gefährliche Vorzugsrechte gewährte. Die Nation hatte mithin guten Grund zur Klage, und sie sprach ihren Unwillen so entschieden aus, daß die Regierungen sich schon nach zwei Jahren genöthigt sahen, den unbe- dachten Vertrag aufzukündigen. Also errang die öffentliche Meinung einen ersten wohlverdienten Erfolg. Nirgends verrieth sich ein Gefühl der Ueber- hebung, obwohl es natürlich nicht an scharfen Ausfällen auf Mynheer und die Politik des jusqu' a la mer fehlte; überall nur das gesunde Selbst- vertrauen einer starken Nation, die endlich Herr im Hause sein wollte. Der "Zuckerkrieg" bewies, wie viel politisches Urtheil und nationalen Stolz dies Volk entfalten konnte, wenn sich ihm nur ein ernsthafter Gegenstand darbot; er bewies auch, daß der Zollverein schon zu einer volksthüm- lichen Macht geworden war, deren Wohl und Wehe Jeden berührte. Mit gutem Grunde sang damals Hoffmann von Fallersleben den Stiftern des Zollvereins zu:
Denn Ihr habt ein Band gewoben Um das deutsche Vaterland, Und die Herzen hat verbunden Mehr als unser Bund dies Band.
Selbst den Gegnern begann allmählich einzuleuchten, daß eine so stätig und sicher erstarkende Gemeinschaft sich nicht wieder auflösen konnte. Wie Oesterreich seinen Kampf gegen den Zollverein in der Stille einstellte, so mußten auch die stolzen deutschen Großbritannier lernen, mit der voll- endeten Thatsache zu rechnen, obgleich ihr gefeierter Publicist Rehberg so- eben noch zuversichtlich erklärt hatte, der Zollanschluß Sachsens an Preußen sei eine baare Unmöglichkeit. Der neue hannöversche Steuerverein ver- suchte eine Zeit lang den Schmuggel von Braunschweig nach dem Zoll- vereinsgebiete zu unterstützen; doch auf Preußens entschiedene Forderung wurde der Unfug abgestellt,*) und bald fühlten beide Theile, daß sie sich weit wohler befanden, wenn sie einander gegenseitig bei der Verfolgung des Schleichhandels unterstützten.
Schwerer gewöhnte sich England an die neuen deutschen Zustände. Palmerston äußerte sich hoch entrüstet über den Zollverein, als auch Frank- furt sich den Banden der britischen Handelspolitik entwand. Da erwiderte ihm der befreundete Hamburger Syndicus Sieveking: an Alledem sei England selbst mitschuldig.**) In der That hatten die britischen Kornzölle bei dem Ausbau der deutschen Zolleinheit als unfreiwillige Bundesgenossen kräftig mitgeholfen. Hätte England nach dem Befreiungskriege den schutz- losen deutschen Staaten durch kluge Handelsverträge die Einfuhr ihrer Naturerzeugnisse erleichtert, so wäre der überlegenen britischen Industrie wohl noch für lange Zeit die Herrschaft auf dem deutschen Markte ge- sichert, unserem Gewerbfleiße die Selbständigkeit erschwert worden. Der
*) Frankenberg's Bericht, 11. Jan. 1836.
**) Blittersdorff's Bericht, 21. Juli 1835.
IV. 8. Stille Jahre.
gefährliche Vorzugsrechte gewährte. Die Nation hatte mithin guten Grund zur Klage, und ſie ſprach ihren Unwillen ſo entſchieden aus, daß die Regierungen ſich ſchon nach zwei Jahren genöthigt ſahen, den unbe- dachten Vertrag aufzukündigen. Alſo errang die öffentliche Meinung einen erſten wohlverdienten Erfolg. Nirgends verrieth ſich ein Gefühl der Ueber- hebung, obwohl es natürlich nicht an ſcharfen Ausfällen auf Mynheer und die Politik des jusqu’ à la mer fehlte; überall nur das geſunde Selbſt- vertrauen einer ſtarken Nation, die endlich Herr im Hauſe ſein wollte. Der „Zuckerkrieg“ bewies, wie viel politiſches Urtheil und nationalen Stolz dies Volk entfalten konnte, wenn ſich ihm nur ein ernſthafter Gegenſtand darbot; er bewies auch, daß der Zollverein ſchon zu einer volksthüm- lichen Macht geworden war, deren Wohl und Wehe Jeden berührte. Mit gutem Grunde ſang damals Hoffmann von Fallersleben den Stiftern des Zollvereins zu:
Denn Ihr habt ein Band gewoben Um das deutſche Vaterland, Und die Herzen hat verbunden Mehr als unſer Bund dies Band.
Selbſt den Gegnern begann allmählich einzuleuchten, daß eine ſo ſtätig und ſicher erſtarkende Gemeinſchaft ſich nicht wieder auflöſen konnte. Wie Oeſterreich ſeinen Kampf gegen den Zollverein in der Stille einſtellte, ſo mußten auch die ſtolzen deutſchen Großbritannier lernen, mit der voll- endeten Thatſache zu rechnen, obgleich ihr gefeierter Publiciſt Rehberg ſo- eben noch zuverſichtlich erklärt hatte, der Zollanſchluß Sachſens an Preußen ſei eine baare Unmöglichkeit. Der neue hannöverſche Steuerverein ver- ſuchte eine Zeit lang den Schmuggel von Braunſchweig nach dem Zoll- vereinsgebiete zu unterſtützen; doch auf Preußens entſchiedene Forderung wurde der Unfug abgeſtellt,*) und bald fühlten beide Theile, daß ſie ſich weit wohler befanden, wenn ſie einander gegenſeitig bei der Verfolgung des Schleichhandels unterſtützten.
Schwerer gewöhnte ſich England an die neuen deutſchen Zuſtände. Palmerſton äußerte ſich hoch entrüſtet über den Zollverein, als auch Frank- furt ſich den Banden der britiſchen Handelspolitik entwand. Da erwiderte ihm der befreundete Hamburger Syndicus Sieveking: an Alledem ſei England ſelbſt mitſchuldig.**) In der That hatten die britiſchen Kornzölle bei dem Ausbau der deutſchen Zolleinheit als unfreiwillige Bundesgenoſſen kräftig mitgeholfen. Hätte England nach dem Befreiungskriege den ſchutz- loſen deutſchen Staaten durch kluge Handelsverträge die Einfuhr ihrer Naturerzeugniſſe erleichtert, ſo wäre der überlegenen britiſchen Induſtrie wohl noch für lange Zeit die Herrſchaft auf dem deutſchen Markte ge- ſichert, unſerem Gewerbfleiße die Selbſtändigkeit erſchwert worden. Der
*) Frankenberg’s Bericht, 11. Jan. 1836.
**) Blittersdorff’s Bericht, 21. Juli 1835.
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IV. 8. Stille Jahre.
gefährliche Vorzugsrechte gewährte. Die Nation hatte mithin guten Grund
zur Klage, und ſie ſprach ihren Unwillen ſo entſchieden aus, daß die
Regierungen ſich ſchon nach zwei Jahren genöthigt ſahen, den unbe-
dachten Vertrag aufzukündigen. Alſo errang die öffentliche Meinung einen
erſten wohlverdienten Erfolg. Nirgends verrieth ſich ein Gefühl der Ueber-
hebung, obwohl es natürlich nicht an ſcharfen Ausfällen auf Mynheer und
die Politik des jusqu’ à la mer fehlte; überall nur das geſunde Selbſt-
vertrauen einer ſtarken Nation, die endlich Herr im Hauſe ſein wollte.
Der „Zuckerkrieg“ bewies, wie viel politiſches Urtheil und nationalen Stolz
dies Volk entfalten konnte, wenn ſich ihm nur ein ernſthafter Gegenſtand
darbot; er bewies auch, daß der Zollverein ſchon zu einer volksthüm-
lichen Macht geworden war, deren Wohl und Wehe Jeden berührte. Mit
gutem Grunde ſang damals Hoffmann von Fallersleben den Stiftern des
Zollvereins zu:
Denn Ihr habt ein Band gewoben
Um das deutſche Vaterland,
Und die Herzen hat verbunden
Mehr als unſer Bund dies Band.
Selbſt den Gegnern begann allmählich einzuleuchten, daß eine ſo
ſtätig und ſicher erſtarkende Gemeinſchaft ſich nicht wieder auflöſen konnte.
Wie Oeſterreich ſeinen Kampf gegen den Zollverein in der Stille einſtellte,
ſo mußten auch die ſtolzen deutſchen Großbritannier lernen, mit der voll-
endeten Thatſache zu rechnen, obgleich ihr gefeierter Publiciſt Rehberg ſo-
eben noch zuverſichtlich erklärt hatte, der Zollanſchluß Sachſens an Preußen
ſei eine baare Unmöglichkeit. Der neue hannöverſche Steuerverein ver-
ſuchte eine Zeit lang den Schmuggel von Braunſchweig nach dem Zoll-
vereinsgebiete zu unterſtützen; doch auf Preußens entſchiedene Forderung
wurde der Unfug abgeſtellt, *) und bald fühlten beide Theile, daß ſie ſich
weit wohler befanden, wenn ſie einander gegenſeitig bei der Verfolgung
des Schleichhandels unterſtützten.
Schwerer gewöhnte ſich England an die neuen deutſchen Zuſtände.
Palmerſton äußerte ſich hoch entrüſtet über den Zollverein, als auch Frank-
furt ſich den Banden der britiſchen Handelspolitik entwand. Da erwiderte
ihm der befreundete Hamburger Syndicus Sieveking: an Alledem ſei
England ſelbſt mitſchuldig. **) In der That hatten die britiſchen Kornzölle
bei dem Ausbau der deutſchen Zolleinheit als unfreiwillige Bundesgenoſſen
kräftig mitgeholfen. Hätte England nach dem Befreiungskriege den ſchutz-
loſen deutſchen Staaten durch kluge Handelsverträge die Einfuhr ihrer
Naturerzeugniſſe erleichtert, ſo wäre der überlegenen britiſchen Induſtrie
wohl noch für lange Zeit die Herrſchaft auf dem deutſchen Markte ge-
ſichert, unſerem Gewerbfleiße die Selbſtändigkeit erſchwert worden. Der
*) Frankenberg’s Bericht, 11. Jan. 1836.
**) Blittersdorff’s Bericht, 21. Juli 1835.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/588>, abgerufen am 23.07.2024.
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