selbst Wache zu halten;" und du Thil unterstützte ihn mit voller Kraft. Der kluge Minister hatte sich in dem ewigen Kampfe mit den Liberalen schon dermaßen verhärtet, daß er ihnen schlechterdings nichts mehr glauben wollte. Er schilderte Georgi dem preußischen Geschäftsträger als einen schändlich verleumdeten Märtyrer der guten Sache; die beiden Gerichts- ärzte hätten sich nur durch die liberalen Abgeordneten verführen lassen, ein unwahres Gutachten über Georgi's Säuferkrankheit abzugeben.*) Noch mehr, als sein Schützling die Stirn hatte sich um einen Sitz in der Kammer zu bewerben, gewährte er ihm den stillen Beistand der Behörden. Georgi wurde gewählt, und Gutzkow sang:
Deutschland, glückliches Land, wo der Wahnsinn sitzt zu Gerichte, Und in dem ständischen Saal taumelnd ein Trunkenbold lallt!
Die Inschrift auf Weidig's Grabe ließen die Behörden überkitten, weil sie den Todten als heiligen Streiter rühmte. Unbelehrbar blieb du Thil bei seiner Ansicht. Noch lange Jahre nachher schrieb er in seinen Denk- würdigkeiten, als er Weidig's wüthenden Anfall auf Georgi erwähnt hatte: "Man kann sehen, was der Parteigeist bewirkt, wenn man weiß, daß jenes Ungeheuer, das sich am Ende selbst entleibt hat, als Märtyrer betrachtet, fast vergöttert worden ist, und daß man ihm ein Denkmal gesetzt hat." Aber mit solchem Hochmuth bureaukratischer Selbstgerechtigkeit ließ sich der blu- tige Schatten nicht bannen. Das Gerücht ließ nicht ab, die Schriften über den gräßlichen Vorgang mehrten sich; die öffentliche Meinung forderte stürmisch, das Geheimniß müsse gänzlich aufgedeckt werden. Als nun in Kurhessen eine geheime politische Untersuchung gegen Sylvester Jordan eingeleitet wurde, erst 1839, eben zu der Zeit, da die Demagogenverfolgung überall sonst einzuschlafen begann, da erzählte man sich bald, auch dieser Volksmann werde mit der gleichen Grausamkeit behandelt. Der Unwille ward allgemein. Die beiden Processe Weidig und Jordan sollten in der deutschen Geschichte eine große Bedeutung erlangen, sie gaben dem ge- heimen Strafverfahren den Todesstoß. --
Wie konnten in so schwüler Luft Vertrauen und Frieden gedeihen! Die Verwaltung im Großherzogthum Hessen arbeitete unter du Thil's ein- sichtiger Leitung vortrefflich. Für Schulwesen und Straßenbau geschah sehr viel; der Ertrag des landesfürstlichen Kammergutes vermehrte sich beträchtlich, obgleich ein Drittel der Domänen an den Staat abgetreten war. Die Ablösung der bäuerlichen Lasten wurde so gerecht durchgeführt, daß selbst die Mediatisirten, die überall sonst in Süddeutschland über die neuen Agrargesetze klagten, hier allein zufrieden waren; die Solms und
*) Sydow's Berichte, 23. Aug., 7. Nov. 1837.
IV. 8. Stille Jahre.
ſelbſt Wache zu halten;“ und du Thil unterſtützte ihn mit voller Kraft. Der kluge Miniſter hatte ſich in dem ewigen Kampfe mit den Liberalen ſchon dermaßen verhärtet, daß er ihnen ſchlechterdings nichts mehr glauben wollte. Er ſchilderte Georgi dem preußiſchen Geſchäftsträger als einen ſchändlich verleumdeten Märtyrer der guten Sache; die beiden Gerichts- ärzte hätten ſich nur durch die liberalen Abgeordneten verführen laſſen, ein unwahres Gutachten über Georgi’s Säuferkrankheit abzugeben.*) Noch mehr, als ſein Schützling die Stirn hatte ſich um einen Sitz in der Kammer zu bewerben, gewährte er ihm den ſtillen Beiſtand der Behörden. Georgi wurde gewählt, und Gutzkow ſang:
Deutſchland, glückliches Land, wo der Wahnſinn ſitzt zu Gerichte, Und in dem ſtändiſchen Saal taumelnd ein Trunkenbold lallt!
