Wegen des einen Wortes "lichtscheu" wurde der junge Poet verurtheilt, vor dem Bilde des Königs zu knien und sieben Wochen Haft auszuhalten, obgleich das Gedicht noch gar nicht gedruckt, sondern in einem erbrochenen Briefe aufgefunden war.
Am längsten währten die Untersuchungen im Großherzogthum Hessen. In dem gelobten Lande der Kleinstaaterei um Frankfurt hatte der Radi- calismus allmählich eine Macht erlangt, wie nirgendwo sonst in Deutsch- land; die Willkür der freien Stadt gegen ihre Bauern, die Mißregierung in Kurhessen und Nassau, die bureaukratische Strenge in Darmstadt und nicht zuletzt der erbauliche Anblick des Bundestags mußten das Volk auf- regen. Daß Büchner und die oberhessischen Verschwörer im Jahre 1833 auf den Umsturz alles Bestehenden ausgegangen waren, lag klar zu Tage*); desgleichen, daß dort noch lange nach dem Frankfurter Wachensturme ein "Männerbund" von streng revolutionärer Richtung sein Unwesen getrieben hatte. Der Darmstädter Hof führte die Untersuchung mit leidenschaft- lichem Eifer. Großherzog Ludwig unterschrieb eigenhändig zwei geheime Aktenstücke, welche den Denuncianten Straflosigkeit "und selbst Unsere Erkenntlichkeit" zusicherten; du Thil aber verstand, ganz wie die bairische Regierung, durch rechtzeitige Versetzungen dafür zu sorgen, daß die Mehr- heit der Richter in politischen Processen immer aus Anhängern des Mini- steriums bestand.**) Viele der Angeklagten waren entflohen, auch der Gym- nasiallehrer Schüler, der sich dann in der Schweiz als eifriges Mitglied dem Jungen Deutschland anschloß. Die noch übrigen Dreißig wurden im December 1838 sämmtlich bis auf fünf verurtheilt, und der Groß- herzog erließ ihnen allen die Freiheitsstrafen. Aber wie furchtbar war ihnen in der langen Untersuchungshaft mitgespielt worden; der namhaf- teste von allen, Pfarrer Ludwig Weidig hatte seinen Qualen selbst ein Ende gemacht.
Weidig genoß allgemeine Achtung als rechtschaffener Mann, als tüch- tiger Lehrer und Prediger, auch seine politischen Hoffnungen gingen nicht über ein parlamentarisches deutsches Kaiserthum hinaus. Allein er hatte nicht umsonst dem Bunde der Unbedingten als älterer Genosse angehört; wenn ein Zwiespalt zwischen Staat und Volk entstünde, dann hielt er, "um des Sieges der Wahrheit willen," jedes, schlechthin jedes Mittel für er- laubt, darum trug er auch kein Bedenken, bei Büchner's socialistischem Hessischen Landboten mitzuwirken. Durch solche Grundsätze vergiftete er die Jugend, die er mit dämonischer Beredsamkeit an sich zu fesseln wußte. Beständig empfing er die Besuche polnischer und französischer Emissäre; das kleine Butzbach blieb, so lange er dort als Rector wirkte, der Mittelpunkt einer geheimnißvollen Wühlerei. Die Regierung betrachtete ihn als ihren
*) S. o. IV. 310.
**) Ich benutze hier mehrfach die Aufzeichnungen des späteren großh. hess. Gesandten Frhrn. v. Lepel, die mir sein Sohn, Herr Oberst Frhr. v. Lepel freundlich mitgetheilt hat.
IV. 8. Stille Jahre.
Wegen des einen Wortes „lichtſcheu“ wurde der junge Poet verurtheilt, vor dem Bilde des Königs zu knien und ſieben Wochen Haft auszuhalten, obgleich das Gedicht noch gar nicht gedruckt, ſondern in einem erbrochenen Briefe aufgefunden war.
Am längſten währten die Unterſuchungen im Großherzogthum Heſſen. In dem gelobten Lande der Kleinſtaaterei um Frankfurt hatte der Radi- calismus allmählich eine Macht erlangt, wie nirgendwo ſonſt in Deutſch- land; die Willkür der freien Stadt gegen ihre Bauern, die Mißregierung in Kurheſſen und Naſſau, die bureaukratiſche Strenge in Darmſtadt und nicht zuletzt der erbauliche Anblick des Bundestags mußten das Volk auf- regen. Daß Büchner und die oberheſſiſchen Verſchwörer im Jahre 1833 auf den Umſturz alles Beſtehenden ausgegangen waren, lag klar zu Tage*); desgleichen, daß dort noch lange nach dem Frankfurter Wachenſturme ein „Männerbund“ von ſtreng revolutionärer Richtung ſein Unweſen getrieben hatte. Der Darmſtädter Hof führte die Unterſuchung mit leidenſchaft- lichem Eifer. Großherzog Ludwig unterſchrieb eigenhändig zwei geheime Aktenſtücke, welche den Denuncianten Strafloſigkeit „und ſelbſt Unſere Erkenntlichkeit“ zuſicherten; du Thil aber verſtand, ganz wie die bairiſche Regierung, durch rechtzeitige Verſetzungen dafür zu ſorgen, daß die Mehr- heit der Richter in politiſchen Proceſſen immer aus Anhängern des Mini- ſteriums beſtand.**) Viele der Angeklagten waren entflohen, auch der Gym- naſiallehrer Schüler, der ſich dann in der Schweiz als eifriges Mitglied dem Jungen Deutſchland anſchloß. Die noch übrigen Dreißig wurden im December 1838 ſämmtlich bis auf fünf verurtheilt, und der Groß- herzog erließ ihnen allen die Freiheitsſtrafen. Aber wie furchtbar war ihnen in der langen Unterſuchungshaft mitgeſpielt worden; der namhaf- teſte von allen, Pfarrer Ludwig Weidig hatte ſeinen Qualen ſelbſt ein Ende gemacht.
