Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

Berathungen über das preußische Eisenbahngesetz.
verleihen, die doch nur den frivolen Zweck verfolgte, den Berlinern das
Lustwandeln in den Potsdamer Gärten zu erleichtern?*) Der König selbst
zeigte sich den Eisenbahnen anfangs abgünstig; er war zu alt um sich noch
für eine Erfindung zu erwärmen, welche die Freude seiner letzten Jahre,
den Chausseebau zu stören drohte. Auch der durchaus demokratische Cha-
rakter dieses neuen Verkehrsmittels kam ihm ungelegen. Seit Jahrtau-
senden hatte das schnelle Reisen für ein natürliches Vorrecht der Fürsten
und der Aristokratie gegolten; und diese uralten Sitten sollten sich jetzt
mit einem Schlage ändern! So schlicht bürgerlich er auch dachte: daß er
mit seinen Berlinern zusammen in demselben Zuge nach Potsdam fahren
sollte, schien ihm doch sehr unanständig.

Der Thronfolger dagegen schwärmte für die Eisenbahnen, noch weit
feuriger sogar als sein Schwager König Ludwig. Es zählte zu den vielen
Räthseln dieses so seltsam gemischten reichen Geistes, daß der Kronprinz
die nüchternen Angelegenheiten der Volkswirthschaft, die seiner romantischen
Weltanschauung so fern zu liegen schienen, immer mit besonderem Eifer
verfolgte und überraschend richtig beurtheilte. Wie er den Zollverein stets
gegen die Sparsamkeit der Finanzpartei vertheidigt hatte, so glaubte er
auch fest an die große Zukunft der Eisenbahnen; er wollte die Bahnen am
liebsten von Staatswegen bauen oder doch die Privatbahnen durch Zins-
garantien, durch die erleichterte Enteignung und andere Vorrechte unter-
stützen. Da der Thronfolger so stürmisch drängte und die Anfragen der
Eisenbahngesellschaften sich mehrten, so befahl der König eine gründliche
Berathung über ein umfassendes Eisenbahngesetz, das die Stellung der
Staatsgewalt zu der neuen Erfindung endgiltig regeln sollte.

Die Verhandlungen währten sehr lange. Eine Commission aus Räthen
aller Ministerien ward gebildet; der Kriegsminister sendete einen seiner
besten Offiziere, den gelehrten Oberst Peucker. Dann berieth das Staats-
ministerium, endlich noch der Staatsrath. Der Streit ward sehr lebhaft;
die alten Minister hegten Zweifel, die jüngeren, Rochow, Mühler, Alvens-
leben hielten zu dem Kronprinzen, weil sie der Zukunft vertrauten. Es kam
so weit, daß Rother nach einem heftigen Wortwechsel mit dem Thronfolger im
April 1837 die Leitung der Handelspolitik niederlegte. Er beschränkte seine
Thätigkeit fortan auf die Seehandlung und auf die Bank, die er seit
Friese's Abgang übernommen hatte; das Handelsamt wurde wieder mit
dem Finanzministerium vereinigt.**) Der Gegenstand war noch so neu,
so unberechenbar, so gänzlich unerprobt, daß Niemand sich einen Sach-
kenner nennen durfte, und die tüchtigsten Männer in ihren Meinungen sehr
weit aus einander gingen. Der geniale Beuth, der doch noch in seinen

*) Frankenberg's Bericht, 5. Febr. 1836.
**) Berichte von Münchhausen, 8. 11. April, von Frankenberg, 11. April, 11. Sep-
tember 1837.

Berathungen über das preußiſche Eiſenbahngeſetz.
verleihen, die doch nur den frivolen Zweck verfolgte, den Berlinern das
Luſtwandeln in den Potsdamer Gärten zu erleichtern?*) Der König ſelbſt
zeigte ſich den Eiſenbahnen anfangs abgünſtig; er war zu alt um ſich noch
für eine Erfindung zu erwärmen, welche die Freude ſeiner letzten Jahre,
den Chauſſeebau zu ſtören drohte. Auch der durchaus demokratiſche Cha-
rakter dieſes neuen Verkehrsmittels kam ihm ungelegen. Seit Jahrtau-
ſenden hatte das ſchnelle Reiſen für ein natürliches Vorrecht der Fürſten
und der Ariſtokratie gegolten; und dieſe uralten Sitten ſollten ſich jetzt
mit einem Schlage ändern! So ſchlicht bürgerlich er auch dachte: daß er
mit ſeinen Berlinern zuſammen in demſelben Zuge nach Potsdam fahren
ſollte, ſchien ihm doch ſehr unanſtändig.

