Die Stärke dieser neuen Macht offenbarte sich sofort zur Ueberraschung des Beamtenthums, als der Zollverein seinen ersten Handelsvertrag mit dem Auslande schloß, den Vertrag mit den Niederlanden vom 21. Januar 1839. Seit dem Abfall Belgiens hofften die Holländer jene alte Handels- politik wiederherzustellen, welche ihnen einst zur Zeit des römischen Reichs so reichen Gewinn gebracht hatte: sie dachten Deutschland mit Colonial- waaren und Fabrikaten zu versorgen und dafür ihre Rohstoffe aus dem armen Hinterlande zu beziehen. Um zunächst den deutschen Zuckermarkt zu beherrschen, stellten sie ein Halbfabrikat her, den Lumpenzucker, der bei den Zollämtern als Rohzucker declarirt wurde. Aber die Zeit war nicht mehr, da die Deutschen wähnten, nur auf fremden Krücken gehen zu können; der Zollverein setzte sich zur Wehr und verfügte, daß der Lumpenzucker fortan gleich dem raffinirten Zucker, mehr als doppelt so hoch denn bisher, verzollt werden sollte (1836). Darauf folgten mehrjährige, verwickelte Unterhand- lungen: Holland gewährte der deutschen Rheinschifffahrt neue willkommene Erleichterungen und verlangte dagegen die Herabsetzung der Zölle auf seinen Lumpenzucker. Der König der Niederlande selbst und seine Tochter die Prinzessin Albrecht von Preußen betrieben das Geschäft mit Feuereifer; sie meinten, die Oranier dürften jetzt doch einige Rücksicht erwarten, nach- dem man ihnen gegen die Belgier keine Hilfe gewährt habe.*) Graf Alvensleben gab schließlich nach und bewilligte, daß der Zoll auf den hol- ländischen Lumpenzucker bis zur Hälfte ermäßigt wurde; er befürchtete sonst einen zu großen Ausfall in den Zolleinnahmen, und gleich ihm ließen sich auch die anderen Vereinsregierungen durch fiscalische Erwä- gungen bestimmen. Die Entscheidung erfolgte erst nach heftigem Streite, einer der ersten preußischen Finanzmänner, Geh. Rath Windhorn nahm deshalb seinen Abschied.**) Aber kaum war sie gefallen, so erhob sich ein Sturm in der gesammten Presse; alle Welt rief entrüstet, das heiße Deutsch- lands Interessen dem Auslande opfern. Die deutschen Siedereien und die Rübenzuckerfabrikanten betheuerten, unter solchen Umständen könnten sie den holländischen Wettbewerb nicht mehr bestehen, und der Erfolg gab ihnen Recht. Die zwei großen Stettiner Siedereien kamen dem Untergange nahe; auch die Hansestädte, denen der Zollverein die gleiche Vergünstigung bewilligte, vermochten das siegreiche Holland nicht mehr aus dem Felde zu schlagen.
Nur zu bald lag es klar am Tage: die erste diplomatische That der neuen nationalen Handelspolitik war ein schlimmer Mißgriff und zugleich eine Verletzung der Grundsätze des Zollvereins, der sonst alle Differentialzölle verwarf, diesmal aber einem unfreundlichen Nachbarlande
*) Berichte von Münchhausen, 23. April, 3. Juni 1837; von Frankenberg, 23. April, 25. Mai 1837, 6. Dec. 1838, 25. Jan. 1839; von Berger, 27. März 1839.
**) Nach Kühne's Aufzeichnungen.
Der Zuckerkrieg.
Die Stärke dieſer neuen Macht offenbarte ſich ſofort zur Ueberraſchung des Beamtenthums, als der Zollverein ſeinen erſten Handelsvertrag mit dem Auslande ſchloß, den Vertrag mit den Niederlanden vom 21. Januar 1839. Seit dem Abfall Belgiens hofften die Holländer jene alte Handels- politik wiederherzuſtellen, welche ihnen einſt zur Zeit des römiſchen Reichs ſo reichen Gewinn gebracht hatte: ſie dachten Deutſchland mit Colonial- waaren und Fabrikaten zu verſorgen und dafür ihre Rohſtoffe aus dem armen Hinterlande zu beziehen. Um zunächſt den deutſchen Zuckermarkt zu beherrſchen, ſtellten ſie ein Halbfabrikat her, den Lumpenzucker, der bei den Zollämtern als Rohzucker declarirt wurde. Aber die Zeit war nicht mehr, da die Deutſchen wähnten, nur auf fremden Krücken gehen zu können; der Zollverein ſetzte ſich zur Wehr und verfügte, daß der Lumpenzucker fortan gleich dem raffinirten Zucker, mehr als doppelt ſo hoch denn bisher, verzollt werden ſollte (1836). Darauf folgten mehrjährige, verwickelte Unterhand- lungen: Holland gewährte der deutſchen Rheinſchifffahrt neue willkommene Erleichterungen und verlangte dagegen die Herabſetzung der Zölle auf ſeinen Lumpenzucker. Der König der Niederlande ſelbſt und ſeine Tochter die Prinzeſſin Albrecht von Preußen betrieben das Geſchäft mit Feuereifer; ſie meinten, die Oranier dürften jetzt doch einige Rückſicht erwarten, nach- dem man ihnen gegen die Belgier keine Hilfe gewährt habe.*) Graf Alvensleben gab ſchließlich nach und bewilligte, daß der Zoll auf den hol- ländiſchen Lumpenzucker bis zur Hälfte ermäßigt wurde; er befürchtete ſonſt einen zu großen Ausfall in den Zolleinnahmen, und gleich ihm ließen ſich auch die anderen Vereinsregierungen durch fiscaliſche Erwä- gungen beſtimmen. Die Entſcheidung erfolgte erſt nach heftigem Streite, einer der erſten preußiſchen Finanzmänner, Geh. Rath Windhorn nahm deshalb ſeinen Abſchied.**) Aber kaum war ſie gefallen, ſo erhob ſich ein Sturm in der geſammten Preſſe; alle Welt rief entrüſtet, das heiße Deutſch- lands Intereſſen dem Auslande opfern. Die deutſchen Siedereien und die Rübenzuckerfabrikanten betheuerten, unter ſolchen Umſtänden könnten ſie den holländiſchen Wettbewerb nicht mehr beſtehen, und der Erfolg gab ihnen Recht. Die zwei großen Stettiner Siedereien kamen dem Untergange nahe; auch die Hanſeſtädte, denen der Zollverein die gleiche Vergünſtigung bewilligte, vermochten das ſiegreiche Holland nicht mehr aus dem Felde zu ſchlagen.
