Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Leipzig-Dresdener Eisenbahn. Lebens mitteninne zu wirken. Ihnen fällt meist ein tragisches Loos. Wieeinst seinen Genossen in der württembergischen Kammer, so wurde List auch dem Leipziger Eisenbahn-Comite bald lästig. Die Männer des Comites waren durchweg tüchtige, und keineswegs engherzige Geschäftsleute, aber sie dachten zunächst an die Interessen ihrer guten Stadt, und wenn List in den Generalversammlungen von der großen Eisenbahn Prag-Hamburg zu reden begann, so befürchteten sie, nicht mit Unrecht, er werde die ängst- lichen Philister abschrecken. Der frohmuthige Mann bot, wenn er mit mächtigem Lachen seinen Löwenkopf schüttelte, ein Bild urkräftigen Be- hagens; doch zuweilen überfiel ihn eine furchtbare Hypochondrie, und dann war mit seiner unbändigen Grobheit kaum auszukommen. Also schob man ihn leise zur Seite und fand ihn ab mit einem Ehrengeschenke von etwa 4000 Thlr., ohne ihm auch nur einen Antheil an den Aktien zu gewähren. Die braven Leipziger Kaufleute glaubten damit durchaus nicht kleinlich zu handeln; verfuhren sie doch selber höchst uneigennützig, ihre vier Direktoren bezogen 750 Thlr. Gehalt, ihr Präsident 1500. Jenem Engländer freilich, der ihnen den Weg durch die Ebene empfahl, zahlten sie für seine kurze Reise fast 7000 Thlr.; denn daß ein Brite höher ge- lohnt werden müsse als ein Deutscher, bezweifelte in diesen fremdbrüder- lichen Tagen Niemand. Wie viel Unfug stiftete doch die deutsche Auslän- derei auch im Eisenbahnwesen an. Nur aus Nachahmungslust wurde die allzu schmale Spurweite der Stephenson'schen Bahn von der Leipzig- Dresdener Gesellschaft und nachher, zum Schaden für die Nerven der Reisenden, auch von den anderen deutschen Bahnen angenommen. Und welche Fluth von französischen oder französisch klingenden Wortungethümen drang jetzt in unsere Sprache ein, die doch gerade hier ihre schöpferische Kraft erproben konnte. Die Deutschen hatten im Eisenbahnwesen von den Franzosen nichts zu lernen, sondern schritten ihnen voran; und doch redeten sie von der Compagnie, ihren Billet-Expeditionen und Conduc- teuren, von Perrons, Waggons, Coupes und Extra-Convois; es war leider die Zeit, da das Junge Deutschland die Zeitungssprache von Grund aus verwälscht hatte. Unerbittert durch seine Leipziger Erfahrungen arbeitete List rastlos Leipzig-Dresdener Eiſenbahn. Lebens mitteninne zu wirken. Ihnen fällt meiſt ein tragiſches Loos. Wieeinſt ſeinen Genoſſen in der württembergiſchen Kammer, ſo wurde Liſt auch dem Leipziger Eiſenbahn-Comité bald läſtig. Die Männer des Comités waren durchweg tüchtige, und keineswegs engherzige Geſchäftsleute, aber ſie dachten zunächſt an die Intereſſen ihrer guten Stadt, und wenn Liſt in den Generalverſammlungen von der großen Eiſenbahn Prag-Hamburg zu reden begann, ſo befürchteten ſie, nicht mit Unrecht, er werde die ängſt- lichen Philiſter abſchrecken. Der frohmuthige Mann bot, wenn er mit mächtigem Lachen ſeinen Löwenkopf ſchüttelte, ein Bild urkräftigen Be- hagens; doch zuweilen überfiel ihn eine furchtbare Hypochondrie, und dann war mit ſeiner unbändigen Grobheit kaum auszukommen. Alſo ſchob man ihn leiſe zur Seite und fand ihn ab mit einem Ehrengeſchenke von etwa 4000 Thlr., ohne ihm auch nur einen Antheil an den Aktien zu gewähren. Die braven Leipziger Kaufleute glaubten damit durchaus nicht kleinlich zu handeln; verfuhren ſie doch ſelber höchſt uneigennützig, ihre vier Direktoren bezogen 750 Thlr. Gehalt, ihr Präſident 1500. Jenem Engländer freilich, der ihnen den Weg durch die Ebene empfahl, zahlten ſie für ſeine kurze Reiſe faſt 7000 Thlr.; denn daß ein Brite höher ge- lohnt werden müſſe als ein Deutſcher, bezweifelte in dieſen fremdbrüder- lichen Tagen Niemand. Wie viel Unfug ſtiftete doch die deutſche Auslän- derei auch im Eiſenbahnweſen an. Nur aus Nachahmungsluſt wurde die allzu ſchmale Spurweite der Stephenſon’ſchen Bahn von der Leipzig- Dresdener Geſellſchaft und nachher, zum Schaden für die Nerven der Reiſenden, auch von den anderen deutſchen Bahnen angenommen. Und welche Fluth von franzöſiſchen oder franzöſiſch klingenden Wortungethümen drang jetzt in unſere Sprache ein, die doch gerade hier ihre ſchöpferiſche Kraft erproben konnte. Die Deutſchen hatten im Eiſenbahnweſen von den Franzoſen nichts zu lernen, ſondern ſchritten ihnen voran; und doch redeten ſie von der Compagnie, ihren Billet-Expeditionen und Conduc- teuren, von Perrons, Waggons, Coupés und Extra-Convois; es war leider die Zeit, da das Junge Deutſchland die Zeitungsſprache von Grund aus verwälſcht hatte. Unerbittert durch ſeine Leipziger Erfahrungen arbeitete Liſt raſtlos <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0603" n="589"/><fw place="top" type="header">Leipzig-Dresdener Eiſenbahn.</fw><lb/> Lebens mitteninne zu wirken. Ihnen fällt meiſt ein tragiſches Loos. Wie<lb/> einſt ſeinen Genoſſen in der württembergiſchen Kammer, ſo wurde Liſt<lb/> auch dem Leipziger Eiſenbahn-Comit<hi rendition="#aq">é</hi> bald läſtig. 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Leipzig-Dresdener Eiſenbahn.