Weidig genoß allgemeine Achtung als rechtſchaffener Mann, als tüch- tiger Lehrer und Prediger, auch ſeine politiſchen Hoffnungen gingen nicht über ein parlamentariſches deutſches Kaiſerthum hinaus. Allein er hatte nicht umſonſt dem Bunde der Unbedingten als älterer Genoſſe angehört; wenn ein Zwieſpalt zwiſchen Staat und Volk entſtünde, dann hielt er, „um des Sieges der Wahrheit willen,“ jedes, ſchlechthin jedes Mittel für er- laubt, darum trug er auch kein Bedenken, bei Büchner’s ſocialiſtiſchem Heſſiſchen Landboten mitzuwirken. Durch ſolche Grundſätze vergiftete er die Jugend, die er mit dämoniſcher Beredſamkeit an ſich zu feſſeln wußte. Beſtändig empfing er die Beſuche polniſcher und franzöſiſcher Emiſſäre; das kleine Butzbach blieb, ſo lange er dort als Rector wirkte, der Mittelpunkt einer geheimnißvollen Wühlerei. Die Regierung betrachtete ihn als ihren
*) S. o. IV. 310.
**) Ich benutze hier mehrfach die Aufzeichnungen des ſpäteren großh. heſſ. Geſandten Frhrn. v. Lepel, die mir ſein Sohn, Herr Oberſt Frhr. v. Lepel freundlich mitgetheilt hat.
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Wegen des einen Wortes „lichtſcheu“ wurde der junge Poet verurtheilt,
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obgleich das Gedicht noch gar nicht gedruckt, ſondern in einem erbrochenen
Briefe aufgefunden war.
Am längſten währten die Unterſuchungen im Großherzogthum Heſſen.
In dem gelobten Lande der Kleinſtaaterei um Frankfurt hatte der Radi-
calismus allmählich eine Macht erlangt, wie nirgendwo ſonſt in Deutſch-
land; die Willkür der freien Stadt gegen ihre Bauern, die Mißregierung
in Kurheſſen und Naſſau, die bureaukratiſche Strenge in Darmſtadt und
nicht zuletzt der erbauliche Anblick des Bundestags mußten das Volk auf-
regen. Daß Büchner und die oberheſſiſchen Verſchwörer im Jahre 1833
auf den Umſturz alles Beſtehenden ausgegangen waren, lag klar zu Tage *);
desgleichen, daß dort noch lange nach dem Frankfurter Wachenſturme ein
„Männerbund“ von ſtreng revolutionärer Richtung ſein Unweſen getrieben
hatte. Der Darmſtädter Hof führte die Unterſuchung mit leidenſchaft-
lichem Eifer. Großherzog Ludwig unterſchrieb eigenhändig zwei geheime
Aktenſtücke, welche den Denuncianten Strafloſigkeit „und ſelbſt Unſere
Erkenntlichkeit“ zuſicherten; du Thil aber verſtand, ganz wie die bairiſche
Regierung, durch rechtzeitige Verſetzungen dafür zu ſorgen, daß die Mehr-
heit der Richter in politiſchen Proceſſen immer aus Anhängern des Mini-
ſteriums beſtand. **) Viele der Angeklagten waren entflohen, auch der Gym-
naſiallehrer Schüler, der ſich dann in der Schweiz als eifriges Mitglied
dem Jungen Deutſchland anſchloß. Die noch übrigen Dreißig wurden
im December 1838 ſämmtlich bis auf fünf verurtheilt, und der Groß-
herzog erließ ihnen allen die Freiheitsſtrafen. Aber wie furchtbar war
ihnen in der langen Unterſuchungshaft mitgeſpielt worden; der namhaf-
teſte von allen, Pfarrer Ludwig Weidig hatte ſeinen Qualen ſelbſt ein
Ende gemacht.
Weidig genoß allgemeine Achtung als rechtſchaffener Mann, als tüch-
tiger Lehrer und Prediger, auch ſeine politiſchen Hoffnungen gingen nicht
über ein parlamentariſches deutſches Kaiſerthum hinaus. Allein er hatte
nicht umſonſt dem Bunde der Unbedingten als älterer Genoſſe angehört;
wenn ein Zwieſpalt zwiſchen Staat und Volk entſtünde, dann hielt er, „um
des Sieges der Wahrheit willen,“ jedes, ſchlechthin jedes Mittel für er-
laubt, darum trug er auch kein Bedenken, bei Büchner’s ſocialiſtiſchem
Heſſiſchen Landboten mitzuwirken. Durch ſolche Grundſätze vergiftete er
die Jugend, die er mit dämoniſcher Beredſamkeit an ſich zu feſſeln wußte.
Beſtändig empfing er die Beſuche polniſcher und franzöſiſcher Emiſſäre; das
kleine Butzbach blieb, ſo lange er dort als Rector wirkte, der Mittelpunkt
einer geheimnißvollen Wühlerei. Die Regierung betrachtete ihn als ihren
*) S. o. IV. 310.
**) Ich benutze hier mehrfach die Aufzeichnungen des ſpäteren großh. heſſ. Geſandten
Frhrn. v. Lepel, die mir ſein Sohn, Herr Oberſt Frhr. v. Lepel freundlich mitgetheilt hat.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/628>, abgerufen am 24.11.2024.
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