als die eigentlichen Volksmänner. Die Magdeburger rühmten sich: unsere Eisenbahn nach Leipzig wird die erste Bahn der Welt sein, welche die Grenzen verschiedener Staaten durchschneidet! Francke trat an die Spitze eines Ausschusses und sendete nach Berlin eine Eingabe, welche das Mini- sterium zwang, die Eisenbahnfrage ernstlich ins Auge zu fassen. So brachte List auch in Preußen die Kugel ins Rollen.
Mehrere andere Anfragen lagen bereits vor, wegen der Bahnen Berlin-Potsdam, Köln-Aachen, Düsseldorf-Elberfeld, Düsseldorf-Minden, Berlin-Stettin, und es ließ sich jetzt schon erkennen, daß der preußische Verkehr vornehmlich einer rascheren Verbindung des Ostens mit dem Westen bedurfte; die von Baiern befürwortete nord-südliche Linie erschien zunächst noch minder dringend. Minister Rother aber konnte zu keinem der Entwürfe ein Zutrauen fassen. Während fast Jedermann noch glaubte, die Eisenbahnen seien Wege wie andere auch, für Alle benutzbar, und könnten den Unternehmern nur ein hohes Wegegeld einbringen, erkannte der welterfahrene Bankdirector sogleich, daß die Eisenbahngesellschaften das gesammte Transportgeschäft auf ihren Linien an sich reißen würden; ein solches Vorrecht wollte er Privatgenossenschaften nicht gewähren, er fürchtete den Mißbrauch des Monopols und einen schlimmen Aktienschwindel. Aber auch der Staatsbau schien ihm nicht rathsam, denn er bezweifelte noch die Einträglichkeit der Eisenbahnen und hielt den Staat für verpflichtet, weder die Post noch die bestehenden Land- und Wasserstraßen zu schädigen. Sogar politische Besorgnisse stiegen ihm auf: durch die Bahnen nach dem Rhein, nach Baiern, nach Belgien werde Preußen vom Auslande ab- hängig. Daher schloß er seinen Bericht an den König mit der Erklärung: "die Staatsregierung hat jetzt noch keine Veranlassung, Eisenbahnen, welche als Handelsstraßen dienen sollen, auf eigene Kosten anzulegen, durch Be- theiligung mit verhältnißmäßig ansehnlichen Summen zu unterstützen oder ihnen andere namhafte Opfer zu bringen und Vorrechte einzuräumen."*)
Verhielt sich Rother nur kühl zuwartend, so trat der Generalpost- meister Nagler als entschiedener Feind der Eisenbahnen auf. Er hatte seit Jahren das Postwesen mit glänzendem Erfolge ausgebildet und hoffte für Seiner Majestät Fahrpost noch Größeres zu erreichen; was konnte er in dieser neuen Erfindung anderes sehen als eine schnöde Gewerbsbeeinträch- tigung? Auch das strenge Rechtsgefühl des Beamtenthums erhob mannig- fache Bedenken. Nach dem Gesetze sollte die Enteignung nur ausnahms- weise, um des öffentlichen Wohles willen, zugelassen werden; für die Chausseen und für solche Eisenbahnen, welche den Staatszwecken dienten, wie etwa für die Magdeburg-Leipziger, konnte man sie also mit gutem Gewissen be- nutzen, so meinten die alten gestrengen Richter. Aber war es statthaft, das Expropriationsrecht auch der geplanten Berlin-Potsdamer Bahn zu
*) Rother's Immediatbericht, 16. Aug. 1835.
IV. 8. Stille Jahre.
als die eigentlichen Volksmänner. Die Magdeburger rühmten ſich: unſere Eiſenbahn nach Leipzig wird die erſte Bahn der Welt ſein, welche die Grenzen verſchiedener Staaten durchſchneidet! Francke trat an die Spitze eines Ausſchuſſes und ſendete nach Berlin eine Eingabe, welche das Mini- ſterium zwang, die Eiſenbahnfrage ernſtlich ins Auge zu faſſen. So brachte Liſt auch in Preußen die Kugel ins Rollen.
