nehmen in Gang, Plattner verschaffte das Aktien-Kapital von 175,000 fl., der Ingenieur Paul Denis leitete den Bau. Die Behörden zeigten sich wenig günstig, weil sie für den Ludwigs-Kanal fürchteten; die Ansbacher Regierung kaufte nur zwei Aktien zu 100 fl. Erst als die Unternehmer auf den schlauen Gedanken kamen, ihren Schienenweg Ludwigsbahn zu nennen, wurde die amtliche Welt etwas freundlicher. Groß war der Jubel, als am 7. Dec. 1835 der erste Bahnzug unter Kanonendonner abfuhr; ein Denkstein und ein Geschichtsthaler verherrlichten "Deutschlands erste Eisenbahn mit Dampfwagen". Aber mit dieser kleinen, nur für Personen bestimmten Stadtbahn, die sich bald mit 6 % verzinste, war die Frage nach der Möglichkeit großer Eisenbahnen noch nicht beantwortet.
Alle diese wohlgemeinten Entwürfe waren doch nur auf das Wohl einzelner Städte oder Landschaften berechnet, und fast schien es, als sollten die Deutschen durch den Fluch ihres Particularismus verhindert werden, die große Erfindung mit großem Sinne zu benutzen. Da trat Friedrich List hervor mit dem Plane eines zusammenhängenden, ganz Deutschland umfassenden Eisenbahnnetzes und zeigte durch die That, durch die glück- liche Vollendung einer großen Bahnlinie, daß sein den Durchschnitts- menschen fast unfaßbares Ideal sich verwirklichen ließ. Als der Bahn- brecher des deutschen Eisenbahnwesens erwarb er sich sein größtes Ver- dienst um die Nation, seine Stellung in der vaterländischen Geschichte. Als er vor Jahren für die deutsche Zolleinheit gearbeitet, hatte er doch nur muthig ausgesprochen, was die Mehrzahl der Zeitgenossen schon er- sehnte, und in der Wahl der Mittel vielfach fehlgegriffen; jetzt aber, mit seinen Eisenbahnplänen, eilte er allen Landsleuten weit voraus und be- währte überall die geniale Sicherheit seines Seherblicks. Nach seiner Flucht vom Hohenasperge hatte er mehrere Jahre in Nordamerika verbracht, und dort, in den glücklichsten Zeiten der jungen Union, ging ihm ein neues Leben auf; er sah das gewaltige Ringen des Menschengeistes mit der Macht der Elemente, eine Kühnheit der Unternehmungslust, wovon sein stilles Vaterland sich noch nichts träumen ließ; er sah die vornehmsten und höchst- gebildeten Männer der Nation ihre beste Kraft der Volkswirthschaft wid- men, was daheim im Lande der Gelehrten und Beamten ganz unmöglich war. Derweil er in den Blauen Bergen nach Kohlenminen suchte, träumte der arme Flüchtling von einem deutschen Eisenbahnsystem und sagte: "Im Hintergrunde aller meiner Pläne liegt Deutschland."
Zur Zeit der Juli-Revolution kehrte er zurück, ungastlich empfangen von der alten Heimath. Der Hamburger Senat trug Bedenken, den ver- rufenen Demagogen als amerikanischen Consul anzuerkennen, die Kauf- herren aber zuckten die Achseln, als er von seinen Bahnplänen sprach; denn soeben hatte ihnen der Engländer Elliot bewiesen, in Deutschland sei nur eine einzige Eisenbahn möglich, die Bahn von Hamburg nach Han- nover, und daß ein Deutscher gegen einen Briten unmöglich Recht haben
IV. 8. Stille Jahre.
nehmen in Gang, Plattner verſchaffte das Aktien-Kapital von 175,000 fl., der Ingenieur Paul Denis leitete den Bau. Die Behörden zeigten ſich wenig günſtig, weil ſie für den Ludwigs-Kanal fürchteten; die Ansbacher Regierung kaufte nur zwei Aktien zu 100 fl. Erſt als die Unternehmer auf den ſchlauen Gedanken kamen, ihren Schienenweg Ludwigsbahn zu nennen, wurde die amtliche Welt etwas freundlicher. Groß war der Jubel, als am 7. Dec. 1835 der erſte Bahnzug unter Kanonendonner abfuhr; ein Denkſtein und ein Geſchichtsthaler verherrlichten „Deutſchlands erſte Eiſenbahn mit Dampfwagen“. Aber mit dieſer kleinen, nur für Perſonen beſtimmten Stadtbahn, die ſich bald mit 6 % verzinſte, war die Frage nach der Möglichkeit großer Eiſenbahnen noch nicht beantwortet.