Lebens mitteninne zu wirken. Ihnen fällt meiſt ein tragiſches Loos. Wie
einſt ſeinen Genoſſen in der württembergiſchen Kammer, ſo wurde Liſt
auch dem Leipziger Eiſenbahn-Comité bald läſtig. Die Männer des Comités
waren durchweg tüchtige, und keineswegs engherzige Geſchäftsleute, aber
ſie dachten zunächſt an die Intereſſen ihrer guten Stadt, und wenn Liſt
in den Generalverſammlungen von der großen Eiſenbahn Prag-Hamburg
zu reden begann, ſo befürchteten ſie, nicht mit Unrecht, er werde die ängſt-
lichen Philiſter abſchrecken. Der frohmuthige Mann bot, wenn er mit
mächtigem Lachen ſeinen Löwenkopf ſchüttelte, ein Bild urkräftigen Be-
hagens; doch zuweilen überfiel ihn eine furchtbare Hypochondrie, und dann
war mit ſeiner unbändigen Grobheit kaum auszukommen. Alſo ſchob
man ihn leiſe zur Seite und fand ihn ab mit einem Ehrengeſchenke von
etwa 4000 Thlr., ohne ihm auch nur einen Antheil an den Aktien zu
gewähren. Die braven Leipziger Kaufleute glaubten damit durchaus nicht
kleinlich zu handeln; verfuhren ſie doch ſelber höchſt uneigennützig, ihre
vier Direktoren bezogen 750 Thlr. Gehalt, ihr Präſident 1500. Jenem
Engländer freilich, der ihnen den Weg durch die Ebene empfahl, zahlten
ſie für ſeine kurze Reiſe faſt 7000 Thlr.; denn daß ein Brite höher ge-
lohnt werden müſſe als ein Deutſcher, bezweifelte in dieſen fremdbrüder-
lichen Tagen Niemand. Wie viel Unfug ſtiftete doch die deutſche Auslän-
derei auch im Eiſenbahnweſen an. Nur aus Nachahmungsluſt wurde die
allzu ſchmale Spurweite der Stephenſon’ſchen Bahn von der Leipzig-
Dresdener Geſellſchaft und nachher, zum Schaden für die Nerven der
Reiſenden, auch von den anderen deutſchen Bahnen angenommen. Und
welche Fluth von franzöſiſchen oder franzöſiſch klingenden Wortungethümen
drang jetzt in unſere Sprache ein, die doch gerade hier ihre ſchöpferiſche
Kraft erproben konnte. Die Deutſchen hatten im Eiſenbahnweſen von
den Franzoſen nichts zu lernen, ſondern ſchritten ihnen voran; und doch
redeten ſie von der Compagnie, ihren Billet-Expeditionen und Conduc-
teuren, von Perrons, Waggons, Coupés und Extra-Convois; es war leider
die Zeit, da das Junge Deutſchland die Zeitungsſprache von Grund aus
verwälſcht hatte.
Unerbittert durch ſeine Leipziger Erfahrungen arbeitete Liſt raſtlos
weiter. Er gründete ein Eiſenbahn-Journal, das ſich freilich nicht lange
halten konnte, weil es in Oeſterreich verboten wurde, und zwang durch
ſein Beiſpiel die Preſſe, auf die ſo lange vernachläſſigten volkswirthſchaft-
lichen Fragen gründlich einzugehen. Um ſeiner Bahn die Fortſetzung nach
Norden zu ſichern, begab ſich Liſt 1835 nach Magdeburg, und die Kauf-
mannſchaft, die erſt vor ſechs Jahren alle Eiſenbahnpläne abgewieſen
hatte, nahm ihn jetzt mit offenen Armen auf; Allen voran der wackere
Oberbürgermeiſter Francke, einer der angeſehenſten Bürger der Monarchie,
denn wie im Süden die Abgeordneten, ſo galten im Norden die Gemeinde-
beamten, Kospoth in Breslau, Bärenſprung in Berlin, Demiani in Görlitz,
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