Mehrere andere Anfragen lagen bereits vor, wegen der Bahnen Berlin-Potsdam, Köln-Aachen, Düſſeldorf-Elberfeld, Düſſeldorf-Minden, Berlin-Stettin, und es ließ ſich jetzt ſchon erkennen, daß der preußiſche Verkehr vornehmlich einer raſcheren Verbindung des Oſtens mit dem Weſten bedurfte; die von Baiern befürwortete nord-ſüdliche Linie erſchien zunächſt noch minder dringend. Miniſter Rother aber konnte zu keinem der Entwürfe ein Zutrauen faſſen. Während faſt Jedermann noch glaubte, die Eiſenbahnen ſeien Wege wie andere auch, für Alle benutzbar, und könnten den Unternehmern nur ein hohes Wegegeld einbringen, erkannte der welterfahrene Bankdirector ſogleich, daß die Eiſenbahngeſellſchaften das geſammte Transportgeſchäft auf ihren Linien an ſich reißen würden; ein ſolches Vorrecht wollte er Privatgenoſſenſchaften nicht gewähren, er fürchtete den Mißbrauch des Monopols und einen ſchlimmen Aktienſchwindel. Aber auch der Staatsbau ſchien ihm nicht rathſam, denn er bezweifelte noch die Einträglichkeit der Eiſenbahnen und hielt den Staat für verpflichtet, weder die Poſt noch die beſtehenden Land- und Waſſerſtraßen zu ſchädigen. Sogar politiſche Beſorgniſſe ſtiegen ihm auf: durch die Bahnen nach dem Rhein, nach Baiern, nach Belgien werde Preußen vom Auslande ab- hängig. Daher ſchloß er ſeinen Bericht an den König mit der Erklärung: „die Staatsregierung hat jetzt noch keine Veranlaſſung, Eiſenbahnen, welche als Handelsſtraßen dienen ſollen, auf eigene Koſten anzulegen, durch Be- theiligung mit verhältnißmäßig anſehnlichen Summen zu unterſtützen oder ihnen andere namhafte Opfer zu bringen und Vorrechte einzuräumen.“*)
Verhielt ſich Rother nur kühl zuwartend, ſo trat der Generalpoſt- meiſter Nagler als entſchiedener Feind der Eiſenbahnen auf. Er hatte ſeit Jahren das Poſtweſen mit glänzendem Erfolge ausgebildet und hoffte für Seiner Majeſtät Fahrpoſt noch Größeres zu erreichen; was konnte er in dieſer neuen Erfindung anderes ſehen als eine ſchnöde Gewerbsbeeinträch- tigung? Auch das ſtrenge Rechtsgefühl des Beamtenthums erhob mannig- fache Bedenken. Nach dem Geſetze ſollte die Enteignung nur ausnahms- weiſe, um des öffentlichen Wohles willen, zugelaſſen werden; für die Chauſſeen und für ſolche Eiſenbahnen, welche den Staatszwecken dienten, wie etwa für die Magdeburg-Leipziger, konnte man ſie alſo mit gutem Gewiſſen be- nutzen, ſo meinten die alten geſtrengen Richter. Aber war es ſtatthaft, das Expropriationsrecht auch der geplanten Berlin-Potsdamer Bahn zu
*) Rother’s Immediatbericht, 16. Aug. 1835.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0604"n="590"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV.</hi> 8. Stille Jahre.</fw><lb/>
als die eigentlichen Volksmänner. Die Magdeburger rühmten ſich: unſere<lb/>
Eiſenbahn nach Leipzig wird die erſte Bahn der Welt ſein, welche die<lb/>
Grenzen verſchiedener Staaten durchſchneidet! Francke trat an die Spitze<lb/>
eines Ausſchuſſes und ſendete nach Berlin eine Eingabe, welche das Mini-<lb/>ſterium zwang, die Eiſenbahnfrage ernſtlich ins Auge zu faſſen. So<lb/>
brachte Liſt auch in Preußen die Kugel ins Rollen.</p><lb/><p>Mehrere andere Anfragen lagen bereits vor, wegen der Bahnen<lb/>
