vermacht hatte, widerrechtlich an sich zu reißen. In Preußen wurden seine Ansprüche natürlich abgewiesen, um so hartnäckiger behauptete er sie in Hessen. Da die Verfassung alle Domänen für Staatsgüter erklärt hatte, so ver- stand es sich von selbst, daß auch die heimgefallenen Rotenburger Domänen, durchweg secularisirte Kirchengüter, dem Staate gehörten, und das kur- fürstliche Haus höchstens eine entsprechende Erhöhung der Civilliste fordern konnte. Darüber waren auf dem Landtage von 1830, als das Landes- vermögen getheilt wurde, die Vertreter der Regierung mit den Landstän- den vollkommen einig gewesen. Auch jetzt erklärte der Landtag mit er- drückender Mehrheit, die Rotenburger Quart gehöre dem Staate. Die treuen bäuerlichen Abgeordneten zeigten sich besonders eifrig; sie sagten, jetzt sei doch dem Kurhause endlich genug gezahlt worden. Doch leider enthielt die Verfassung keine Vorschrift über die Streitfrage, und so konnte der landesübliche Zank von Neuem beginnen. Der Kurprinz blieb vor- läufig im Besitze und ließ im Verlaufe der Händel einmal eine höchst ver- dächtige Aeußerung fallen. Er schrieb den Ständen (1837): für den Fall seiner eigenen Thronbesteigung behalte er sich noch eine besondere Er- klärung über "Unsere Domänen" vor. Sollte das heißen, daß er als Kurfürst die ganze Vereinbarung vom Jahre 1830 wieder in Frage stellen und auch die kurhessischen Domänen für sich verlangen wolle? Niemand wußte es; die Aussicht in die Zukunft ward immer düsterer.
Sie lichtete sich auch nicht, als Hassenpflug von dem unvermeidlichen Schicksal aller hessischen Minister ereilt wurde. Er hatte seine Schuldig- keit gethan und begann dem Prinzregenten durch seine Herrschsucht wie durch seine Ueberlegenheit lästig zu werden. Auf einen Vorschlag, den der Minister mit dem Besten der Unterthanen begründete, erwiderte der Regent unwirsch: "Ach was! Bestes der Unterthanen! Da mag man noch so viel thun, da wird doch nicht dafür gedankt, und dann denkt Niemand dabei an Uns, es heißt doch, die Minister haben's gethan." Man merkte bald, daß der Kurprinz die Gelegenheit zum Bruche suchte. Sie fand sich auch schnell: es gab Streit über den Ministergehalt, und nachher wurden gar einige Hengste aus dem Landesgestüt, ohne Anfrage beim Prinzregenten, zum Verkauf ausgemustert. Dies genügte. Durch schnöde Verweise be- leidigt forderte Hassenpflug zweimal seine Entlassung. Am 1. Juli 1837 wurde er aufgefordert, das Ministerium des Innern aufzugeben, das Justiz- ministerium zu behalten; als er dies Schreiben zurückschickte, erhielt er un- gnädigen Abschied. Das war der Dank für den Mann, der so lange die eigensten Gedanken des Prinzregenten mit tollkühner Dreistigkeit verthei- digt hatte. Hassenpflug war während der letzten Wochen, wohl um sich einen neuen Rückhalt zu suchen, im Landtage etwas milder aufgetreten. Darum fühlte er sich gedrungen, dem Könige von Preußen in einer aus- führlichen Denkschrift die wahren Gründe seiner Entlassung darzulegen. Nimmermehr wollte er sich dem Verdachte aussetzen, "als wäre ein Aus-
IV. 8. Stille Jahre.
vermacht hatte, widerrechtlich an ſich zu reißen. In Preußen wurden ſeine Anſprüche natürlich abgewieſen, um ſo hartnäckiger behauptete er ſie in Heſſen. Da die Verfaſſung alle Domänen für Staatsgüter erklärt hatte, ſo ver- ſtand es ſich von ſelbſt, daß auch die heimgefallenen Rotenburger Domänen, durchweg ſeculariſirte Kirchengüter, dem Staate gehörten, und das kur- fürſtliche Haus höchſtens eine entſprechende Erhöhung der Civilliſte fordern konnte. Darüber waren auf dem Landtage von 1830, als das Landes- vermögen getheilt wurde, die Vertreter der Regierung mit den Landſtän- den vollkommen einig geweſen. Auch jetzt erklärte der Landtag mit er- drückender Mehrheit, die Rotenburger Quart gehöre dem Staate. Die treuen bäuerlichen Abgeordneten zeigten ſich beſonders eifrig; ſie ſagten, jetzt ſei doch dem Kurhauſe endlich genug gezahlt worden. Doch leider enthielt die Verfaſſung keine Vorſchrift über die Streitfrage, und ſo konnte der landesübliche Zank von Neuem beginnen. Der Kurprinz blieb vor- läufig im Beſitze und ließ im Verlaufe der Händel einmal eine höchſt ver- dächtige Aeußerung fallen. Er ſchrieb den Ständen (1837): für den Fall ſeiner eigenen Thronbeſteigung behalte er ſich noch eine beſondere Er- klärung über „Unſere Domänen“ vor. Sollte das heißen, daß er als Kurfürſt die ganze Vereinbarung vom Jahre 1830 wieder in Frage ſtellen und auch die kurheſſiſchen Domänen für ſich verlangen wolle? Niemand wußte es; die Ausſicht in die Zukunft ward immer düſterer.