Die Inſchrift auf Weidig’s Grabe ließen die Behörden überkitten, weil ſie den Todten als heiligen Streiter rühmte. Unbelehrbar blieb du Thil bei ſeiner Anſicht. Noch lange Jahre nachher ſchrieb er in ſeinen Denk- würdigkeiten, als er Weidig’s wüthenden Anfall auf Georgi erwähnt hatte: „Man kann ſehen, was der Parteigeiſt bewirkt, wenn man weiß, daß jenes Ungeheuer, das ſich am Ende ſelbſt entleibt hat, als Märtyrer betrachtet, faſt vergöttert worden iſt, und daß man ihm ein Denkmal geſetzt hat.“ Aber mit ſolchem Hochmuth bureaukratiſcher Selbſtgerechtigkeit ließ ſich der blu- tige Schatten nicht bannen. Das Gerücht ließ nicht ab, die Schriften über den gräßlichen Vorgang mehrten ſich; die öffentliche Meinung forderte ſtürmiſch, das Geheimniß müſſe gänzlich aufgedeckt werden. Als nun in Kurheſſen eine geheime politiſche Unterſuchung gegen Sylveſter Jordan eingeleitet wurde, erſt 1839, eben zu der Zeit, da die Demagogenverfolgung überall ſonſt einzuſchlafen begann, da erzählte man ſich bald, auch dieſer Volksmann werde mit der gleichen Grauſamkeit behandelt. Der Unwille ward allgemein. Die beiden Proceſſe Weidig und Jordan ſollten in der deutſchen Geſchichte eine große Bedeutung erlangen, ſie gaben dem ge- heimen Strafverfahren den Todesſtoß. —
Wie konnten in ſo ſchwüler Luft Vertrauen und Frieden gedeihen! Die Verwaltung im Großherzogthum Heſſen arbeitete unter du Thil’s ein- ſichtiger Leitung vortrefflich. Für Schulweſen und Straßenbau geſchah ſehr viel; der Ertrag des landesfürſtlichen Kammergutes vermehrte ſich beträchtlich, obgleich ein Drittel der Domänen an den Staat abgetreten war. Die Ablöſung der bäuerlichen Laſten wurde ſo gerecht durchgeführt, daß ſelbſt die Mediatiſirten, die überall ſonſt in Süddeutſchland über die neuen Agrargeſetze klagten, hier allein zufrieden waren; die Solms und
*) Sydow’s Berichte, 23. Aug., 7. Nov. 1837.
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ſelbſt Wache zu halten;“ und du Thil unterſtützte ihn mit voller Kraft.
Der kluge Miniſter hatte ſich in dem ewigen Kampfe mit den Liberalen
ſchon dermaßen verhärtet, daß er ihnen ſchlechterdings nichts mehr glauben
wollte. Er ſchilderte Georgi dem preußiſchen Geſchäftsträger als einen
ſchändlich verleumdeten Märtyrer der guten Sache; die beiden Gerichts-
ärzte hätten ſich nur durch die liberalen Abgeordneten verführen laſſen,
ein unwahres Gutachten über Georgi’s Säuferkrankheit abzugeben. *) Noch
mehr, als ſein Schützling die Stirn hatte ſich um einen Sitz in der
Kammer zu bewerben, gewährte er ihm den ſtillen Beiſtand der Behörden.
Georgi wurde gewählt, und Gutzkow ſang:
Deutſchland, glückliches Land, wo der Wahnſinn ſitzt zu Gerichte,
Und in dem ſtändiſchen Saal taumelnd ein Trunkenbold lallt!
Die Inſchrift auf Weidig’s Grabe ließen die Behörden überkitten, weil
ſie den Todten als heiligen Streiter rühmte. Unbelehrbar blieb du Thil
bei ſeiner Anſicht. Noch lange Jahre nachher ſchrieb er in ſeinen Denk-
würdigkeiten, als er Weidig’s wüthenden Anfall auf Georgi erwähnt hatte:
„Man kann ſehen, was der Parteigeiſt bewirkt, wenn man weiß, daß jenes
Ungeheuer, das ſich am Ende ſelbſt entleibt hat, als Märtyrer betrachtet, faſt
vergöttert worden iſt, und daß man ihm ein Denkmal geſetzt hat.“ Aber
mit ſolchem Hochmuth bureaukratiſcher Selbſtgerechtigkeit ließ ſich der blu-
tige Schatten nicht bannen. Das Gerücht ließ nicht ab, die Schriften
über den gräßlichen Vorgang mehrten ſich; die öffentliche Meinung forderte
ſtürmiſch, das Geheimniß müſſe gänzlich aufgedeckt werden. Als nun
in Kurheſſen eine geheime politiſche Unterſuchung gegen Sylveſter Jordan
eingeleitet wurde, erſt 1839, eben zu der Zeit, da die Demagogenverfolgung
überall ſonſt einzuſchlafen begann, da erzählte man ſich bald, auch dieſer
Volksmann werde mit der gleichen Grauſamkeit behandelt. Der Unwille
ward allgemein. Die beiden Proceſſe Weidig und Jordan ſollten in der
deutſchen Geſchichte eine große Bedeutung erlangen, ſie gaben dem ge-
heimen Strafverfahren den Todesſtoß. —
Wie konnten in ſo ſchwüler Luft Vertrauen und Frieden gedeihen!
Die Verwaltung im Großherzogthum Heſſen arbeitete unter du Thil’s ein-
ſichtiger Leitung vortrefflich. Für Schulweſen und Straßenbau geſchah
ſehr viel; der Ertrag des landesfürſtlichen Kammergutes vermehrte ſich
beträchtlich, obgleich ein Drittel der Domänen an den Staat abgetreten
war. Die Ablöſung der bäuerlichen Laſten wurde ſo gerecht durchgeführt,
daß ſelbſt die Mediatiſirten, die überall ſonſt in Süddeutſchland über die
neuen Agrargeſetze klagten, hier allein zufrieden waren; die Solms und
*) Sydow’s Berichte, 23. Aug., 7. Nov. 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/630>, abgerufen am 24.11.2024.
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