betrachtete ihn seit Gneisenau's Tode als ihren ersten Mann. Während des polnischen Aufstandes hatte man die Landwehr-Zeughäuser ausräumen und die polnischen Regimenter aus der Provinz entfernen müssen; auf Grolman's Rath wurde jetzt bestimmt, daß die niederschlesischen Regimenter des fünften Armeecorps fortan in Posen, die posener regelmäßig im deut- schen Schlesien Garnison erhielten.
Um Neujahr 1833 ging Flottwell nach Berlin, um dem Minister- rathe die Ergebnisse seiner Beobachtungen vorzulegen. In den nächsten Monaten erschien dann Schlag auf Schlag eine Reihe tief einschneidender Verordnungen. Alle Klöster der Provinz wurden secularisirt, die Einkünfte nebst einem erheblichen Zuschusse des Staats für die Schulen und die geistlichen Lehranstalten verwendet. Da viele Edelleute durch die Theil- nahme an dem Aufstande ihr Vermögen zu Grunde gerichtet hatten und zahlreiche Landgüter unter den Hammer kamen, so wurde dem Oberpräsi- denten 1 Mill. Thaler zur Verfügung gestellt, um diese Güter aufzukaufen und an "Erwerber deutscher Abkunft" zu veräußern. Der Erfolg war günstig, etwa dreißig deutsche Rittergutsbesitzer kamen neu ins Land; an eine gründliche Auskaufung des polnischen Großgrundbesitzes, wie sie Grol- man dringend anrieth, konnte der bedrängte Staatshaushalt freilich nicht denken. Die von den Kreisständen erwählten Landräthe hatten sich wäh- rend der Revolutionszeit schlecht bewährt, manche den Aufruhr unterstützt, andere ihr Amt gröblich vernachlässigt; daher wurde den Kreisen das so übel benutzte Wahlrecht vorläufig entzogen und den Bezirksregierungen übertragen.
Noch schlimmer stand es um die ländliche Polizei. Viele der adlichen Woyts mißbrauchten ihre Amtsgewalt um die Bauern zu bedrücken; Will- kür und Nachlässigkeit überall; es kam vor, daß der Woyt nicht blos poli- tische, sondern selbst gemeine Verbrecher vor der drohenden Verfolgung vertraulich warnte. Nachdem ein vermittelnder Reformversuch keine Besse- rung gebracht, entschloß sich die Krone endlich (1836) durch einen radi- calen Eingriff Wandel zu schaffen. Die Kreise wurden in Distrikte von 6--9000 Einwohnern getheilt; in jedem Distrikte übernahm ein vom Ober- präsidenten ernannter königlicher Commissär, unter der Aufsicht des Land- raths, die Polizeiverwaltung. Unter dem Distriktscommissär standen mit beschränkten Befugnissen die kleinen Ortsobrigkeiten. Den Schulzen er- wählte in den Dörfern, welche die bäuerlichen Lasten noch nicht abgelöst hatten, der Gutsherr, in den bereits regulirten Ortschaften die Gesammt- heit der selbständigen Grundbesitzer; denn Flottwell wußte, daß der pol- nische Bauer seit Jahrhunderten gewöhnt war, in dem adlichen Pan seine Obrigkeit zu sehen, und diese Meinung erst wenn er von allen Herrendiensten befreit sei aufgeben würde.*) Die 130 Distriktscommissäre, meist alte Offi-
*) Flottwell an Brenn, 21. Juli 1832.
IV. 8. Stille Jahre.
betrachtete ihn ſeit Gneiſenau’s Tode als ihren erſten Mann. Während des polniſchen Aufſtandes hatte man die Landwehr-Zeughäuſer ausräumen und die polniſchen Regimenter aus der Provinz entfernen müſſen; auf Grolman’s Rath wurde jetzt beſtimmt, daß die niederſchleſiſchen Regimenter des fünften Armeecorps fortan in Poſen, die poſener regelmäßig im deut- ſchen Schleſien Garniſon erhielten.
Um Neujahr 1833 ging Flottwell nach Berlin, um dem Miniſter- rathe die Ergebniſſe ſeiner Beobachtungen vorzulegen. In den nächſten Monaten erſchien dann Schlag auf Schlag eine Reihe tief einſchneidender Verordnungen. Alle Klöſter der Provinz wurden ſeculariſirt, die Einkünfte nebſt einem erheblichen Zuſchuſſe des Staats für die Schulen und die geiſtlichen Lehranſtalten verwendet. Da viele Edelleute durch die Theil- nahme an dem Aufſtande ihr Vermögen zu Grunde gerichtet hatten und zahlreiche Landgüter unter den Hammer kamen, ſo wurde dem Oberpräſi- denten 1 Mill. Thaler zur Verfügung geſtellt, um dieſe Güter aufzukaufen und an „Erwerber deutſcher Abkunft“ zu veräußern. Der Erfolg war günſtig, etwa dreißig deutſche Rittergutsbeſitzer kamen neu ins Land; an eine gründliche Auskaufung des polniſchen Großgrundbeſitzes, wie ſie Grol- man dringend anrieth, konnte der bedrängte Staatshaushalt freilich nicht denken. Die von den Kreisſtänden erwählten Landräthe hatten ſich wäh- rend der Revolutionszeit ſchlecht bewährt, manche den Aufruhr unterſtützt, andere ihr Amt gröblich vernachläſſigt; daher wurde den Kreiſen das ſo übel benutzte Wahlrecht vorläufig entzogen und den Bezirksregierungen übertragen.