Sie lichtete ſich auch nicht, als Haſſenpflug von dem unvermeidlichen Schickſal aller heſſiſchen Miniſter ereilt wurde. Er hatte ſeine Schuldig- keit gethan und begann dem Prinzregenten durch ſeine Herrſchſucht wie durch ſeine Ueberlegenheit läſtig zu werden. Auf einen Vorſchlag, den der Miniſter mit dem Beſten der Unterthanen begründete, erwiderte der Regent unwirſch: „Ach was! Beſtes der Unterthanen! Da mag man noch ſo viel thun, da wird doch nicht dafür gedankt, und dann denkt Niemand dabei an Uns, es heißt doch, die Miniſter haben’s gethan.“ Man merkte bald, daß der Kurprinz die Gelegenheit zum Bruche ſuchte. Sie fand ſich auch ſchnell: es gab Streit über den Miniſtergehalt, und nachher wurden gar einige Hengſte aus dem Landesgeſtüt, ohne Anfrage beim Prinzregenten, zum Verkauf ausgemuſtert. Dies genügte. Durch ſchnöde Verweiſe be- leidigt forderte Haſſenpflug zweimal ſeine Entlaſſung. Am 1. Juli 1837 wurde er aufgefordert, das Miniſterium des Innern aufzugeben, das Juſtiz- miniſterium zu behalten; als er dies Schreiben zurückſchickte, erhielt er un- gnädigen Abſchied. Das war der Dank für den Mann, der ſo lange die eigenſten Gedanken des Prinzregenten mit tollkühner Dreiſtigkeit verthei- digt hatte. Haſſenpflug war während der letzten Wochen, wohl um ſich einen neuen Rückhalt zu ſuchen, im Landtage etwas milder aufgetreten. Darum fühlte er ſich gedrungen, dem Könige von Preußen in einer aus- führlichen Denkſchrift die wahren Gründe ſeiner Entlaſſung darzulegen. Nimmermehr wollte er ſich dem Verdachte ausſetzen, „als wäre ein Aus-
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vermacht hatte, widerrechtlich an ſich zu reißen. In Preußen wurden ſeine
Anſprüche natürlich abgewieſen, um ſo hartnäckiger behauptete er ſie in Heſſen.
Da die Verfaſſung alle Domänen für Staatsgüter erklärt hatte, ſo ver-
ſtand es ſich von ſelbſt, daß auch die heimgefallenen Rotenburger Domänen,
durchweg ſeculariſirte Kirchengüter, dem Staate gehörten, und das kur-
fürſtliche Haus höchſtens eine entſprechende Erhöhung der Civilliſte fordern
konnte. Darüber waren auf dem Landtage von 1830, als das Landes-
vermögen getheilt wurde, die Vertreter der Regierung mit den Landſtän-
den vollkommen einig geweſen. Auch jetzt erklärte der Landtag mit er-
drückender Mehrheit, die Rotenburger Quart gehöre dem Staate. Die
treuen bäuerlichen Abgeordneten zeigten ſich beſonders eifrig; ſie ſagten,
jetzt ſei doch dem Kurhauſe endlich genug gezahlt worden. Doch leider
enthielt die Verfaſſung keine Vorſchrift über die Streitfrage, und ſo konnte
der landesübliche Zank von Neuem beginnen. Der Kurprinz blieb vor-
läufig im Beſitze und ließ im Verlaufe der Händel einmal eine höchſt ver-
dächtige Aeußerung fallen. Er ſchrieb den Ständen (1837): für den Fall
ſeiner eigenen Thronbeſteigung behalte er ſich noch eine beſondere Er-
klärung über „Unſere Domänen“ vor. Sollte das heißen, daß er als
Kurfürſt die ganze Vereinbarung vom Jahre 1830 wieder in Frage ſtellen
und auch die kurheſſiſchen Domänen für ſich verlangen wolle? Niemand
wußte es; die Ausſicht in die Zukunft ward immer düſterer.
Sie lichtete ſich auch nicht, als Haſſenpflug von dem unvermeidlichen
Schickſal aller heſſiſchen Miniſter ereilt wurde. Er hatte ſeine Schuldig-
keit gethan und begann dem Prinzregenten durch ſeine Herrſchſucht wie
durch ſeine Ueberlegenheit läſtig zu werden. Auf einen Vorſchlag, den
der Miniſter mit dem Beſten der Unterthanen begründete, erwiderte der
Regent unwirſch: „Ach was! Beſtes der Unterthanen! Da mag man noch
ſo viel thun, da wird doch nicht dafür gedankt, und dann denkt Niemand
dabei an Uns, es heißt doch, die Miniſter haben’s gethan.“ Man merkte
bald, daß der Kurprinz die Gelegenheit zum Bruche ſuchte. Sie fand ſich
auch ſchnell: es gab Streit über den Miniſtergehalt, und nachher wurden
gar einige Hengſte aus dem Landesgeſtüt, ohne Anfrage beim Prinzregenten,
zum Verkauf ausgemuſtert. Dies genügte. Durch ſchnöde Verweiſe be-
leidigt forderte Haſſenpflug zweimal ſeine Entlaſſung. Am 1. Juli 1837
wurde er aufgefordert, das Miniſterium des Innern aufzugeben, das Juſtiz-
miniſterium zu behalten; als er dies Schreiben zurückſchickte, erhielt er un-
gnädigen Abſchied. Das war der Dank für den Mann, der ſo lange die
eigenſten Gedanken des Prinzregenten mit tollkühner Dreiſtigkeit verthei-
digt hatte. Haſſenpflug war während der letzten Wochen, wohl um ſich
einen neuen Rückhalt zu ſuchen, im Landtage etwas milder aufgetreten.
Darum fühlte er ſich gedrungen, dem Könige von Preußen in einer aus-
führlichen Denkſchrift die wahren Gründe ſeiner Entlaſſung darzulegen.
Nimmermehr wollte er ſich dem Verdachte ausſetzen, „als wäre ein Aus-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/638>, abgerufen am 24.07.2024.
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