Alle dieſe wohlgemeinten Entwürfe waren doch nur auf das Wohl einzelner Städte oder Landſchaften berechnet, und faſt ſchien es, als ſollten die Deutſchen durch den Fluch ihres Particularismus verhindert werden, die große Erfindung mit großem Sinne zu benutzen. Da trat Friedrich Liſt hervor mit dem Plane eines zuſammenhängenden, ganz Deutſchland umfaſſenden Eiſenbahnnetzes und zeigte durch die That, durch die glück- liche Vollendung einer großen Bahnlinie, daß ſein den Durchſchnitts- menſchen faſt unfaßbares Ideal ſich verwirklichen ließ. Als der Bahn- brecher des deutſchen Eiſenbahnweſens erwarb er ſich ſein größtes Ver- dienſt um die Nation, ſeine Stellung in der vaterländiſchen Geſchichte. Als er vor Jahren für die deutſche Zolleinheit gearbeitet, hatte er doch nur muthig ausgeſprochen, was die Mehrzahl der Zeitgenoſſen ſchon er- ſehnte, und in der Wahl der Mittel vielfach fehlgegriffen; jetzt aber, mit ſeinen Eiſenbahnplänen, eilte er allen Landsleuten weit voraus und be- währte überall die geniale Sicherheit ſeines Seherblicks. Nach ſeiner Flucht vom Hohenasperge hatte er mehrere Jahre in Nordamerika verbracht, und dort, in den glücklichſten Zeiten der jungen Union, ging ihm ein neues Leben auf; er ſah das gewaltige Ringen des Menſchengeiſtes mit der Macht der Elemente, eine Kühnheit der Unternehmungsluſt, wovon ſein ſtilles Vaterland ſich noch nichts träumen ließ; er ſah die vornehmſten und höchſt- gebildeten Männer der Nation ihre beſte Kraft der Volkswirthſchaft wid- men, was daheim im Lande der Gelehrten und Beamten ganz unmöglich war. Derweil er in den Blauen Bergen nach Kohlenminen ſuchte, träumte der arme Flüchtling von einem deutſchen Eiſenbahnſyſtem und ſagte: „Im Hintergrunde aller meiner Pläne liegt Deutſchland.“
Zur Zeit der Juli-Revolution kehrte er zurück, ungaſtlich empfangen von der alten Heimath. Der Hamburger Senat trug Bedenken, den ver- rufenen Demagogen als amerikaniſchen Conſul anzuerkennen, die Kauf- herren aber zuckten die Achſeln, als er von ſeinen Bahnplänen ſprach; denn ſoeben hatte ihnen der Engländer Elliot bewieſen, in Deutſchland ſei nur eine einzige Eiſenbahn möglich, die Bahn von Hamburg nach Han- nover, und daß ein Deutſcher gegen einen Briten unmöglich Recht haben
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der Ingenieur Paul Denis leitete den Bau. Die Behörden zeigten ſich
wenig günſtig, weil ſie für den Ludwigs-Kanal fürchteten; die Ansbacher
Regierung kaufte nur zwei Aktien zu 100 fl. Erſt als die Unternehmer
auf den ſchlauen Gedanken kamen, ihren Schienenweg Ludwigsbahn zu
nennen, wurde die amtliche Welt etwas freundlicher. Groß war der Jubel,
als am 7. Dec. 1835 der erſte Bahnzug unter Kanonendonner abfuhr;
ein Denkſtein und ein Geſchichtsthaler verherrlichten „Deutſchlands erſte
Eiſenbahn mit Dampfwagen“. Aber mit dieſer kleinen, nur für Perſonen
beſtimmten Stadtbahn, die ſich bald mit 6 % verzinſte, war die Frage
nach der Möglichkeit großer Eiſenbahnen noch nicht beantwortet.
Alle dieſe wohlgemeinten Entwürfe waren doch nur auf das Wohl
einzelner Städte oder Landſchaften berechnet, und faſt ſchien es, als ſollten
die Deutſchen durch den Fluch ihres Particularismus verhindert werden,
die große Erfindung mit großem Sinne zu benutzen. Da trat Friedrich
Liſt hervor mit dem Plane eines zuſammenhängenden, ganz Deutſchland
umfaſſenden Eiſenbahnnetzes und zeigte durch die That, durch die glück-
liche Vollendung einer großen Bahnlinie, daß ſein den Durchſchnitts-
menſchen faſt unfaßbares Ideal ſich verwirklichen ließ. Als der Bahn-
brecher des deutſchen Eiſenbahnweſens erwarb er ſich ſein größtes Ver-
dienſt um die Nation, ſeine Stellung in der vaterländiſchen Geſchichte.
Als er vor Jahren für die deutſche Zolleinheit gearbeitet, hatte er doch
nur muthig ausgeſprochen, was die Mehrzahl der Zeitgenoſſen ſchon er-
ſehnte, und in der Wahl der Mittel vielfach fehlgegriffen; jetzt aber, mit
ſeinen Eiſenbahnplänen, eilte er allen Landsleuten weit voraus und be-
währte überall die geniale Sicherheit ſeines Seherblicks. Nach ſeiner Flucht
vom Hohenasperge hatte er mehrere Jahre in Nordamerika verbracht, und
dort, in den glücklichſten Zeiten der jungen Union, ging ihm ein neues
Leben auf; er ſah das gewaltige Ringen des Menſchengeiſtes mit der Macht
der Elemente, eine Kühnheit der Unternehmungsluſt, wovon ſein ſtilles
Vaterland ſich noch nichts träumen ließ; er ſah die vornehmſten und höchſt-
gebildeten Männer der Nation ihre beſte Kraft der Volkswirthſchaft wid-
men, was daheim im Lande der Gelehrten und Beamten ganz unmöglich
war. Derweil er in den Blauen Bergen nach Kohlenminen ſuchte, träumte
der arme Flüchtling von einem deutſchen Eiſenbahnſyſtem und ſagte: „Im
Hintergrunde aller meiner Pläne liegt Deutſchland.“
Zur Zeit der Juli-Revolution kehrte er zurück, ungaſtlich empfangen
von der alten Heimath. Der Hamburger Senat trug Bedenken, den ver-
rufenen Demagogen als amerikaniſchen Conſul anzuerkennen, die Kauf-
herren aber zuckten die Achſeln, als er von ſeinen Bahnplänen ſprach;
denn ſoeben hatte ihnen der Engländer Elliot bewieſen, in Deutſchland ſei
nur eine einzige Eiſenbahn möglich, die Bahn von Hamburg nach Han-
nover, und daß ein Deutſcher gegen einen Briten unmöglich Recht haben
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/598>, abgerufen am 27.11.2024.
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