Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Die Finanzpartei gegen den Zollverein. sah, konnte sie nirgends entdecken; die Professoren der Staatswissenschaftwaren mit ihrem Urtheil längst im Reinen und diktirten in ihren Colle- gien allesammt, der Zollverein sei lediglich ein wirthschaftlicher Bund, ohne jede politische Bedeutung. Er verhinderte ja nicht, daß die Abstimmungen der Vereinsstaaten am Bundestage oft sehr weit auseinandergingen, daß Preußen und Baiern während der kirchlichen Wirren sich scharf befehdeten. Bald schloß sich Alvensleben der Meinung Rother's an; desgleichen Schön und Ladenberg, die alten eigensinnigen Gegner der Ideen Eichhorn's; dazu endlich die reactionäre Partei am Hofe, die von deutscher Politik überhaupt nichts hören wollte.*) Sie Alle schalten auf den Süden, der so wenig Colonialwaaren verzehrte, auf die Leipziger Meßprivilegien und den im Erzgebirge noch immer blühenden Paschhandel. Ueberall in Preußen, wo man die volkswirthschaftlichen Segnungen des Zollvereins nicht unmittel- bar im eigenen Geschäfte verspürte, wurde die Klage laut: der großmüthige König lasse sich von seinen süddeutschen Freunden "auspumpen". Auch der junge Otto v. Bismarck theilte diese im Landadel weit verbreitete Ansicht. Nach dem Rechnungsabschluß vom Jahre 1834 erstattete Alvensleben *) Berger's Bericht, 27. Aug. 1839. **) Nach Kühne's Aufzeichnungen. ***) Berger's Bericht, 4. April 1839. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 37
Die Finanzpartei gegen den Zollverein. ſah, konnte ſie nirgends entdecken; die Profeſſoren der Staatswiſſenſchaftwaren mit ihrem Urtheil längſt im Reinen und diktirten in ihren Colle- gien alleſammt, der Zollverein ſei lediglich ein wirthſchaftlicher Bund, ohne jede politiſche Bedeutung. Er verhinderte ja nicht, daß die Abſtimmungen der Vereinsſtaaten am Bundestage oft ſehr weit auseinandergingen, daß Preußen und Baiern während der kirchlichen Wirren ſich ſcharf befehdeten. Bald ſchloß ſich Alvensleben der Meinung Rother’s an; desgleichen Schön und Ladenberg, die alten eigenſinnigen Gegner der Ideen Eichhorn’s; dazu endlich die reactionäre Partei am Hofe, die von deutſcher Politik überhaupt nichts hören wollte.*) Sie Alle ſchalten auf den Süden, der ſo wenig Colonialwaaren verzehrte, auf die Leipziger Meßprivilegien und den im Erzgebirge noch immer blühenden Paſchhandel. Ueberall in Preußen, wo man die volkswirthſchaftlichen Segnungen des Zollvereins nicht unmittel- bar im eigenen Geſchäfte verſpürte, wurde die Klage laut: der großmüthige König laſſe ſich von ſeinen ſüddeutſchen Freunden „auspumpen“. Auch der junge Otto v. Bismarck theilte dieſe im Landadel weit verbreitete Anſicht. Nach dem Rechnungsabſchluß vom Jahre 1834 erſtattete Alvensleben *) Berger’s Bericht, 27. Aug. 1839. **) Nach Kühne’s Aufzeichnungen. ***) Berger’s Bericht, 4. April 1839. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 37