Nur zu bald lag es klar am Tage: die erſte diplomatiſche That der neuen nationalen Handelspolitik war ein ſchlimmer Mißgriff und zugleich eine Verletzung der Grundſätze des Zollvereins, der ſonſt alle Differentialzölle verwarf, diesmal aber einem unfreundlichen Nachbarlande
*) Berichte von Münchhauſen, 23. April, 3. Juni 1837; von Frankenberg, 23. April, 25. Mai 1837, 6. Dec. 1838, 25. Jan. 1839; von Berger, 27. März 1839.
**) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.
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Der Zuckerkrieg.
Die Stärke dieſer neuen Macht offenbarte ſich ſofort zur Ueberraſchung
des Beamtenthums, als der Zollverein ſeinen erſten Handelsvertrag mit
dem Auslande ſchloß, den Vertrag mit den Niederlanden vom 21. Januar
1839. Seit dem Abfall Belgiens hofften die Holländer jene alte Handels-
politik wiederherzuſtellen, welche ihnen einſt zur Zeit des römiſchen Reichs
ſo reichen Gewinn gebracht hatte: ſie dachten Deutſchland mit Colonial-
waaren und Fabrikaten zu verſorgen und dafür ihre Rohſtoffe aus dem
armen Hinterlande zu beziehen. Um zunächſt den deutſchen Zuckermarkt
zu beherrſchen, ſtellten ſie ein Halbfabrikat her, den Lumpenzucker, der bei
den Zollämtern als Rohzucker declarirt wurde. Aber die Zeit war nicht
mehr, da die Deutſchen wähnten, nur auf fremden Krücken gehen zu können;
der Zollverein ſetzte ſich zur Wehr und verfügte, daß der Lumpenzucker fortan
gleich dem raffinirten Zucker, mehr als doppelt ſo hoch denn bisher, verzollt
werden ſollte (1836). Darauf folgten mehrjährige, verwickelte Unterhand-
lungen: Holland gewährte der deutſchen Rheinſchifffahrt neue willkommene
Erleichterungen und verlangte dagegen die Herabſetzung der Zölle auf
ſeinen Lumpenzucker. Der König der Niederlande ſelbſt und ſeine Tochter
die Prinzeſſin Albrecht von Preußen betrieben das Geſchäft mit Feuereifer;
ſie meinten, die Oranier dürften jetzt doch einige Rückſicht erwarten, nach-
dem man ihnen gegen die Belgier keine Hilfe gewährt habe. *) Graf
Alvensleben gab ſchließlich nach und bewilligte, daß der Zoll auf den hol-
ländiſchen Lumpenzucker bis zur Hälfte ermäßigt wurde; er befürchtete
ſonſt einen zu großen Ausfall in den Zolleinnahmen, und gleich ihm
ließen ſich auch die anderen Vereinsregierungen durch fiscaliſche Erwä-
gungen beſtimmen. Die Entſcheidung erfolgte erſt nach heftigem Streite,
einer der erſten preußiſchen Finanzmänner, Geh. Rath Windhorn nahm
deshalb ſeinen Abſchied. **) Aber kaum war ſie gefallen, ſo erhob ſich ein
Sturm in der geſammten Preſſe; alle Welt rief entrüſtet, das heiße Deutſch-
lands Intereſſen dem Auslande opfern. Die deutſchen Siedereien und
die Rübenzuckerfabrikanten betheuerten, unter ſolchen Umſtänden könnten
ſie den holländiſchen Wettbewerb nicht mehr beſtehen, und der Erfolg gab
ihnen Recht. Die zwei großen Stettiner Siedereien kamen dem Untergange
nahe; auch die Hanſeſtädte, denen der Zollverein die gleiche Vergünſtigung
bewilligte, vermochten das ſiegreiche Holland nicht mehr aus dem Felde zu
ſchlagen.
Nur zu bald lag es klar am Tage: die erſte diplomatiſche That
der neuen nationalen Handelspolitik war ein ſchlimmer Mißgriff und
zugleich eine Verletzung der Grundſätze des Zollvereins, der ſonſt alle
Differentialzölle verwarf, diesmal aber einem unfreundlichen Nachbarlande
*) Berichte von Münchhauſen, 23. April, 3. Juni 1837; von Frankenberg, 23. April,
25. Mai 1837, 6. Dec. 1838, 25. Jan. 1839; von Berger, 27. März 1839.
**) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/587>, abgerufen am 24.11.2024.
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