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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Reformen in Posen.
ziere oder Unteroffiziere, und ihre vorgesetzten Landräthe führten fortan
ein festes bureaukratisches Regiment, sie beschützten den Bauern gegen den
Edelmann, sie sicherten die Durchführung der Gesetze bis in die niedersten
Schichten der Gesellschaft und erwarben sich fast überall den Haß des
Adels, die Achtung der kleinen Leute. Der strenge Beamtenstaat verdrängte
die Adelsherrschaft. Die Selbstverwaltung des flachen Landes ward nahezu
vernichtet; wie konnte sie auch hier gedeihen, da ihre Vorbedingungen,
Treue und gesetzlicher Sinn, dem polnischen Adel gänzlich fehlten?

Auch die Gerichte erhielten eine verbesserte Einrichtung und den ge-
messenen Befehl, bei polnischen Eingaben und Verhandlungen stets eine
deutsche Uebersetzung zu verlangen. Den zahlreichen, durch den Adel
schwer bedrückten Mediatstädten brachte das an Reformen so fruchtbare
Jahr 1833 die Ablösung der grundherrlichen Abgaben. Die Befreiung
vollzog sich sehr rasch, da die Krone die Ablösungscapitalien vorschoß,
und ihre wohlthätigen Folgen wurden bald selbst an den Sitten des
verkommenen Kleinbürgerthums erkennbar; denn mit jenen Abgaben fiel
auch der Getränkezwang, eine der stärksten Säulen der sarmatischen Adels-
libertät. Unter der polnischen Republik hatten die Edelleute sich wetteifernd
bemüht, ihren Dörfern Stadtrecht zu verschaffen, weil sie dann selbst das
Propinationsrecht, den Branntweinschank, erhielten und diese Befugniß
durch die Einrichtung von Jahrmärkten kräftiglich ausbeuten konnten. So
war es gekommen, daß die Provinz mit ihren 1,1 Mill. Einwohnern 145
Städte zählte, deren Mehrzahl ihr Dasein ausschließlich dem Branntwein
der Grundherren verdankte. Dies Unwesen ward nun hinweggefegt; und
da die Regierung zugleich in allen größeren Städten die Städteordnung
einführte, auch durch zahlreiche neue Bürgerschulen für einen leidlichen
Unterricht der Jugend sorgte, so gab sich Flottwell der Hoffnung hin, daß
mit der Zeit hier ein selbstbewußter, fleißiger Mittelstand, dem altdeutschen
ähnlich, entstehen würde.

Durch die rasche Beseitigung der grundherrlichen Abgaben in den
Städten wurde auch das Ablösungswerk auf dem flachen Lande beschleu-
nigt. Im Jahre 1837 waren schon 21,000 dienstpflichtige Bauern zu
freien Eigenthümern geworden, und der Segen dieser Reform ließ sich mit
Händen greifen; schon am Anblick der Häuser und der Felder konnte der
Wanderer ein regulirtes Dorf von einem zinspflichtigen sofort unter-
scheiden. Die Ablösung beschränkte sich hier, wie überall seit der Decla-
ration vom 29. Mai 1816, auf die spannfähigen Bauernstellen, die Acker-
nahrungen, weil der Staat die Großgrundbesitzer der im Osten unent-
behrlichen Tagelöhnerschaaren nicht ganz berauben wollte. Im Uebrigen
verfuhr er in Posen weit schärfer als in den alten Provinzen; denn auf
die Klagen des allezeit unzufriedenen polnischen Adels gaben die Beamten
wenig, und auch auf die Interessen der Pfandbriefgläubiger brauchten sie
hier nicht, wie in den alten Provinzen, ängstliche Rücksicht zu nehmen.

Reformen in Poſen.
ziere oder Unteroffiziere, und ihre vorgeſetzten Landräthe führten fortan
ein feſtes bureaukratiſches Regiment, ſie beſchützten den Bauern gegen den
Edelmann, ſie ſicherten die Durchführung der Geſetze bis in die niederſten
Schichten der Geſellſchaft und erwarben ſich faſt überall den Haß des
Adels, die Achtung der kleinen Leute. Der ſtrenge Beamtenſtaat verdrängte
die Adelsherrſchaft. Die Selbſtverwaltung des flachen Landes ward nahezu
vernichtet; wie konnte ſie auch hier gedeihen, da ihre Vorbedingungen,
Treue und geſetzlicher Sinn, dem polniſchen Adel gänzlich fehlten?

Auch die Gerichte erhielten eine verbeſſerte Einrichtung und den ge-
meſſenen Befehl, bei polniſchen Eingaben und Verhandlungen ſtets eine
deutſche Ueberſetzung zu verlangen. Den zahlreichen, durch den Adel
ſchwer bedrückten Mediatſtädten brachte das an Reformen ſo fruchtbare
Jahr 1833 die Ablöſung der grundherrlichen Abgaben. Die Befreiung
vollzog ſich ſehr raſch, da die Krone die Ablöſungscapitalien vorſchoß,
und ihre wohlthätigen Folgen wurden bald ſelbſt an den Sitten des
verkommenen Kleinbürgerthums erkennbar; denn mit jenen Abgaben fiel
auch der Getränkezwang, eine der ſtärkſten Säulen der ſarmatiſchen Adels-
libertät. Unter der polniſchen Republik hatten die Edelleute ſich wetteifernd
bemüht, ihren Dörfern Stadtrecht zu verſchaffen, weil ſie dann ſelbſt das
Propinationsrecht, den Branntweinſchank, erhielten und dieſe Befugniß
durch die Einrichtung von Jahrmärkten kräftiglich ausbeuten konnten. So
war es gekommen, daß die Provinz mit ihren 1,1 Mill. Einwohnern 145
Städte zählte, deren Mehrzahl ihr Daſein ausſchließlich dem Branntwein
der Grundherren verdankte. Dies Unweſen ward nun hinweggefegt; und
da die Regierung zugleich in allen größeren Städten die Städteordnung
einführte, auch durch zahlreiche neue Bürgerſchulen für einen leidlichen
Unterricht der Jugend ſorgte, ſo gab ſich Flottwell der Hoffnung hin, daß
mit der Zeit hier ein ſelbſtbewußter, fleißiger Mittelſtand, dem altdeutſchen
ähnlich, entſtehen würde.

