihrer Staatsdienerpflicht eingedenk ſein; wo nicht, ſo würde er nicht anſtehen, ihnen den Urlaub zu entziehen. Andere Abgeordnete bat er brieflich um Mäßigung, mit ſcho- nungsloſer Aufrichtigkeit. An Rotteck ſchrieb er einſt: „Meinen Sie, irgend Jemand glaube, daß Sie gegen den Zollverein ſeien, weil Sie ihn für ſchädlich halten? Kein Menſch glaubt es, weil er an und für ſich Ihrem Syſtem entſpricht. Sie thun es aus Haß gegen Preußen, um, wenn Sie reuſſiren, die Hand emporhalten und ſagen zu können: Ihr Preußen, ihr habt den Hofrath v. Rotteck verfolgt, gekränkt, ſeine Schriften verboten ſelbſt ehe ſie noch gedruckt waren; ihr habt ihn wie einen Wurm zer- treten, aber dieſer Hofrath v. Rotteck iſt doch eine Macht! Sie ſpielen hiernach die Rolle O’Connell’s, nur iſt Ihnen das Terrain nicht günſtig — Sie haben kein Irland. Und deſſen Allen ungeachtet, da Sie als ent-
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radicalen Hochwächters fortzuſetzen ſuchte, und den gemäßigten, zuweilen
von der Regierung ſelbſt benutzten Schwäbiſchen Mercur. Die Cenſoren
aber pflegten — ſo rechtlos war die Preſſe — das Oppoſitionsblatt nach-
ſichtiger zu behandeln als die befreundete Zeitung; denn was dort unbe-
denklich erſchien, hätte hier leicht Aufſehen erregen können. So ſchien dies
ſtramme bureaukratiſche Regiment noch auf lange hinaus geſichert; und
zuverſichtlich ſagte Schlayer im Landtage, zehn Jahre vor der März-Revo-
lution: „Wann war Württembergs Zuſtand beſſer als jetzt?“ Aehnliche
Aeußerungen der Selbſtzufriedenheit ließen ſich auch auf den Miniſter-
bänken anderer Kleinſtaaten vernehmen. In der Enge ihres Berufslebens
vermochten dieſe pflichtgetreuen Beamten nicht mehr zu begreifen, daß die
Wohlthaten eines langen Friedens und einer geordneten Verwaltung ein
edles Volk doch nicht über die ſchimpfliche Zerriſſenheit ſeines Geſammt-
ſtaats tröſten konnten. —
Während in Württemberg das alte Syſtem ſich nur wieder häuslich
einrichtete, bekundeten ſich in Baden bald die erſten Anzeichen einer ge-
fährlichen Reaktion. So lange Winter lebte, konnte der innere Friede
freilich nicht ernſtlich geſtört werden. Der wackere Miniſter zählte zu jenen
glücklichen Naturen, denen Niemand gram wird; ſeine derbe Offenherzig-
keit war den Oberländern unwiderſtehlich. Er hatte auf Befehl des Bun-
destags das neue Preßgeſetz aufgehoben; er hatte die Univerſität Freiburg
geſchloſſen und ihre liberalen Profeſſoren abgeſetzt; er verweigerte die Be-
ſtätigung, als die Freiburger nachher ihren Rotteck zum Bürgermeiſter
wählten. Gleichwohl ward er in dem liberalen Ländchen immer beliebter,
volksthümlicher faſt als die Führer der Oppoſition; ſelbſt Rotteck und
Welcker, denen er ſo viel Leides angethan, verkehrten mit ihm freundlich,
faſt herzlich. Niemand wollte glauben, daß er jene Thaten der Unter-
drückung aus freiem Antriebe beſchloſſen hätte; ſagte er doch ſelbſt oft:
„ich fürchte die oben mehr als die unten.“ Das kleinliche Mittel der
Urlaubsverweigerung verſchmähte er ſtets. Aber allen erwählten Beamten
ſchärfte er ein: ſie ſollten auch als Abgeordnete ihrer Staatsdienerpflicht
eingedenk ſein; wo nicht, ſo würde er nicht anſtehen, ihnen den Urlaub zu
entziehen. Andere Abgeordnete bat er brieflich um Mäßigung, mit ſcho-
nungsloſer Aufrichtigkeit. An Rotteck ſchrieb er einſt: „Meinen Sie, irgend
Jemand glaube, daß Sie gegen den Zollverein ſeien, weil Sie ihn für
ſchädlich halten? Kein Menſch glaubt es, weil er an und für ſich Ihrem
Syſtem entſpricht. Sie thun es aus Haß gegen Preußen, um, wenn Sie
reuſſiren, die Hand emporhalten und ſagen zu können: Ihr Preußen,
ihr habt den Hofrath v. Rotteck verfolgt, gekränkt, ſeine Schriften verboten
ſelbſt ehe ſie noch gedruckt waren; ihr habt ihn wie einen Wurm zer-
treten, aber dieſer Hofrath v. Rotteck iſt doch eine Macht! Sie ſpielen
hiernach die Rolle O’Connell’s, nur iſt Ihnen das Terrain nicht günſtig —
Sie haben kein Irland. Und deſſen Allen ungeachtet, da Sie als ent-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/642>, abgerufen am 24.11.2024.
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