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0591" n="577"/><fw place="top" type="header">Die Finanzpartei gegen den Zollverein.</fw><lb/> ſah, konnte ſie nirgends entdecken; die Profeſſoren der Staatswiſſenſchaft<lb/> waren mit ihrem Urtheil längſt im Reinen und diktirten in ihren Colle-<lb/> gien alleſammt, der Zollverein ſei lediglich ein wirthſchaftlicher Bund, ohne<lb/> jede politiſche Bedeutung. Er verhinderte ja nicht, daß die Abſtimmungen<lb/> der Vereinsſtaaten am Bundestage oft ſehr weit auseinandergingen, daß<lb/> Preußen und Baiern während der kirchlichen Wirren ſich ſcharf befehdeten.<lb/> Bald ſchloß ſich Alvensleben der Meinung Rother’s an; desgleichen Schön<lb/> und Ladenberg, die alten eigenſinnigen Gegner der Ideen Eichhorn’s; dazu<lb/> endlich die reactionäre Partei am Hofe, die von deutſcher Politik überhaupt<lb/> nichts hören wollte.<note place="foot" n="*)">Berger’s Bericht, 27. Aug. 1839.</note> Sie Alle ſchalten auf den Süden, der ſo wenig<lb/> Colonialwaaren verzehrte, auf die Leipziger Meßprivilegien und den im<lb/> Erzgebirge noch immer blühenden Paſchhandel. Ueberall in Preußen, wo<lb/> man die volkswirthſchaftlichen Segnungen des Zollvereins nicht unmittel-<lb/> bar im eigenen Geſchäfte verſpürte, wurde die Klage laut: der großmüthige<lb/> König laſſe ſich von ſeinen ſüddeutſchen Freunden „auspumpen“. Auch der<lb/> junge Otto v. Bismarck theilte dieſe im Landadel weit verbreitete Anſicht.</p><lb/> <p>Nach dem Rechnungsabſchluß vom Jahre 1834 erſtattete Alvensleben<lb/> dem Könige einen Bericht, der den alten Herrn tief verſtimmte. Der<lb/> Miniſter rechnete „wie ein guter Hausvater“ — ſo ſagten ſeine altmär-<lb/> kiſchen Verehrer — und deutete ſchon an, das ungünſtige Ergebniß des<lb/> Rechnungsjahres ſei allein dem Zollvereine zuzuſchreiben. Schon damals<lb/> war er entſchloſſen, den Zollverein verſuchsweiſe zu kündigen um beſſere<lb/> Bedingungen für Preußens Staatshaushalt zu erlangen.<note place="foot" n="**)">Nach Kühne’s Aufzeichnungen.</note> Der Kron-<lb/> prinz jedoch trat ihm mit warmer patriotiſcher Leidenſchaft entgegen, und<lb/> Kühne ſchrieb in Ranke’s Zeitſchrift eine Abhandlung „über den deutſchen<lb/> Zollverein“, welche die volkswirthſchaftliche Bedeutung des Handelsbundes<lb/> in das rechte Licht ſtellte. So ward die Gefahr für jetzt noch abgewendet.<lb/> Die Finanzpartei aber gab ſich nicht zufrieden; ſie klagte ganz ſo wie ſie<lb/> einſt über das neue Zollgeſetz von 1819 und den Untergang der einträg-<lb/> licheren alten Acciſe geklagt hatte. Der General-Steuerdirektor Kuhlmeyer<lb/> ſaß grimmig brütend über ſeinen Tabellen, und Alvensleben betheuerte:<lb/> „ich bin eher Preuße als Deutſcher.“ Im December 1839 überraſchte der<lb/> Miniſter die Vereinsregierungen durch eine Denkſchrift, welche ſich über<lb/> die Fortdauer des Zollvereins äußerte: zum mindeſten müſſe Preußen einen<lb/> anderen Maßſtab für die Vertheilung des Weinzolles verlangen, da der<lb/> ausländiſche Wein faſt ausſchließlich in Preußen verzehrt wurde, und des-<lb/> gleichen für die Vertheilung der Branntweinſteuer. Auch die junge Rüben-<lb/> zuckerinduſtrie wollte der hausväterliche Miniſter mit einer neuen Abgabe<lb/> belegen und die Steuer womöglich den Einzelſtaaten zuweiſen, weil nur<lb/> Preußen einen beträchtlichen Rübenbau beſaß.<note place="foot" n="***)">Berger’s Bericht, 4. April 1839.</note></p><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Treitſchke</hi>, Deutſche Geſchichte. <hi rendition="#aq">IV.</hi> 37</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [577/0591]
Die Finanzpartei gegen den Zollverein.