Noch ſchlimmer ſtand es um die ländliche Polizei. Viele der adlichen Woyts mißbrauchten ihre Amtsgewalt um die Bauern zu bedrücken; Will- kür und Nachläſſigkeit überall; es kam vor, daß der Woyt nicht blos poli- tiſche, ſondern ſelbſt gemeine Verbrecher vor der drohenden Verfolgung vertraulich warnte. Nachdem ein vermittelnder Reformverſuch keine Beſſe- rung gebracht, entſchloß ſich die Krone endlich (1836) durch einen radi- calen Eingriff Wandel zu ſchaffen. Die Kreiſe wurden in Diſtrikte von 6—9000 Einwohnern getheilt; in jedem Diſtrikte übernahm ein vom Ober- präſidenten ernannter königlicher Commiſſär, unter der Aufſicht des Land- raths, die Polizeiverwaltung. Unter dem Diſtriktscommiſſär ſtanden mit beſchränkten Befugniſſen die kleinen Ortsobrigkeiten. Den Schulzen er- wählte in den Dörfern, welche die bäuerlichen Laſten noch nicht abgelöſt hatten, der Gutsherr, in den bereits regulirten Ortſchaften die Geſammt- heit der ſelbſtändigen Grundbeſitzer; denn Flottwell wußte, daß der pol- niſche Bauer ſeit Jahrhunderten gewöhnt war, in dem adlichen Pan ſeine Obrigkeit zu ſehen, und dieſe Meinung erſt wenn er von allen Herrendienſten befreit ſei aufgeben würde.*) Die 130 Diſtriktscommiſſäre, meiſt alte Offi-
*) Flottwell an Brenn, 21. Juli 1832.
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des polniſchen Aufſtandes hatte man die Landwehr-Zeughäuſer ausräumen
und die polniſchen Regimenter aus der Provinz entfernen müſſen; auf
Grolman’s Rath wurde jetzt beſtimmt, daß die niederſchleſiſchen Regimenter
des fünften Armeecorps fortan in Poſen, die poſener regelmäßig im deut-
ſchen Schleſien Garniſon erhielten.
Um Neujahr 1833 ging Flottwell nach Berlin, um dem Miniſter-
rathe die Ergebniſſe ſeiner Beobachtungen vorzulegen. In den nächſten
Monaten erſchien dann Schlag auf Schlag eine Reihe tief einſchneidender
Verordnungen. Alle Klöſter der Provinz wurden ſeculariſirt, die Einkünfte
nebſt einem erheblichen Zuſchuſſe des Staats für die Schulen und die
geiſtlichen Lehranſtalten verwendet. Da viele Edelleute durch die Theil-
nahme an dem Aufſtande ihr Vermögen zu Grunde gerichtet hatten und
zahlreiche Landgüter unter den Hammer kamen, ſo wurde dem Oberpräſi-
denten 1 Mill. Thaler zur Verfügung geſtellt, um dieſe Güter aufzukaufen
und an „Erwerber deutſcher Abkunft“ zu veräußern. Der Erfolg war
günſtig, etwa dreißig deutſche Rittergutsbeſitzer kamen neu ins Land; an
eine gründliche Auskaufung des polniſchen Großgrundbeſitzes, wie ſie Grol-
man dringend anrieth, konnte der bedrängte Staatshaushalt freilich nicht
denken. Die von den Kreisſtänden erwählten Landräthe hatten ſich wäh-
rend der Revolutionszeit ſchlecht bewährt, manche den Aufruhr unterſtützt,
andere ihr Amt gröblich vernachläſſigt; daher wurde den Kreiſen das ſo
übel benutzte Wahlrecht vorläufig entzogen und den Bezirksregierungen
übertragen.
Noch ſchlimmer ſtand es um die ländliche Polizei. Viele der adlichen
Woyts mißbrauchten ihre Amtsgewalt um die Bauern zu bedrücken; Will-
kür und Nachläſſigkeit überall; es kam vor, daß der Woyt nicht blos poli-
tiſche, ſondern ſelbſt gemeine Verbrecher vor der drohenden Verfolgung
vertraulich warnte. Nachdem ein vermittelnder Reformverſuch keine Beſſe-
rung gebracht, entſchloß ſich die Krone endlich (1836) durch einen radi-
calen Eingriff Wandel zu ſchaffen. Die Kreiſe wurden in Diſtrikte von
6—9000 Einwohnern getheilt; in jedem Diſtrikte übernahm ein vom Ober-
präſidenten ernannter königlicher Commiſſär, unter der Aufſicht des Land-
raths, die Polizeiverwaltung. Unter dem Diſtriktscommiſſär ſtanden mit
beſchränkten Befugniſſen die kleinen Ortsobrigkeiten. Den Schulzen er-
wählte in den Dörfern, welche die bäuerlichen Laſten noch nicht abgelöſt
hatten, der Gutsherr, in den bereits regulirten Ortſchaften die Geſammt-
heit der ſelbſtändigen Grundbeſitzer; denn Flottwell wußte, daß der pol-
niſche Bauer ſeit Jahrhunderten gewöhnt war, in dem adlichen Pan ſeine
Obrigkeit zu ſehen, und dieſe Meinung erſt wenn er von allen Herrendienſten
befreit ſei aufgeben würde. *) Die 130 Diſtriktscommiſſäre, meiſt alte Offi-
*) Flottwell an Brenn, 21. Juli 1832.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/572>, abgerufen am 24.11.2024.
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