rath Knapp -- denn der Name: Partei hatte in den Kreisen des Beamten- thums noch einen bösen Klang -- und verlangte, daß der Redner zur Ordnung gerufen würde. Als die Mehrheit dies Begehren abschlug, ver- ließen die Regierungscommissäre den Saal, und am nächsten Tage wurde die Kammer aufgelöst (25. Oct.). Du Thil war von seinem Rechte tief überzeugt und sagte in einer Proclamation an das Volk: "Ein Mitglied der zweiten Kammer erlaubte sich einen so beleidigenden und herabwür- digenden Ausfall, daß dadurch das Ansehen und die Achtung, die jede Regierung anzusprechen hat, im höchsten Grade gefährdet war."
Der preußische Geschäftsträger Heinrich v. Arnim, der noch ganz in den politischen Anschauungen seines Freundes, des Kronprinzen lebte, schrieb frohlockend: "nach der gottvergessenen Idee der Volkssouveränität" bedeute die Auflösung des Landtags eine Appellation an das Volk; durch die wieder- holte Auflösung sei dieser Wahn jetzt thatsächlich widerlegt. Auch Ancillon erklärte sich einverstanden*), und in der That war nunmehr "der Hydra der Kopf abgeschlagen", wie du Thil sagte. Die neuen Wahlen fielen zu Gunsten der Regierung aus, und vierzehn Jahre hindurch gebot der dauer- hafteste aller deutschen constitutionellen Minister fortan über eine er- gebene Mehrheit. Selbst die Enthüllung des Thorwaldsen'schen Guten- berg-Standbildes in Mainz (1837), ein Fest, vor dem sich der Hof leb- haft fürchtete, verlief in Frieden, obwohl viele unheimliche Demagogen her- beigekommen waren. Die Macht der Regierung schien für den Augenblick so fest zu stehen, daß im Jahre 1838 zwei Führer der Opposition, Gagern und Langer entmuthigt aus der Kammer austraten. --
Weit ernster war die Lage in Kurhessen. Wie richtig hatte doch Motz über seine Heimath geurtheilt, als er einst, lange vor den Julitagen, voraussagte, von Braunschweig und Kurhessen würde die deutsche Revo- lution ausgehen. In Braunschweig war jetzt das Feuer gelöscht, das Kur- fürstenthum blieb des Deutschen Bundes Unglückskind. Selbst der neue preußische Gesandte, Frhr. v. Canitz, der dem geistreichen Berliner Freun- deskreise des Kronprinzen angehörte und als geborener Hesse gern nach- sichtig urtheilte, mußte schließlich gestehen: das Land sei nicht schlecht ge- sinnt, die Opposition ungefährlich; die einzige Gefahr liege in der Person des Prinzregenten, die dem Braunschweiger Karl nur zu ähnlich sei, in seinem boshaften, mißtrauischen Charakter, in seiner "Lust, Allen wehe zu thun, die sich nicht schützen können."**) Sehr schwer bestraften sich die unfürstlichen Familienverhältnisse des Regenten. "Er hat uns nur in Pachtung," sagte man im Volke; Niemand traute ihm landesväterliche Liebe zu, weil er die Herrschaft doch nicht auf seine Nachkommen vererben könne. Dieser Verdacht mußte wachsen, als der Kurprinz von den Land-
**) Canitz's Berichte, 3. Oct. 1836, 19. Aug. 1837.
IV. 8. Stille Jahre.
rath Knapp — denn der Name: Partei hatte in den Kreiſen des Beamten- thums noch einen böſen Klang — und verlangte, daß der Redner zur Ordnung gerufen würde. Als die Mehrheit dies Begehren abſchlug, ver- ließen die Regierungscommiſſäre den Saal, und am nächſten Tage wurde die Kammer aufgelöſt (25. Oct.). Du Thil war von ſeinem Rechte tief überzeugt und ſagte in einer Proclamation an das Volk: „Ein Mitglied der zweiten Kammer erlaubte ſich einen ſo beleidigenden und herabwür- digenden Ausfall, daß dadurch das Anſehen und die Achtung, die jede Regierung anzuſprechen hat, im höchſten Grade gefährdet war.“
Der preußiſche Geſchäftsträger Heinrich v. Arnim, der noch ganz in den politiſchen Anſchauungen ſeines Freundes, des Kronprinzen lebte, ſchrieb frohlockend: „nach der gottvergeſſenen Idee der Volksſouveränität“ bedeute die Auflöſung des Landtags eine Appellation an das Volk; durch die wieder- holte Auflöſung ſei dieſer Wahn jetzt thatſächlich widerlegt. Auch Ancillon erklärte ſich einverſtanden*), und in der That war nunmehr „der Hydra der Kopf abgeſchlagen“, wie du Thil ſagte. Die neuen Wahlen fielen zu Gunſten der Regierung aus, und vierzehn Jahre hindurch gebot der dauer- hafteſte aller deutſchen conſtitutionellen Miniſter fortan über eine er- gebene Mehrheit. Selbſt die Enthüllung des Thorwaldſen’ſchen Guten- berg-Standbildes in Mainz (1837), ein Feſt, vor dem ſich der Hof leb- haft fürchtete, verlief in Frieden, obwohl viele unheimliche Demagogen her- beigekommen waren. Die Macht der Regierung ſchien für den Augenblick ſo feſt zu ſtehen, daß im Jahre 1838 zwei Führer der Oppoſition, Gagern und Langer entmuthigt aus der Kammer austraten. —
Weit ernſter war die Lage in Kurheſſen. Wie richtig hatte doch Motz über ſeine Heimath geurtheilt, als er einſt, lange vor den Julitagen, vorausſagte, von Braunſchweig und Kurheſſen würde die deutſche Revo- lution ausgehen. In Braunſchweig war jetzt das Feuer gelöſcht, das Kur- fürſtenthum blieb des Deutſchen Bundes Unglückskind. Selbſt der neue preußiſche Geſandte, Frhr. v. Canitz, der dem geiſtreichen Berliner Freun- deskreiſe des Kronprinzen angehörte und als geborener Heſſe gern nach- ſichtig urtheilte, mußte ſchließlich geſtehen: das Land ſei nicht ſchlecht ge- ſinnt, die Oppoſition ungefährlich; die einzige Gefahr liege in der Perſon des Prinzregenten, die dem Braunſchweiger Karl nur zu ähnlich ſei, in ſeinem boshaften, mißtrauiſchen Charakter, in ſeiner „Luſt, Allen wehe zu thun, die ſich nicht ſchützen können.“**) Sehr ſchwer beſtraften ſich die unfürſtlichen Familienverhältniſſe des Regenten. „Er hat uns nur in Pachtung,“ ſagte man im Volke; Niemand traute ihm landesväterliche Liebe zu, weil er die Herrſchaft doch nicht auf ſeine Nachkommen vererben könne. Dieſer Verdacht mußte wachſen, als der Kurprinz von den Land-