ſah, konnte ſie nirgends entdecken; die Profeſſoren der Staatswiſſenſchaft
waren mit ihrem Urtheil längſt im Reinen und diktirten in ihren Colle-
gien alleſammt, der Zollverein ſei lediglich ein wirthſchaftlicher Bund, ohne
jede politiſche Bedeutung. Er verhinderte ja nicht, daß die Abſtimmungen
der Vereinsſtaaten am Bundestage oft ſehr weit auseinandergingen, daß
Preußen und Baiern während der kirchlichen Wirren ſich ſcharf befehdeten.
Bald ſchloß ſich Alvensleben der Meinung Rother’s an; desgleichen Schön
und Ladenberg, die alten eigenſinnigen Gegner der Ideen Eichhorn’s; dazu
endlich die reactionäre Partei am Hofe, die von deutſcher Politik überhaupt
nichts hören wollte. *) Sie Alle ſchalten auf den Süden, der ſo wenig
Colonialwaaren verzehrte, auf die Leipziger Meßprivilegien und den im
Erzgebirge noch immer blühenden Paſchhandel. Ueberall in Preußen, wo
man die volkswirthſchaftlichen Segnungen des Zollvereins nicht unmittel-
bar im eigenen Geſchäfte verſpürte, wurde die Klage laut: der großmüthige
König laſſe ſich von ſeinen ſüddeutſchen Freunden „auspumpen“. Auch der
junge Otto v. Bismarck theilte dieſe im Landadel weit verbreitete Anſicht.
Nach dem Rechnungsabſchluß vom Jahre 1834 erſtattete Alvensleben
dem Könige einen Bericht, der den alten Herrn tief verſtimmte. Der
Miniſter rechnete „wie ein guter Hausvater“ — ſo ſagten ſeine altmär-
kiſchen Verehrer — und deutete ſchon an, das ungünſtige Ergebniß des
Rechnungsjahres ſei allein dem Zollvereine zuzuſchreiben. Schon damals
war er entſchloſſen, den Zollverein verſuchsweiſe zu kündigen um beſſere
Bedingungen für Preußens Staatshaushalt zu erlangen. **) Der Kron-
prinz jedoch trat ihm mit warmer patriotiſcher Leidenſchaft entgegen, und
Kühne ſchrieb in Ranke’s Zeitſchrift eine Abhandlung „über den deutſchen
Zollverein“, welche die volkswirthſchaftliche Bedeutung des Handelsbundes
in das rechte Licht ſtellte. So ward die Gefahr für jetzt noch abgewendet.
Die Finanzpartei aber gab ſich nicht zufrieden; ſie klagte ganz ſo wie ſie
einſt über das neue Zollgeſetz von 1819 und den Untergang der einträg-
licheren alten Acciſe geklagt hatte. Der General-Steuerdirektor Kuhlmeyer
ſaß grimmig brütend über ſeinen Tabellen, und Alvensleben betheuerte:
„ich bin eher Preuße als Deutſcher.“ Im December 1839 überraſchte der
Miniſter die Vereinsregierungen durch eine Denkſchrift, welche ſich über
die Fortdauer des Zollvereins äußerte: zum mindeſten müſſe Preußen einen
anderen Maßſtab für die Vertheilung des Weinzolles verlangen, da der
ausländiſche Wein faſt ausſchließlich in Preußen verzehrt wurde, und des-
gleichen für die Vertheilung der Branntweinſteuer. Auch die junge Rüben-
zuckerinduſtrie wollte der hausväterliche Miniſter mit einer neuen Abgabe
belegen und die Steuer womöglich den Einzelſtaaten zuweiſen, weil nur
Preußen einen beträchtlichen Rübenbau beſaß. ***)
*) Berger’s Bericht, 27. Aug. 1839.
**) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.
***) Berger’s Bericht, 4. April 1839.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 37
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |