redete, dann schien es, als geize er nach dem Ruhme eines hessischen Straf- ford; und in der That verkündete das Berliner Wochenblatt, das er durch seine Getreuen mit Beiträgen versorgte: hier in Hessen werde der geheime Krieg zwischen Fürstenrecht und Revolution endlich zum Austrage kommen. So erwarb er sich bald den Beinamen des Hessenfluchs. Die Liberalen haßten ihn um so grimmiger, weil sie seine Begabung nicht bestreiten konnten: er erledigte die Geschäfte leicht, ohne kleinliche Pedanterei und zeigte eine glückliche Hand in der Auswahl seiner Werkzeuge. Ganz uner- träglich war ihm der stehende Ausschuß des Landtags, "diese verkehrteste Ausgeburt der neuen Verfassung;" der Landtag aber erklärte gerade diese ständische Nebenregierung, die sich mit der modernen Staatseinheit in der That nicht vertrug, feierlich für "das Palladium" der hessischen Freiheit.
Zunächst dachte der Minister den alten Uebelstand des deutschen Repräsentativsystems, die Beamten-Opposition auf dem Landtage, zu be- seitigen; Jordan vornehmlich, der Vater der Verfassung, sollte entfernt werden. Darum verweigerte die Regierung, als für den Landtag von 1833 gewählt wurde, jedem des Liberalismus irgend verdächtigen Beamten unnachsichtlich die Erlaubniß zur Annahme der Wahl. Jordan aber, der Abgeordnete der Universität Marburg, suchte die Genehmigung des Mini- steriums nicht nach, sondern trat in gutem Glauben ein; hatte er doch schon früher, ohne um Erlaubniß zu bitten, sechzehn Monate lang die Hochschule im Landtage vertreten. Als die Urheber der Verfassung einst der Regierung das Recht der Urlaubsverweigerung zugestanden, hatten sie unzweifelhaft nicht beabsichtigt, daß sich dies Recht auch auf den Ab- geordneten der Universität erstrecken sollte; denn er mußte ein Professor sein, er vertrat eine Corporation, welche seit drei Jahrhunderten, kraft ihrer Prälatenwürde, immer frei aus ihrer Mitte gewählt hatte; durfte die Regierung auch ihm die Erlaubniß zum Besuche des Landtags nach Be- lieben versagen, so ging das alte Wahlrecht der Universität thatsächlich auf das Ministerium über. Aber diese in Wahrheit selbstverständliche Aus- nahme von der Regel war in der Verfassung nicht ausdrücklich ausge- sprochen; der Art. 71 verpflichtete alle Staatsdiener ohne Unterschied, nach ihrer Erwählung die Genehmigung der vorgesetzten Behörde einzuholen. Der verschlagene Minister konnte sich also auf den Buchstaben des Grund- gesetzes berufen, als er von der Kammer verlangte, sie solle den Pro- fessor Jordan, der keine Erlaubniß erhalten habe, von ihren Sitzungen ausschließen. Der Landtag lehnte das Ansinnen ab, dessen eigentlichen Zweck Jedermann durchschaute, und wurde sofort aufgelöst.
Fortan blieb jede Versöhnung unmöglich. Der Haß gegen den Mini- ster ward so maßlos, daß selbst der befreundete Canitz zuweilen meinte, Hassenpflug müsse um des Friedens willen zurücktreten.*) Der aber hielt
*) Canitz's Berichte, 2. Juli 1833 ff.
IV. 8. Stille Jahre.
redete, dann ſchien es, als geize er nach dem Ruhme eines heſſiſchen Straf- ford; und in der That verkündete das Berliner Wochenblatt, das er durch ſeine Getreuen mit Beiträgen verſorgte: hier in Heſſen werde der geheime Krieg zwiſchen Fürſtenrecht und Revolution endlich zum Austrage kommen. So erwarb er ſich bald den Beinamen des Heſſenfluchs. Die Liberalen haßten ihn um ſo grimmiger, weil ſie ſeine Begabung nicht beſtreiten konnten: er erledigte die Geſchäfte leicht, ohne kleinliche Pedanterei und zeigte eine glückliche Hand in der Auswahl ſeiner Werkzeuge. Ganz uner- träglich war ihm der ſtehende Ausſchuß des Landtags, „dieſe verkehrteſte Ausgeburt der neuen Verfaſſung;“ der Landtag aber erklärte gerade dieſe ſtändiſche Nebenregierung, die ſich mit der modernen Staatseinheit in der That nicht vertrug, feierlich für „das Palladium“ der heſſiſchen Freiheit.
Zunächſt dachte der Miniſter den alten Uebelſtand des deutſchen Repräſentativſyſtems, die Beamten-Oppoſition auf dem Landtage, zu be- ſeitigen; Jordan vornehmlich, der Vater der Verfaſſung, ſollte entfernt werden. Darum verweigerte die Regierung, als für den Landtag von 1833 gewählt wurde, jedem des Liberalismus irgend verdächtigen Beamten unnachſichtlich die Erlaubniß zur Annahme der Wahl. Jordan aber, der Abgeordnete der Univerſität Marburg, ſuchte die Genehmigung des Mini- ſteriums nicht nach, ſondern trat in gutem Glauben ein; hatte er doch ſchon früher, ohne um Erlaubniß zu bitten, ſechzehn Monate lang die Hochſchule im Landtage vertreten. Als die Urheber der Verfaſſung einſt der Regierung das Recht der Urlaubsverweigerung zugeſtanden, hatten ſie unzweifelhaft nicht beabſichtigt, daß ſich dies Recht auch auf den Ab- geordneten der Univerſität erſtrecken ſollte; denn er mußte ein Profeſſor ſein, er vertrat eine Corporation, welche ſeit drei Jahrhunderten, kraft ihrer Prälatenwürde, immer frei aus ihrer Mitte gewählt hatte; durfte die Regierung auch ihm die Erlaubniß zum Beſuche des Landtags nach Be- lieben verſagen, ſo ging das alte Wahlrecht der Univerſität thatſächlich auf das Miniſterium über. Aber dieſe in Wahrheit ſelbſtverſtändliche Aus- nahme von der Regel war in der Verfaſſung nicht ausdrücklich ausge- ſprochen; der Art. 71 verpflichtete alle Staatsdiener ohne Unterſchied, nach ihrer Erwählung die Genehmigung der vorgeſetzten Behörde einzuholen. Der verſchlagene Miniſter konnte ſich alſo auf den Buchſtaben des Grund- geſetzes berufen, als er von der Kammer verlangte, ſie ſolle den Pro- feſſor Jordan, der keine Erlaubniß erhalten habe, von ihren Sitzungen ausſchließen. Der Landtag lehnte das Anſinnen ab, deſſen eigentlichen Zweck Jedermann durchſchaute, und wurde ſofort aufgelöſt.
Fortan blieb jede Verſöhnung unmöglich. Der Haß gegen den Mini- ſter ward ſo maßlos, daß ſelbſt der befreundete Canitz zuweilen meinte, Haſſenpflug müſſe um des Friedens willen zurücktreten.*) Der aber hielt
*) Canitz’s Berichte, 2. Juli 1833 ff.
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ford; und in der That verkündete das Berliner Wochenblatt, das er durch
ſeine Getreuen mit Beiträgen verſorgte: hier in Heſſen werde der geheime
Krieg zwiſchen Fürſtenrecht und Revolution endlich zum Austrage kommen.
So erwarb er ſich bald den Beinamen des Heſſenfluchs. Die Liberalen
haßten ihn um ſo grimmiger, weil ſie ſeine Begabung nicht beſtreiten
konnten: er erledigte die Geſchäfte leicht, ohne kleinliche Pedanterei und
zeigte eine glückliche Hand in der Auswahl ſeiner Werkzeuge. Ganz uner-
träglich war ihm der ſtehende Ausſchuß des Landtags, „dieſe verkehrteſte
Ausgeburt der neuen Verfaſſung;“ der Landtag aber erklärte gerade dieſe
ſtändiſche Nebenregierung, die ſich mit der modernen Staatseinheit in der
That nicht vertrug, feierlich für „das Palladium“ der heſſiſchen Freiheit.
Zunächſt dachte der Miniſter den alten Uebelſtand des deutſchen
Repräſentativſyſtems, die Beamten-Oppoſition auf dem Landtage, zu be-
ſeitigen; Jordan vornehmlich, der Vater der Verfaſſung, ſollte entfernt
werden. Darum verweigerte die Regierung, als für den Landtag von
1833 gewählt wurde, jedem des Liberalismus irgend verdächtigen Beamten
unnachſichtlich die Erlaubniß zur Annahme der Wahl. Jordan aber, der
Abgeordnete der Univerſität Marburg, ſuchte die Genehmigung des Mini-
ſteriums nicht nach, ſondern trat in gutem Glauben ein; hatte er doch
ſchon früher, ohne um Erlaubniß zu bitten, ſechzehn Monate lang die
Hochſchule im Landtage vertreten. Als die Urheber der Verfaſſung einſt
der Regierung das Recht der Urlaubsverweigerung zugeſtanden, hatten
ſie unzweifelhaft nicht beabſichtigt, daß ſich dies Recht auch auf den Ab-
geordneten der Univerſität erſtrecken ſollte; denn er mußte ein Profeſſor
ſein, er vertrat eine Corporation, welche ſeit drei Jahrhunderten, kraft
ihrer Prälatenwürde, immer frei aus ihrer Mitte gewählt hatte; durfte die
Regierung auch ihm die Erlaubniß zum Beſuche des Landtags nach Be-
lieben verſagen, ſo ging das alte Wahlrecht der Univerſität thatſächlich auf
das Miniſterium über. Aber dieſe in Wahrheit ſelbſtverſtändliche Aus-
nahme von der Regel war in der Verfaſſung nicht ausdrücklich ausge-
ſprochen; der Art. 71 verpflichtete alle Staatsdiener ohne Unterſchied, nach
ihrer Erwählung die Genehmigung der vorgeſetzten Behörde einzuholen.
Der verſchlagene Miniſter konnte ſich alſo auf den Buchſtaben des Grund-
geſetzes berufen, als er von der Kammer verlangte, ſie ſolle den Pro-
feſſor Jordan, der keine Erlaubniß erhalten habe, von ihren Sitzungen
ausſchließen. Der Landtag lehnte das Anſinnen ab, deſſen eigentlichen
Zweck Jedermann durchſchaute, und wurde ſofort aufgelöſt.
Fortan blieb jede Verſöhnung unmöglich. Der Haß gegen den Mini-
ſter ward ſo maßlos, daß ſelbſt der befreundete Canitz zuweilen meinte,
Haſſenpflug müſſe um des Friedens willen zurücktreten. *) Der aber hielt
*) Canitz’s Berichte, 2. Juli 1833 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/634>, abgerufen am 24.11.2024.
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