**) Canitz’s Berichte, 3. Oct. 1836, 19. Aug. 1837.
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IV. 8. Stille Jahre.
rath Knapp — denn der Name: Partei hatte in den Kreiſen des Beamten-
thums noch einen böſen Klang — und verlangte, daß der Redner zur
Ordnung gerufen würde. Als die Mehrheit dies Begehren abſchlug, ver-
ließen die Regierungscommiſſäre den Saal, und am nächſten Tage wurde
die Kammer aufgelöſt (25. Oct.). Du Thil war von ſeinem Rechte tief
überzeugt und ſagte in einer Proclamation an das Volk: „Ein Mitglied
der zweiten Kammer erlaubte ſich einen ſo beleidigenden und herabwür-
digenden Ausfall, daß dadurch das Anſehen und die Achtung, die jede
Regierung anzuſprechen hat, im höchſten Grade gefährdet war.“
Der preußiſche Geſchäftsträger Heinrich v. Arnim, der noch ganz in
den politiſchen Anſchauungen ſeines Freundes, des Kronprinzen lebte, ſchrieb
frohlockend: „nach der gottvergeſſenen Idee der Volksſouveränität“ bedeute
die Auflöſung des Landtags eine Appellation an das Volk; durch die wieder-
holte Auflöſung ſei dieſer Wahn jetzt thatſächlich widerlegt. Auch Ancillon
erklärte ſich einverſtanden *), und in der That war nunmehr „der Hydra
der Kopf abgeſchlagen“, wie du Thil ſagte. Die neuen Wahlen fielen zu
Gunſten der Regierung aus, und vierzehn Jahre hindurch gebot der dauer-
hafteſte aller deutſchen conſtitutionellen Miniſter fortan über eine er-
gebene Mehrheit. Selbſt die Enthüllung des Thorwaldſen’ſchen Guten-
berg-Standbildes in Mainz (1837), ein Feſt, vor dem ſich der Hof leb-
haft fürchtete, verlief in Frieden, obwohl viele unheimliche Demagogen her-
beigekommen waren. Die Macht der Regierung ſchien für den Augenblick
ſo feſt zu ſtehen, daß im Jahre 1838 zwei Führer der Oppoſition, Gagern
und Langer entmuthigt aus der Kammer austraten. —
Weit ernſter war die Lage in Kurheſſen. Wie richtig hatte doch
Motz über ſeine Heimath geurtheilt, als er einſt, lange vor den Julitagen,
vorausſagte, von Braunſchweig und Kurheſſen würde die deutſche Revo-
lution ausgehen. In Braunſchweig war jetzt das Feuer gelöſcht, das Kur-
fürſtenthum blieb des Deutſchen Bundes Unglückskind. Selbſt der neue
preußiſche Geſandte, Frhr. v. Canitz, der dem geiſtreichen Berliner Freun-
deskreiſe des Kronprinzen angehörte und als geborener Heſſe gern nach-
ſichtig urtheilte, mußte ſchließlich geſtehen: das Land ſei nicht ſchlecht ge-
ſinnt, die Oppoſition ungefährlich; die einzige Gefahr liege in der Perſon
des Prinzregenten, die dem Braunſchweiger Karl nur zu ähnlich ſei, in
ſeinem boshaften, mißtrauiſchen Charakter, in ſeiner „Luſt, Allen wehe zu
thun, die ſich nicht ſchützen können.“ **) Sehr ſchwer beſtraften ſich die
unfürſtlichen Familienverhältniſſe des Regenten. „Er hat uns nur in
Pachtung,“ ſagte man im Volke; Niemand traute ihm landesväterliche
Liebe zu, weil er die Herrſchaft doch nicht auf ſeine Nachkommen vererben
könne. Dieſer Verdacht mußte wachſen, als der Kurprinz von den Land-
*) Arnim’s Berichte, 25. 27. Oct.; Ancillon, Weiſung an Arnim, 6. Nov. 1834.
**) Canitz’s Berichte, 3. Oct. 1836, 19. Aug. 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/632>, abgerufen am 24.11.2024.
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