gescholten. Jetzt konnten sie mit einigem Scheine behaupten, dies edle Unternehmen evangelischer Freiheit sei im Grunde nur ein Werk der Ge- wissenstyrannei. Das Wachsthum der Union war auf lange Zeit hinaus gehemmt. Als die Tage der schlimmsten Quälerei überstanden waren, faßte sich der Kronprinz endlich ein Herz und verlangte im Staatsministerium, von Mühler unterstützt (1839): den Sektirern müsse "eine Art Anerken- nung" gewährt werden; verleihe man dann der evangelischen Kirche selbst größere Freiheit, so werde "dies Irrwesen bald in sich verfallen".*) Aber so lange der alte Herr lebte war an keine Aenderung zu denken.
Wie ward dem frommen Steffens zu Muthe, als er um diese Zeit (1837), noch tief erschüttert von dem Abschied seiner lutherischen Glaubens- genossen, das Land Tyrol bereiste, und ihm droben in den Alpen ein anderer Auswandererzug begegnete, mit hochbeladenen Wagen, Männer, Weiber und Kinder, über vierhundert Köpfe, auch zwölf steinalte Leute von mehr als siebzig Jahren zogen mit. Es waren die protestantischen Ziller- thaler, die letzte Glaubenskolonie der Hohenzollern; ein tapferer Bauer, Johann Fleidl führte sie an. Die österreichische Regierung hatte ihnen den Aufenthalt in dem Lande der Glaubenseinheit nicht mehr gestattet, weil die fanatische Clerisei den ehrenfesten Lutheranern unheimliche sektirerische Ausschweifungen andichtete, und sie endlich aufgefordert, ihren Wohnsitz in ein anderes Kronland, etwa nach Siebenbürgen zu verlegen. Daß Tyrol deutsches Bundesland war, kam in Wien natürlich nicht in Betracht; auch der Bundestag verlor kein Wort über die offenbare Verletzung des Art. 16 der Bundesakte, und kein deutscher Publicist warf die Frage auf, ob dies Oesterreich mit seinen Sonderrechten wirklich noch zu Deutschland gehöre. Unter den Evangelischen des Hochgebirges aber hatte der preußische Name noch von den Zeiten der Salzburger Emigranten her einen guten Klang; nach dem nahen Baiern wollten sie nicht ziehen, weil sie der ultramon- tanen Gesinnung des Münchener Hofes mit Recht mißtrauten. Die Zillerthaler wendeten sich an den alten König. Er verhandelte mit ihnen durch seinen Hofprediger Strauß und bot ihnen dann eine neue Heimath bei Schmiedeberg, am schönen Abhang des Riesengebirges, wo sie das schönere alte Heim doch nicht zu schmerzlich vermissen sollten.**) Die Kosten der Ansiedelung in dem dicht bevölkerten Schlesien stellten sich freilich sehr hoch, fast fünfmal höher als die Zuschüsse, welche König Friedrich einst seinen Kolonisten zu bewilligen pflegte. Die fromme hochherzige Gräfin Reden trat auf Friedrich Wilhelm's Befehl an die Spitze eines Ausschusses, der den Einwanderern über die böse Zeit des Ueberganges hinweghalf, und nach Jahresfrist waren sie alle in den drei Dörfern des neuen Zillerthales untergebracht, ein treues, arbeitsames und bei allem Glaubenseifer lebens-
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 4. Febr. 1839.
**) Dönhoff's Berichte, 18. 28. Mai, 1. Juli 1837.
IV. 8. Stille Jahre.
geſcholten. Jetzt konnten ſie mit einigem Scheine behaupten, dies edle Unternehmen evangeliſcher Freiheit ſei im Grunde nur ein Werk der Ge- wiſſenstyrannei. Das Wachsthum der Union war auf lange Zeit hinaus gehemmt. Als die Tage der ſchlimmſten Quälerei überſtanden waren, faßte ſich der Kronprinz endlich ein Herz und verlangte im Staatsminiſterium, von Mühler unterſtützt (1839): den Sektirern müſſe „eine Art Anerken- nung“ gewährt werden; verleihe man dann der evangeliſchen Kirche ſelbſt größere Freiheit, ſo werde „dies Irrweſen bald in ſich verfallen“.*) Aber ſo lange der alte Herr lebte war an keine Aenderung zu denken.
Wie ward dem frommen Steffens zu Muthe, als er um dieſe Zeit (1837), noch tief erſchüttert von dem Abſchied ſeiner lutheriſchen Glaubens- genoſſen, das Land Tyrol bereiſte, und ihm droben in den Alpen ein anderer Auswandererzug begegnete, mit hochbeladenen Wagen, Männer, Weiber und Kinder, über vierhundert Köpfe, auch zwölf ſteinalte Leute von mehr als ſiebzig Jahren zogen mit. Es waren die proteſtantiſchen Ziller- thaler, die letzte Glaubenskolonie der Hohenzollern; ein tapferer Bauer, Johann Fleidl führte ſie an. Die öſterreichiſche Regierung hatte ihnen den Aufenthalt in dem Lande der Glaubenseinheit nicht mehr geſtattet, weil die fanatiſche Cleriſei den ehrenfeſten Lutheranern unheimliche ſektireriſche Ausſchweifungen andichtete, und ſie endlich aufgefordert, ihren Wohnſitz in ein anderes Kronland, etwa nach Siebenbürgen zu verlegen. Daß Tyrol deutſches Bundesland war, kam in Wien natürlich nicht in Betracht; auch der Bundestag verlor kein Wort über die offenbare Verletzung des Art. 16 der Bundesakte, und kein deutſcher Publiciſt warf die Frage auf, ob dies Oeſterreich mit ſeinen Sonderrechten wirklich noch zu Deutſchland gehöre. Unter den Evangeliſchen des Hochgebirges aber hatte der preußiſche Name noch von den Zeiten der Salzburger Emigranten her einen guten Klang; nach dem nahen Baiern wollten ſie nicht ziehen, weil ſie der ultramon- tanen Geſinnung des Münchener Hofes mit Recht mißtrauten. Die Zillerthaler wendeten ſich an den alten König. Er verhandelte mit ihnen durch ſeinen Hofprediger Strauß und bot ihnen dann eine neue Heimath bei Schmiedeberg, am ſchönen Abhang des Rieſengebirges, wo ſie das ſchönere alte Heim doch nicht zu ſchmerzlich vermiſſen ſollten.**) Die Koſten der Anſiedelung in dem dicht bevölkerten Schleſien ſtellten ſich freilich ſehr hoch, faſt fünfmal höher als die Zuſchüſſe, welche König Friedrich einſt ſeinen Koloniſten zu bewilligen pflegte. Die fromme hochherzige Gräfin Reden trat auf Friedrich Wilhelm’s Befehl an die Spitze eines Ausſchuſſes, der den Einwanderern über die böſe Zeit des Ueberganges hinweghalf, und nach Jahresfriſt waren ſie alle in den drei Dörfern des neuen Zillerthales untergebracht, ein treues, arbeitſames und bei allem Glaubenseifer lebens-
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenſtein, 4. Febr. 1839.
**) Dönhoff’s Berichte, 18. 28. Mai, 1. Juli 1837.
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wiſſenstyrannei. Das Wachsthum der Union war auf lange Zeit hinaus
gehemmt. Als die Tage der ſchlimmſten Quälerei überſtanden waren, faßte
ſich der Kronprinz endlich ein Herz und verlangte im Staatsminiſterium,
von Mühler unterſtützt (1839): den Sektirern müſſe „eine Art Anerken-
nung“ gewährt werden; verleihe man dann der evangeliſchen Kirche ſelbſt
größere Freiheit, ſo werde „dies Irrweſen bald in ſich verfallen“. *) Aber
ſo lange der alte Herr lebte war an keine Aenderung zu denken.
Wie ward dem frommen Steffens zu Muthe, als er um dieſe Zeit
(1837), noch tief erſchüttert von dem Abſchied ſeiner lutheriſchen Glaubens-
genoſſen, das Land Tyrol bereiſte, und ihm droben in den Alpen ein
anderer Auswandererzug begegnete, mit hochbeladenen Wagen, Männer,
Weiber und Kinder, über vierhundert Köpfe, auch zwölf ſteinalte Leute von
mehr als ſiebzig Jahren zogen mit. Es waren die proteſtantiſchen Ziller-
thaler, die letzte Glaubenskolonie der Hohenzollern; ein tapferer Bauer,
Johann Fleidl führte ſie an. Die öſterreichiſche Regierung hatte ihnen
den Aufenthalt in dem Lande der Glaubenseinheit nicht mehr geſtattet, weil
die fanatiſche Cleriſei den ehrenfeſten Lutheranern unheimliche ſektireriſche
Ausſchweifungen andichtete, und ſie endlich aufgefordert, ihren Wohnſitz in
ein anderes Kronland, etwa nach Siebenbürgen zu verlegen. Daß Tyrol
deutſches Bundesland war, kam in Wien natürlich nicht in Betracht; auch
der Bundestag verlor kein Wort über die offenbare Verletzung des Art. 16
der Bundesakte, und kein deutſcher Publiciſt warf die Frage auf, ob dies
Oeſterreich mit ſeinen Sonderrechten wirklich noch zu Deutſchland gehöre.
Unter den Evangeliſchen des Hochgebirges aber hatte der preußiſche Name
noch von den Zeiten der Salzburger Emigranten her einen guten Klang;
nach dem nahen Baiern wollten ſie nicht ziehen, weil ſie der ultramon-
tanen Geſinnung des Münchener Hofes mit Recht mißtrauten. Die
Zillerthaler wendeten ſich an den alten König. Er verhandelte mit ihnen
durch ſeinen Hofprediger Strauß und bot ihnen dann eine neue Heimath
bei Schmiedeberg, am ſchönen Abhang des Rieſengebirges, wo ſie das
ſchönere alte Heim doch nicht zu ſchmerzlich vermiſſen ſollten. **) Die Koſten
der Anſiedelung in dem dicht bevölkerten Schleſien ſtellten ſich freilich
ſehr hoch, faſt fünfmal höher als die Zuſchüſſe, welche König Friedrich einſt
ſeinen Koloniſten zu bewilligen pflegte. Die fromme hochherzige Gräfin
Reden trat auf Friedrich Wilhelm’s Befehl an die Spitze eines Ausſchuſſes,
der den Einwanderern über die böſe Zeit des Ueberganges hinweghalf, und
nach Jahresfriſt waren ſie alle in den drei Dörfern des neuen Zillerthales
untergebracht, ein treues, arbeitſames und bei allem Glaubenseifer lebens-
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenſtein, 4. Febr. 1839.
**) Dönhoff’s Berichte, 18. 28. Mai, 1. Juli 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/582>, abgerufen am 24.11.2024.
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