zusammen; Soldaten mußten die Thüre sprengen und blieben dann noch eine Weile auf Einquartierung. Bei allen diesen traurigen Vorgängen handelte die Regierung streng nach dem Buchstaben des Gesetzes; aber wie deutlich zeigten sie, daß die Kirchenpolitik des alten Territorialsystems sich gänzlich überlebt hatte. Evangelische Freiheit war nur noch möglich, wenn eine neue Kirchenverfassung das gute Recht der Gemeinden sicher stellte.
Nach langem Streit und Leid entschloß sich endlich ein Theil der Altlutheraner, insgesammt mehr als tausend Köpfe, zur Auswanderung. Ihren Glauben und ihren Cultus tastete Niemand an, nur das evan- gelische Recht der Gemeindebildung ward ihnen versagt, und so wähnten sie für die Religion zu leiden, während doch lediglich ein ungeheueres Miß- verständniß und ihr unduldsamer Haß gegen die Reformirten sie aus dem Lande trieben. Welch ein Tag, als vierhundert dieser armen Schlesier auf ihren Spreekähnen durch Berlin kamen und dann die Havel abwärts am Potsdamer Stadtschlosse vor den Fenstern des Königs vorüberfuhren; ihre lutherischen Lieder klangen weithin über das stille Gewässer. Schien es nicht, als ob jene Zeiten des großen Kurfürsten wiederkehrten, da Paul Gerhardt, auch er ein Märtyrer mehr der Unduldsamkeit als des Glau- bens, die Mark hatte verlassen müssen? Was aber damals, in dem harten Jahrhundert der Religionskriege, die Noth erzwang, das hätte jetzt, in weltlichen Tagen, eine kluge und weitherzige Kirchenpolitik leicht vermeiden können. Welch ein Widerspruch! Friedrich Wilhelm fühlte sich als den Beschützer des evangelischen Glaubens in Deutschland; so nannten ihn auch der fromme G. H. Schubert und die anderen bairischen Protestanten, denen er bei allen ihren kirchlichen Unternehmungen gern zu Hilfe kam.*) Er feierte in diesen Tagen tief bewegt den dreihundertjährigen Gedenktag der brandenburgischen Reformation. Und doch ward unter dem frommen Fürsten eine Verfolgung möglich, die aller evangelischen Freiheit widersprach.
Im Lande erzählte man, der gute König wisse nichts von dem harten Verfahren seiner Beamten. Er wußte es wohl. Er verfolgte die kirchlichen Wirren tief bekümmert, mit gespannter Aufmerksamkeit und ließ sogar den Auswanderern insgeheim Unterstützung spenden; doch an seiner Kirchenpolitik ward er keinen Augenblick irr. In diesem Jammer be- drängter und beirrter Gewissen sah er nur eine strafbare Auflehnung gegen das von Gott verordnete Kirchenregiment und fragte immer wieder ganz verwundert: wie sind solche Verirrungen möglich in einem Lande unbe- schränkter Gewissensfreiheit? Er ahnte nicht, wie die deutschen Nachbarn über diese Verfolgungen dachten. Die Lutheraner in Sachsen, Mecklen- burg, Baiern hatten bisher auf den schwächlichen Synkretismus der Union
*) Eingaben an König Friedrich Wilhelm: von der Münchener Evangelischen Ge- meinde, 14. Jan. 1834; von G. H. Schubert, 10. Jan. 1836.
Die Altlutheraner.
zuſammen; Soldaten mußten die Thüre ſprengen und blieben dann noch eine Weile auf Einquartierung. Bei allen dieſen traurigen Vorgängen handelte die Regierung ſtreng nach dem Buchſtaben des Geſetzes; aber wie deutlich zeigten ſie, daß die Kirchenpolitik des alten Territorialſyſtems ſich gänzlich überlebt hatte. Evangeliſche Freiheit war nur noch möglich, wenn eine neue Kirchenverfaſſung das gute Recht der Gemeinden ſicher ſtellte.
Nach langem Streit und Leid entſchloß ſich endlich ein Theil der Altlutheraner, insgeſammt mehr als tauſend Köpfe, zur Auswanderung. Ihren Glauben und ihren Cultus taſtete Niemand an, nur das evan- geliſche Recht der Gemeindebildung ward ihnen verſagt, und ſo wähnten ſie für die Religion zu leiden, während doch lediglich ein ungeheueres Miß- verſtändniß und ihr unduldſamer Haß gegen die Reformirten ſie aus dem Lande trieben. Welch ein Tag, als vierhundert dieſer armen Schleſier auf ihren Spreekähnen durch Berlin kamen und dann die Havel abwärts am Potsdamer Stadtſchloſſe vor den Fenſtern des Königs vorüberfuhren; ihre lutheriſchen Lieder klangen weithin über das ſtille Gewäſſer. Schien es nicht, als ob jene Zeiten des großen Kurfürſten wiederkehrten, da Paul Gerhardt, auch er ein Märtyrer mehr der Unduldſamkeit als des Glau- bens, die Mark hatte verlaſſen müſſen? Was aber damals, in dem harten Jahrhundert der Religionskriege, die Noth erzwang, das hätte jetzt, in weltlichen Tagen, eine kluge und weitherzige Kirchenpolitik leicht vermeiden können. Welch ein Widerſpruch! Friedrich Wilhelm fühlte ſich als den Beſchützer des evangeliſchen Glaubens in Deutſchland; ſo nannten ihn auch der fromme G. H. Schubert und die anderen bairiſchen Proteſtanten, denen er bei allen ihren kirchlichen Unternehmungen gern zu Hilfe kam.*) Er feierte in dieſen Tagen tief bewegt den dreihundertjährigen Gedenktag der brandenburgiſchen Reformation. Und doch ward unter dem frommen Fürſten eine Verfolgung möglich, die aller evangeliſchen Freiheit widerſprach.
Im Lande erzählte man, der gute König wiſſe nichts von dem harten Verfahren ſeiner Beamten. Er wußte es wohl. Er verfolgte die kirchlichen Wirren tief bekümmert, mit geſpannter Aufmerkſamkeit und ließ ſogar den Auswanderern insgeheim Unterſtützung ſpenden; doch an ſeiner Kirchenpolitik ward er keinen Augenblick irr. In dieſem Jammer be- drängter und beirrter Gewiſſen ſah er nur eine ſtrafbare Auflehnung gegen das von Gott verordnete Kirchenregiment und fragte immer wieder ganz verwundert: wie ſind ſolche Verirrungen möglich in einem Lande unbe- ſchränkter Gewiſſensfreiheit? Er ahnte nicht, wie die deutſchen Nachbarn über dieſe Verfolgungen dachten. Die Lutheraner in Sachſen, Mecklen- burg, Baiern hatten bisher auf den ſchwächlichen Synkretismus der Union
*) Eingaben an König Friedrich Wilhelm: von der Münchener Evangeliſchen Ge- meinde, 14. Jan. 1834; von G. H. Schubert, 10. Jan. 1836.
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Die Altlutheraner.
zuſammen; Soldaten mußten die Thüre ſprengen und blieben dann noch
eine Weile auf Einquartierung. Bei allen dieſen traurigen Vorgängen
handelte die Regierung ſtreng nach dem Buchſtaben des Geſetzes; aber
wie deutlich zeigten ſie, daß die Kirchenpolitik des alten Territorialſyſtems
ſich gänzlich überlebt hatte. Evangeliſche Freiheit war nur noch möglich,
wenn eine neue Kirchenverfaſſung das gute Recht der Gemeinden ſicher
ſtellte.
Nach langem Streit und Leid entſchloß ſich endlich ein Theil der
Altlutheraner, insgeſammt mehr als tauſend Köpfe, zur Auswanderung.
Ihren Glauben und ihren Cultus taſtete Niemand an, nur das evan-
geliſche Recht der Gemeindebildung ward ihnen verſagt, und ſo wähnten
ſie für die Religion zu leiden, während doch lediglich ein ungeheueres Miß-
verſtändniß und ihr unduldſamer Haß gegen die Reformirten ſie aus dem
Lande trieben. Welch ein Tag, als vierhundert dieſer armen Schleſier
auf ihren Spreekähnen durch Berlin kamen und dann die Havel abwärts
am Potsdamer Stadtſchloſſe vor den Fenſtern des Königs vorüberfuhren;
ihre lutheriſchen Lieder klangen weithin über das ſtille Gewäſſer. Schien
es nicht, als ob jene Zeiten des großen Kurfürſten wiederkehrten, da Paul
Gerhardt, auch er ein Märtyrer mehr der Unduldſamkeit als des Glau-
bens, die Mark hatte verlaſſen müſſen? Was aber damals, in dem harten
Jahrhundert der Religionskriege, die Noth erzwang, das hätte jetzt, in
weltlichen Tagen, eine kluge und weitherzige Kirchenpolitik leicht vermeiden
können. Welch ein Widerſpruch! Friedrich Wilhelm fühlte ſich als den
Beſchützer des evangeliſchen Glaubens in Deutſchland; ſo nannten ihn
auch der fromme G. H. Schubert und die anderen bairiſchen Proteſtanten,
denen er bei allen ihren kirchlichen Unternehmungen gern zu Hilfe kam. *)
Er feierte in dieſen Tagen tief bewegt den dreihundertjährigen Gedenktag
der brandenburgiſchen Reformation. Und doch ward unter dem frommen
Fürſten eine Verfolgung möglich, die aller evangeliſchen Freiheit widerſprach.
Im Lande erzählte man, der gute König wiſſe nichts von dem
harten Verfahren ſeiner Beamten. Er wußte es wohl. Er verfolgte die
kirchlichen Wirren tief bekümmert, mit geſpannter Aufmerkſamkeit und ließ
ſogar den Auswanderern insgeheim Unterſtützung ſpenden; doch an ſeiner
Kirchenpolitik ward er keinen Augenblick irr. In dieſem Jammer be-
drängter und beirrter Gewiſſen ſah er nur eine ſtrafbare Auflehnung gegen
das von Gott verordnete Kirchenregiment und fragte immer wieder ganz
verwundert: wie ſind ſolche Verirrungen möglich in einem Lande unbe-
ſchränkter Gewiſſensfreiheit? Er ahnte nicht, wie die deutſchen Nachbarn
über dieſe Verfolgungen dachten. Die Lutheraner in Sachſen, Mecklen-
burg, Baiern hatten bisher auf den ſchwächlichen Synkretismus der Union
*) Eingaben an König Friedrich Wilhelm: von der Münchener Evangeliſchen Ge-
meinde, 14. Jan. 1834; von G. H. Schubert, 10. Jan. 1836.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/581>, abgerufen am 24.11.2024.
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