Durch die raſche Beſeitigung der grundherrlichen Abgaben in den
Städten wurde auch das Ablöſungswerk auf dem flachen Lande beſchleu-
nigt. Im Jahre 1837 waren ſchon 21,000 dienſtpflichtige Bauern zu
freien Eigenthümern geworden, und der Segen dieſer Reform ließ ſich mit
Händen greifen; ſchon am Anblick der Häuſer und der Felder konnte der
Wanderer ein regulirtes Dorf von einem zinspflichtigen ſofort unter-
ſcheiden. Die Ablöſung beſchränkte ſich hier, wie überall ſeit der Decla-
ration vom 29. Mai 1816, auf die ſpannfähigen Bauernſtellen, die Acker-
nahrungen, weil der Staat die Großgrundbeſitzer der im Oſten unent-
behrlichen Tagelöhnerſchaaren nicht ganz berauben wollte. Im Uebrigen
verfuhr er in Poſen weit ſchärfer als in den alten Provinzen; denn auf
die Klagen des allezeit unzufriedenen polniſchen Adels gaben die Beamten
wenig, und auch auf die Intereſſen der Pfandbriefgläubiger brauchten ſie
hier nicht, wie in den alten Provinzen, ängſtliche Rückſicht zu nehmen.

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[559/0573] Reformen in Poſen. ziere oder Unteroffiziere, und ihre vorgeſetzten Landräthe führten fortan ein feſtes bureaukratiſches Regiment, ſie beſchützten den Bauern gegen den Edelmann, ſie ſicherten die Durchführung der Geſetze bis in die niederſten Schichten der Geſellſchaft und erwarben ſich faſt überall den Haß des Adels, die Achtung der kleinen Leute. Der ſtrenge Beamtenſtaat verdrängte die Adelsherrſchaft. Die Selbſtverwaltung des flachen Landes ward nahezu vernichtet; wie konnte ſie auch hier gedeihen, da ihre Vorbedingungen, Treue und geſetzlicher Sinn, dem polniſchen Adel gänzlich fehlten? Auch die Gerichte erhielten eine verbeſſerte Einrichtung und den ge- meſſenen Befehl, bei polniſchen Eingaben und Verhandlungen ſtets eine deutſche Ueberſetzung zu verlangen. Den zahlreichen, durch den Adel ſchwer bedrückten Mediatſtädten brachte das an Reformen ſo fruchtbare Jahr 1833 die Ablöſung der grundherrlichen Abgaben. Die Befreiung vollzog ſich ſehr raſch, da die Krone die Ablöſungscapitalien vorſchoß, und ihre wohlthätigen Folgen wurden bald ſelbſt an den Sitten des verkommenen Kleinbürgerthums erkennbar; denn mit jenen Abgaben fiel auch der Getränkezwang, eine der ſtärkſten Säulen der ſarmatiſchen Adels- libertät. Unter der polniſchen Republik hatten die Edelleute ſich wetteifernd bemüht, ihren Dörfern Stadtrecht zu verſchaffen, weil ſie dann ſelbſt das Propinationsrecht, den Branntweinſchank, erhielten und dieſe Befugniß durch die Einrichtung von Jahrmärkten kräftiglich ausbeuten konnten. So war es gekommen, daß die Provinz mit ihren 1,1 Mill. Einwohnern 145 Städte zählte, deren Mehrzahl ihr Daſein ausſchließlich dem Branntwein der Grundherren verdankte. Dies Unweſen ward nun hinweggefegt; und da die Regierung zugleich in allen größeren Städten die Städteordnung einführte, auch durch zahlreiche neue Bürgerſchulen für einen leidlichen Unterricht der Jugend ſorgte, ſo gab ſich Flottwell der Hoffnung hin, daß mit der Zeit hier ein ſelbſtbewußter, fleißiger Mittelſtand, dem altdeutſchen ähnlich, entſtehen würde. Durch die raſche Beſeitigung der grundherrlichen Abgaben in den Städten wurde auch das Ablöſungswerk auf dem flachen Lande beſchleu- nigt. Im Jahre 1837 waren ſchon 21,000 dienſtpflichtige Bauern zu freien Eigenthümern geworden, und der Segen dieſer Reform ließ ſich mit Händen greifen; ſchon am Anblick der Häuſer und der Felder konnte der Wanderer ein regulirtes Dorf von einem zinspflichtigen ſofort unter- ſcheiden. Die Ablöſung beſchränkte ſich hier, wie überall ſeit der Decla- ration vom 29. Mai 1816, auf die ſpannfähigen Bauernſtellen, die Acker- nahrungen, weil der Staat die Großgrundbeſitzer der im Oſten unent- behrlichen Tagelöhnerſchaaren nicht ganz berauben wollte. Im Uebrigen verfuhr er in Poſen weit ſchärfer als in den alten Provinzen; denn auf die Klagen des allezeit unzufriedenen polniſchen Adels gaben die Beamten wenig, und auch auf die Intereſſen der Pfandbriefgläubiger brauchten ſie hier nicht, wie in den alten Provinzen, ängſtliche Rückſicht zu nehmen.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/573>, abgerufen am 24.11.2024.