Der Thronfolger dagegen ſchwärmte für die Eiſenbahnen, noch weit
feuriger ſogar als ſein Schwager König Ludwig. Es zählte zu den vielen
Räthſeln dieſes ſo ſeltſam gemiſchten reichen Geiſtes, daß der Kronprinz
die nüchternen Angelegenheiten der Volkswirthſchaft, die ſeiner romantiſchen
Weltanſchauung ſo fern zu liegen ſchienen, immer mit beſonderem Eifer
verfolgte und überraſchend richtig beurtheilte. Wie er den Zollverein ſtets
gegen die Sparſamkeit der Finanzpartei vertheidigt hatte, ſo glaubte er
auch feſt an die große Zukunft der Eiſenbahnen; er wollte die Bahnen am
liebſten von Staatswegen bauen oder doch die Privatbahnen durch Zins-
garantien, durch die erleichterte Enteignung und andere Vorrechte unter-
ſtützen. Da der Thronfolger ſo ſtürmiſch drängte und die Anfragen der
Eiſenbahngeſellſchaften ſich mehrten, ſo befahl der König eine gründliche
Berathung über ein umfaſſendes Eiſenbahngeſetz, das die Stellung der
Staatsgewalt zu der neuen Erfindung endgiltig regeln ſollte.

Die Verhandlungen währten ſehr lange. Eine Commiſſion aus Räthen
aller Miniſterien ward gebildet; der Kriegsminiſter ſendete einen ſeiner
beſten Offiziere, den gelehrten Oberſt Peucker. Dann berieth das Staats-
miniſterium, endlich noch der Staatsrath. Der Streit ward ſehr lebhaft;
die alten Miniſter hegten Zweifel, die jüngeren, Rochow, Mühler, Alvens-
leben hielten zu dem Kronprinzen, weil ſie der Zukunft vertrauten. Es kam
ſo weit, daß Rother nach einem heftigen Wortwechſel mit dem Thronfolger im
April 1837 die Leitung der Handelspolitik niederlegte. Er beſchränkte ſeine
Thätigkeit fortan auf die Seehandlung und auf die Bank, die er ſeit
Frieſe’s Abgang übernommen hatte; das Handelsamt wurde wieder mit
dem Finanzminiſterium vereinigt.**) Der Gegenſtand war noch ſo neu,
ſo unberechenbar, ſo gänzlich unerprobt, daß Niemand ſich einen Sach-
kenner nennen durfte, und die tüchtigſten Männer in ihren Meinungen ſehr
weit aus einander gingen. Der geniale Beuth, der doch noch in ſeinen

*) Frankenberg’s Bericht, 5. Febr. 1836.
**) Berichte von Münchhauſen, 8. 11. April, von Frankenberg, 11. April, 11. Sep-
tember 1837.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0605" n="591"/><fw place="top" type="header">Berathungen über das preußi&#x017F;che Ei&#x017F;enbahnge&#x017F;etz.</fw><lb/>
verleihen, die doch nur den frivolen Zweck verfolgte, den Berlinern das<lb/>
Lu&#x017F;twandeln in den Potsdamer Gärten zu erleichtern?<note place="foot" n="*)">Frankenberg&#x2019;s Bericht, 5. Febr. 1836.</note> Der König &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zeigte &#x017F;ich den Ei&#x017F;enbahnen anfangs abgün&#x017F;tig; er war zu alt um &#x017F;ich noch<lb/>
für eine Erfindung zu erwärmen, welche die Freude &#x017F;einer letzten Jahre,<lb/>
den Chau&#x017F;&#x017F;eebau zu &#x017F;tören drohte. Auch der durchaus demokrati&#x017F;che Cha-<lb/>
rakter die&#x017F;es neuen Verkehrsmittels kam ihm ungelegen. Seit Jahrtau-<lb/>
&#x017F;enden hatte das &#x017F;chnelle Rei&#x017F;en für ein natürliches Vorrecht der Für&#x017F;ten<lb/>
und der Ari&#x017F;tokratie gegolten; und die&#x017F;e uralten Sitten &#x017F;ollten &#x017F;ich jetzt<lb/>
mit einem Schlage ändern! So &#x017F;chlicht bürgerlich er auch dachte: daß er<lb/>
mit &#x017F;einen Berlinern zu&#x017F;ammen in dem&#x017F;elben Zuge nach Potsdam fahren<lb/>
&#x017F;ollte, &#x017F;chien ihm doch &#x017F;ehr unan&#x017F;tändig.</p><lb/>
          <p>Der Thronfolger dagegen &#x017F;chwärmte für die Ei&#x017F;enbahnen, noch weit<lb/>
feuriger &#x017F;ogar als &#x017F;ein Schwager König Ludwig. Es zählte zu den vielen<lb/>
Räth&#x017F;eln die&#x017F;es &#x017F;o &#x017F;elt&#x017F;am gemi&#x017F;chten reichen Gei&#x017F;tes, daß der Kronprinz<lb/>
die nüchternen Angelegenheiten der Volkswirth&#x017F;chaft, die &#x017F;einer romanti&#x017F;chen<lb/>
Weltan&#x017F;chauung &#x017F;o fern zu liegen &#x017F;chienen, immer mit be&#x017F;onderem Eifer<lb/>
verfolgte und überra&#x017F;chend richtig beurtheilte. Wie er den Zollverein &#x017F;tets<lb/>
gegen die Spar&#x017F;amkeit der Finanzpartei vertheidigt hatte, &#x017F;o glaubte er<lb/>
auch fe&#x017F;t an die große Zukunft der Ei&#x017F;enbahnen; er wollte die Bahnen am<lb/>
lieb&#x017F;ten von Staatswegen bauen oder doch die Privatbahnen durch Zins-<lb/>
garantien, durch die erleichterte Enteignung und andere Vorrechte unter-<lb/>
&#x017F;tützen. Da der Thronfolger &#x017F;o &#x017F;türmi&#x017F;ch drängte und die Anfragen der<lb/>
Ei&#x017F;enbahnge&#x017F;ell&#x017F;chaften &#x017F;ich mehrten, &#x017F;o befahl der König eine gründliche<lb/>
Berathung über ein umfa&#x017F;&#x017F;endes Ei&#x017F;enbahnge&#x017F;etz, das die Stellung der<lb/>
Staatsgewalt zu der neuen Erfindung endgiltig regeln &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Die Verhandlungen währten &#x017F;ehr lange. Eine Commi&#x017F;&#x017F;ion aus Räthen<lb/>
aller Mini&#x017F;terien ward gebildet; der Kriegsmini&#x017F;ter &#x017F;endete einen &#x017F;einer<lb/>
be&#x017F;ten Offiziere, den gelehrten Ober&#x017F;t Peucker. Dann berieth das Staats-<lb/>
mini&#x017F;terium, endlich noch der Staatsrath. Der Streit ward &#x017F;ehr lebhaft;<lb/>
die alten Mini&#x017F;ter hegten Zweifel, die jüngeren, Rochow, Mühler, Alvens-<lb/>
leben hielten zu dem Kronprinzen, weil &#x017F;ie der Zukunft vertrauten. Es kam<lb/>
&#x017F;o weit, daß Rother nach einem heftigen Wortwech&#x017F;el mit dem Thronfolger im<lb/>
April 1837 die Leitung der Handelspolitik niederlegte. Er be&#x017F;chränkte &#x017F;eine<lb/>
Thätigkeit fortan auf die Seehandlung und auf die Bank, die er &#x017F;eit<lb/>