Berlin-Potsdam, Köln-Aachen, Düſſeldorf-Elberfeld, Düſſeldorf-Minden,<lb/>
Berlin-Stettin, und es ließ ſich jetzt ſchon erkennen, daß der preußiſche<lb/>
Verkehr vornehmlich einer raſcheren Verbindung des Oſtens mit dem<lb/>
Weſten bedurfte; die von Baiern befürwortete nord-ſüdliche Linie erſchien<lb/>
zunächſt noch minder dringend. Miniſter Rother aber konnte zu keinem<lb/>
der Entwürfe ein Zutrauen faſſen. Während faſt Jedermann noch glaubte,<lb/>
die Eiſenbahnen ſeien Wege wie andere auch, für Alle benutzbar, und<lb/>
könnten den Unternehmern nur ein hohes Wegegeld einbringen, erkannte<lb/>
der welterfahrene Bankdirector ſogleich, daß die Eiſenbahngeſellſchaften das<lb/>
geſammte Transportgeſchäft auf ihren Linien an ſich reißen würden; ein<lb/>ſolches Vorrecht wollte er Privatgenoſſenſchaften nicht gewähren, er fürchtete<lb/>
den Mißbrauch des Monopols und einen ſchlimmen Aktienſchwindel. Aber<lb/>
auch der Staatsbau ſchien ihm nicht rathſam, denn er bezweifelte noch<lb/>
die Einträglichkeit der Eiſenbahnen und hielt den Staat für verpflichtet,<lb/>
weder die Poſt noch die beſtehenden Land- und Waſſerſtraßen zu ſchädigen.<lb/>
Sogar politiſche Beſorgniſſe ſtiegen ihm auf: durch die Bahnen nach dem<lb/>
Rhein, nach Baiern, nach Belgien werde Preußen vom Auslande ab-<lb/>
hängig. Daher ſchloß er ſeinen Bericht an den König mit der Erklärung:<lb/>„die Staatsregierung hat jetzt noch keine Veranlaſſung, Eiſenbahnen, welche<lb/>
als Handelsſtraßen dienen ſollen, auf eigene Koſten anzulegen, durch Be-<lb/>
theiligung mit verhältnißmäßig anſehnlichen Summen zu unterſtützen oder<lb/>
ihnen andere namhafte Opfer zu bringen und Vorrechte einzuräumen.“<noteplace="foot"n="*)">Rother’s Immediatbericht, 16. Aug. 1835.</note></p><lb/><p>Verhielt ſich Rother nur kühl zuwartend, ſo trat der Generalpoſt-<lb/>
meiſter Nagler als entſchiedener Feind der Eiſenbahnen auf. Er hatte ſeit<lb/>
Jahren das Poſtweſen mit glänzendem Erfolge ausgebildet und hoffte für<lb/>
Seiner Majeſtät Fahrpoſt noch Größeres zu erreichen; was konnte er in<lb/>
dieſer neuen Erfindung anderes ſehen als eine ſchnöde Gewerbsbeeinträch-<lb/>
tigung? Auch das ſtrenge Rechtsgefühl des Beamtenthums erhob mannig-<lb/>
fache Bedenken. Nach dem Geſetze ſollte die Enteignung nur ausnahms-<lb/>
weiſe, um des öffentlichen Wohles willen, zugelaſſen werden; für die Chauſſeen<lb/>
und für ſolche Eiſenbahnen, welche den Staatszwecken dienten, wie etwa<lb/>
für die Magdeburg-Leipziger, konnte man ſie alſo mit gutem Gewiſſen be-<lb/>
nutzen, ſo meinten die alten geſtrengen Richter. Aber war es ſtatthaft,<lb/>
das Expropriationsrecht auch der geplanten Berlin-Potsdamer Bahn zu<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[590/0604]
IV. 8. Stille Jahre.
als die eigentlichen Volksmänner. Die Magdeburger rühmten ſich: unſere
Eiſenbahn nach Leipzig wird die erſte Bahn der Welt ſein, welche die
Grenzen verſchiedener Staaten durchſchneidet! Francke trat an die Spitze
eines Ausſchuſſes und ſendete nach Berlin eine Eingabe, welche das Mini-
ſterium zwang, die Eiſenbahnfrage ernſtlich ins Auge zu faſſen. So
brachte Liſt auch in Preußen die Kugel ins Rollen.
