Hofe betheuerten der Vorort Zürich und der Canton Bern ihre guten Vorsätze in einem Tone, welcher sehr wenig republikanischen Stolz ver- rieth.*) Nun begann die berüchtigte Schweizer "Flüchtlingshatz". Nach Lust und Laune, wie es den geängsteten Cantonalbehörden gerade einfiel, wur- den die Flüchtlinge, schuldige und unschuldige, verhört, eingesperrt, unter Aufsicht gestellt, ihre Habe durchsucht, ihre Briefe erbrochen; selbst manche Schweizerbürger griff man mit auf, und Mathy gestand ehrlich, in Deutsch- land pflege man mit den Demagogen menschlicher umzugehen. Die beiden Breidenstein und viele Andere mußten die Schweiz verlassen. Auch Rau- schenplatt zog grimmig von dannen; der thatendurstige kleine Mann hatte in jüngster Zeit noch versucht, in dem Baseler Judendörfchen Dipflingen unter dem Schatten eines mächtigen Freiheitsbaumes eine unabhängige Republik einzurichten.
Eine so planlose und willkürliche Verfolgung konnte die Ordnung nicht herstellen. Die Mehrzahl der Flüchtlinge, sogar viele der Genossen des Savoyerzuges blieben im Lande; in Zürich, Bern, Genf, Lausanne, Liestal entstanden deutsche Lesevereine, welche die Handwerksburschen in die Lehren des Radicalismus einführten, die geheime Presse unterstützten und den "Brüdern" daheim in vertrauten Briefen ankündigten, daß "der große Volksschmaus losgehen" werde. Mehrere Jahre hindurch mußten die deut- schen Garnisonen in der Nähe des Bodensees beständig auf einen neuen Ausfall der polnischen Legion gefaßt bleiben.**) Der Depeschenwechsel mit der Tagsatzung wurde sehr widerwärtig; denn die aristokratische alte Schweiz hatte immer auf würdige Formen gehalten, die Sprache der neuen Demokratie schwankte zwischen Kleinmuth und plumper Grobheit.***) Der Bundestag half sich nach seiner Weise durch thörichte Verbote. Er unter- sagte den Besuch der beiden neuen Universitäten Bern und Zürich; und allerdings waren sogleich einige der eifrigsten deutschen Demagogen, Sieben- pfeiffer, Hundeshagen, Snell auf die Berner Lehrstühle berufen worden. Er untersagte den Handwerksburschen nach solchen Ländern zu wandern, wo politische Arbeiterbünde beständen (1835); aber die Ausführung blieb den Einzelstaaten überlassen, und Baden sah sich zu Metternich's Ent- rüstung bald genöthigt, seinen Handwerkern den unentbehrlichen Verkehr mit den Schweizer Nachbarn wieder freizugeben.+)
Da man sich auf die Behörden der Eidgenossen nicht verlassen konnte, so unterhielt Oesterreich in der Schweiz eine Menge geheimer Agenten, die auch den Bundestag, den badischen und andere deutsche Höfe mit zweifel-
*) Schreiben des Regierungsrathes von Bern, 21. Nov., des Vororts Zürich, 27. Nov. 1834 an den Geschäftsträger Effinger in Wien.
**) Berichte von Frankenberg, 7. Februar, 22. Juni; von Dönhoff, 7. Februar, 4. März 1835.
***) Blittersdorff an Frankenberg, 30. Juli 1838.
+) Frankenberg's Bericht, 5. Aug. 1835.
Die Schweizer Flüchtlingshatz.
Hofe betheuerten der Vorort Zürich und der Canton Bern ihre guten Vorſätze in einem Tone, welcher ſehr wenig republikaniſchen Stolz ver- rieth.*) Nun begann die berüchtigte Schweizer „Flüchtlingshatz“. Nach Luſt und Laune, wie es den geängſteten Cantonalbehörden gerade einfiel, wur- den die Flüchtlinge, ſchuldige und unſchuldige, verhört, eingeſperrt, unter Aufſicht geſtellt, ihre Habe durchſucht, ihre Briefe erbrochen; ſelbſt manche Schweizerbürger griff man mit auf, und Mathy geſtand ehrlich, in Deutſch- land pflege man mit den Demagogen menſchlicher umzugehen. Die beiden Breidenſtein und viele Andere mußten die Schweiz verlaſſen. Auch Rau- ſchenplatt zog grimmig von dannen; der thatendurſtige kleine Mann hatte in jüngſter Zeit noch verſucht, in dem Baſeler Judendörfchen Dipflingen unter dem Schatten eines mächtigen Freiheitsbaumes eine unabhängige Republik einzurichten.
Eine ſo planloſe und willkürliche Verfolgung konnte die Ordnung nicht herſtellen. Die Mehrzahl der Flüchtlinge, ſogar viele der Genoſſen des Savoyerzuges blieben im Lande; in Zürich, Bern, Genf, Lauſanne, Lieſtal entſtanden deutſche Leſevereine, welche die Handwerksburſchen in die Lehren des Radicalismus einführten, die geheime Preſſe unterſtützten und den „Brüdern“ daheim in vertrauten Briefen ankündigten, daß „der große Volksſchmaus losgehen“ werde. Mehrere Jahre hindurch mußten die deut- ſchen Garniſonen in der Nähe des Bodenſees beſtändig auf einen neuen Ausfall der polniſchen Legion gefaßt bleiben.**) Der Depeſchenwechſel mit der Tagſatzung wurde ſehr widerwärtig; denn die ariſtokratiſche alte Schweiz hatte immer auf würdige Formen gehalten, die Sprache der neuen Demokratie ſchwankte zwiſchen Kleinmuth und plumper Grobheit.***) Der Bundestag half ſich nach ſeiner Weiſe durch thörichte Verbote. Er unter- ſagte den Beſuch der beiden neuen Univerſitäten Bern und Zürich; und allerdings waren ſogleich einige der eifrigſten deutſchen Demagogen, Sieben- pfeiffer, Hundeshagen, Snell auf die Berner Lehrſtühle berufen worden. Er unterſagte den Handwerksburſchen nach ſolchen Ländern zu wandern, wo politiſche Arbeiterbünde beſtänden (1835); aber die Ausführung blieb den Einzelſtaaten überlaſſen, und Baden ſah ſich zu Metternich’s Ent- rüſtung bald genöthigt, ſeinen Handwerkern den unentbehrlichen Verkehr mit den Schweizer Nachbarn wieder freizugeben.†)
Da man ſich auf die Behörden der Eidgenoſſen nicht verlaſſen konnte, ſo unterhielt Oeſterreich in der Schweiz eine Menge geheimer Agenten, die auch den Bundestag, den badiſchen und andere deutſche Höfe mit zweifel-
*) Schreiben des Regierungsrathes von Bern, 21. Nov., des Vororts Zürich, 27. Nov. 1834 an den Geſchäftsträger Effinger in Wien.
**) Berichte von Frankenberg, 7. Februar, 22. Juni; von Dönhoff, 7. Februar, 4. März 1835.
***) Blittersdorff an Frankenberg, 30. Juli 1838.
†) Frankenberg’s Bericht, 5. Aug. 1835.
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Die Schweizer Flüchtlingshatz.
Hofe betheuerten der Vorort Zürich und der Canton Bern ihre guten
Vorſätze in einem Tone, welcher ſehr wenig republikaniſchen Stolz ver-
rieth. *) Nun begann die berüchtigte Schweizer „Flüchtlingshatz“. Nach Luſt
und Laune, wie es den geängſteten Cantonalbehörden gerade einfiel, wur-
den die Flüchtlinge, ſchuldige und unſchuldige, verhört, eingeſperrt, unter
Aufſicht geſtellt, ihre Habe durchſucht, ihre Briefe erbrochen; ſelbſt manche
Schweizerbürger griff man mit auf, und Mathy geſtand ehrlich, in Deutſch-
land pflege man mit den Demagogen menſchlicher umzugehen. Die beiden
Breidenſtein und viele Andere mußten die Schweiz verlaſſen. Auch Rau-
ſchenplatt zog grimmig von dannen; der thatendurſtige kleine Mann hatte
in jüngſter Zeit noch verſucht, in dem Baſeler Judendörfchen Dipflingen
unter dem Schatten eines mächtigen Freiheitsbaumes eine unabhängige
Republik einzurichten.
Eine ſo planloſe und willkürliche Verfolgung konnte die Ordnung
nicht herſtellen. Die Mehrzahl der Flüchtlinge, ſogar viele der Genoſſen
des Savoyerzuges blieben im Lande; in Zürich, Bern, Genf, Lauſanne,
Lieſtal entſtanden deutſche Leſevereine, welche die Handwerksburſchen in die
Lehren des Radicalismus einführten, die geheime Preſſe unterſtützten und
den „Brüdern“ daheim in vertrauten Briefen ankündigten, daß „der große
Volksſchmaus losgehen“ werde. Mehrere Jahre hindurch mußten die deut-
ſchen Garniſonen in der Nähe des Bodenſees beſtändig auf einen neuen
Ausfall der polniſchen Legion gefaßt bleiben. **) Der Depeſchenwechſel mit
der Tagſatzung wurde ſehr widerwärtig; denn die ariſtokratiſche alte
Schweiz hatte immer auf würdige Formen gehalten, die Sprache der neuen
Demokratie ſchwankte zwiſchen Kleinmuth und plumper Grobheit. ***) Der
Bundestag half ſich nach ſeiner Weiſe durch thörichte Verbote. Er unter-
ſagte den Beſuch der beiden neuen Univerſitäten Bern und Zürich; und
allerdings waren ſogleich einige der eifrigſten deutſchen Demagogen, Sieben-
pfeiffer, Hundeshagen, Snell auf die Berner Lehrſtühle berufen worden.
Er unterſagte den Handwerksburſchen nach ſolchen Ländern zu wandern,
wo politiſche Arbeiterbünde beſtänden (1835); aber die Ausführung blieb
den Einzelſtaaten überlaſſen, und Baden ſah ſich zu Metternich’s Ent-
rüſtung bald genöthigt, ſeinen Handwerkern den unentbehrlichen Verkehr
mit den Schweizer Nachbarn wieder freizugeben. †)
Da man ſich auf die Behörden der Eidgenoſſen nicht verlaſſen konnte,
ſo unterhielt Oeſterreich in der Schweiz eine Menge geheimer Agenten, die
auch den Bundestag, den badiſchen und andere deutſche Höfe mit zweifel-
*) Schreiben des Regierungsrathes von Bern, 21. Nov., des Vororts Zürich,
27. Nov. 1834 an den Geſchäftsträger Effinger in Wien.
**) Berichte von Frankenberg, 7. Februar, 22. Juni; von Dönhoff, 7. Februar,
4. März 1835.
***) Blittersdorff an Frankenberg, 30. Juli 1838.
†) Frankenberg’s Bericht, 5. Aug. 1835.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/619>, abgerufen am 24.07.2024.
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