Frie&#x017F;e&#x2019;s Abgang übernommen hatte; das Handelsamt wurde wieder mit<lb/>
dem Finanzmini&#x017F;terium vereinigt.<note place="foot" n="**)">Berichte von Münchhau&#x017F;en, 8. 11. April, von Frankenberg, 11. April, 11. Sep-<lb/>
tember 1837.</note> Der Gegen&#x017F;tand war noch &#x017F;o neu,<lb/>
&#x017F;o unberechenbar, &#x017F;o gänzlich unerprobt, daß Niemand &#x017F;ich einen Sach-<lb/>
kenner nennen durfte, und die tüchtig&#x017F;ten Männer in ihren Meinungen &#x017F;ehr<lb/>
weit aus einander gingen. Der geniale Beuth, der doch noch in &#x017F;einen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[591/0605] Berathungen über das preußiſche Eiſenbahngeſetz. verleihen, die doch nur den frivolen Zweck verfolgte, den Berlinern das Luſtwandeln in den Potsdamer Gärten zu erleichtern? *) Der König ſelbſt zeigte ſich den Eiſenbahnen anfangs abgünſtig; er war zu alt um ſich noch für eine Erfindung zu erwärmen, welche die Freude ſeiner letzten Jahre, den Chauſſeebau zu ſtören drohte. Auch der durchaus demokratiſche Cha- rakter dieſes neuen Verkehrsmittels kam ihm ungelegen. Seit Jahrtau- ſenden hatte das ſchnelle Reiſen für ein natürliches Vorrecht der Fürſten und der Ariſtokratie gegolten; und dieſe uralten Sitten ſollten ſich jetzt mit einem Schlage ändern! So ſchlicht bürgerlich er auch dachte: daß er mit ſeinen Berlinern zuſammen in demſelben Zuge nach Potsdam fahren ſollte, ſchien ihm doch ſehr unanſtändig. Der Thronfolger dagegen ſchwärmte für die Eiſenbahnen, noch weit feuriger ſogar als ſein Schwager König Ludwig. Es zählte zu den vielen Räthſeln dieſes ſo ſeltſam gemiſchten reichen Geiſtes, daß der Kronprinz die nüchternen Angelegenheiten der Volkswirthſchaft, die ſeiner romantiſchen Weltanſchauung ſo fern zu liegen ſchienen, immer mit beſonderem Eifer verfolgte und überraſchend richtig beurtheilte. Wie er den Zollverein ſtets gegen die Sparſamkeit der Finanzpartei vertheidigt hatte, ſo glaubte er auch feſt an die große Zukunft der Eiſenbahnen; er wollte die Bahnen am liebſten von Staatswegen bauen oder doch die Privatbahnen durch Zins- garantien, durch die erleichterte Enteignung und andere Vorrechte unter- ſtützen. Da der Thronfolger ſo ſtürmiſch drängte und die Anfragen der Eiſenbahngeſellſchaften ſich mehrten, ſo befahl der König eine gründliche Berathung über ein umfaſſendes Eiſenbahngeſetz, das die Stellung der Staatsgewalt zu der neuen Erfindung endgiltig regeln ſollte. Die Verhandlungen währten ſehr lange. Eine Commiſſion aus Räthen aller Miniſterien ward gebildet; der Kriegsminiſter ſendete einen ſeiner beſten Offiziere, den gelehrten Oberſt Peucker. Dann berieth das Staats- miniſterium, endlich noch der Staatsrath. Der Streit ward ſehr lebhaft; die alten Miniſter hegten Zweifel, die jüngeren, Rochow, Mühler, Alvens- leben hielten zu dem Kronprinzen, weil ſie der Zukunft vertrauten. Es kam ſo weit, daß Rother nach einem heftigen Wortwechſel mit dem Thronfolger im April 1837 die Leitung der Handelspolitik niederlegte. Er beſchränkte ſeine Thätigkeit fortan auf die Seehandlung und auf die Bank, die er ſeit Frieſe’s Abgang übernommen hatte; das Handelsamt wurde wieder mit dem Finanzminiſterium vereinigt. **) Der Gegenſtand war noch ſo neu, ſo unberechenbar, ſo gänzlich unerprobt, daß Niemand ſich einen Sach- kenner nennen durfte, und die tüchtigſten Männer in ihren Meinungen ſehr weit aus einander gingen. Der geniale Beuth, der doch noch in ſeinen *) Frankenberg’s Bericht, 5. Febr. 1836. **) Berichte von Münchhauſen, 8. 11. April, von Frankenberg, 11. April, 11. Sep- tember 1837.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/605
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/605>, abgerufen am 24.11.2024.