Mehrere andere Anfragen lagen bereits vor, wegen der Bahnen
Berlin-Potsdam, Köln-Aachen, Düſſeldorf-Elberfeld, Düſſeldorf-Minden,
Berlin-Stettin, und es ließ ſich jetzt ſchon erkennen, daß der preußiſche
Verkehr vornehmlich einer raſcheren Verbindung des Oſtens mit dem
Weſten bedurfte; die von Baiern befürwortete nord-ſüdliche Linie erſchien
zunächſt noch minder dringend. Miniſter Rother aber konnte zu keinem
der Entwürfe ein Zutrauen faſſen. Während faſt Jedermann noch glaubte,
die Eiſenbahnen ſeien Wege wie andere auch, für Alle benutzbar, und
könnten den Unternehmern nur ein hohes Wegegeld einbringen, erkannte
der welterfahrene Bankdirector ſogleich, daß die Eiſenbahngeſellſchaften das
geſammte Transportgeſchäft auf ihren Linien an ſich reißen würden; ein
ſolches Vorrecht wollte er Privatgenoſſenſchaften nicht gewähren, er fürchtete
den Mißbrauch des Monopols und einen ſchlimmen Aktienſchwindel. Aber
auch der Staatsbau ſchien ihm nicht rathſam, denn er bezweifelte noch
die Einträglichkeit der Eiſenbahnen und hielt den Staat für verpflichtet,
weder die Poſt noch die beſtehenden Land- und Waſſerſtraßen zu ſchädigen.
Sogar politiſche Beſorgniſſe ſtiegen ihm auf: durch die Bahnen nach dem
Rhein, nach Baiern, nach Belgien werde Preußen vom Auslande ab-
hängig. Daher ſchloß er ſeinen Bericht an den König mit der Erklärung:
„die Staatsregierung hat jetzt noch keine Veranlaſſung, Eiſenbahnen, welche
als Handelsſtraßen dienen ſollen, auf eigene Koſten anzulegen, durch Be-
theiligung mit verhältnißmäßig anſehnlichen Summen zu unterſtützen oder
ihnen andere namhafte Opfer zu bringen und Vorrechte einzuräumen.“ *)
Verhielt ſich Rother nur kühl zuwartend, ſo trat der Generalpoſt-
meiſter Nagler als entſchiedener Feind der Eiſenbahnen auf. Er hatte ſeit
Jahren das Poſtweſen mit glänzendem Erfolge ausgebildet und hoffte für
Seiner Majeſtät Fahrpoſt noch Größeres zu erreichen; was konnte er in
dieſer neuen Erfindung anderes ſehen als eine ſchnöde Gewerbsbeeinträch-
tigung? Auch das ſtrenge Rechtsgefühl des Beamtenthums erhob mannig-
fache Bedenken. Nach dem Geſetze ſollte die Enteignung nur ausnahms-
weiſe, um des öffentlichen Wohles willen, zugelaſſen werden; für die Chauſſeen
und für ſolche Eiſenbahnen, welche den Staatszwecken dienten, wie etwa
für die Magdeburg-Leipziger, konnte man ſie alſo mit gutem Gewiſſen be-
nutzen, ſo meinten die alten geſtrengen Richter. Aber war es ſtatthaft,
das Expropriationsrecht auch der geplanten Berlin-Potsdamer Bahn zu
*) Rother’s Immediatbericht, 16. Aug. 1835.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/604>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.